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Guttenbergs Fall Der Skandal und seine Folgen für Politik und Gesellschaft
Guttenbergs Fall
Der Skandal und seine Folgen für Politik und Gesellschaft








Roland Preuß, Tanjev Schultz

Random House , Gütersloher Verlagshaus
EAN: 9783579066721 (ISBN: 3-579-06672-2)
224 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 14 x 22cm, 2011

EUR 17,99
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Ein Skandal und seine Folgen: Die Affäre »Guttenberg« als Präzedenzfall



Die Fallhöhe beim Sturz des Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg war enorm. Zugleich wurde in der Affäre das Gewicht verschiedener gesellschaftlicher Teilsysteme neu vermessen – die Wissenschaft mit ihren Prinzipien konnte sich gegen eine aus dem Ruder gelaufene Machtpolitik behaupten. In diesem brisanten Buch geht es um mehr als nur die Guttenberg-Affäre: warum der ehemalige Verteidigungsminister den Plagiatsskandal nicht überstehen konnte und was dies für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft bedeutet.

Ein spannendes und notwendiges Buch, das zeigt, woran künftig nicht nur politische Führungskräfte gemessen werden, geschrieben von den beiden Journalisten, die den Stein ins Rollen gebracht haben.

Das Insiderbuch der beiden Journalisten, die den Fall aufgedeckt haben

Ein Beitrag zur aktuellen Debatte über aus dem Ruder gelaufene Regeln in Politik und Demokratie

Brillant auf den Punkt gebracht – investigativer Journalismus par excellence
Rezension
Welche Folgen hat die „Affäre Guttenberg" für Politik und Gesellschaft? Die Fallhöhe beim Sturz des Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg war enorm. Die Affäre entwickelte sich zu einem späktakulären Kräftemessenzwischen Medien, Wissenschaftlern und Politikern. Das Gewicht unseres gesellschaftlichen Systems wurde neu vermessen: die Wissenschaft mit ihren Prinzipien konnte sich gegen eine aus dem Ruder gelaufene Machtpolitik behaupten. - Die beiden Journalisten Roland Preuß und Tanjev Schultz haben den Stein ins Rollen gebracht. In ihrem brisanten Buch zeigen sie, dass es um mehr geht als nur die Verfehlung eines einzelnen Politikers. Sie analysieren, warum der ehemalige Verteidigungsminister den Plagiatsskandal nicht überstehen konnte und was dies für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft bedeutet.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
„Guttenbergs Plagiate waren auch mehr als nur eine kleine Schlamperei. Guttenberg hat die Wissenschaft und die Öffentlichkeit getäuscht. Er hat sich unmöglich benommen. Der Skandal hat Charaktermängel offenbart, vor allem beim Umgang mit berechtigter Kritik." (Roland Preuß, Tanjev Schultz, Guttenbergs Fall)

Roland Preuß, geboren 1973 in München, arbeitet seit zehn Jahren für die Süddeutsche Zeitung. Er studierte Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft in Freiburg und Edinburgh, wo er sich besonders mit der Geschichte der Bundesrepublik, Wirtschaftspolitik und Geschichtsphilosophie auseinandersetzte. Nach dem Studium und Stationen bei der Badischen Zeitung (Freiburg) und dem Südwestdeutschen Rundfunk besuchte er die Berliner Journalistenschule. Dort war er später auch als Dozent tätig. Seine Laufbahn bei der Süddeutschen führte ihn nach Fürstenfeldbruck, Düsseldorf und München, wo er seit 2005 als Politik-Redakteur tätig ist. Preuß behandelt neben dem Guttenberg-Fall vor allem Fragen der Zuwanderung, Integration und inneren Sicherheit.

Tanjev Schultz, geb. 1974 in Berlin, ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung mit dem Schwerpunkt Bildungspolitik, Schule und Hochschule. Er promovierte an der Universität Bremen in Politikwissenschaft. Dort arbeitete er vier Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem DFG-Projekt über Identitäten von Einwanderern. Zuvor studierte er in Berlin, Hagen und Bloomington (USA) Philosophie, Psychologie, Publizistik, Politik- und Literaturwissenschaft. Tanjev Schultz hat etliche Aufsätze in soziologischen, kultur- und medienwissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung

