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Souveränes Virus?
Die Atemnot des Kapitalismus
Donatella Di Cesare
Konstanz University Press
EAN: 9783835391321 (ISBN: 3-8353-9132-1)
114 Seiten, hardcover, 11 x 18cm, Juni, 2020
EUR 18,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Das Virus kam unerwartet und traf Italien mit voller Wucht. Global hat es die Unvermeidlichkeit des Immergleichen suspendiert und ein unkontrollierbares Wachstum unterbrochen, das zu einer Wucherung ohne jedes Maß und Ziel geworden ist. Aber jede Krise enthält auch die Möglichkeit einer Befreiung. Wird die Botschaft diesmal gehört werden?
Rezension
Mittlerweile sind einige Werke auf dem Buchmarkt zu finden, die sich der Corona-Pandemie widmen. Neben medizinischen, ökonomischen, politischen, soziologischen und literarischen Büchern zu Covid-19 und seinen Auswirkungen wurden ebenso Schriften von Philosophinnen und Philosophen zu der Thematik publiziert. Dazu zählt auch der Anfang Juni veröffentlichte Essay „Virus sovrano? L`asfissia capitalistica“ von Donatella Di Cesare (*1956). Dieser erschien Ende Juni in der deutschen Übersetzung von Daniel Creutz bei Konstanz University Press unter dem Titel „Souveränes Virus? Die Atemnot des Kapitalismus“. Di Cesares Ausführungen über Corona zeugen von einem bestimmten Selbstverständnis als Philosophin. Die Professorin für Sprachphilosophie an der Universität La Sapienza in Rom und Dozentin für Philosophische Hermeneutik an der Scuola Normale Superiore in Pisa begreift Philosophie in einer vom Kapitalismus beherrschten globalisierten Welt als subversive Kraft, als „Störenfried“ der Politik. Diese Auffassung eines engagierten Philosophierens hat die Gadamer-Schülerin und ehemalige stellvertretende Vorsitzende der Martin-Heidegger-Gesellschaft ausführlich dargelegt in ihrem Essay „Von der politischen Berufung der Philosophie“(2020).
Ihrem eigenen Anspruch wird Di Cesare, die zu Recht zu den führenden Intellektuellen Italiens gezählt wird, in ihrem neuen Essay vollauf gerecht. Dort vertritt sie die These, dass die Corona-Pandemie „nicht das Ergebnis eines Fluchs oder das Resultat einer Naturkatastrophe, sondern Anzeichen eines nahezu vollständig zerstörten Ökosystems“(S. 94f.) sei. Die Klimakrise wird von Di Cesare als Produkt des globalen Kapitalismus identifiziert, der zurzeit an Atemnot leide. Demnach bringe die Corona-Krise - nach dem 11. September und der Finanzkrise von 2008 - nur die im Spätkapitalismus schon vorhandenen Probleme und Konflikte in geschärfter Form ans Licht: Kriege und Terror, Wohlstandspolarisierung, globale Armut und Hunger, Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Umweltzerstörung, sowie postdemokratische Entwicklungen.
Gerade die bio- bzw. psychopolitischen Auswirkungen von Covid-19 werden von Di Cesare kritisch analysiert. Mit dem von ihr benutzten „an-archistischen“ Ansatz, der auf das Bloßlegen letzter Grundlagen der Politik abzielt, meint sie aufzeigen zu können, dass die in der Moderne vorherrschende Demokratie geprägt sei durch die „Formel“: „noli me tangere“ („Berühre mich nicht.“). In dieser „immunitären Demokratie“ werden dem Schutz vor dem bzw. den Anderen gegenüber Gleichheits- und Partizipationsrechten eine Priorität eingeräumt. Angesichts der Corona-Pandemie warnt Di Cesare zu Recht u.a. vor einer neoliberalen Expertokratie, vor einer „Phobokratie“(„Herrschaft der Angst“), vor einem Versagen der Europäischen Union, vor Verschwörungstheorien, vor digitaler Überwachung und vor einem Festhalten am Wachstumsparadigma in der „Einwegwelt“. Lehrkräften der Fächer Philosophie und Ethik bietet Di Cesares aktueller Essay zahlreiche Passagen, die sich zur produktiven Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie aus philosophischer bzw. ethischer Perspektive eignen.
Fazit: In ihrem engagiert geschriebenen Essay „Souveränes Virus? Die Atemnot des Kapitalismus“ leuchtet Di Cesare mit tiefsinnigen Reflexionen zentrale (sozial)philosophische Aspekte der Corona-Pandemie gekonnt aus.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Das Virus kam unerwartet und traf Italien mit voller Wucht. Global hat es die Unvermeidlichkeit des Immergleichen suspendiert und ein unkontrollierbares Wachstum unterbrochen, das zu einer Wucherung ohne jedes Maß und Ziel geworden ist. Aber jede Krise enthält auch die Möglichkeit einer Befreiung. Wird die Botschaft diesmal gehört werden?
Donatella Di Cesare zeichnet in ihrem Essay ein prägnantes und erfahrungsnahes Bild des epochalen Ereignisses, in dem die Probleme des 21. Jahrhunderts wie unter einem Brennglas zusammenfinden: von den ökologischen Fragen zur Regierung der Experten, vom Ausnahmezustand zur immunitären Demokratie, von der Herrschaft der Angst zur verschwörerischen Ansteckung, von der auferlegten sozialen Distanzierung zur digitalen Kontrolle. Das Coronavirus ist ein souveränes Virus, das die Mauern des Nationalismus und der Abschottung umgeht und das zugleich die unerbittliche immunitäre Logik aufdeckt, die gerade die Schwächsten ausschließt. Die Ungleichheit zwischen Geschützten und Ungeschützten, die jeder Idee von Gerechtigkeit Hohn spricht, trat selten derart unverfroren zutage. Das Virus hat die Unbarmherzigkeit des Kapitalismus ans Licht gebracht und macht offenkundig, dass der Mensch sich in seiner Verletzlichkeit unmöglich selbst retten kann – wenn nicht durch wechselseitige Hilfe. Die Corona-Pandemie zwingt uns dazu, eine neue Weise des Lebens in Gemeinschaft zu denken.
Der in Italien breit rezipierte und diskutierte Essay der Philosophin Donatella di Cesare erscheint zeitnah nun auch in deutscher Sprache. Es handelt sich nicht um eine improvisierte Stellungnahme, sondern um den Versuch, die politische Berufung der Philosophie auf die Probe der kollektiven Erfahrung zu stellen und deren transformatorische Potentiale unter den Bedingungen der aktuellen Krise zutage zu fördern.
Inhaltsverzeichnis
Das kommende Übel 9
Zwischen Kalkül und Prognose: Das „Ende der Welt“ 14
Die Atemnot des Kapitalismus 22
Allmacht und Verletzlichkeit 26
Ausnahmezustand und souveränes Virus 32
Immunitäre Demokratie 37
Die Regierung der Experten: Wissenschaft und Politik 51
Phobokratie 57
Uneingeschränkte Macht? 60
Die verschwörerische Ansteckung 66
Abstand halten 75
Psychische Pandemie 83
Abriegelung und digitale Überwachung 87
Unbarmherzigkeit des Wachstums 93
Der Lockdown der Opfer 99
Die Atemkatastrophe. Unversehrt? 108
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