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„Nur unsereiner wandert mager durch sein Jahrhundert“
Ein Georg-Weerth-Lesebuch
Herausgegeben von Michael Vogt
2., bearbeitete Auflage
Michael Vogt (Hrsg.), Georg Weerth
Aisthesis Verlag Bielefeld
EAN: 9783895286667 (ISBN: 3-89528-666-4)
206 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2008
EUR 12,80 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
»… ich schrieb mehr Verse als Calderon und verdarb mehr gutes, geduldiges Papier, als ich vielleicht vom zwanzigsten bis zum achtzigsten Jahr zu Fidibus verbrauchen werde, mehr Papier, als alle alten Jungfern seit Erfindung des Papyros in ihre spärlichen Haare gewickelt haben.«
Das hier in einer 2., verbesserten Auflage vorgelegte Georg-Weerth-Lesebuch bietet eine repräsentative Auswahl von Gedichten, Feuilletons und Briefen des Satirikers Georg Weerth. Sein scharfzüngiger Spott, in geschliffenen Formulierungen vorgetragen, garantiert noch heute reines Lesevergnügen; die Schilderungen des Weltreisenden Weerth faszinieren immer noch – nach mehr als 150 Jahren.
Das Lesebuch eröffnet die Möglichkeit, Georg Weerth neu zu entdecken. Die Lektüre erweist, daß die Tradition des befreienden Lachens in der deutschen Literatur doch nicht ganz so schmal ist, wie Skeptiker meinen.
Michael Vogt, Dr. phil., Jahrgang 1952, studierte Germanistik, Romanistik und Geschichtswissenschaft in Münster und Bielefeld. Buchveröffentlichungen zu Christian Dietrich Grabbe, Georg Weerth, Wilhelm Busch und Ernst Jandl.
Rezension
Der deutsche Schriftsteller, Satiriker, Journalist und Kaufmann Georg Ludwig Weerth (geb. 1822 in Detmold, Lippe; gest. 1856 in Havanna, Kuba), Sohn eines Pfarrers und Generalsuperintendenten, ist heute nur wenigen bekannt. - Neben einer kaufmännischen Lehre macht er sich mit der Literatur vertraut und wird in freisinnigen Dichterzirkel und durch seine berufliche Tätigkeit u.a. im England der Industrialisierung für das Thema der Sozialen Frage sensibilisiert und lernt die Armut und Not der Arbeiter in den Textilfabriken kennen. In seiner Zeit in England macht Weerth Bekanntschaft mit Friedrich Engels und trifft auf einer Reise nach Belgien im Sommer 1845 auch Karl Marx. Er schließt sich der kommunistischen Bewegung an, deren Weltbild sich in seinen Gedichten widerspiegelt.
Engels benennt Weerth als ersten und bedeutendsten Dichter des deutschen Proletariats.
Im April 1848 geht er mit Engels und Marx nach Köln, um bei der Gründung der Neuen Rheinischen Zeitung mitzuhelfen, an der er als Redakteur mitarbeitet. Übergesiedelt stirbt Georg Weerth 1856 erst 34-jährig in Havanna. Dieses Buch bietet einen kompakten Einblick in Weerths literarisches Werk.
Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
GEDICHTE
Karnevalslied 9
Der Wein I, II, III 10
Lockenraub 11
Rot ist die Rose, schön der Monat Mai 12
Der alte Wirt in Lancashire 14
Hungerlied 15
Arbeite 15
Der Kanonengießer 16
Gebet eines Irländers 18
Was schimmert durch der Blätter Grün 19
Herr Joseph und Frau Potiphar 19
Das ist ein trauriger Zeitvertreib 23
Holländische Reisen I, II, III 24
Pfingstlied 27
Ich wollt ich wär Polizeiminister 28
Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf 29
PROSA
Die Armen in der Senne 35
Von Köln nach London 40
Das Blumenfest der englischen Arbeiter 64
Rede auf dem Freihandelskongreß in Brüssel 76
Fragment eines Romans (Anfang) 81
Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben 85
Der Lehrling 85
Der Buchhalter 93
Warumb und auss welch besonder Ursachen 101
Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski 106
Schlesien 106
Troppau 111
Berlin 117
Proklamation an die Frauen 123
BRIEFE
an Wilhelm Weerth, Elberfeld, 1. Juli 1838 128
an Wilhelmine Weerth, Bonn, 18. April 1843 132
an Wilhelm Weerth, Bonn, 25. April 1843 134
an Wilhelm Weerth, Bradford, 24. Dezember 1844 137
an Wilhelmine Weerth, [Bingen, Ende September 1848] 139
an Karl Marx, Köln, 2. Mai 1850 140
an Wilhelmine Weerth, Cádiz, 10. Oktober 1850 141
an Heinrich Heine, Hamburg, 4. Oktober 1851 144
an Friedrich Engels, Amsterdam, 27. Mai 1852 145
an Wilhelmine Weerth, St. Thomas, 20. Dezember 1852 149
an Wilhelmine Weerth, Guayaquil, 24. Dezember 1854 152
an Betty Tendering, [Elberfeld, Ende September 1855] 161
Anmerkungen 163
Weerth-Chronik 180
Nachwort 197
Leseprobe:
KARNEVALSLIED
Wer Freude liebt und Freude kennt,
Der komme nur herbei!
