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Maos langer Schatten
Chinas Umgang mit der Vergangenheit
Daniel Leese
Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406755453 (ISBN: 3-406-75545-3)
606 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, Oktober, 2020, mit 25 Abbildungen und 1 Karte
EUR 38,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2021
Wie kann sich eine Diktatur mit dem Erbe von Unrecht und Staatsverbrechen auseinandersetzen, die unter ihrer Herrschaft begangen wurden? Mit dieser Frage sah sich die Kommunistische Partei Chinas nach dem Tod Mao Zedongs im Jahr 1976 konfrontiert. Gestützt auf eine Vielzahl bislang unbekannter Dokumente entwirft der Freiburger Sinologe Daniel Leese ein breit angelegtes Panorama der chinesischen Politik und Gesellschaft in der kritischen Umbruchphase zwischen 1976 und 1987.
Die Massenkampagnen des «Großen Vorsitzenden» Mao Zedong hatten horrende Opferzahlen gefordert und die Volksrepublik China an den Rand eines Bürgerkriegs geführt. Unter seinen Nachfolgern begann die Kommunistische Partei ein großangelegtes Experiment historischer Krisenbewältigung. Millionen politisch Verfolgte wurden rehabilitiert, Entschädigungszahlungen geleistet und Täter vor Gericht gestellt, allen voran die «Viererbande» um Maos Frau Jiang Qing. Das Ziel bestand darin, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen und alle Energien auf die wirtschaftliche Reformpolitik zu lenken. Aber die Schatten der Vergangenheit ließen sich nicht so einfach bannen. Gestützt auf eine Vielzahl bislang unbekannter Quellen – von vormals geheimen Reden der Parteiführung bis zu Petitionsschreiben einfacher Bürger – zeichnet Daniel Leese ein hochdifferenziertes Bild der Dekade nach Mao Zedongs Tod. Die Auswirkungen dieses Ringens um historische Gerechtigkeit sind in der chinesischen Politik und Gesellschaft bis heute spürbar.
Daniel Leese lehrt Sinologie mit dem Schwerpunkt "Geschichte und Politik des Modernen China" an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Rezension
An Deutschland läßt sich in doppelter Hinsicht zeigen, wie schwierig es schon für eine Demokratie ist, sich der eigenen diktatorischen Vergangenheit konstruktiv zu stellen: Die Erinnerung und Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und die Erinnerung und Auseinandersetzung mit der DDR verdeutlichen das. Ist es einer Diktatur aber - denn auch das heutige moderne China ist eine Diktatur - überhaupt möglich, sich der eigenen diktatorischen Vergangenheit (unter Mao Zedong) zu stellen? Wie geht China mit seiner Vergangenheit um, mit "Maos langem Schatten"? (Buchtitel). Dazu untersucht der Freiburger Sinologe Daniel Leese die Quellen nach dem Tod Mao Zedongs 1976 in dem folgenden Jahrzehnt der kritischen Umbruchphase zwischen 1976 und 1987. Wie konnte es der Kommunistischen Partei gelingen, einerseits die Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten und andererseits an der Macht zu bleiben? Nach Maos Tod vollzog sich in der Volksrepublik China ein epochaler Wandel. Mao hatte in seinen letzten Lebensjahren souverän geherrscht. Sein Wort war Gesetz und seine charismatische Autorität bis zuletzt ungebrochen. Unterschiedliche Gruppen rangen danach um Macht und Einfluss. In einem von Verdächtigungen und Anschuldigungen geprägten politischen Klima entschloss sich Hua Guofeng mit Unterstützung des Militärs, die potentiellen Konkurrenten um Maos Frau Jiang Qing auszuschalten. Die radikalen Gefolgsleute Maos wurden verhaftet und ihnen Verbrechen gegen Partei und Staat vorgeworfen. Erklärungsansätze für den Spagat zwischen Machterhaltung und Vergangenheitsaufarbeitung haben bislang vor allem auf die Wirtschaftsreformen und die durch den wachsenden Wohlstand der Bevölkerung begründete "Output-Legitimität" als neue Herrschaftsgrundlage verwiesen, der zum Wirtschaftswunder der folgenden vier Jahrzehnte geführt habe. Dennoch kam in den Jahren nach Mao Zedongs Tod der Vergangenheitspolitik und dem Thema historischer Gerechtigkeit eine maßgebliche Bedeutung bei der Herrschaftskonsolidierung zu. Hieraus folgte ein rund zehnjähriger Prozess der ideologischen, administrativen und gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Erbe der maoistischen Herrschaftsperiode. Zwischen 1976 und 1987 revidierten Parteiorgane und Gerichte Millionen von politischen Bewertungen und juristischen Urteilen. Opfer von Massenkampagnen wurden rehabilitiert und Hunderttausende Täter überprüft, von denen aber bewusst nur ein Teil durch Justiz oder parteiinterne Disziplinarverfahren bestraft wurde, um das übergeordnete Ziel von Einheit und Stabilität nicht zu gefährden.
Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Pressestimmen:
"Daniel Leese hat aus Akten und Dokumenten eine Fülle aufschlussreicher Fakten, Zahlen und sprechender Anekdoten herausdestilliert, an denen sich die tastende Neuorientierung nach Mao so plastisch wie selten zuvor sehen lässt.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mark Siemons
"Er zeigt die Tiefenstrukturen der chinesischen Gesellschaft und ihren Umgang mit Verbrechen des Staates. Daniel Leese schöpft aus jahrelanger Dokumentenrecherche.“
Neue Zürcher Zeitung, Helwig Schmidt-Glintzer
"Daniel Leese ist mit „Maos langer Schatten“ eines der eindrücklichsten Bücher über die chinesische Gesellschaft nach dem Tod Maos gelungen.“
die tageszeitung, Detlev Claussen
"Eine Studie, die in vielerlei Hinsicht beeindruckt (…) Mit eingängiger Sprache und klaren Thesen spricht ‚Maos langer Schatten‘ eine breite Leserschaft und die akademische Geschichtswissenschaft gleichermaßen an (…) Die Nominierung für den Deutschen Sachbuchpreis 2021 ist mehr als verdient."
H-Soz-Kult, Martin Wagner
"Beschäftigt (…) sich auch mit der Funktion, die Geschichte im politischen System der Volksrepublik hat."
Deutschlandfunk, Anja Reinhardt
"Herausragendes Buch zu Aufarbeitung und Verdrängung der Geschichte in einer kommunistischen Diktatur.“
Die Presse, Burkhard Bischof
"Eine materialreiche Informationsschrift erster Klasse (…) aufschlussreich und notwendig für das Verständnis eines Landes, das sich vermutlich zum mächtigsten der Welt entwickeln wird."
Lesart
"‘Maos langer Schatten‘ gestattet es, Denkmauern zu überwinden und hinterfragt sehr lesenswert einen spannenden Abschnitt chinesischer Geschichte."
Sachsen Lesen
Inhaltsverzeichnis
Prolog: Zwischen Revolution und Reform 13
Politischer Kurswechsel 19
Historisches Unrecht und Übergangsjustiz 25
Aufbau und Quellen 32
1 Revolution und historische Gerechtigkeit 37
Schatten der Vergangenheit 38
Verteilungsgerechtigkeit und Landreform 43
Gefühlspolitik oder Gehirnwäsche? 52
Die Dialektik des Terrors 58
Der Umgang mit den städtischen Eliten 67
Historische Gerechtigkeit und außenpolitische Staatsräson 76
2 Recht und Politik 88
Recht und Revolution in der Sowjetunion 92
Justiz im Kaiserreich und in der Republik China 99
Revolutionäre Justizarbeiter 106
Kampagnenjustiz und Hinrichtungsquoten 111
Ein kommunistischer Doppelstaat? 118
Folgsame Werkzeuge der Partei 125
3 Klassenjustiz und Staatsverbrechen 131
Die Kulturrevolution 133
Justiz und Rechtsprechungspraxis 138
Massengewalt in der Kulturrevolution 146
Massentötungen im Südwesten 154
Institutionalisierter Terror 159
Unklare Fronten 167
Täter- und Opferkategorien im Wandel 173
4 Das politische Vermächtnis Mao Zedongs 181
Gespaltene Gesellschaft, zerrüttete Politik 184
Konsolidierung als politisches Programm 190
Trauer auf dem Tiananmen-Platz 194
Der Sturz der Viererbande 203
Organisatorische Neuausrichtung 210
Historische Gerechtigkeit als Massenkampagne 215
Wahrheit, Praxis und Machtpolitik 225
5 Ordnung aus dem Chaos schaffen 238
Dimensionen und Verfahren 239
Rehabilitierung als Gnadenakt oder revolutionäre
Ermächtigung 247
Kaderpolitik und Aktengebirge 255
Wiederbelebung der Einheitsfront 265
Der Umgang mit historischen Klassenfeinden 272
Deportationen und Zwangsumsiedlungen 282
Das schwierige Erbe der Nationalitätenpolitik 291
6 Die Revision ungerechter, falscher und fehlerhafter Fälle 304
Politische Bilanz im Sicherheitsapparat 306
Modellfälle in der Justiz 312
Was ist Konterrevolution? 319
Kulturrevolutionäre Tatbestände 325
Rechtsbewusstsein und die Demokratiemauer-Bewegung 334
Die Th eoriekonferenz des Jahres 1979 343
Die Justiz und das Erbe der Kulturrevolution 354
Die Grenzen sozialistischer Gesetzlichkeit 364
7 Shanhou: Autoritäre Krisenbewältigung 370
Petitionen und Herrschaftslegitimation 376
Restitutionsforderungen und die Frage sozialistischer
Eigentumsrechte 382
Gehälter, Pensionen und die Kritik des bürgerlichen Rechts 392
Soziale Fürsorge im Dienst politischer Stabilität 401
8 Fehler und Verbrechen 411
Prozessvorbereitungen 414
Die Kulturrevolution vor Gericht 421
Eine neue Perspektive auf die Vergangenheit 428
Die Herstellung eines Elitenkonsenses 434
Geschichtspolitik im Dienst der Machtpolitik 441
Die Suche nach Tätern jenseits der Parteizentrale 448
Die «drei Typen Menschen» 458
Am Scheideweg 470
Epilog: Die Illusion eines historischen Schlussstrichs 482
Die «Lösung» eines historischen Problems 485
Ein Echo aus der Tiefe der Zeit 491
Ein doppelter Schatten 497
Anhang
Kurzbiographien wichtiger Akteure 507
Übersicht wichtiger Ereignisse, 1976–1989 513
Danksagung 516
Anmerkungen 518
Literaturverzeichnis 568
Bildnachweis 590
Register 591
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