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Mythen der Nationen
1945 - Arena der Erinnerungen, 2 Bde
Monika Flacke
Philipp von Zabern Verlag
EAN: 9783805332989 (ISBN: 3-8053-3298-X)
970 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 17 x 25cm, 2004
EUR 128,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Fast 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist es an der Zeit, eine kritische Bilanz dieser an Tragödien und Verfehlungen überaus reichen Epoche zu ziehen, eine Geschichte der Bilder und Vorstellungen zusammenzutragen, die man sich in Europa, in den USA und in Israel vom Zweiten Weltkrieg, vom Völkermord und von der Vertreibung nach 1945 gemacht hat. Verdrängungs- und Entlastungsstrategien gehörten zum ausbalancierten System des Kalten Krieges. Das Beschweigen, das Nichtreden über die schmerzhafte, konfliktreiche und damit hochexplosive Erinnerung hat vermutlich Bürgerkriege verhindert bzw. beendet und die Koexistenz der Staaten ermöglicht. Wenn es auf beiden Seiten des kurz nach Kriegsende gezogenen Eisernen Vorhangs am Ende eine gewisse Stabilität gab, so lag dieses wesentlich auch an Geschichtskonstruktionen: Die Idee der widerständigen Nation wurde so gut wie überall Bestandteil der nationalen Mythenbildung.
Inzwischen hat sich eine kritische Betrachtung dieser Geschichte durchgesetzt, die nunmehr die nationalen Räume zu verlassen scheint, um langsam eine europäische Perspektive zu gewinnen. Mehr als 30 Autorinnen und Autoren, zumeist aus den einzelnen Ländern haben diese bislang nirgendwo geleistete vergleichende Studie zu dem Thema erstellt.
Die Beiträge zu den 30 Nationen verteilen sich über zwei Bände. Im ersten Band spannt sich der Bogen von Belgien bis Norwegen und im zweiten von Österreich bis zu den USA.
Rezension
Das Thema >Erinnerung< besitzt gegenwärtig in der historischen Forschung eine besondere Aktualität. So erschienen anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes zahlreiche autobiographische Erinnerungen. Mit dem Jahr 1945 setzte sich auch die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zu Berlin 2004/2005 >Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen< auseinander. In ihr wurde gezeigt, welches Bild sich die einzelnen europäischen Staaten von dem Zweiten Weltkrieg, vom Völkermord und von der Vertreibung machten und welche Rolle ihre nationalen Geschichtskonstruktionen für ihr Selbstverständnis spiel(t)en. Dabei wurden – darin liegt eine weitere Besonderheit der Ausstellung – primär Bildquellen zur Beantwortung dieser Fragen herangezogen. Bildquellen meint hier Quellen im weitesten Sinne picturalen Charakters wie Gemälde, Fotografien, Denk- und Mahnmäler, Kinoplakate, Film- und Fernsehszenen, Postkarten, Embleme, Abzeichen, Briefmarken und Münzen (S. 29). In dem bereits Anfang 2004 im >Verlag Philipp von Zabern< von der Ausstellungsmacherin Monika Flacke herausgegebenen zweibändigen Ausstellungskatalog finden sich allein 353 Farb- und 551 Schwarzweißabbildungen.
Der Buchkatalog, dessen Beiträge von Kunstgeschichts- und Geschichtsprofessoren sowie Mitarbeitern aus unterschiedlichen europäischen Ländern verfasst wurden, ist als wissenschaftliche Abhandlung konzipiert. Die einzelnen Beiträge zu den Ländern enthalten eine Analyse der Rezeption des Zweiten Weltkriegs, belegt durch zahlreiche Bilddokumente, Fußnotennachweise, Karten, eine ausformulierte Chronologie und länderspezifische Literaturangaben. Dabei sind fast alle europäischen Länder berücksichtigt worden, des Weiteren auch Israel und die USA.