Von wann er ist, wie er sich nennt –
Das ist uns einerlei.
Wir singen Lieder, trinken Wein
Und schrein ein wild »Juchhei« –
Ein jeder soll geladen sein,
Nur sei er froh und frei.
Wir wollen keinen Kastengeist,
Wir wolln kein Parlament –
Den Fasching feiern keck und dreist,
Ist unser Element!
Ob auch der Teufel droht und flicht
Viel schnöde Klüngelei –
Wir lachen hell ihm ins Gesicht –
Wir bleiben froh und frei!
Was schön und edel ist und recht,
Was bis ans Ende währt,
Tat stets des Volkes stark Geschlecht,
Drum sei das Volk geehrt!
In ihm lebt Ruhm, in ihm lebt Glück,
Trotz aller Teufelei,
Drum treten nimmer wir zurück,
Wir bleiben froh und frei!
Drum wer die Freude liebt und kennt,
Wer nur dem Fasching treu,
Ist unser Mann – wie er sich nennt,
Er komme nur herbei!
Wir reichen gern ihm Herz und Hand,
Wir schrein ein wild »Juchhei«,
Wir sind die wahren Narrn im Land –
Wir bleiben froh und frei!
10
DER WEIN
Und dem Weisen ist zu gönnen,
Wenn am Abend sinkt die Sonnen,
Daß er in sich geht und denkt,
Wo man einen Guten schenkt.
Volkslied
I
Der Gott, der uns die Rebe gab,
Der hat uns auch geheißen:
Zu trinken bis ans kühle Grab
Den Roten wie den Weißen.
II
Es liegt die Welt voll Sonnenschein,
Die grünen Wälder winken.
Wir wolln in einem guten Wein
All unser Leid vertrinken.
Der Wein erfrischt das alte Mark,
Trink nun den Wunderkühlen!
Du wirst dich wie ein Simson stark
In deinen Knochen fühlen.
III
Du blondgelockter Kleiner,
Geh, sage deinem Herrn:
Ein Fläschlein Nierensteiner,
Den tränk ich gar zu gern.
Du bist ein schönes Kind,
Du blondgelockter Kleiner –
Geh, hole mir geschwind
Ein Fläschlein Nierensteiner!
11
LOCKENRAUB
Möchte sein ein keckwilder Vogel,
Zu schweben durch Morgenlüfte!
Möchte sein ein keckwilder Vogel,
Zu fliegen über Berge und Klüfte!
Und wenn ich die Brust mir gebadet
In des Frührots güldenen Wellen,
Wollt ich blitzschnell herniederrauschen
Zu des Tales sprudelnden Quellen.
Und käme die Maid, die holdsel’ge,
Zu schöpfen aus klaren Fluten,
In der murmelnden Quelle zu kühlen
Der Wange jungfräuliche Gluten –
So wollt ich entgegen ihr fliegen,
Ihr Haupt mit den Flügeln umschlagen,
Die schönste der Locken mir rauben
Und fort in die Wolken tragen!
ROT IST DIE ROSE, SCHÖN DER MONAT MAI
Rot ist die Rose, schön der Monat Mai –
Ich aber darf nicht mehr singen und klingen
Von süßer Liebe, süßer Spielerei,
Von Lächeln, Küssen, Jauchzen und Umschlingen.
Leid tut mir’s, gern von heißen Küssen sing ich,
Weil ich mich oft und gern des Küssens freue,
Und gern von lustigem Umschlingen kling ich,
Weil ich ein leis Umschlingen niemals scheue.
