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Menschwerdung eines Affen Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung
Menschwerdung eines Affen
Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung




Heike Behrend

Matthes & Seitz
EAN: 9783957579553 (ISBN: 3-9575795-5-4)
278 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, Oktober, 2020

EUR 25,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Ein Buch voller kluger Reflexionen von Deutschlands bedeutendster Afrikanistin.“

Ulrich van Loyen



‚Affe‘ und ‚Kannibalin‘ nannten Frauen und Männer in Kenia und Uganda die Ethnologin, die Ende der 1970er Jahre zu ihnen kam, um sie zu erforschen. Statt diese wenig schmeichelhaften Namen zurückzuweisen, stellt Heike Behrend sie ins Zentrum ihrer Autobiografie: Sie selbst wird zum gründlich beobachteten Objekt der Ethnografierten und fragt nach der Wahrheit, der Kritik und der kolonialen Geschichte, die sich mit diesen fremden Namen verbinden.

Das Ergebnis ist ein packender Forschungsbericht, der von Afrika, das auch aufgrund ethnologischer Expeditionen lange als das ‚wilde Andere‘ galt, als einem Ort voller Nuancen und Offenbarungen erzählt – und von einer Menschwerdung in wechselseitiger Spiegelung.
Rezension
Im schulischen Unterricht wird die Geschichte und Kultur Afrikas vielfach immer noch marginalisiert. Daher verwundert es nicht, dass das Bild des afrikanischen Kontinents und seiner Bewohner:innen trotz Debatten um Postkolonialismus in der deutschen Öffentlichkeit noch immer geprägt ist von stereotypen Vorstellungen. Es ist ein Verdienst der universitären Disziplinen Ethnologie, Kulturanthropologie und Afrikanistik den Blick für die Binnenperspektiven von anderen Ethnien geschärft und eurozentrische Positionen relativiert zu haben. Als einer der bedeutendsten Vertreter:innen der deutschen Ethnologie und Afrikanistik gilt Heike Behrend (*1947). Bekanntheit erlangte sie, die auch eine Filmausbildung in Berlin absolvierte, in der wissenschaftlichen Zunft durch ihre Studien zu den Tugen in Kenia, über die sie 1987 an der Freien Universität Berlin promovierte, und durch ihre Forschungen zu der Holy-Spirit-Bewegung im ugandischen Kriegsgebiet, mit denen sie sich 1992 an der Universität Bayreuth habilitierte. 1994 wurde Behrend zur Professorin für Afrikanistik an der Universität Köln berufen.
2021 erhielt sie für ihr ein Jahr zuvor bei Matthes & Seitz Berlin publiziertes Buch „Menschwerdung eines Affen. Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung“ den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik. Das mittlerweile in zweiter Auflage vorliegende Werk enthält autobiographisch reflektiert vier in der wissenschaftlichen Zunft bekannte Feldforschungen Behrends auf dem afrikanischen Kontinent. Der Titel ihres Buches spielt auf eine von den Bewohner:innen der Tugenberge gewählten Bezeichnung für die Ethnologin an. Durch Behrends gut verständlich geschriebene Ausführungen erhält man einen sehr guten Einblick in die Sichtweisen afrikanischer Kulturen auf Europäer:innen, was zur kulturellen Horizonterweiterung und Sensibilität für Alterität beiträgt. Etwas verwundert nur, dass die Wissenschaftlerin nicht auf die in Kenia und Uganda verbreitete Praxis weiblicher Genitalverstümmelung eingeht. Lehrkräfte der Fächer Geschichte und Ethik werden durch das vorliegende Sachbuch jedenfalls motiviert, in ihrem Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt beispielsweise zu Afrika ethnografische Perspektiven zu würdigen.
Fazit: Heike Behrend ist mit ihrem anschaulichen und reflexionsreichen Werk „Menschwerdung eines Affen“ eine hervorragende Einführung in die Ethnologie, ihre Geschichte und ihre Forschungspraktiken gelungen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2020 in der Kategorie Sachbuch
Heike Behrend studiert Ethnologie in den politisch bewegten Sechzigerjah­ren; ihre erste Feldforschung führt sie Ende der Siebzigerjahre in die keniani­schen Tugenberge; Mitte der Achtzigerjahre begibt sie sich auf die Spuren der Holy­-Spirit­-Bewegung im Norden Ugandas. Während der Aids-­Epidemie arbeitet sie über die katholische Kirche in Westuganda, und schließlich erforscht sie an der kenianischen Küste die lokalen Praktiken von Straßen­fotografen und Fotostudios. Diese Autobiografie der ethnografischen For­schung erzählt keine heroische Erfolgsgeschichte, sondern berichtet von dem, was in den herkömmlichen Ethnografien meist ausgeschlossen wird – die unheroischen Verstrickungen und die kulturellen Missverständnisse, die Konflikte, Fehlleistungen sowie Situationen des Scheiterns in der Fremde. So lädt dieses Buch zu einem freimütigen Blick auf die Ethnologie als Poetik sozialer Beziehungen ein. In den wenig schmeichelhaften Namen – »Affe«, »Närrin« oder »Kannibale« –, die der Ethnologin in Afrika gegeben wurden, wird sie mit fremder Fremderfahrung konfrontiert und muss sich fragen, welche Wahrheit diese Bezeichnungen zum Ausdruck bringen, welche kolo­niale Geschichte sie erzählen und welche Kritik sie an ihrer Person und Arbeit üben. Mit dem Bericht über vier ethnografische Forschungen in Kenia und Uganda in einem Zeitraum von fast fünfzig Jahren reflektiert Heike Behrend auch die Fachgeschichte der Ethnologie und die Veränderungen des Machtgefüges zwischen den Forschenden und den Erforschten, die sie am eigenen Leib erfährt.
Inhaltsverzeichnis
9
EINFÜHRUNG
21
MENSCHWERDUNG EINES AFFEN
In den Tugenbergen im Nordwesten Kenias
83
AUFSTAND DER GEISTER
Feldforschung in einem Kriegsgebiet im Norden Ugandas
125
IM HERZEN DER POSTKOLONIE
Die katholische Kirche im Westen Ugandas und
die Figur des Kannibalen
197
GETEILTE FOTOGRAFIE
Fotografische Praktiken an der ostaQikanischen Küste
251
EPILOG
Rückkehr zum Affen
261 Anmerkungen
273 Literatur
279 Dank