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Wahrheit
Plädoyer für eine hermeneutische Wende in der Wahrheitstheorie
Verlag Karl Alber
EAN: 9783495481684 (ISBN: 3-495-48168-0)
448 Seiten, hardcover, 14 x 21cm, 2006
EUR 48,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
"Die Vorstellung,
daß Wahrheit a-temporal sei,
hat sich seit je als
notorisch unheilvoll erwiesen."
Arthur C. Danto
Rezension
Was ist Wahrheit ? Diese zentrale Frage der Philosophie hat gegenwärtig nichts von ihrer Aktualität verloren, auch wenn in den 1970er und 1980er Jahren postmoderne Strömungen wie zum Beispiel der Radikale Konstruktivismus den Wahrheitsbegriff für obsolet erklärten. Dass ein so klassisches Thema wie die Frage nach der Wahrheit noch im 21. Jahrhundert Gegenstand einer Habilitation sein kann, demonstriert das im „Verlag Karl Alber“ erschienene Buch „Wahrheit. Plädoyer für eine hermeneutische Wende in der Wahrheitstheorie“ der Bonner Privatdozentin Petra Kolmer. Der Untertitel könnte den Eindruck erwecken, dass die Arbeit im Umkreis Hans-Georg Gadamers verfasst wurde, was aber nicht der Fall ist. Die Philosophiedozentin ist nämlich Schülerin des Bonner Philosophieprofessors Hans Michael Baumgartner. Ausdrücklich distanziert sich Kolmer auch von Gadamers Ansatz einer hermeneutischen Philosophie. Kolmer betrachtet Hermeneutik ‚nur‘ als eine „Hilfsdisziplin der Philosophie, nicht als philosophische Fundamentaldisziplin“ (S. 97). An Gadamers Hermeneutik-Ansatz kritisiert sie sein Festhalten an einer von Georg Wilhelm Friedrich Hegel inspirierten „spekulativen Geschichtsphilosophie“ (S. 97, Anm. 34).
Kolmer verfolgt in ihrem Buch die Intention, an einen „temporalen Wahrheitsbegriff“ (S. 28) zu erinnern. Mit Temporalität der Wahrheit meint die Autorin, dass „‘wahr [immer] in der Abhängigkeit von der Zeit‘ zu verstehen ist.“ (S. 94) Die klassische Frage nach der Wahrheit wird daher von Kolmer folgendermaßen reformuliert:“ Was verstehen wir, die wir zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Weltgegenden, Kulturen und Lebenslagen nur eine kurze Zeitspanne mit Vernunft (in einem vielfältigen Sinne) existieren und Sprache individuell abgeschattet und innovativ unvorsehrbar gebrauchen, unter Wahrheit bzw. sollten wir darunter verstehen ?“ (S. 88) Demnach bedeutet „wahr“, so Kolmer, genauer „zeit-wahr“ bzw. „zeitfalsch“ (S. 35). Wahrheit heißt dann so viel wie „Verlässlichkeit“ (S. 91).
Die Philosophiedozentin legt in ihrem Werk einen Wahrheitsbegriff dar, „der Vieldeutigkeit, einer gewissen Undeutlichkeit und damit auch, geltungstheoretisch, der Relativität (wenigstens partiell) einen Spielraum gibt.“ (S. 28) Dazu entwickelt sie in ihrer Abhandlung einen „Typusbegriff der Wahrheit, der nicht sensu stricte definierbar, vielmehr durch die „fließende Grenze der Zugehörigkeit und ungleichmäßige Ausgeprägtheit“ ausgezeichnet ist.“ (S. 90) Die Struktur des Typusbegriffs Wahrheit ermöglicht es verschiedene klassische Wahrheitstheorien wie „Korrespondenz-, Konsens-, Redundanz- oder Kohärenztheorien der (Aussagen-)Wahrheit“ interdisziplinär miteinander zu vernetzen (S. 92f). Das Kapitel zum wissenschaftstheoretischen Status des Begriffs „Wahrheit“ zählt m. E. zu den fruchtbarsten des Buches, da sich die Einsichten der Autorin auch auf andere Zentralbegriffe der Philosophie übertragen lassen.