12
Ach, dichtend so in stiller Geisterstund,
Denk ich zurück an meine schöne Kindheit,
Wo unwillkürlich spitzte sich mein Mund
In holder Unerfahrenheit und Blindheit.
Und denk an meine Knabenjahre dann,
Wo ahnend ich des Menschen hohe Sendnis
Schon freier mit den Lippen mochte nahn
und arriviert zu schüchterner Erkenntnis.
Und denk zuletzt an meine Flegelzeit,
Wo endlich keck und frisch geküßt mußt sein,
Wo ich mein Herz der Liebe ganz geweiht
Und so gelangt zu jubelndem Bewußtsein,
Gelangt zur Blüt des Lebens und des Wissens,
Wo ich mich rühm und preise jetzt pathetisch,
Daß ich studiert die hohe Kunst des Küssens
So praktisch wohl als tiefernst theoretisch.
Oh, trefflich hat sich mein Verstand gelichtet,
Seit Laura mich, Elvira und Sophia
Im Lieben und im Küssen unterrichtet,
Aurelie dann und Bertha und Maria,
Und dann Sibyll, Pauline und Mathilde,
Elisa, Barbara und Rosamunde,
Auguste, Helena und Brunehilde,
Konstanze, Lucia und Kunigunde,
Eleonore, Martha, Gabriele,
Franziska, Rosa, Isabell und Sara,
Gertrud, Pamphilia und Raphaele,
Sabine, Julie, Ursula und Clara,
Brigitt, Cäcilie, Josephin, Susanna,
Clemence, Georgine und Siguna,
Theres, Luis’, Antonie, Johanna,
Sankta Mephistophela und Fortuna.
13
Das waren schlanke, schöne Professoren,
An ihren Lippen hing ich Tag und Nacht,
Der Männerwelt erhabene Doktoren
Hätten mich nicht so klug wie sie gemacht.
Sie lasen mir Kolleg auf grünen Wiesen,
Auf Rosenhügeln und in weichen Kissen,
Sie haben mich in Logik unterwiesen,
Sprachen: »Hast einen Mund, drum mußt du küssen!«
Und ich verstand mich bald auf Algebra,
Suchend der Reize unbekannte Größe,
Mathematik begriff ich spielend da,
Messend die Wunder ihrer jungen Schöße.
Des Küssens Welthistorie heiß durchdrang mich,
Ich ward ein Doktor lilienweißer Rechten,
Im Strom der Wissenschaft versank ich,
Wie ich versank in den gelösten Flechten.
Heil ihnen, Heil, die mich mit ihrem Kuß,
Mit ihren Äugeln, mit der Stimme Tönen
Belehret in des Daseins Hochgenuß,
Im einzig Wahren und im einzig Schönen,
Bis mir das Göttliche geworden kund
Auch in des kleinsten Blütenglöckleins Zittern,
In eines Busens süß harmon’schem Rund,
Wie im Gebraus von Stürmen und Gewittern.
14
DER ALTE WIRT IN LANCASHIRE
Der alte Wirt in Lancashire,
Der zapft ein jämmerliches Bier.
Er zapft’ es gestern, zapft es heute,
Er zapft es immer für arme Leute.
Die armen Leute in Lancashire,
Die gehen oft durch seine Tür;
Sie gehen in Schuhen, die verschlissen,
Sie kommen in Röcken, die zerrissen.
Der erste von dem armen Pack,
Das ist der bleiche, stille Jack.
Der spricht: »Und was ich auch begonnen –
Hab nimmer Seide dabei gesponnen!«
Und Tom begann: »Schon manches Jahr
Spann ich die Fäden fein und klar;
Das wollene Kleid mocht manchem frommen –
Bin selbst aber nie in die Wolle gekommen!«
Und Bill darauf: »Mit treuer Hand
Führt ich den Pflug durch britisch Land;
Die Saaten sah ich lustig prangen –
Bin selbst aber hungrig nach Bett gegangen!«
Und weiter schallt’s: »Aus tiefem Schacht
Hat Ben manch Fuder Kohlen gebracht;
Doch als sein Weib ein Kind geboren –
Goddam – ist Weib und Kind erfroren!«
Und Jack und Tom und Bill und Ben –
Sie riefen allesamt: »Goddam!«
Und selbe Nacht auf weichem Flaume
Ein Reicher lag in bösem Traume.
15
DAS HUNGERLIED
Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.