Kapitel 1 Die Entdeckung 12

Kapitel 2 Die Bombe platzt 28

Kapitel 3 Selbstverteidigungsminister 48

Kapitel 4 Der Campus bebt 71

Kapitel 5 Guttenbergs Weg zum Rücktritt 84

Kapitel 6 Nachschlag aus Bayreuth 111

Kapitel 7 Bildung durch Copy & Paste 127

Kapitel 8 Geisterjagd – die Suche nach einem Ghostwriter 157

Kapitel 9 Was wird aus Guttenberg? 169

Kapitel 10 Was bleibt? Die Folgen des Skandals 178

Danksagung 189

Anmerkung zu Quellen und Zitierweise 190
Anmerkungen 191
Anhang 202
Literatur 223


Einleitung
Er war der Darling der Deutschen. Er eroberte die Herzen der
Wähler in unerhörtem Tempo, nur sein Sturz war noch rasanter.
Die Sehnsucht, die er bei vielen weckte, ist geblieben. Es ist die
Sehnsucht nach einem neuen Typ Politiker.
Karl-Theodor zu Guttenberg ist 37 Jahre alt, als ihn Kanzlerin
Angela Merkel im Februar 2009 in die Regierung holt. Er ist der
jüngste Bundeswirtschaftsminister seit Gründung der Republik.
Der CSU-Politiker übernimmt das Haus mitten in einer heftigen
Wirtschaftskrise, muss über Staatshilfen für den Autokonzern
Opel mitentscheiden. So ein Thema lässt Politiker nicht unbedingt
glänzen. Guttenberg aber geht gestärkt aus dem Streit über die
Opel-Hilfe hervor, beliebter zumindest. Er steht plötzlich auf Platz
eins in der Gunst der Wähler – scheinbar gegen alle Regeln, denn
er hatte sich gegen die Rettung von Arbeitsplätzen durch Staatsbürgschaften
ausgesprochen und sich damit nicht einmal durchsetzen
können. Bei der Bundestagswahl 2009 schafft er mit 68,1
Prozent der Erststimmen das beste Ergebnis – bundesweit.
Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer vertrauen ihm
nun das Verteidigungsministerium an, der Hoffnungsträger im
Kabinett setzt schnell Akzente. Wo sein Vorgänger Franz Josef
Jung über die Kämpfe in Afghanistan noch juristisch korrekt, aber
gedrechselt von einem »Stabilisierungseinsatz« und »nicht-internationalen
bewaffneten Konflikt« schwadronierte, nimmt
Guttenberg das Wort »Krieg« in den Mund. Er wird zum Klartext-
Minister. So erobert er nicht nur das Herz traditioneller Unionswähler.
Guttenberg reißt auch Jüngere mit, die sonst wenig
Berührung mit der CSU haben. Die Medien sind voll mit seinen
Auftritten, mit Fotos von ihm. Vor allem die Bild-Zeitung und
andere bunte Blätter fördern sein Star-Image. Guttenberg versprüht
Glamour: eine Familie von altem Adel mit echtem Schloss,
der Vater ein bekannter Dirigent, die Frau nicht nur eine attrak-
8
tive Begleiterin, sondern auch eine engagierte Kämpferin gegen
Kindesmissbrauch.
Es geht nicht mehr nur um Politik. Guttenberg ist Kult. Er wirkt
anders als andere Politiker, und er betont das. Seine Anzüge sitzen
perfekt, sein Haar ist stets gut gegelt. Und doch verkörpert Karl-
Theodor zu Guttenberg in den Augen seiner Anhänger keinen verdrucksten
Karrieristen, keinen von Ehrgeiz zerfressenen Spießer
oder dünkelhaften Edelmann. Denn ihr Idol gibt sich auch locker
und beschwingt. »KT«, wie Guttenberg in seiner Partei gern genannt
wird, versöhnt scheinbare Gegensätze: zeigt sich als Fan von
AC/DC, einer rüden Hardrock-Band, zugleich aber als kultivierter
Platon-Leser – natürlich im altgriechischen Original. Guttenberg:
ein Rocker und ein Intellektueller. Ein unkonventioneller Konservativer.
Ein Mann mit Manieren, aber ohne stocksteifes Getue. Ein
Politiker, der sein kann, wie er ist, weil er es nicht nötig hat, sich zu
verbiegen. Er hat ja sowieso schon alles: Haus und Hof, eine schöne
Frau und ein schickes Schloss, Geld und Ruhm und Titel.
So jedenfalls kommt der Freiherr oder Baron, wie ihn manche
Medien bewundernd, andere eher spöttisch titulieren, beim begeisterten
Publikum an. Dass Guttenbergs Image auch die Folge
einer geschickten Inszenierung war und der Politiker damit kokettiert,
