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Rassenmutter und Rebellin Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus
Rassenmutter und Rebellin
Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus




Felix Wiedemann

Königshausen & Neumann Verlag
EAN: 9783826036798 (ISBN: 3-8260-3679-4)
468 Seiten, paperback, 16 x 24cm, 2007

EUR 58,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die Vorstellung von den Hexen als „weise Frauen", die uraltes Wissen transportieren, „heidnische" Rituale praktizieren und gegen eine patriar-chale christliche Tradition rebelliert hätten und aus diesem Grund von der Kirche „millionenfach" verfolgt worden seien, ist der wohl nachhaltigste Topos populärer Hexenbilder. Dabei ist längst bekannt, dass es sich hier lediglich um eine literarische Fiktion des 19. Jahrhunderts handelt. Was aber macht diesen Mythos dennoch so attraktiv, dass er bis heute immer wieder reproduziert wird?

Vorliegende Studie rekonstruiert Entstehung und Rezeption moderner Hexenbilder in verschiedenen neureligiösen und sozialen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts und zeigt, inwieweit das Hexenthenna immer schon als Projektionsfläche kontemporärer Hoffnungen, Wünsche und Weltanschauungen herangezogen worden ist. Von der Romantik über die völkische Bewegung und die nationalsozialistische Hexenforschung bis in das alternativreligiöse, esoterische und feministische Spektrum der Gegenwart hinein füngiert die „weise Frau" als Beleg eines angeblich toleranten, frauenfreundlichen und naturverbundenen germanischen Heidentums, während die Hexenverfolgung die Brutalität und Misogynie der Kirche, ja der gesamten jüdisch-christlichen Tradition zu bestätigen scheint. Nicht nur im rechtsextremen Spektrum ist der von Beginn an antiklerikal konnotierte Hexenmythos dabei immer wieder mit Argumentationsfiguren eines antichristlichen Antisemitismus aufgeladen worden.
Rezension
Dieses Buch scheint mir erhebliche Relevanz für den schulischen Religions- und Sozialkunde- bzw. Geschichtsunterricht zu haben, sofern dort das Thema Hexen bzw. Hexenverfolgung thematisiert wird. Denn die Studie geht kritisch mit dem Hexenmythos um, der seit dem 19. Jhdt. von verschiedenen neureligiösen und weltanschaulichen Gruppierungen, von der Romantik über die völkische und nationalsozialistische Bewegung, über alternativreligiös-esoterische bis hin zu feminisitischen Zirkeln transportiert. Der Hexenmythos wird dabei gern benutzt als Projektionsfläche für eigene Wünsche und Vorstellungen, von der germanisch weisen naturverbundenen Frau bis hin zum Matriachat, jedenfalls aber aufgeladen mit einem Affront gegen die jüdisch-christliche Tradition incl. der hexenverfolgenden Kirche. - Fazit: Hilfreich zu lesen für alle, die allzu willfährig auf ein populistisches Hexenbild im Unterricht hereinfallen.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Behauptung, bei den Opfern der Hexenprozesse habe es sich um „weise Frauen“ gehandelt, deren Wissen auf das Erbe „unserer“ germanischen Vorfahren zurückgehe, kann zweifellos als nachhaltigster Topos populärer Hexenvorstellungen gelten. Dabei ist längst bekannt, dass es sich hier lediglich um eine romantische Erfindung handelt. Was aber macht den Mythos der weisen Frau dennoch so attraktiv, dass er bis heute immer wieder reproduziert wird? Die Studie rekonstruiert anhand eines umfangreichen Textkorpus aus dem 19. und 20. Jahrhundert Entstehung, Geschichte und Funktion dieses Topos. Nachhaltige Bedeutung kommt dabei den neureligiösen und esoterischen Strömungen der Moderne zu. Im Zentrum der Untersuchung stehen völkische Bewegung, Neuheidentum und spiritueller Feminismus: Die in diesen scheinbar so differenten Kontexten verbreiteten Hexenrekurse weisen analoge Deutungsmuster auf, die auf tradierte Interpretationen des 19. Jahrhunderts zurückgehen. So entpuppt sich die verfolgte germanische weise Frau als literarische Fiktion der Romantik. Anhand wiederkehrender symbolischer Verknüpfungen zeigt sich schließlich die Funktion dieses Mythos als Projektionsfläche romantischer Naturauffassungen, polarer Geschlechtermodelle und moderner Entwürfe einer scheinbar authentischen religiösen Tradition. Von konstitutiver Bedeutung ist in diesen Kontexten aber vor allem die radikale Ablehnung des Christentums. Nicht nur in völkischen und neuheidnischen, sondern auch in feministischen Hexendarstellungen haben sich in diesem Zusammenhang wiederholt antisemitische Denkfiguren bemerkbar gemacht, die als antichristlicher Antisemitismus charakterisiert und analysiert werden könne.
Inhaltsverzeichnis
VORWORT 9

