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Kindheit und Schule in einer Welt der Umbrüche
Kindheit und Schule in einer Welt der Umbrüche



Steidl
EAN: 9783882438468 (ISBN: 3-88243-846-0)
444 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 13 x 20cm, 2002

EUR 24,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
"Die PISA-Studie sollte der entscheidende Anstoß für eine zweite Bildungsreform sein, um das kulturelle Lernklima in Deutschland zu verbessern, indem Schulen viel stärker als bisher jene Komponenten des emotionalen und sozialen Lernens in sich aufnehmen, für die es in der Gesellschaft sonst keine verläßlichen Orte mehr gibt."
Rezension
Der mittlerweile emeritierte Soziologieprofessor Oskar Negt versucht in seinem im Jahre 2002 in erweiterter Neuauflage erschienenen Buch >Kindheit und Schule in einer Welt der Umbrüche< Antworten auf die durch die PISA-Studie auch der breiten Öffentlichkeit bewusst gewordene Bildungskrise unseres Bildungssystem zu geben. Dazu analysiert der Wissenschaftler in den ersten beiden Kapiteln die gesellschaftlichen Auswirkungen der >Umbrüche< auf das Schulsystem und die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen. In den folgenden Kapiteln konturiert er eine Alternativpädagogik, stellt Alternativschulen vor, entwickelt seine Auffassung einer >offenen Angebotsschule<. Negts Auffassung von Pädagogik sieht sich dem >Ziel emanzipatorischer Bildungsarbeit< (S. 240) verpflichtet.
Besondere Bedeutung für den aktuellen Diskurs über Kompetenzen kommt dem vierten Abschnitts des Großkapitels IV. >Fünf gesellschaftliche Schlüsselqualifikationen< (S. 235-246) zu. Im Unterschied zu den von Wolfgang Klafki immer in unterschiedlichen Varianten vorgelegten Schlüsselproblemen betont Negt den gesellschaftlich konstituierten Charakter der Schlüsselqualifikationen. Er führt in seinem Buch genau fünf auf, nämlich: >Identitätskompetenz<, >technologische Kompetenz<, >Gerechtigkeitskompetenz<, >ökologische Kompetenz< und >historische Kompetenz<. Den von ihm genannten Kompetenzen kann nicht der Vorwurf eines sozialtechnologischen Instrumentariums gemacht werden. So bedeutet für Negt zum Beispiel >technologische Kompetenz<: >nicht nur technische Qualifikation im Sinne von Fertigkeit, sondern gleichzeitig das Wissen um die gesellschaftliche Wirkungen von Technologien.< (S. 236) Dieser Erkenntnis kommt angesichts des Eindringens Neuer Medien in den Schulalltag eine besondere Relevanz zu. Ausdrücklich wendet sich Negt auch, ähnlich wie Jürgen Habermas in >Technik als Wissenschaft und Ideologie<, gegen die Vorstellung vom neutralen Charakter der Technik. Die von Negt geforderten Kompetenzen stehen - gemäß seiner materialistisch-emanzipatorischen Pädagogikauffassung – im Dienste der Ideologiekritik. Mittels der genannten Kompetenzen sollen Akteure gesellschaftliche Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse aufdecken. Dazu gilt es nach Negt auch die >historische Kompetenz< zu fördern, welche dem Menschen ermöglicht sich >Utopiefähigkeiten< zu bewahren. Ausdrücklich verweist Negt aber bei den von ihm aufgeführten Kompetenzen auf das Theorie-Praxis-Problem. Das Handeln in der >pädagogische Wirklichkeit< verdeutlicht er anhand des Mythos von Sisyphos.
Negt plädiert in seinem Werk auch für einen >modernen Lernbegriff>, der >drei gleichgewichtige Dimensionen umfassen muß: kognitives, emotionales und soziales Lernen> (S. 9). Dieses führt ihn zu einer aus meiner Sicht Überbewertung des in der Reformpädagogik verbreiteten >Prinzips Hautnähe< (vgl. S. 272-281). Auch wer Negts soziologischen Ansatz in der Erziehungswissenschaft nicht teilt, wird seinem Buch zahlreiche Anregungen abgewinnen. So zum Beispiel die Erkenntnis, dass Erziehungs- und Bildungsprobleme gesellschaftlich mitbedingt sind und von dem Einzelnen nur zum Teil bewältigt werden können. Das Buch des Hannoveraner Soziologieprofessors unterstreicht die Bedeutung soziologischen Reflexionswissens für den Pädagogen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Pisa-Studie hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, in welch tiefer Krise unser Erziehungssystem steckt. Fehlende Lernmotivation, wachsende Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen, überforderte Eltern und Lehrer sind nur einige der Faktoren. Die Krise geht einher mit einer allgemeinen Gesellschaftskrise, die unter anderem durch den Verlust von Visionen und Utopien, die Auflösung traditioneller Familienformen und einen epochalen Wandel wirtschaftlicher Strukturen bestimmt wird. Oskar Negt analysiert diese Welt der Umbrüche und fragt: Was sollen unsere Kinder im 21. Jahrhundert lernen? Wie und wo sollen sie es lernen?
Die Aufarbeitung sozialer und kultureller Wandlungen von Kindheit und Jugend dient Negt als Grundlage, um einen neuen Bildungs- und Lernbegriff zu entwickeln. Verschiedene Projekte der Alternativpädagogik – vor allem die 1972 von Negt mitbegründete Glocksee-Schule in Hannover – und die dort gewonnenen praktischen Erfahrungen eröffnen didaktische Perspektiven.
So formuliert dieses Buch, das zuerst 1997 erschien, ein engagiertes Plädoyer für eine zweite Bildungsreform, die den auf Konjunkturverläufe verengten bildungsökonomischen Horizont aufbricht und das Utopiebedürfnis von Lernenden und Lehrenden anerkennt. Oskar Negt hat dem Buch eine neue Einleitung vorangestellt, in der er sich umfassend mit den Ergebnissen der Pisa-Studie auseinandersetzt.

Inhaltsverzeichnis
Inhalt

Die PISA-Studie (2002) 9
Vorwort (1996) 17

I. Lernen und Erziehung unter Bedingungen einer Erosionskrise 23
II. Gewichtsverlagerungen der Erziehungs- und Lernorte 59
III. Das reichhaltige Angebot der Alternativpädagogik 129
IV. Was sollen unsere Kinder und Jugendliche lernen? 199
V. Die offene Angebotsschule 247
Wie lernen Menschen? 10 Variationen 305

Anmerkungen 429
Auswahlbibliographie 441