anders als andere zu sein – die Mehrheit seiner Anhänger
merkt oder stört das nicht.
Der adlige Konservative kann auf die klassische Machtbasis eines
Volkstribunen bauen: seine Beliebtheit. Derart gestärkt wagt
Guttenberg riskante politische Manöver. Wo seine Vorgänger eine
radikale Reform der Bundeswehr scheuten, da packt der junge Verteidigungsminister
den Umbau an – und setzt in atemraubender
Geschwindigkeit die Berufsarmee durch. Dass er damit seiner eigenen
Partei viel zumutet, hindert ihn nicht. Mit der Bundeswehrreform
kann Guttenberg so richtig Geschichte schreiben. Doch
dann kommt ihm eine andere Geschichte in die Quere, die Geschichte
seiner Doktorarbeit. Es ist eine Geschichte voller Täuschungen
und Enttäuschungen.
Sicher, Guttenberg hat auch schon vor diesem Skandal Makel
gezeigt – bei der umstrittenen Entlassung seines Staatssekretärs
9
Peter Wichert und des Generalinspekteurs der Bundeswehr,
Wolfgang Schneiderhan. Beide mussten gehen, weil sie ihrem Minister
angeblich Berichte vorenthielten über die Bombardierung
eines Tanklastzuges in Afghanistan (»Kundus-Affäre«). Bei dem
Angriff starben zahlreiche Zivilisten. Höchst zweifelhaft wirkte
auch Guttenbergs schnelle Suspendierung des Gorch-Fock-Kapitäns
Norbert Schatz, der später durch einen Marine-Bericht
entlastet wird. Beiden Entscheidungen gingen Berichte der Bild-
Zeitung voraus. Der Minister entschied so knackig und schnell,
wie der Boulevard schlagzeilte. Das brachte ihm harsche Kritik
ein. Die Opposition suchte verzweifelt nach wunden Punkten des
neuen Stars. Auch in der Union wuchsen Neid und Missgunst,
manchen wurden Macht und Popularität Guttenbergs allmählich
unheimlich.
Doch zunächst perlt die Kritik ab. Guttenberg steht weiter: ganz
oben. Für seine Anhänger ist er ein Mann mit Mut. Endlich ein
Politiker, der klare Worte findet und aufräumt im vermeintlichen
Saustall Bundeswehr, ein konservativer Modernisierer. Der Spiegel
sieht Guttenberg mit seiner Frau schon auf dem »Paarlauf ins
Kanzleramt«, im Oktober 2010 hebt das Magazin die »fabelhaften
Guttenbergs« in einer Mischung aus Ehrfurcht und Ironie aufs
Titelbild. Der Kanzlerin erwächst ein möglicher Rivale und Nachfolger.
Aber auch in Bayern macht man Pläne mit Guttenberg.
CSU-Chef Horst Seehofer muss eine vorzeitige Ablösung durch
den jungen Charismatiker fürchten. KT ist zum großen Wählerfänger
geworden – unentbehrlich im Kabinett und heiß begehrt
in der CSU. Nicht wenige rechnen Ende des Jahres 2010 und Anfang
2011 damit, dass Guttenberg bald reif ist für höchste Ämter:
in der bayerischen Landeshauptstadt oder gleich als Bundeskanzler
in Berlin.
Seit Langem gab es keinen Politiker mehr, der so viele Menschen
in so kurzer Zeit für sich und die Politik begeistert hat. Das ist gut
für die Demokratie – aber nur, wenn die Euphorie nicht in großer
Ernüchterung endet.
Es soll hier kein falscher Eindruck entstehen: Die Autoren dieses
Buches waren schon vor der Plagiatsaffäre keine glühenden
10
Verehrer Guttenbergs. Und die Kritik an seinem Umgang mit Untergebenen
hatte Zweifel gesät an seinen Führungsqualitäten. Doch
wir waren aufmerksam geworden: Im Vergleich zu seinem glücklosen
Vorgänger Franz Josef Jung und anderen blassen Kabinettsgestalten
wirkte Guttenberg durchsetzungsfähig, rhetorisch begabt
und pragmatisch. Mit diesem Politiker musste man rechnen.
Das Bild ändert sich schlagartig im Februar 2011, als wir die
ersten Belege für die Mogeleien in Guttenbergs Doktorarbeit auf
den Tisch bekommen und sie staunend prüfen. Sollte sich Guttenberg
wirklich so unverfroren beim geistigen Eigentum anderer
Autoren bedient haben? Wie passt das zum Bild des geradlinigen,
aufrichtigen Freiherrn? Wie passt es zum Bild eines Mannes, der
sich inszeniert als Alternative zu den vielen Phrasendreschern des
Politikbetriebs?