Auch die drei einleitenden Aufsätze des Buchkatalogs: >Erinnerungen<, die Zusammenfassung der Forschungsresultate zum Ausstellungsthema unter dem Titel >Meistererzählungen und Dammbrüche<, insbesondere aber der Beitrag sind für LehrerInnen von Bedeutung. Dieser Aufsatz ist von fachdidaktischer Relevanz, denn in ihm wird manches Mythologem aufgedeckt. Bilder sind nicht länger als Abbilder der Geschichte, sondern als >Fakten erzeugende, lebendige Akteure< (S. 29) zu betrachten, die ganz bestimmte Interpretationen beinhalten. Demnach ist auch die gegenstandskonstitutive Funktion von Bildern im schulischen Geschichtsunterricht stärker gegenüber ihrer illustrativen Bedeutung zu thematisieren. Gegenüber dem Authentitizitätsanspruch der Fotografie betont der Verfasser des bilddtheoretischen Beitrags:>Der Wahrheitsgehalt von Photographien an sich ist nicht höher als der von Filmen oder Denkmälern.< (S. 46)
Der Katalog zeigt die gelungene Verbindung von (kunst-)historischer Forschung und Museumspädagogik. Der zweite Band enthält zudem ein Glossar zentraler Begriffe, Orte, Verträge, Personen, die in den einzelnen Abhandlungen nicht näher erläutert werden. Bedenkt man, dass mit dieser Ausstellung Forschungsneuland betreten wurde und der fast tausendseitige Katalog zahlreiche Abbildungen in exzellenter Druckqualität enthält, ist der geforderte Preis nachvollziehbar.
Fazit: Jedem Geschichtslehrer, der sich im Oberstufenunterricht mit der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs im europäischen Kontext auseinandersetzen möchte, können beide Bände nur empfohlen werden
Dr. Marcel Remme, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Mythen der Nationen
1945 – Arena der Erinnerungen
Hrsg.: Monika Flacke
Sofort lieferbar.
»Die Ausstellung ... weist in die Zukunft, ... weil sie sich noch einmal über Europa, das Kind der Kriege, zu wundern traut, trotz schnurrendem Vereinigungsprozess der europäischen Nationen und trotz aller Stilsicherheit ihrer Regierungen beim öffentlichen Erinnern an Völkermord und Krieg. In bisher nicht gekannter Vollständigkeit wirft die Ausstellung Schlaglichter auf die nationale Mythenbildung in den am Zweiten Weltkrieg beteiligten Ländern: Wie Sieg oder Niederlage ihre Identitäten formte, ... wie mittels Aufklärung oder Staatspropaganda versucht wurde, sich kollektiver Traumata zu entledigen und ein neues Selbstwertgefühl zu erzeugen. Ausgeblendete Konfliktlinien unter dem harmonischen Selbstbild der EU von heute treten dabei zutage. Das Erinnern, das Wachhalten der Vergangenheit folgt nicht überall den gleichen Mustern, vor allem folgt es unterschiedlichen Zielen ... Das ist das eigentliche, das beunruhigende Resultat dieser Ausstellung: Europa ist keine wohlgeordnete Schule der Geschichte, sondern ein wuseliger Basar kollektiver Träume, Ängste und Besessenheiten, die von der Vergangenheit ausgelöst wurden ... Das größte Verdienst dieses Projektes liegt in der Dezentralität seiner Sichtweise(n) ... profund der zweibändige Katalog« (DIE ZEIT)