Und am Mittwoch mußten wir darben,
Und am Donnerstag litten wir Not;
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!
Drum laß am Samstag backen
das Brot, fein säuberlich –
Sonst werden am Sonntag wir packen
Und fressen, o König, dich!
ARBEITE
Du Mann im schlechten blauen Kittel,
Arbeite! Schaffe Salz und Brot!
Arbeite! Arbeit ist ein Mittel,
Probat für Pestilenz und Not.
Arbeite! Rühre deine Arme!
Arbeite sechzehn Stunden so!
Arbeite! Nachts ja lacht das warme,
Das Lager dir von faulem Stroh.
Arbeite! Hast ja straffe Sehnen.
Arbeite! Denk, mit schwangerem Leib
Harrt in der Hütte dein mit Tränen
Ein schönes leichenblasses Weib.
16
Arbeite! Gleich der Stirn der Rinder
Ist ja die deine breit und dick.
Arbeite! Deine nackten Kinder
Die küssen dich, kehrst du zurück.
Arbeite bis die Adern klopfen!
Arbeite bis die Rippe kracht!
Arbeite bis die Schläfen tropfen –
Du bist zur Arbeit ja gemacht!
Arbeite bis die Sinne schwinden!
Arbeite bis die Kraft versiegt!
Arbeite! – Wirst ja Ruhe finden,
Wenn dein Gebein im Grabe liegt.
DER KANONENGIESSER
Die Hügel hingen rings voll Tau;
Da hat die Lerche gesungen.
Da hat geboren die arme Frau –
Geboren den armen Jungen.
Und als er sechzehn Jahre alt:
Da wurden die Arme strammer;
Da stand er in der Werkstatt bald
Mit Schurzfell und mit Hammer.
Da rannt er den Öfen in den Bauch
Mit schweren Eisenstangen,
Daß hell aus Schlacken und aus Rauch
Metallne Bäche sprangen!
Kanonen goß er – manches Stück!
Die brüllten auf allen Meeren;
Die brachten die Franzen ins Ungelück
Und mußten Indien verheeren.
17
Die warfen Kugeln, leidlich schwer,
Den Chinesen in die Rippen;
Die jauchzten Britanniens Ruhm daher
Mit eisernen Kehlen und Lippen!
Und immer goß der lust’ge Held
Die blitzenden Geschütze:
Bis ihm das Alter ein Bein gestellt,
Die Fäuste wenig nütze.
Und als sie versagten den Dienst zuletzt,
Da gab es kein Erbarmen:
Da ward er vor die Tür gesetzt
Wohl unter die Krüppel und Armen.
Er ging – die Brust so zornig weh,
Als ob sie der Donner durchgrollte
Von allen Mörsern, die er je
Hervor aus den Formen rollte.
Doch ruhig sprach er: »Nicht fern ist das,
Vermaledeite Sünder!
Da gießen wir zu eigenem Spaß
Die Vierundzwanzigpfünder.«
GEBET EINES IRLÄNDERS
Sankt Patrick, großer Schutzpatron,
Du sitzt auf dem warmen Himmelsthron;
O sieh mich an mit freundlichem Sinn,
Dieweil ich ein armer Paddy bin!
Sankt Patrick, sieh, die Nacht kommt bald,
Von England weht es herüber so kalt;
O blicke auf meinen schäbigen Frack
Und auf meinen löchrigen Bettelsack!
18
Sankt Patrick, tu, was dir gefällt!
So groß und so schön ist ja alle Welt.
O laß mich werden, was du willt,
Nur bleiben nicht solch ein Menschenbild!
O laß mich werden ein Blümlein blau,
Dann mag ich trinken den kühlen Tau!
O laß mich werden ein braunes Reh,
Dann kann ich fressen den grünen Klee!
O laß mich werden ein stolzer Bär,
Dann geh ich im warmen Rock daher!
O laß mich werden ein schöner Schwan,
Dann wohn ich auf Strom und Ozean!
O mach aus mir einen Panther wild,
Einen Leu, daß hoch meine Mähne schwillt,
Einen Tiger, auf daß ich manch reichen Tyrann
Mit rasselnden Tatzen zerreißen kann! –
Doch Patrick, ach, taub bleibt dein Ohr;
Der Paddy bleib ich wohl nach wie vor.
’s bleibt alles wie sonst, und die Nacht ist kalt,
Und der Dan O’Connell wird dick und alt.
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