Guttenbergs Fall erfolgt aus Schwindel erregender Höhe. Das
Image ändert sich binnen weniger Tage dramatisch. Der Skandal
zertrümmert Guttenbergs Glaubwürdigkeit. Zugleich gehen die
Guttenberg verkörperte für viele Erfolg und Weltläufigkeit. Hier 2009 auf dem Times
Square in New York. Foto: Gero Breloer, dpa
11
Folgen der Affäre weit über den Rücktritt eines Ministers und über
Guttenbergs – zumindest vorläufigen – Rückzug aus der Politik
hinaus. Der Fall berührt das Verhältnis von Politik und Universitäten.
Mit seinen Täuschungen hat Guttenberg die Wissenschaft
herausgefordert.
Die Plagiate werfen ein Schlaglicht auf Lug und Trug in der
Forschung. Dahinter verbirgt sich auch ein Versagen der Professoren
bei der Qualitätskontrolle. An den Universitäten wird die
Erschütterung, die Guttenbergs Absturz auslöst, noch lange zu
spüren sein. Nachdem Guttenberg seinen Doktortitel und seine
politischen Ämter verloren hat, werden von Internet-Aktivisten
weitere Plagiatsfälle aufgedeckt. Im Mai 2011 tritt deshalb die FDPPolitikerin
Silvana Koch-Mehrin als stellvertretende Präsidentin
des Europaparlaments zurück, im Juni entzieht ihr die Uni Heidelberg
den Doktortitel. Kurz darauf verliert auch der FDP-Europaabgeordnete
Jorgo Chatzimarkakis seinen Doktortitel. Außerdem
gerät der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann
(CDU) unter Plagiatsverdacht und räumt mögliche Zitierfehler
ein. Die Hochschulen müssen Vorwürfe gegen weitere Politiker
und Prominente prüfen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Guttenbergs
Fall hat eine Lawine losgetreten.
Für die Autoren beginnt die Affäre mit einem Gewaltmarsch
der Recherche und einem Wechselbad der Gefühle. Zu der Fülle
an Texten, die es zu prüfen, und an internen Diskussionen, die es
zu bewältigen gilt, kommen anfangs Zweifel an den Vorwürfen.
Viele Bürger sind empört über unsere Berichterstattung in der
Süddeutschen Zeitung. Sie wollen es nicht wahrhaben. Nach der
Enthüllung erreichen uns hunderte hasserfüllte Anrufe und Wut-
Mails. Und auch wir schütteln ja noch heute manchmal den Kopf:
Kann das wahr sein? Wie kann ein hoffnungsvoller Politiker die
Wähler und die Öffentlichkeit so schwer täuschen – und enttäuschen?
Die zwei Wochen nach dem 15. Februar 2011 sollten die
schlimmsten werden für den Minister, zwei Wochen, die beginnen
in einem Bremer Restaurant.
12
Kapitel 1
Die Entdeckung
Es fängt an mit einem flapsigen Spruch, der sich noch als erstaunlich
treffend herausstellen wird. Andreas Fischer-Lescano speist
mit einem Kollegen beim Bremer Italiener »del bosco« zu Mittag,
es ist Freitag, der 11. Februar 2011. Die Vorlesungszeit an der Uni
Bremen ist gerade vorüber und der Professor für Öffentliches
Recht und Europarecht plaudert über seinen Plan, die Doktorarbeit
von Karl-Theodor zu Guttenberg für die Fachzeitschrift Kritische
Justiz zu besprechen. Noch im Zug nach Berlin werde er mit der
Lektüre beginnen, sagt Fischer-Lescano. »Vergiss es, viele Politiker
schreiben ihre Dissertation eh nicht selbst«, erwidert sein Kollege
Peter Derleder. Der 70-jährige Juraprofessor erzählt, er habe schon
manches Mal den Verdacht gehabt, dass die eine oder andere Politiker-
Dissertation eigentlich von deren Mitarbeitern geschrieben
worden sei. Belege dafür hat er aber nie gefunden. Auch das Wort
Plagiat sei bei dem Essen gefallen, sagt Derleder später. Doch beide
Professoren seien sich schnell einig gewesen: Guttenberg wird
nicht so töricht gewesen sein, eine abgeschriebene Arbeit vorzulegen.
Aber der Gedanke steht nun im Raum. Und Derleder merkt
an: Dissertationen von Politikern bieten selten intellektuelle Höhepunkte.
Doch das hält Fischer-Lescano nicht ab, die Mängel der Dissertation
kann er ja in der Rezension ausbreiten. Die Doktorarbeit
interessiert ihn. Guttenberg hat 2007 an der Universität Bayreuth