Kolmer vertritt in ihrer Habilitationsschrift „vier Hauptthesen“ zum Wahrheitsbegriff, womit sie sich von anderen Wahrheitskonzeptionen abgrenzt. Erstens behauptet sie die Vieldeutigkeit unserer Wahrheitsauffassungen aufgrund von persönlichen Weltansichten (S. 30). Zweitens kann nach Kolmer der Wahrheitsbegriff „nicht unabhängig von der Frage nach der Relevanz der Wahrheit für das menschliche Leben“ sein (S. 33). In der dritten Hauptthese behauptet Kolmer die Unzulänglichkeit non-temporaler Wahrheitsauffassungen. Sie einerseits gegen einen atemporalen Wahrheitsbegriff wie er sich in der semantisch-ontologischen Wahrheitstheorie von L. B. Puntel findet, anderseits gegen einen „omnitemporale[n] Wahrheitsbegriff“, wie er sich nach Kolmer im dem pragmatischen Wahrheitskonzept des Sozialphilosophen Jürgen Habermas und in dem lebensphilosophischen Wahrheitsverständnis von Wilhelm Dilthey nachweisen lässt. Diese Wahrheitskonzeptionen dieser drei Philosophen werden von Kolmer auf 300 Seiten vorgestellt und kritisch analysiert. Die letzte Hauptthese der Verfasserin, die eigentliche der Habilitation, ist die vom temporalen Wahrheitsbegriff (S. 35f). Methodisch orientiert sich die Verfasserin an der klassischen Textinterpretation (S. 98). Einem besonders in der Analytischen Philosophie verbreiteten Trend zur Formalisierung von philosophischen Aussagen folgt Kolmer nicht (vgl. S. 103).
Auffällig ist, dass die Verfasserin in ihrer philosophischen Abhandlung nicht auf die Werke zur „hermeneutischen Logik“ von Georg Misch, Hans Lipps und Josef König und auch nicht auf Otto Friedrich Bollnows hermeneutische Philosophie rekurriert. Der Tübingen Philosoph, der von Kolmer nur in den Fußnoten kursorisch erwähnt wird, hat nämlich wie die Göttinger Denker in seinen Schriften Grundsätze einer hermeneutischen Theorie der Wahrheit elaboriert. Leider wird damit wieder einmal in der akademischen Zunft Hermeneutik mit der Philosophie Gadamers identifiziert und damit die lebensphilosophische, nicht-spekulative Richtung der Hermeneutik, die eine Weiterentwicklung Diltheyscher Positionen enthält, vernachlässigt.
Dennoch bleibt es ein Verdienst der Philosophiedozentin in ihrem Buch von einem nicht-hermeneutischen Philosophieansatz an Einsichten hermeneutischer Philosophie erinnert zu haben. Kolmers Habilitationsschrift ist ein weiteres Beispiel für die in den letzten Jahren zu verzeichnende Annäherung philosophischer Strömungen – wie zum Beispiel auch der Analytischen Philosophie - an eine hermeneutische Ausrichtung der Philosophie. Das Buch „Wahrheit“ von Petra Kolmer gibt dem Philosophielehrer einen guten Einblick in die aktuelle universitäre Diskussion über Wahrheitstheorien.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Vorwort 8
Zitationsweise 17
I. Wahrheit vor dem Ende der Zeit – Einleitung 19
II. ‚Wahr unabhängig von der Zeit‘ – Die sematisch-ontologische Wahrheitstheorie von L.B.Puntel 105
III. ‚Wahr zu aller Zeit‘ – Das pragmatische Wahrheitskonzept von J.Habermas 159
IV. Nochmals ‚Wahr zu aller Zeit‘ – Das lebensphilosophische Wahrheitskonzept von W. Dilthey 321
V. Wahrheit vor dem Ende der Zeit – Resümee 403
Verzeichnis der zitierten und erwähnten Literatur 430
Personenverzeichnis 445
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