|
Sich einen Begriff vom Leiden Anderer machen
Eine Praktische Philosophie der Sorge
Patrick Schuchter
Reihe: Bioethik - Medizinethik
Transcript
EAN: 9783837635492 (ISBN: 3-8376-3549-X)
390 Seiten, paperback, 15 x 23cm, Juli, 2016
EUR 39,99 alle Angaben ohne Gewähr
|
|
Umschlagtext
Sorge-Beziehungen in Medizin und Pflege sind geprägt von existenzieller Auseinandersetzung mit entscheidenden Fragen des Menschseins. Was kann die antike Philosophie hierzu beitragen?
Patrick Schuchter hat die antiken philosophischen Praktiken der Sorge um sich für die Praktiken der Sorge für Andere (»Care«) in der Gegenwart aufbereitet. Ausgehend von einem weiten und hermeneutisch fundierten Begriff der Sorge mündet die Schrift in eine radikale Neubegründung der Ethik und liefert so einen Impuls für eine aufgeklärte philosophische Praxis und Lebenskunst mitten im Alltag des Lebens und Arbeitens.
Patrick Schuchter (Dr. phil., MPH), Philosoph, Krankenpfleger, Gesundheitswissenschaftler, forscht und lehrt am Institut für Palliative Care und Organisationsethik an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) Wien der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt | Wien Graz. Er ist in unterschiedlichen Palliative-Care- und Ethik-Projekten tätig und beschäftigt sich mit der Frage, wie Reflexionsprozesse zu existenziellen, philosophischen und ethischen Grundfragen organisiert und gestaltet werden können.
Homepage:
www.uni-klu.ac.at
Rezension
Diese Studie fragt danach, was antike Philosophie (sokratische, epikureische und stoische philosophische Praxis) zu Sorge-Beziehungen in heutiger Medizin und Pflege, die von existenzieller Auseinandersetzung mit entscheidenden Fragen des Menschseins geprägt sind, beitragen kann und zeigt damit die Relevanz praktischer Philosophie für heutige Alltags-ethische Problemfelder auf; denn es gibt im Leben philosophische Momente, die uns über das Alltagsgeschäft und unsere eingespielten Wahrnehmungsroutinen erheben. Im Gesundheitswesen entstehen häufig Kontexte und Situationen, in denen eine an Spezialwissenschaften orientierte Expertise an Grenzen stößt. Dazu gehören insgesamt Sorge-Situationen, die geprägt sind von intensiver existenzieller Auseinandersetzung und zwischenmenschlichen Beziehungen, die nicht nur einen Teilaspekt des Lebens, sondern das Dasein insgesamt betreffen und dadurch die entscheidenden Fragen des Menschseins berühren. Grenzsituationen wecken die Sorge um sich und andere. In der Sorge erschließen sich das Dasein und unsere Beziehungen neu. Das Buch macht sich auf die Suche nach der Lebensklugheit beziehungsstiftender Sorge.
Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagworte:
Philosophie, Ethik, Medizin, Pflege, Sorge, Care, Lebenskunst, Medizinethik, Antike Philosophie
Adressaten:
Philosophie, Ethik, Bioethik, Soziologie, Medizin, Pflege und Pflegewissenschaft, Gesundheitswissenschaften sowie Praktiker_innen im Gesundheits- und Sozialsystem
Autoreninterview
... mit Patrick Schuchter
1. Warum ein Buch zu diesem Thema?
Das Streben nach technischen Lösungen und ökonomisches Denken geben auch im Gesundheits- und Sozialsystem den Ton an. Im Umgang mit schwerer Krankheit, mit Schmerz, Trauer, mit dem Tod genügt das aber natürlich nicht. Existenzielle Erfahrungen und Leiden sind unkalkulierbar und oft unlösbar. Grenzsituationen wecken die Sorge um sich und andere. In der Sorge erschließen sich das Dasein und unsere Beziehungen neu. Das Buch macht sich auf die Suche nach der Lebensklugheit beziehungsstiftender Sorge.
2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Die Form der Frage verführt natürlich zur Unbescheidenheit. Zum Teil geht es aber eher um die Wiederaneignung alten Menschheitswissens. Ich glaube, dass das Buch für Menschen aus Medizin und Pflege, für Organisationen, Netzwerke und ›Caring Communities‹ alltagsnah und alltagstauglich Anregungen geben kann, wie wir uns mit den Mitteln philosophischen Denkens und des philosophischen Gesprächs in gute, gemeinsame Sorge einüben können. In der bloßen Betriebsamkeit kann der Mensch verloren gehen.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Das vierte Kapitel enthält, das würde ich schon gern behaupten, systematische und neue Perspektiven für die Grundlegung der Ethik ausgehend vom Begriff der Sorge. Das hat neben der ›reinen‹ Theorie praktische Konsequenzen etwa für Ethikberatung und Organisationsethik. Im Diskurs wie in der Gesellschaft: Ich denke, Aufklärung und Demokratisierung beginnen heute bei den Begriffen Sorge und ›Care‹. Philosophieren als Alltagspraxis kann und sollte mit dieser Verknüpfung neu debattiert werden.
4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
In der Philosophie möchten wir ja immer gerne auch mit bereits Verstorbenen ins zeitlose Gespräch kommen, etwa mit Epikur. Unter den Lebenden ›vom Fach‹ könnte ich mir eine Diskussionsrunde mit Giovanni Maio (Medizinethik), Anders Lindseth (Philosophische Praxis), Fabienne Brugère (Care-Philosophie), moderiert von Peter Heintel (Prozessethik), vorstellen. Vor allem aber möchte ich mit Menschen aus Pflege, Medizin und mit unmittelbar sorgenden ›Betroffenen‹ im Gespräch bleiben.