in Jura promoviert, der akademisch-sperrige Titel seiner Arbeit:
»Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen
in den USA und der EU«. Das Urteil der Bayreuther
Gutachter war euphorisch: summa cum laude! Eine Eins mit Sternchen
– die Bestnote für den Politiker.
Vor seiner Zeit als Wirtschafts- und Verteidigungsminister hat
sich Guttenberg im Bundestag einen Namen als Außenpolitiker
13
gemacht. Er beschäftigte sich viel mit Europa und den USA, das
Thema seiner Dissertation passt dazu. Sie erschien 2009 im traditionsreichen
Fachverlag Duncker & Humblot. Der Verlag schickt
Fischer-Lescano Ende Januar 2011 ein kostenloses Besprechungsexemplar.
Im Laden kostet das Buch 88 Euro, dafür will der Verlag
von Fischer-Lescano später ein Ergebnis sehen. »Wir bitten ausdrücklich
um Zusendung eines Besprechungsbeleges«, heißt es auf
dem Lieferschein.
Schon im ICE nach Berlin, wo der Professor wohnt, muss sich
Fischer-Lescano aufregen. Kein Wunder: Hier liest ein politisch
links orientierter Professor das Buch eines langjährigen CSU-Mitglieds,
betreut von einem Gelehrten alten Stils, Guttenbergs Doktorvater
Peter Häberle.
Die Teile der Dissertation sind schlecht aufeinander abgestimmt,
stellt Fischer-Lescano fest, auch der Sprachstil wechselt. Es gibt
Stellen, die findet er richtig »unterirdisch«, am Rande der Seiten
wächst die Zahl der roten Kringel. Am Ende der Fahrt kommt
Fischer-Lescano zu einem völlig anderen Urteil als Guttenbergs
Doktorvater: Die Arbeit ist miserabel, ihr fehlt ein roter Faden.
Fischer-Lescano vermutet: Guttenberg hat einfach eigene Reden
in der Doktorarbeit wiederverwertet.
Das wäre noch kein verbotenes Plagiat. Aber der Verdacht
bringt den Bremer Professor auf die richtige Spur. Was da keimt
in Fischer-Lescanos Kopf, wird sich binnen weniger Tage zur größten
Plagiatsaffäre auswachsen, die Deutschland bisher erlebt hat.
Am Ende wird jedermann sehen können, dass Guttenberg sich
nicht bei eigenen Reden bedient hat, sondern bei vielen anderen
Autoren. Mehr als die Hälfte seiner 475 Seiten starken Doktorarbeit
hat er einfach aus anderen Quellen übernommen, ohne sie
korrekt zu kennzeichnen. Mit Hilfe des Internets werden in Windeseile
immer neue Plagiate gefunden. In Guttenbergs Text ist bald
kein Satz mehr, wie er schien. Ein akademisches Luftschloss kracht
zusammen. Nicht ohne Häme erfinden Guttenbergs Gegner einen
neuen Spitznamen für ihn: Dr. Googleberg. Eine Talkshow im
Fernsehen läuft unter dem Titel: »Der Schummelbaron – Frechheit
siegt?«
14
Zwei Wochen wird die Republik streiten, wie schwer die Fehler
wiegen, ob Guttenberg ein Lügner ist und ob jemand, der so gravierend
bei seiner Doktorarbeit getäuscht hat, trotzdem ein guter
Minister sein kann. Es gibt glühende Wut unter den vielen Guttenberg-
Anhängern in diesen zwei Wochen – und, bis heute, Verschwörungstheorien.
Der scheue Professor
Wer ist dieser Professor aus Bremen? Wer ist dieser Mann, der Guttenberg
auf die Schliche kam? So fern sich die beiden sonst stehen,
es gibt Parallelen. Mit 38 Jahren ist Fischer-Lescano, als die Affäre
ihren Lauf nimmt, nur wenig jünger als der 39-jährige Verteidigungsminister.
Beide haben Jura studiert, ihren Doktor gemacht
und sind dann schnell aufgestiegen. Der eine zum Bundesminister,
der andere immerhin zum Professor, der als »geschäftsführender
Direktor« das Zentrum für europäische Rechtspolitik an der Universität
Bremen leitet. Politik begeistert beide, beide beschäftigen
sich mit Verfassungs- und Europarecht. Fischer-Lescano hat ebenfalls
ein Buch bei Duncker & Humblot veröffentlicht, dem Verlag,
in dem Guttenbergs Doktorarbeit erschienen ist. Fachlich hätten
sich Guttenberg und Fischer-Lescano sicher einiges zu sagen, nicht
nur über Plagiate.