EINLEITUNG 11

1. INTERPRETATIONSMUSTERAUS DEM 19. JAHRHUNDERT 33

1.1 Das rationalistische Hexenbild 36
1.1.1 Der Kampf gegen den Aberglauben 36
1.1.2 Antiklerikalismm und Nationalismus 40
1.1.3 Medizin und Psychiatrie 50
1.2 Das romantische Hexenbild 56
1.2.1 Literatur und Märchenforschung 56
1.2.2 Jacob Grimm 60
1.2.3 Johann Jakob Bachofen 70
1.2.4 Jules Michelet 76
1.3 Hexenbilder in der Esoterik 85
1.3.1 Esoterik und Romantik 87
1.3.2 Neureligion, Okkultismus und Lebensreform um 1900 92
1.3.3 Die Hexe in der Archetypenlehre C. G. Jungs 106
1.4 Zusammenfassung 115

2. VÖLKISCHE HEXENBILDER 117

2.1 Die völkische Bewegung und ihre Ideologie 118
2.2 Völkische Lebensreform und Rassenzucht 128
2.2. l Ernst Wachler und das „Deutsche Theater der Zukunft" 128
2.2.2 Max Ferdinand Sebaldt 131
2.2.3 Willibald Hentschel135
2.3 Völkische Esoterik 140
2.3.1 Guido List141
2.3.2 Völkische Esoterik der 1920er Jahre 145
2.4 Der „Nordische Gedanke" 151
2.4.1 Bernhard Kummer 151
2.4.2 HermanWirth 155
2.5 Der völkische Feminismus 159
2.5.1 Frauen des Nordischen Gedankens 160
2.5.2 Mathilde Ludendorff und die Ludendorff-Bewegung 164
2.6 Nationalsozialistische Hexenbilder 169
2.6.1 Alfred Rosenberg und der Kirchenkampf 172
2.6.2 Hexenrekurse im Umfeld der SS 177
2.7 Zusammenfassung 182

3. NEUHEIDNISCHE HEXENBILDER DER GEGENWART 185

3.1 Tradierung völkischer Ideologie 187
3.1.1 Sigrid Hanke188
3.3.2 Die Renaissance von Herman Wirth 194
3.2 Neugermanisches Heidentum 199
3.2.1 Rechtsextremismus und Neuheidentum 200
3.2.2 Armanen-Orden undANSE207
3.2.3 Germanische Glaubensgemeinschaft 210
3.2.4 Stefan Ulbrich 214
3.3 „New Age" und internationaler Neopaganismus 218
3.3.1 Schamanismus, Neoschamanismus und Hexenwesen 220
3.3.2 Kelten, Druiden und Hexen 228
3.4 Die neuheidnische Hexenbewegung235
3.4.1 Die Entstehung des britischen Wicca-Kultes 236
3.4.2 Ritual und Magie 243
3.4.3 Internationale Verbreitung und Ausdifferenzierung 247
3.5 Zusammenfassung 252

4. FEMINISTISCHE HEXENBILDER 255

4.1 Neue Frauenbewegung und spiritueller Feminismus 256
4.2 Der politische Hexenbezug 262
4.2.1 Die Doppelrolle von Opfer und Rebellin 263
4.2.2 Psychiatrie, Gynäkologie und der Streit um den § 218 267
4.3 Die Feministische Theologie 273
4.3.1 Christa Mulack 274
4.3.2 Jutta Voss 280
4.3.3 Mary Daly 283
4.4 Die spirituelle Frauenbewegung 288
4.4.1 Der feministische Matriarchatsmythos 288
4.4.2 Die Religion der Göttin 295
4.5 Die Neuen Hexen 308
4.5.1 2 Budapest und die Dianic-Tradition 308
4.5.2 Starhawk und die Redaiming-Community 312
4.5.3 Die Neuen Hexen in Deutschland 316
4.6 Die Literarisierung des feministischen Hexenmythos 325
4.6. l Irmtraud Morgner: „Amanda. Ein Hexenroman " 325
4.6.2 Marion Zimmer Bradley: „Die Nebel von Avalon " 327
4.7 Zusammenfassung 333

5. GRUNDLAGEN DES HEXENMYTHOS 335

5.1 Die Romantische Naturauffassung 337
5.2 Das polare Geschlechtermodell 343
5.3 Der Ursprungsmythos 351
5.4. Erfahrungsreligiosität und Antimonotheismus 360
5.5. Der antichristliche Antisemitismus 370

ZUSAMMENFASSUNG 384
LITERATURVERZEICHNIS 389
VERZEICHNIS DER ZITIERTEN HOMEPAGES 461