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Platon als Erzieher Platonrenaissance und Antimodernismus in Deutschland (1890-1933)
Platon als Erzieher
Platonrenaissance und Antimodernismus in Deutschland (1890-1933)




Richard Pohle

Reihe: Bürgertum. Neue Folge


Vandenhoeck & Ruprecht
EAN: 9783525368541 (ISBN: 3-525-36854-2)
401 Seiten, hardcover, 16 x 24cm, Juli, 2017

EUR 85,00
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Der bekannte Gräzist Werner Jaeger kritisierte 1923 in seiner Rezension von Edgar Salins Buch „Platon und die griechische Utopie“(1921), dieser habe einen „superlativistischen Platon“ entworfen und mache den griechischen Philosophen zu einem „Mittel und Werkzeug wie auch immer gearteter Kulturerziehung“ (In: Weltwirtschaftliches Archiv 19, S. 173). 1927 hielt Jaeger selbst, der Begründer eines „erneuerten Humanismus“, seine Münchner Vorträge „Platos Stellung im Aufbau der griechischen Bildung“, in dem er den antiken Philosophen eine paradigmatische Rolle zur Bewältigung der von ihm diagnostizierten Kulturkrise zusprach. 1928 publizierte der Philologe Julius Stenzel seine Monographie „Platon der Erzieher“. Zurecht kann in der Zeit zwischen 1890 bis 1933 in Deutschland von einer Platonrenaissance gesprochen werden, zumal wenn man noch die Rezeption Platons im Marburger Neukantianismus, im Euckenkreis und insbesondere im George-Kreis in den Blick nimmt. Dieser Neoplatonismus beschränkte sich also nicht nur auf die universitäre Philologie und Philosophie, sondern entfaltete eine öffentliche Breitenwirkung.
Bisher fehlte eine wissenschaftliche Untersuchung dieses Platon-Diskurses. Eine solche hat Richard Pohle (*1980) mit seiner historischen, an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eingereichten Dissertation geleistet. Diese ist 2017 im Verlag Vandenhoeck-Ruprecht in Buchform unter dem Titel „Platon als Erzieher. Platonrenaissance und Antimodernismus in Deutschland 1890-1933“ erschienen. In ihr gelingt es dem Historiker quellengesättigt und differenziert aufzuzeigen, wie der Philosoph Platon als Instrument „bildungsbürgerlicher Orientierung“ diente. Warum gerade der antike Philosoph in Deutschland in diesem Zeitraum der Moderne eine Aktualisierung erfuhr, kann Pohle anhand seiner Analysen der verschiedenen Platon-Bilder überzeugend begründen: Platon galt seinen Rezipienten als der Vertreter des Antimodernismus. In Anlehnung an das 151. Athenäumsfragment Friedrich Schlegels aus dem Jahre 1798 könnte man auch formulieren: „Jeder hat noch in Platon gefunden, was er brauchte, oder wünschte: vorzüglich sich selbst.“
Fazit: Die ideengeschichtliche Studie „Platon als Erzieher“ von Richard Pohle ist für alle eine erkenntnisreiche Lektüre, die sich für die Rezeption der platonischen Philosophie und für die deutsche Geistesgeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts interessieren.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Platon als Erzieher
Gegenstand des Buches ist die kultur- und modernitätskritische Wiederentdeckung Platons zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus. Es beschreibt die verschiedenen Motive und die Wege, auf denen Platon den Partikelzählenden Philologen entrissen und zu einem kulturellen Korrektiv, später gar zum »Vorbild des Retters in Zeiten der Auflösung« (Kurt Hildebrandt) erhoben wurde, und es untersucht die Dynamik der sich hieraus entwickelnden und konkurrierenden Programme und Denkstile. In dieser »Platon-Renaissance« konnten dabei zahlreiche bildungsbürgerliche Gruppen ihre »verwandte Not« verhandeln und in Platon als dem Erzieher (zum Staat, zum Idealismus, zur Wissenschaft, zum »hohen Leben« usw.) ein Deutungsmuster entwickeln, das nicht nur ihren ästhetischen oder humanistischen »Gegenweltbedarf« (Nipperdey) befriedigte, sondern das sich auch in vom 19. Jahrhundert noch unverbrauchte pädagogische und politische Programme übersetzen ließ. Die biographische und politisch-pädagogische Verkürzung der platonischen Frage erleichterte dabei die Übertragbarkeit in verschiedene Kontexte, nicht zuletzt den der Schule. Gerade die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend unter schulpolitischem Rechtfertigungsdruck stehenden Philologen sollte der sogenannte »Neoplatonismus« in einen regelrechten Relevanzrausch versetzen, von deren Folgen sich Platon lange, der Humanismus wohl endgültig nicht mehr erholen konnte.
Weitere Details:
Maße (BxHxT): 16 x 23,7 x 3,2cm, Gewicht: 0,797 kg
Veröffentlichung gefördert durch:
Geschwister Boehringer Ingelheim,
Förderungs- und Beihilfefonds
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 7
1. Antikediskurs und Platonrezeption um 1900 27
1.1 Antike und Humanismus in der Defensive 27
1.1.1 Der Realismus und die Bildungskonkurrenz 29
1.1.2 Nationalismus als neues Leitbild 32
1.1.3 Antike, Humanismus und Historismus 35
1.1.4 Soziale Dynamik und Qualifikationskrisen 39
1.2 Antwortversuche des Schulhumanismus 42
1.2.1 Gymnasialapologetik 42
1.2.2 Platon und das Gymnasium I 50
1.3 Die Suche nach einer »anderen Antike« 57
1.3.1 Impulse des Neohumanismus 59
1.3.2 Platon für die Gegenwart 76
2. Neue Wege zu Platon 87
2.1 Platon und der Marburger Neukantianismus 87
2.1.1 Mit Platon über Kant hinaus: Der kritische Idealismus
Cohens und Natorps 90
2.1.2 Mit Platon zum Sozialismus: Der platonische
Erziehungsstaat und die Idee der Sozialpädagogik 99
2.2 Die Wiedergeburt Platons aus dem Geiste Georges 111
2.2.1 Entdeckungen im George-Kreis 118
2.2.2 Ein Platon für den Kreis 139
2.3 Ein Kriegsphilosoph? 147
2.4 Wilamowitz und die philologische Verlebendigung Platons 163
2.4.1 Ein Lebenswerk 170
2.4.2 Platon und die Revolution 184
2.5 Aspekte des Neoplatonismus 199
3. Fechter unter dem Zeichen Platons – Renaissancen und
Deutungskämpfe in Weimar 207
3.1 Ein Krisenphilosoph 207
3.2 Der Bildner und Gründer – Platonbilder im George-Kreis 216
3.2.1 Der Menschenbildner 219
3.2.2 Geistiges Reich und praktische Politik 233
3.3 Platon und die Erneuerung des Humanismus 249
3.3.1 Werner Jaeger und der Dritte Humanismus 249
3.3.2 Platonische Paideia 265
3.3.3 Platon und das Gymnasium II 286
3.4 Platonischer Neoidealismus 290
3.4.1 Platon nach dem Neukantianismus 291
3.4.2 Platon und der Euckenkreis 302
3.5 Jenseits des Neoplatonismus 312
4. Platon als Erzieher oder unbürgerliche Bürgerlichkeit 327
Schluß 343
Danksagung 349
Abkürzungen 351
Quellen- und Literaturverzeichnis 353
Register 397
Personenregister 397
Sachregister 399