In ihren Biografien gibt es aber auch Gegensätze: Guttenberg
wird in ein altes Adelsgeschlecht hineingeboren, in eine reiche
Familie. Dass die Guttenbergs Führungsaufgaben übernehmen, ist
selbstverständlich, und Guttenbergs Vater, der Dirigent Enoch zu
Guttenberg, fordert und fördert dies, indem er schon den jungen
Karl-Theodor als Redner zu Beerdigungen und Jubiläen schickt.1
Die Guttenbergs residieren hoch oben auf dem Schloss Guttenberg
über dem gleichnamigen Ort in Oberfranken. Es ist ein Leben in
dutzenden Zimmern, mit Koch, Diener und Stallmeister.2
Fischer-Lescanos Heimat heißt Guldental, auch das ein kleiner
Ort. Er liegt unten im Flusstal der Nahe in Rheinland-Pfalz. Es sind
die berühmten »kleinen Verhältnisse«, in denen Fischer-Lescano
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aufwächst. Der Vater ist Fernfahrer, die Mutter arbeitet erst bei der
Telekom und wird dann wie viele ihrer Kollegen in eine eigene
Gesellschaft ausgelagert. Niemand ebnet Fischer-Lescano den Weg
nach oben, er muss ihn sich von Anfang an erkämpfen. Seine Herkunft
prägt den Professor auch politisch. Er steht links. Guttenberg
steht rechts.
Das wird auch in der Plagiatsaffäre schnell bekannt. Ansonsten
aber bleibt Andreas Fischer-Lescano der große Unbekannte. Er
drängt nicht nach vorne auf die Bühne der Medien. Er lässt sich
nur auf wenige Zeitungsinterviews ein, die mit einem alten Porträtfoto
illustriert werden; die ARD darf ihn entfernt auf einer Brücke
filmen. Mehr gibt es lange Zeit nicht, Fischer-Lescano scheut
die Kameras. Das ist nicht viel für die Schlüsselfigur der Guttenberg-
Affäre. Es reicht allerdings, um ihn ins Zentrum von Attacken
und Verschwörungstheorien zu rücken, die Fischer-Lescano als
linken Denunzianten darstellen, der unbedingt den beliebtesten
Politiker des Landes zu Fall bringen wollte. Er bekommt hunderte
Hassmails. In einer steht: »Hoffentlich läufst Du Arsch mal vor’s
Auto!«
Die Geschichte des Professors ist die eines Entdeckers, der mit
seinem Fund fremdelt. Eines Mannes, der zwar die Tür öffnet zu
einem Reich der Täuschung und der Lüge, aber lieber am Eingang
verharrt, um sich nicht selbst in diesem Reich zu verirren. Wer
seine Geschichte erfahren will, muss Fischer-Lescano besuchen –
dort, wo er die ersten Plagiate ergoogelte: in Berlin.
Treffer bei Google
Andreas Fischer-Lescano wohnt in Neukölln, dem Berliner Problemviertel.
Doch der Professor lebt gern hier. An der Ecke kostet
der Gemüsekebab 1 Euro 50, die Haustüren sind beschmiert mit
Edding-Hieroglyphen. Oben in seiner Wohnung serviert der Professor
Yogi-Tee in Streifenschälchen. Es tue ihm leid, dass er keine
Kekse hat, sagt er. »Schreiben Sie ja nicht, dass ich ein schlechter
Gastgeber bin.«
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Eigentlich hat Fischer-Lescano andere Probleme, der große
Mann in Jeans und Pullover sieht müde aus in der zweiten Woche
der Plagiatsaffäre, die Augenringe fallen auffällig dunkel aus für
einen 38-Jährigen. Er hat viel erklären müssen in den vergangenen
Tagen: Warum nimmt sich ein Professor im Frühjahr 2011 eine
Dissertation vor, die schon 2009 erschienen ist? Warum hat er sie
auf Plagiate geprüft? Und kann es Zufall sein, dass ausgerechnet
ein bekennender Linker diese Entdeckung macht?
Fischer-Lescano lehnt sich auf seinem Holzstuhl nach vorne,
seine Worte kommen schleppend, aber präzise. Das Thema Verfassung
beschäftige ihn schon seit Beginn seiner eigenen Dissertation
im Jahr 2001. Er habe Guttenbergs Doktorarbeit aus »wissenschaftlichem
Interesse« zur Hand genommen. So hat es Fischer-Lescano
kurz nach seiner Entdeckung beteuert.
Guttenbergs Thema fällt in Fischer-Lescanos Fachgebiet, das
zeigt schon ein Blick auf die Liste der Bücher und Aufsätze, die der
Wissenschaftler geschrieben und herausgegeben hat. Dort finden
