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Rock Lyrik  Große Rock-Songs – interpretiert von deutschen Dichtern. 

Mit mehr als 30 s/w-Konzertfotografien von Helmut Ölschlegel.
Rock Lyrik


Große Rock-Songs – interpretiert von deutschen Dichtern.



Mit mehr als 30 s/w-Konzertfotografien von Helmut Ölschlegel.

Thomas Kraft (Hrsg.)

Deutscher Taschenbuch Verlag
EAN: 9783423139960 (ISBN: 3-423-13996-X)
128 Seiten, paperback, 12 x 19cm, 2011

EUR 9,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Mit mehr als 30 s/w-Konzertfotografien von Helmut Ölschlegel.



Thomas Kraft, geboren 1959 in Bamberg, promovierter Germanist, war Programmleiter des Literaturhauses München. Heute lebt er als Autor, Literaturkritiker und Organisator literarischer Veranstaltungen in Herrsching am Ammersee. Veröffentlichungen zu Robert Musil, Edgar Hilsenrath, Oskar Maria Graf, Michael Ende und zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Er ist u. a. Herausgeber des »Lexikons der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur« (2003) und der »Beat Stories« (2008). - Weitere Informationen auf seiner Website www.thomas-kraft.net



Helmut Ölschlegel, geboren 1952 in Bamberg, ist freier Musik-Journalist und Seminarrektor. Er bereist seit Jahrzehnten Konzerte und Festivals, um die kleinen und großen Rock-Legenden für die Nachwelt festzuhalten.
Rezension
Rock 'n' Roll ist unsterblich! Dazu tragen nicht nur die Gitarrensoli bei, sondern auch die Texte. Der erfahrene Herausgeber und DJ Thomas Kraft mixt Lyrik mit Rock 'n' Roll und kreiert so ein temporeiches »Album« der besonderen Art: Dieses Buch versammelt rund 40 Texte namhafter Lyriker der Gegenwart, die sich von großen Rock-Songs inspirieren ließen. Angeregt durch Bilder und Rhythmen entstehen neue, eigenständige Werke, die die engverwandten Genres Songtext und Lyrik zueinander führen. Hymnen wie ›Hotel California‹, ›Because The Nigth‹ oder ›Stairway To Heaven‹ sind darunter, und die Namen der Autoren, die die Originalbeiträge verfasst haben, lesen sich wie das ›Who's who‹ der deutschen Gegenwartsliteratur: Marcel Beyer, Friedrich Ani, Helmut Krausser, Lydia Daher und viele mehr.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Come and get your satisfaction
Inhaltsverzeichnis
Intro: Dieses Lied ist ein Gedicht 7
Lydia Daher: Hol sie Dir, Lady, Deine Leiter zum Himmel 11
Alexander Gumz:Weil die Nacht 15
Marcel Beyer: Du wirst nicht befreit 17
Enno Stahl: Ich reise mit dir 21
Hellmuth Opitz: Wendy 25
Friedrich Ani: Speaking Words Of Wisdom 26
Hans Eichhorn: Herz.Schlag.Finale 29
Salli Sallmann: Zuviel Verwirrung hier 31
Karin Fellner: Hinterm Mond 34
Carl-Christian Elze: wie zwei schwarze löcher 37
Frank Milautzcki: Pimpernell 39
Anton G. Leitner: Schwarze Madonna 42
Augusta Laar: Solo Promenade 47
Fitzgerald Kusz: voll debb 50
Karin Preiwuß: montag 52
Franzobel: Bobby 57
Nefvel Cumart: Die süßeste Honigfrucht 61
Helmut Krausser: Eisiges Blau 63
Mirko Bonné: Attrappe 66
Franz Dobler: Meine Waffe 70
Nora Gomringer: Das Monster 73
Arne Rautenberg: was lucy in the sky mit ihren diamonds macht 75
Michael Wildenhain: Fern ist der Sommer 78
Andrea Heuser: So strömen die Tage durch meinen Blick 83
Uljana Wolf: wilde zeiten [WOTWS, 1. staffel] 84
Hans Thill: Machs an Land 87
Werner Fritsch: Worte im Wind 90
Richard Wagner: Hotel Atemzug 93
Christoph Wilhelm Aigner: Regenbogenmond 97
Thomas Kunst: Ficken und untergehen 99
Monika Rinck: Teuer Notar 100
Michael Augustin: Was mit der Sonne ist 102
Sylvia Geist: Brocken Englisch, radiert & addiert 105
Ulrike A. Sandig: Kate rennt 109
Michael Kohtes: Der Trakt 111
Helmut Ölschlegel: Zufriedenheit geht anders 115
Ludwig Fels: Fahr weiter 118
Mario Wirz: Steppenwolf 120
Marie T. Martin: »it makes me wonder« 124
Verzeichnis der Abbildungen 127


Leseprobe:

Dieses Lied ist ein Gedicht
Als ich Anfang der Siebzigerjahre im amerikanischen
Soldatensender AFN die Wolfman Jack Show und American
Top 40 mit Casey Kasem hörte, öffnete sich für
mich eine neue Welt. Aus meinem kleinen Nordmende-
Radio tönte ein wahnwitziges Gemisch aus Stakkato-
Sprachfetzen, wolfsähnlichem Gelächter und einem
rockigen und souligen Sound, der mich geradezu
überwältigte. Für einen Schüler wie mich, der gerade
die Grundbegriffe der englischen Sprache erlernt hatte,
war es fast unmöglich, die lässigen Ansagen der
DJs zu verstehen, wenn sie einen neuen Song ankündigten.
Ich stellte auf maximale Lautstärke, ich nahm
wahlweise Höhen und Tiefen raus, ich versuchte es
mit phonetischer Schreibweise, nichts half. Wenn ich
dann im Plattenladen mühsam den Namen der Band
und den Titel des Songs, der mir so ungeheuer gefallen
hatte, herausstotterte, rätselten die Verkäufer, was
ich wohl suchen würde. Wir durchstöberten die Plattenregale,
studierten die amerikanischen und englischen
Charts und blätterten in der BRAVO und in
der (leider schon 1971 eingestellten) TWEN, um das
Gewünschte zu finden. Nicht selten war ich versucht,
an den Sender zu schreiben und die Herren DJs zu
bitten, ihr Genuschel zu unterlassen, nicht immer in
die Songs reinzuquatschen und etwas mehr Hörer-Service
zu bieten. Ich unterließ es, es war zu peinlich.
Denn es waren ja nicht nur die Ansagen, die mein
mangelhaftes Englisch nicht zu dechiffrieren wusste,
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sondern natürlich auch die Texte der Lieder, die ich,
zum Leidwesen meiner Mutter, lauthals mitzugrölen
pflegte. Glücklicherweise war meine Mutter eine tolerante,
des Englischen nicht allzu mächtige Frau, sonst
hätte sie meine schiefen und falschen Refrains und
Liedfetzen aufs Schärfste kritisiert. So sang ich also
von Satisfaction mit der Lady in Black, wähnte mich als
Speed King auf dem Stairway to Heaven und schmachtete
all die besungenen Frauen wie Suzanne, Angie, Lalena
und Melinda an. Oft verstand ich nicht, was ich da
trällerte. Meine Umgebung auch nicht.
Englisch ist die Sprache des Rock. Klar und schnörkellos.
Gut verständlich, eigentlich. Doch oft ist der Eindruck
flüchtig und der Text kompliziert. Songschreiber
neigen zur Verdichtung und Verkürzung. Das unterscheidet
sie nicht von Lyrikern. Ihre besten Texte sind
von poetischer Kraft und Intensität, bildhaft und der
Musik kongenial zugeordnet. Nicht umsonst wird Bob
Dylan immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis
für Literatur gehandelt (er wird ihn nie bekommen),
sind Sänger wie Leonard Cohen, Jim Morrison und
Randy Newman veritable Dichter. Manche Liedzeile –
»The answer my friend is blowin’ in the wind« – ist
bekannter als die meisten Gedicht- und Romananfänge.
Ein einprägsamer Refrain, die griffige Anfangszeile,
ein paar auffallende Vokabeln, und schon geht uns
der Song nicht mehr aus dem Kopf. Je einfacher die
Botschaft, desto nachhaltiger nistet sie sich in unserem
Kopf ein. Wir summen die Melodie den ganzen
Tag, garniert mit ein paar halb verständlichen Brocken,
die wir verstanden zu haben glauben. Oft ist uns
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die Musik wichtiger als der Text; ohne sie swingen die
Wörter nicht. Und wenn wir den Text nicht oder nicht
vollständig verstehen, macht es uns nichts aus. Wir
füllen den Leerraum mit Assoziationen, mit phonetisch
ähnlich klingenden Wortgebilden. Es ist eine
gefühlte Musik mit gefühlten Aussagen. Wir kennen
zwar die einschlägigen Begriffe aus den Milieus, Obszönitäten,
Slangidiome und Neologismen aus der
Subkultur. Interessant wird es jedoch, wenn Nuancen
ins Spiel kommen, wenn es mehrdeutig oder widersprüchlich
konnotiert wird. Oft sind Songtexte gut
verschlüsselt, fast hermetisch, und nicht immer ist
klar, wo der Schlüssel hinterlegt ist. Manchem mag
der Impetus, einen Songtext verstehen zu wollen, als
Frevel erscheinen, als unangemessene Obduktion eines
Gesamtkunstwerks, bei der das tragende Skelett der
Musik vom Fleisch des Textes gelöst werden soll. Ein
Zauber gerät in Gefahr, zerstört zu werden, dem Song
wird seine Ausstrahlung entrissen, das eine sei ohne
das andere nicht zu denken und nicht zu hören. Vieles
scheint nicht übertragbar, eher entstehen individuelle
Lesarten und Versionen – jeder versteht einen Text
anders.
Dieser Band versammelt neununddreißig Texte, in
denen sich zeitgenössische deutsche Dichter von großen
Rocksongs zu Nachdichtungen inspirieren ließen.
Angeregt durch Bilder, Rhythmen oder Versmaß entstehen
neue, eigenständige Werke, die die eng verwandten
Genres Songtext und Lyrik zueinander führen.
Rockmusik ist ebenso wie Lyrik direkt und emotional,
aber auch anspielungsreich und voller Sexualität. Ihre
Ausdrucksformen sind so begrenzt wie die Zahl der
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Wassertropfen im Ozean. Sie arbeitet mit Zitaten aus
der Welt der Bilder, kann katholisch und okkult sein,
märchenhaft und mystisch, simpel, komplex und zärtlich.
Alles gute Gründe, um nach der Lektüre der in
diesem Band versammelten Nachdichtungen, die von
einigen der besten Rocksongs der letzten Jahrzehnte
inspiriert wurden, zu sagen: Dieses Lied ist ein Gedicht.
Thomas Kraft