5. Ihr Buch in einem Satz:
Auf der Suche nach der verlorenen Weisheit der Sorge ...
Inhaltsverzeichnis
Vorwort | 11
Einleitung | 13
1.DIE SORGE UM ANDERE | 23
1.1 Florence Nightingale zwischen traditionellem Frauenbild und Emanzipation | 26
1.2 Care: die weibliche Stimme in der Moral | 32
1.3 Florence Nightingale und die Religion | 38
1.4 Caritas: Fürsorge als Nachahmung Gottes | 41
1.5 Florence Nightingale und der Weg in die Moderne | 48
1.6 Versorgung: Fürsorge als Dienstleistung | 51
1.6.1 Das Fortleben traditioneller Fürsorge-Moral im pflegewissenschaftlichen Caring-Diskurs | 53
1.6.2 Role-Model DRG-Medizin | 58
1.6.3 Moderne Handlungsrationalität in der Pflege und Spannungen zur Fürsorgemoral | 60
1.7 Ein Fingerzeig der Philosophin Florence Nightingale? | 72
2. DIE SORGE UM SICH | 77
2.1 Fürsorge im Paradigma der Sorge um sich? Kritische Vorüberlegungen | 78
2.2 Vorbild Sokrates | 90
2.2.1 Historisches | 91
2.2.2 harakteristisches | 93
2.3 Sokratisches Philosophieren: Analyse des Laches | 96
2.3.1 Rahmenhandlung | 97
2.3.2 Sokrates prägt die Gesprächsmethode | 101
2.3.3 Die sokratische Arbeit des Begriffs | 108
2.3.4 Die Aporie | 112
2.3.5 eisheit und Lebenspraxis des Nichtwissens | 117
2.3.6 Der wahre Schmuck der Seele: die unbedingte Forderung | 125
2.3.7 Das Leben als Exemplum | 131
2.3.8 Die Therapie der Seele im Sterben | 133
2.4 Stoisch-epikureische Übungen | 136
2.4.1 Historischer Überblick | 136
2.4.2 Philosophie als Therapie und Medizin der Seele | 139
2.4.3 Die Unterscheidung der Machtbereiche (Stoa) | 152
2.4.4 Meditatio mortis (Stoa) | 155
2.4.5 Einüben in die Lust am bloßen Existenzgefühl (Epikur) | 158
2.4.6 Übung in Zurückhaltung im Urteilen (Stoa, Skepsis) | 162
2.4.7 Imaginative Übungen | 163
3. DIE HERMENEUTISCHE ARBEIT DER SORGE | 167
3.1 Von der Lebens- und Leidenskunst erzählen: Tiziano Terzani | 168
3.2 Die stoische Arbeit: Sorge um sich (... und um Andere) | 183
3.2.1 Die Machtlosigkeit im Leiden | 184
3.2.2 Die hermeneutische Differenz | 187
3.2.3 Auf dem Weg zu einer „eigentlichen“ Lektüre des Daseins | 193
3.2.4 Der Konflikt der Interpretationen in den Geschichten des Leidens | 201
3.2.5 Zusammenfassung: Aus dem Leiden denken und erzählen – wie die Sorge um sich zur Sorge für Andere wird | 208
3.3 Die sokratische Arbeit: Sorge um Andere (... und für sich) | 213
3.3.1 Ein Ohr leihen: In der sokratischen Arbeit wird der Stoizismus dialogisch | 214
3.3.2 Zugänge zur Leidenswirklichkeit des anderen Menschen ohne hermeneutische Arbeit | 218
3.3.3 Teilnehmendes Verstehen: allgemein und diesseits des „Begriffs“ | 225
3.3.4 Sich einen Begriff vom Leiden Anderer machen | 233
3.4 Die epikureische Arbeit: die Sorge der Welt | 250
3.4.1 Das Murmeln des Menschlichen - Erzählung | 254
3.4.2 Das Existenzbewusstsein im und gegen das Leiden | 256
3.4.3 Die hermeneutische Differenz im Existenzbewusstsein | 259
3.4.4 Staunen und Schönheit | 261
3.5 Fazit | 264
4. DIE ETHIK DER SORGE | 267
4.1 Vorgeschichte der Ethik der Sorge: Care-Ethik | 268
4.2 Der Gegenstandsbereich der Ethik: Moral und Lebenskunst | 277
4.3 Die Lebenskunst der Sorge | 283
4.4 Die Moral der Sorge | 287
4.4.1 Was heißt „moralisch gut“? | 290
4.4.2 Was ist das Kriterium für Handlungen von moralischem Wert? | 293
4.4.3 Sorge und Norm | 300
4.4.4 Sorge und Handlungsmotivation | 306
4.4.5 Die Universalisierung der Sorge | 309
4.4.6 Die Moral und das Leiden | 313
4.4.7 Sorge und Tugend | 315
4.4.8 Maß und Ziel der Sorge | 318
4.4.9 Das Selbst und der andere Mensch | 323
4.5 Die kommunikative Infrastruktur einer hermeneutischen Arbeit der Sorge | 325
4.5.1 Operationalisierung von Sorge-Wissen als (kollektive) „ethische Kreativität“ | 329
4.5.2 Die traditionelle Ethik im Krankenhaus | 333
4.5.3 Die stumm fungierende ethische Kreativität der Sorge in moralischen Dilemmasituationen | 337
4.5.4 Facetten ethischer Kreativität | 347
4.5.5 Die epistemische Natur von Sorge-Wissen | 350
4.5.6 Organisation der Überlieferung von Sorge-Wissen | 353
4.6 Fazit | 362
AUSBLICK: DIE BEDEUTUNG DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE DER SORGE FÜR EINE „POLITIK DER SORGE“ | 367
LITERATUR | 371
|
|
|