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Mensch werden Eine Theorie der Ontogenese
Mensch werden
Eine Theorie der Ontogenese




Michael Tomasello

Suhrkamp
EAN: 9783518587508 (ISBN: 3-518-58750-1)
542 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, Mai, 2020

EUR 34,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
»Die moderne Evolutionstheorie betont, dass Organismen ihre Umwelten ebenso erben wie ihre Gene: Ein Fisch erbt nicht nur Flossen, sondern auch das Wasser. Menschenkinder erben einen soziokulturellen Kontext, der voller kultureller Artefakte, Symbole und Institutionen ist, und ihre einzigartigen Reifungsfähigkeiten blieben inaktiv ohne einen soziokulturellen Kontext, in dem sie sich entwickeln könnten.«

»Meisterhaft! Tomasello zeigt eindrucksvoll, dass sich die zentralen menschlichen Eigenschaften in der frühen Kindheit herausbilden und dass der genaue zeitliche Ablauf, in dem diese Merkmale auftreten, endlich identifiziert werden kann.« The Wall Street Journal

»Ein außerordentlich durchdachtes und wichtiges Buch.« Tyler Cowen, Marginal Revolution Blog
Rezension
Wie wird der Mensch zum Menschen? Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Welche Rolle spielen Gesten (Zeigegesten und ikonische Gesten) für die kognitive und soziomoralische Entwicklung des Menschen? Wann entwickeln Kindern prosoziales Verhalten, wann einen Sinn für Fairness? Was besagt die „Theorie geteilter Intentionalität“? Wie vollzieht sich der Übergang von „gemeinsamer Intentionalität“ zur „kollektiven Intentionalität“? Gibt es entwicklungspsychologische Zäsuren in der Kindheit? Was versteht man unter „moralischer Identität“? Wann lassen sich bei Kindern moralische Argumentationen nachweisen? Sind Kinder mit sechs bzw. sieben Jahren vernünftige und verantwortliche Menschen?
Wissenschaftliche Antworten auf diese Fragen der Entwicklungs- und Moralpsychologie liefert das neue Buch des Anthropologen Michael Tomasello (*1950) „Mensch werden. Eine Theorie der Ontogenese“. Dabei handelt es sich um die deutsche Übersetzung von Jürgen Schröder der 2019 publizierten amerikanischen Originalausgabe „Becoming Human. A Theory of Ontogeny“. Wie auch seine anderen ins Deutsche übersetzen, zum Teil bahnbrechenden Monographien „Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition“(2006), „Warum wir kooperieren“(2010), „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“(2011), „Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens“(2014) und „Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral“(2016) ist das jüngste Werk Tomasellos im Suhrkamp Verlag erschienen.
Auf knapp 500 Textseiten enthält es eine Bündelung seiner Forschungsergebnisse zu einer kognitiv-soziomoralischen Theorie der Entwicklung des Individuums von Geburt an bis zum „vernünftigen“ Menschen des sechsten bzw. siebten Lebensjahrs. Tomasello liefert in dem Buch eine Erklärung für die psychologische Einzigartigkeit des Menschen, seine nur ihm eigenen „Formen der Kognition und Sozialität“. Dabei stützt sich der international anerkannte und vielfach preisgekrönte Entwicklungspsychologe auf zahlreiche Studien - überwiegend eigene am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig von 1998-2017 durchgeführte - zum Verhalten von Schimpansen und Bonobos, also den nächsten Verwandten des Menschen, sowie zum Verhalten von Kleinkindern.
Tomasellos Hauptthese in seinem neuen Buch, verfasst auf der Basis von langjährigen experimentalpsychologischen Untersuchungen, lautet, dass die Einzigartigkeit der menschlichen Psychologie nur ein Produkt der genuin menschenspezifischen „Formen soziokultureller Tätigkeit“ ist. Mit seiner Erkenntnis rezipiert Tomasello Lev Semënovič Vygotskijs Entwicklungspsychologie, bettet diese aber in den evolutionstheoretischen Rahmen ein und fokussiert die „Koordinationsdimension von Kultur“. Daher charakterisiert Tomasello seine Theorie der Ontogenese zu Recht als „neo-vygotskijsch“. Damit wendet er sich einerseits gegen neodarwinistische Programme, die wie „Darwinizing Culture“ eine naturalistische Erklärung von Kultur anstreben, andererseits gegen Kulturtheorien, welche die moderne Evolutionstheorie völlig ausblenden. In seiner Theorie der Ontogenese identifiziert der langjährige Co-Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Honorarprofessor an der dortigen Universität acht vom Menschen im Unterschied zu den Menschenaffen begangene „ontogenetische Pfade“, nämlich vier kognitive (soziale Kognition, Kommunikation, kulturelles Lernen, kooperatives Denken) und vier soziomoralische (Zusammenarbeit, Prosozialität, soziale Normen, moralische Identität).