sich Titel wie »Europäische Gesellschaftsverfassung« oder »Globalverfassung
«. Thematisch gesehen hätte Guttenberg auch bei
Fischer-Lescano einiges abschreiben können, doch bei dem Linken
hat er sich nicht bedient.
Im Wintersemester 2010/11 bietet Fischer-Lescano in Bremen
ein Seminar zu »Verfassungen jenseits des Nationalstaates« an.
Dazu passt Guttenbergs Dissertation. Der Professor überlegt, ob
er die Doktorarbeit als Pflichtlektüre angeben und mit den Studenten
diskutieren soll. Er entscheidet sich dagegen, setzt das Buch
aber auf seine persönliche Leseliste für die Semesterferien.
Dass Professoren innerhalb ihres eigenen Fachgebiets Plagiate
entdecken, passiert immer wieder. Sie kennen die einschlägigen
Texte am besten. So war es auch bei einem Plagiatsfall, über den
der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im April 2006 ein wegweisendes
Urteil fällte: Einem Professor der Fachhochschule Potsdam
war aufgefallen, dass eine Juristin mehrere Passagen und sogar
Überschriften aus einem seiner Werke einfach übernommen hatte.
Der Wissenschaftler informierte die zuständige Fakultät, die den
Titel aberkannte. Die Richter entschieden zugunsten der Uni. Kla-
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gen der Ex-Doktorin bis zum Bundesverwaltungsgericht blieben
erfolglos.3
Plagiatskontrollen sind auch im Bremer Jura-Studiengang schon
länger ein Thema. Größere Hausarbeiten müssen als Datei eingereicht
werden, damit der Text mit dem Computer leichter überprüft
werden kann. Immer wieder finden die Professoren Stellen,
die aus Büchern, Aufsätzen oder anderen Hausarbeiten abgeschrieben
wurden. »Das ist universitärer Alltag«, sagt Fischer-Lescano.
Es klingt lakonisch. Doch als der Professor weiter über den geistigen
Diebstahl spricht, wird seine Stimme hart und klar, als verhänge
er eine Haftstrafe, seine rechte Hand saust von oben nach
unten wie ein Fallbeil. Er versteht da keinen Spaß. Plagiate sind in
der Wissenschaft kein Kavaliersdelikt. Sie sind einer der schwersten
Verstöße gegen das Ethos der Wissenschaft.
Für Professoren sind die Täuschungsversuche von Studenten
und Doktoranden außerdem schlicht lästig. Sie kosten Zeit und
Nerven. Es dauert Stunden, eine Arbeit zu korrigieren, die 60 Seiten
umfasst. »Und dann stellt man fest, man wird von vorne bis
hinten verschaukelt – da raubt jemand meine Lebenszeit«, sagt
Fischer-Lescano. »Wenn ich den Erwischten null Punkte gebe, brechen
manche Studenten in Tränen aus.« Ein Bremer Studentenvertreter
sagt, der Professor sei beliebt, stehe aber im Ruf, ein strenger
Prüfer zu sein. Eine Kommilitonin beschreibt ihn so: »Hart,
aber fair.«
Fischer-Lescano räumt ein, dass er vorhatte, Guttenbergs Doktorarbeit
in einer Rezension zu zerpflücken. »Ich wollte Gegenthesen
zu seinem konservativen Verfassungsdenken entwickeln.«
Guttenberg ist als prominenter Politiker ein reizvoller Streitpartner.
Fischer-Lescano erwartete in Guttenbergs Buch Argumente
dafür, warum Europa für eine gemeinsame Verfassung eine europäische
Leitkultur brauche oder warum die Türkei nicht in die EU
passe. Doch der CSU-Politiker bezieht zu diesen Fragen nicht klar
Stellung. Der Text bleibt oft vage und beschreibend. Die Arbeit
erscheint Fischer-Lescano inhaltlich schwach, die Argumente
schlecht belegt. Als besonders seicht empfindet der Professor eine
Passage, in der Guttenberg kritisiert, dass die EU in ihrem Ver-
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tragswerk darauf verzichtet habe, sich auf Gott zu beziehen. »Damit
geht etwas ganz Wesentliches verloren«, behauptet Guttenberg
da im Stile eines Zeitungskommentars. Diese Stelle, vermutet Fischer-
Lescano, könnte der Politiker aus einer seiner Reden übernommen
haben.
Bevor Fischer-Lescano dem Verdacht nachgeht, verstreicht ein
