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Gewalt - Herrschaft - Religion Beiträge zur Hermeneutik von Gewalttexten
Gewalt - Herrschaft - Religion
Beiträge zur Hermeneutik von Gewalttexten




Birgit Jeggle-Merz, Michael Durst (Hrsg.)

Reihe: Theologische Berichte


Herder Verlag , Paulusverlag, Fribourg
EAN: 9783722809120 (ISBN: 3-7228-0912-6)
248 Seiten, paperback, 14 x 22cm, 2018

EUR 34,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Religionen und ihr Gewaltpotenzial unter der Lupe betrachtet

Die Offenbarungsurkunden der Religionen enthalten zahlreiche Aussagen, die gewalttätiges Handeln schildern. Das trifft für die Schriften des Judentums und des Christentums sowie auf den Koran zu. Diese Schilderungen wurden in der Vergangenheit immer wieder in subtiler Weise instrumentalisiert und werden es auch heute noch. Die Kriege, der Terror und die Angst, die die Gesellschaften der Gegenwart fest in der Zange zu haben scheinen, geben ein beredtes Zeugnis davon. Theologie darf deshalb die Debatte über Gewalt und Herrschaft in Religionen nicht abreißen lassen, um so je neu zu einem friedvollen Umgang unter allen Religionen aufzufordern. Im Herbst 2017 fand an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern eine interdisziplinäre Tagung statt, die den Fokus auf die Frage nach der Hermeneutik legte: Wie kann heute eine angemessene Hermeneutik von Gewalttexten und des damit in Verbindung stehenden Handelns aussehen? Der Band 38 der Theologischen Berichte dokumentiert diese Tagung.

Aus dem Inhalt: • Müller Wolfgang: Systematische Betrachtungen zur Frage des Gewaltpotenzials von Religion • Behloul, Samuel M.: Gewalt im Namen des Islam – Ein (Miss-)Brauch des Islam? • Vorholt, Robert: Glaube und Toleranz. Neutestamentliche Anmerkungen zu einem anscheinend schwierigen Verhältnis • Klein, Stephanie: Strukturen von Macht und Gewalt in der Kirche. Erkenntnisse aus der Forschung zur Gewalt von Heimkindern • Nay, Guisep: Staat und Kirche – Fragen und Antworten zur Religionsfreiheit • Bielefeldt, Heiner: Gewalt im Namen der Religion – Wer ist verantwortlich? • Loretan, Adrian: Wahrheit und Freiheit im Verhältnis von Staat und Religion • Jakobs, Monika: Feministische Theologie revisited. Gewalt gegen Frauen als Thema von Theologie im 21. Jahrhundert • Lenzen, Verena: «Die Tortur» (Jean Améry). Auseinandersetzung mit Gewalt und Folter in der nationalsozialistischen Verfolgung • Mark, Martin: Die Ahndung des Bundesbuchs mit äußerster Härte – Der Abfall König Zidkijas und die Zerstörung Jerusalems • Jeggle-Merz, Birgit Die sogenannten «Fluchpsalmen» im Gottesdienst der Kirche • Ries, Markus: Gewaltoffene Religiosität. Die Seeschlacht von Lepanto 1571 und ihre Folgen für die Liturgie.

Michael Durst, Dr. theol., o. Professor für Kirchengeschichte und Patrologie an der Theologischen Hochschule Chur.

Birgit Jeggle-Merz, geb. 1960, Dr. theol., Ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und Außerordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.
Rezension
In allen Epochen der Menschheitsgeschichte ist Gewalt auch im Zusammenhang von Religion zu beobachten. Obgleich in den meisten Religionen der Ruf zu Gewaltlosigkeit theologisch verankert ist, weil Frieden und Liebe zu ihren Grundintentionen gehören, gehen Gewalt und Religion bisweilen auch eine unheilige Allianz ein. Der 11. September 2001 ist zum Paradigma für religiös motivierte Gewalt und eine Gewaltbereitschaft geworden, die den Religionen immanent zu sein scheint. Fast schon reflexartig werden in der Öffentlichkeit Religion und Gewalt in einen Zusammenhang gebracht. Längst ist es allerdings nicht nur der Islam, der im Verdacht steht, Gewalt hervorzubringen und zu fördern, sondern mehr und mehr stehen alle Religionen unter Generalverdacht. Religionen haben offenbar ein ambivalentes Verhältnis zu Gewalt und Gewaltfreiheit; Religionen haben oft Gewalt überhöht und Gewaltanwendung legitimiert, Religionen haben aber auch für eine Eindämmung von Gewalt und für Frieden gestanden. Gewaltpotenzial und das Eintreten für Frieden bilden somit ein Spannungsfeld, das keine einfachen Antworten auf die Frage nach der Rolle von Religionen zulässt. Radikalisierte, fanatische und fundamentalistische Spielarten von Religion(en) setzen das Thema Religion und Gewalt auf die Tagesordnung und spätestens seit Jan Assmann wird das Thema Monotheismus und Gewalt diskutiert. In seinem Buch "Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus" geht Assmann davon aus, dass der exklusive Wahrheitsanspruch der "abrahamitischen Religionen" dazu führe, jede Abweichung von dieser Wahrheit als Irrtum oder Lüge zu entlarven und folglich – mit Gewalt – zu eliminieren. Gewalt und das Eintreten für Frieden bilden ein Spannungsfeld, das keine einfachen Antworten auf die Frage nach der Rolle der Religionen zulässt. Deswegen sind wir gefordert, uns der Frage von Gewaltfreiheit und Gewalt in den Religionen grundlegend und aus unterschiedlichen Perspektiven zu stellen. Dieser Tagungband beleuchtet aus unterschiedlichen Perspektiven das Themenfeld "Gewalt und Religion". Ihren Fokus setzte die Tagung auf die Frage der Hermeneutik: Wie ist es zu verstehen, dass die Offenbarungsurkunden der meisten Religionen Aussagen enthalten, die gewalttätiges Handeln schildern?