Allein in Europa hat der Zweite Weltkrieg 40 Millionen Tote gefordert. Im Mai 1945 liegt die Alte Welt weitgehend in Trümmern. Doch die Bürger der europäischen Staaten müssen weiterleben, müssen ihre Rollen im Krieg bewältigen, seien sie nun Täter oder Opfer gewesen, beteiligt oder nicht. Jede Nation hat dies auf ihre Weise getan, hat versucht zu verdrängen, zu begreifen, sich zu wandeln. Im Katalogband des Deutschen Historischen Museums porträtieren Wissenschaftler die Mythen vom Krieg aus fast 30 Ländern. Ein einmalig umfassendes Standardwerk zum Verständnis des kollektiven Erbes Europas, erweitert um Betrachtungen aus den USA und Israel. [Geo Epoche]
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Hans Ottomeyer
Vorwort 5
Monika Flake
Erinnerungen 7
Etienne Framcois
Meistererzählungen und Dammbrüche: Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zwischen Nationalisierung und Universalisierung 13
Horst Bredekamp
Bildakte als Zeugnis und Urteil 29
Belgien
Marnix Beyen
Der Kampf um das Leid 67
Bulgarien
Tzevetan Tzevetanov
Meilensteine einer kontroversen Selbstfindung 95
Dänemark
Therkel Straede
Die schwierige Erinnerung an Kolloboration und Widerstand 123
Deutschland
Bundesrepublik Deutschland
Detlef Hoffmann
Vom Kriegserlebnis zur Mythe 151
Deutsche Demokratische Republik
Monika Flacke und Ulrike Schmiegelt
Aus dem Dunkel zu den Sternen: Ein Staat im Geiste des Antifaschismus 173
Finnland
Hannu Rautkallio
Politik und Volk – die zwei Seiten Finnlands 203
Frankreich
Henry Rousso
Vom nationalen Vergessen zur kollektiven Wiedergutmachung 227
Griechenland
Despoina Karakatsane und Tasoula Berbeniote
Doppelter Diskus und gespaltene Erinnerung 257
Grossbritannien
Athena Syriatou
„Der Krieg wird uns zusammenhalten“ 285
Israel
Moshe Zuckermann
Die Darstellung des Holocaust in Israels Gedenkkultur 315
Italien
Pierluca Azzaro
Kampf der Erinnerungen 343
Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten
Holm Sundhaussen
Konstruktion, Dekonstruktion und Neukonstruktion von „Erinnerrungen“ und Mythen 373
Niederlande
Ellen Tops
Lebendige Vergangenheit 427
Norwegen
Bjarte Bruland
Wie sich erinnern? Norwegen und der Krieg 453
Österreich
Heidemarie Uhl
Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese: Die Transformation des österreichischen Gedächtnisses 481
Polen
Beate Kosmala
Lange Schatten der Erinnerung: Der Zweite Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis 509
Rumänien
Lucian Boia
Unterschiedliche Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg 541
Schweden
Max Liljefors und Ulf Zander
Der Zweite Weltkrieg und die schwedische Utopie 569
Schweiz
Georg Kreis
Das Bild und die Bilder von der Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges 593
Sowjetunion/Russland
Jutta Scherrer
Siegesmythos versus Vergangenheitsaufarbeitung 619
Lettland
Eva-Clarita Onken
Wahrnehmung und Erinnerung: Der Zweite Weltkrieg in Lettland nach 1945 671
Litauen
Michael Kohrs
Von der Opfer- zur Täterdebatte 693
Ukraine
Jutta Scherrer
Konkurrierende Erinnerungen 719
Weissrussland
Bernhard Chiari und Robert Maier
Volkskrieg und Heldenstädte: Zum Mythos des Großen Vaterländischen Krieges in Weißrußland 737
Spanien
Sören Brinkmann und Victor Peralta Ruiz
Weder Täter noch Opfer? 757
Tscheschoslowakei/Tschechien
Wilma Iggers
Das verlorene Paradies 773
Slowakei
Tatjana Tönsmeyer
Der Zweite Weltkrieg: Erfahrung und Erinnerung 799
Ungarn
Éva Kovács und Gerhard Seewann
Der Kampf um das Gedächtnis 817
USA
Jeffrey Shandler
Der Zweite Weltkrieg in den amerikanischen Bildwelten 847
Anhang
Dank 877
Zu den Autoren 879
Glossar 883
Bildnachweis 953
Register 957
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