weiterer Tag. Er steigt Freitagabend am Berliner Hauptbahnhof
aus dem ICE, jetzt ist zunächst die Familie dran, seine Freundin,
sein Sohn und seine kleine Tochter. In der Wohnzimmerecke liegen
Kuscheltiere aufeinander, in der Küche drängen sich Kinderteller
neben Kaffeetassen. Die weißen Wände könnten mehr
Schmuck vertragen als ein einsames Foto von Rosa Luxemburg.
Überall liegen Bücher, auf dem Schrank schauen 17 Schlümpfe
dem Treiben zu. Fischer-Lescano leidet nicht unter Langeweile.
Am Samstagabend aber ist es so weit.
Die Kinder schlafen, seine Freundin, eine Anwältin für Ausländerrecht,
arbeitet noch in der Kanzlei. Gegen zehn Uhr setzt sich
Fischer-Lescano mit einem Glas argentinischen Malbec vor den
Computer. Der Wissenschaftler blättert die Guttenberg-Stelle zur
EU und zum Gottesbezug auf, sucht einen Satzteil aus. Es muss
eine markante Passage sein, keine Allerweltsformulierung, die man
in allen möglichen Texten finden würde. Es ist kinderleicht: Oben
rechts im Internet-Browser ist das kleine Fenster zur Google-Suche,
Fischer-Lescano tippt den Halbsatz ein: »Europa, das alte wie
das neue, verdankt sich …«.
Treffer! Keine Guttenberg-Rede allerdings, wie Fischer-Lescano
vermutet hat. Die Suchmaschine wirft einen Artikel der NZZ am
Sonntag aus, einer Schweizer Zeitung. Guttenberg hat den Artikel
zu großen Teilen wörtlich übernommen, ein Hinweis darauf aber
fehlt. Davon überrascht, setzt der Professor die Suche fort. Das
Ergebnis lässt keinen Zweifel zu: An neun Stellen findet Fischer-
Lescano in Guttenbergs Doktorarbeit übernommene Passagen,
denen ein sauberer wissenschaftlicher Nachweis fehlt.
Nach Mitternacht stellt der Professor die Suche nach abgeschriebenen
Stellen ein. Das Ergebnis reicht, um von einem Plagiat
zu sprechen, denkt er. Es lässt ihm keine Ruhe. Damit hat er nicht
19
gerechnet. Am folgenden Tag, einem Sonntag, treibt ihn sein Fund
bereits um halb sechs aus dem Bett. Fischer-Lescano verfasst eine
harsche Kritik der Doktorarbeit. Der Politiker habe ein in Teilen
»dreistes Plagiat« vorgelegt, »eine Täuschung«. Es werde ein Verfahren
»zur Aberkennung des Titels einzuleiten sein«. Auch inhaltlich
biete die Dissertation wenig Neues, die Note »summa cum
laude« erscheine auch deshalb »mehr als schmeichelhaft«. Der
CSU-Politiker »zermürbe« die Leser durch seitenlangen »Politsprech
«.
Ein vernichtendes Urteil.
Erscheinen soll es in der Fachzeitschrift Kritische Justiz, in der
nächsten Ausgabe im März 2011. Der Bremer Professor ist Mitherausgeber.
Die Zeitschrift bedient ein kleines Publikum, die Auflage
liegt bei 1800 Exemplaren. Die Kritische Justiz richtet sich vor
allem an Wissenschaftler, ist aber weltanschaulich klar positioniert.
Sie steht links. Vielleicht ist diese publizistische Plattform für Fischer-
Lescanos überraschende Entdeckung doch etwas zu klein?
Der Professor könnte jetzt einen guten Rat gebrauchen.
Der Freund ist Experte
Da gibt es jemanden, der sich auskennt: Fischer-Lescanos Freund
und Kollege Felix Hanschmann. Noch am späten Abend ruft er ihn
auf dem Handy an, lässt es lange klingeln – doch Hanschmann hebt
nicht ab. Der ebenfalls 38-Jährige ist nach einem Tag mit seinen
drei kleinen Kindern früh ins Bett gefallen. Hanschmann ist aber
für die Sache, die Fischer-Lescano umtreibt, genau die richtige Adresse:
Zufällig hat sich der promovierte Jurist zwischen 2008 und
2010 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht
mit Plagiatsfällen beschäftigt, als einziger unter seinen 64 Kollegen.
Zwei Plagiatsverfahren betreute er am Verfassungsgericht,
er steckt drin in der Materie. Am Sonntag um 7.27 Uhr alarmiert
Fischer-Lescano ihn per SMS. Hanschmann, der sich an der Frankfurter
Uni habilitiert, bestärkt den Freund in seiner Einschätzung,
ein dreistes Plagiat vor sich zu haben ...