Mit „Mensch werden“ hat Tomasello ein Standardwerk der Psychologie vorgelegt, an dem niemand vorbeikommt, der sich mit Fragen der Entwicklungs- und Moralpsychologie, der Entwicklungspädagogik, sowie der Anthropologie und Kulturphilosophie fundiert auseinandersetzen möchte. Das Buch liefert eine hervorragende Darstellung des neuesten Forschungsstands zur Ontogenese des Menschen in gut verständlicher Sprache mit didaktisch gelungenen Abbildungen. Es richtet sich gleichermaßen an Studierende, Lehrende und Forschende der Psychologie, Pädagogik und Philosophie. Auch Lehrkräfte der Unterrichtsfächer Psychologie, Pädagogik, Philosophie und Ethik erhalten durch seine Monographie sehr gutes Fachwissen zur Gestaltung von Unterrichtseinheiten zur Entwicklungspsychologie, Moralpsychologie, frühkindlichen Erziehung, Philosophie der Kindheit, Anthropologie oder Kulturtheorie.
Fazit: Das wissenschaftliche Meisterwerk „Mensch werden. Eine Theorie der Ontogenese“ von Michael Tomasello ist eine lohnenswerte Anschaffung für alle, die über die Entwicklung der Einzigartigkeit des Menschen aufgeklärt werden möchten.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Michael Tomasello
Mensch werden - Eine Theorie der Ontogenese
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder
D: 34,00 €
A: 35,00 €
CH: 45,90 sFr
ISBN: 978-3-518-58750-8
Fast alle Theorien darüber, wie der Mensch zu einer so einzigartigen Spezies geworden ist, konzentrieren sich auf die Evolution. Michael Tomasello legt mit seinem faszinierenden Buch eine komplementäre Theorie vor, die sich auf die kindliche Entwicklung konzentriert. Aufbauend auf den bahnbrechenden Ideen von Lev Vygotskij, erklärt sein empiriegesättigtes Modell, wie sich das, was uns menschlich macht, in den ersten Lebensjahren herausbildet.
Tomasello bietet drei Jahrzehnte experimenteller Arbeit mit Schimpansen, Bonobos und Menschenkindern auf, um einen neuen theoretischen Rahmen für das psychologische Wachstum zwischen Geburt und siebtem Lebensjahr vorzuschlagen. Er identifiziert acht Merkmale, die den Menschen von seinen engsten Verwandten unterscheiden: soziale Kognition, Kommunikation, kulturelles Lernen, kooperatives Denken, Zusammenarbeit, Prosozialität, soziale Normen und moralische Identität. Auch Menschenaffen besitzen diesbezüglich rudimentäre Fähigkeiten. Aber erst die Anlage des Menschen zu geteilter Intentionalität verwandelt diese Fähigkeiten in die einzigartige menschliche Kognition und Sozialität. Mit seiner radikalen Neubewertung der Ontogenese zeigt Tomasello, wie die Biologie die Bedingungen schafft, unter denen die Kultur ihre Arbeit verrichtet.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9
I Hintergrund 11
1 Auf der Suche nach der Einzigartigkeit des
Menschen 13
2 Evolutionäre Grundlagen 23
Die Evolution des Menschen 24
Die Ontogenese des Menschen 40
Erklärungen in der Entwicklungspsychologie 54
II Die Ontogenese der einzigartig menschlichen Kognition 69
3 Soziale Kognition 71
Im Ausgang von Menschenaffen: Sich vorstellen, was andere wahrnehmen 73
Gemeinsame Aufmerksamkeit 83
Die Koordination von Perspektiven 98
»Objektiv« werden 123
4 Kommunikation 137
Im Ausgang von Menschenaffen: Intentionale Kommunikation 140
Kooperative Kommunikation 146
Kommunikation anhand von Konventionen 167
Symbolisch werden 186
5 Kulturelles Lernen 196
Im Ausgang von Menschenaffen: Soziales Lernen 198
Imitation und Konformität 205
Lernen durch Anweisung 214
Sachkundig werden 225
6 Kooperatives Denken 233
Im Ausgang von Menschenaffen: Individuelles
Denken 235
Gemeinsames Denken 240
Koordinierte Entscheidungsprozesse 251
Vernünftig werden 264
III Die Ontogenese der einzigartig menschlichen Sozialität 273
7 Zusammenarbeit 275
Im Ausgang von Menschenaffen: Parallel zu anderen handeln 278
Zusammenarbeit auf zwei Ebenen 281
Gemeinsame Verpflichtungen 294
Zweitpersonal werden 304
8 Prosozialität 315
Im Ausgang von Menschenaffen: Elementares Mitgefühl 317
Smithsches Helfen und Teilen 323
Fairness 333
Kooperativ werden 346
9 Soziale Normen 356
Im Ausgang von Menschenaffen: Leben in Gruppen 359
Soziale Normen 363
Gerechtigkeit 375
Einen Gruppengeist entwickeln 385
10 Moralische Identität 392
Im Ausgang von Menschenaffen: Soziale Bewertung 394
Selbstpräsentation und Befangenheitsgefühle 396
Moralische Rechtfertigung und Identität 405
Verantwortlich werden 415
IV Schluss 421
11 Eine neovygotskijsche Theorie 423
Globale Theorien der menschlichen Ontogenese 424
Die Theorie der geteilten Intentionalität 433
Probleme und Aussichten 474
12 Die Macht gemeinsamen Handelns 483
Literatur 489
Register 533