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Theologische Berichte 38
Die «Theologischen Berichte» erscheinen in jährlicher Folge und wollen den Leserinnen und Lesern einen guten Überblick und zuverlässige Informationen über den aktuellen Problembereich der theologischen Forschung und Diskussion bieten. Sie bemühen sich dabei, nicht nur den gegenwärtigen Stand einer Fragestellung von seiner Entstehung her dazustellen, sondern auch prospektiv auf deren weitere Entwicklung einzugehen. Damit versuchen sie, selbst ein Teil in diesem forschenden Gespräch um die im Glauben begründete Erkenntnis der theologischen Wahrheit zu sein.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 15

Zur Einführung 17

Wolfgang W. Müller
Systematische Betrachtungen zur Frage des Gewaltpotenzials von Religion 29

1. Zwei geistesgeschichtliche Ansätze 30
1.1. Karen Amstrong 30
1.2. Philippe Buc 32
Exkurs: Das Martyrium 34
2. Lösungsansatz I: Die spekulative Variante 36
3. Lösungsansatz II: Die kulturelle Variante 41
4. Fazit 44
Anmerkungen 45

Heiner Bielefeldt
Kein unabänderliches Schicksal: Gewalt im Namen der Religion 49

1. Überwindung apologetischer Reflexe 49
2. Das Problem essentialistischer Gewaltzuschreibungen 52
3. Überwindung von Essentialismen durch interne und externe Religionskritik 56
4. Zur Relevanz politischer Faktoren 61
5. Aufklärung und Vertrauen 66
Anmerkungen 69

Samuel M. Behloul
Gewalt im Namen des Islam – ein (Miss-)Brauch des Islam? 72

1. Das (un)friedliche Wesen von Religion(en) 74
2. Islam im Kontext religiöser Gewaltlegitimierung 75
3. Das Konfliktpotenzial des Islam 77
3.1. Konfliktivität nach innen und nach außen 77
3.2. Die Einbettung des Dschihad in den Kontext der Entstehung des Islam 79
3.3. Sich bemühen auf dem Wege Gottes – Verteidigung, Glaubensbeweis oder Pflicht? 80
3.4. Konfliktivität nach außen 82
4. Gewalt im Namen des Islam – ein (Miss-)brauch des Islam? 84
Anmerkungen 86

Martin Mark
Die Ahndung des Bundesbruchs mit äußerster Härte. König Zidkijas Abfall und die Zerstörung Jerusalems 88

1. Die theologische Kategorie des Bundes 88
2. Das Vertragswesen des neuassyrischen und des neubabylonischen Großreichs 89
3. Die erste Eroberung Jerusalems 90
3.1. Die judäischen Könige Joschija, Joahas und Jojakim 90
3.2. Jojakims Bundesbruch 91
3.3. Belagerung und Eroberung 91
3.4. Plünderung und Deportation 92
4. Die zweite Eroberung Jerusalems 95
4.1. Die Einsetzung Zidkijas 95
4.2. Zidkijas Bundesbruch 96
4.3. Die zweite Eroberung Jerusalems 97
4.3.1. Belagerung und Eindringen 97
4.3.2. Zidkijas Fluchtversuch 98
4.3.3. Zidkijas Bestrafung 98
4.4. Weitere Strafmaßnahmen 99
4.4.1. Zerstörung des Tempels und der Stadt 99
4.4.2. Zerstörung und Plünderung des Tempelinventars 99
4.4.3. Deportation nach Babel 100
4.4.4. Hinrichtung hochgestellter Persönlichkeiten 100
5. Einsetzung Gedaljas zum judäischen Verwaltungschef 101
6. Das Sakrileg des Bundesbruchs 102
7. Fazit: Drakonische Strafen als Reaktion auf Untreue 103
Anmerkungen 105

Robert Vorholt
Geist und Wahrheit. Skizze zu einer johanneischen Position des Ausgleichs 110

1. Einleitung 110
2. Kritische Revision 113
3. Position des Ausgleichs 116
4. Das Gespräch am Jakobsbrunnen (Joh 4,1–42) 117
5. Überwindung von Streit 120
Anmerkungen 122

Birgit Jeggle-Merz
Die sogenannten Fluchpsalmen im Gottesdienst der Kirche 124

1. Problemanzeige 124
2. Zu den Hintergründen der Streichung 126
3. Die sogenannten Fluchpsalmen – Beispiele 128
4. Zur Hermeneutik der Fluchpsalmen 131
4.1. Gewalt in der Bibel – ein Ärgernis? 132
4.2. Die sogenannten Fluchpsalmen als Ausdruck eines rachsüchtigen Gottes? 133
4.3. Die Bibel als gewaltfreie Zone? 134
4.4. Verkürzung des christlichen Gottesbildes auf den Aspekt der Liebe? 135
5. Gewalt und neuzeitliche Gesellschaft 137
6. Fluchpsalmen im Gebet der Kirche 139
6.1. Absage an liturgische Texte mit Gewaltthematik nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 139
6.2. Psalmen als Gebet oder als Impuls zum Gebet 140
6.3. Fluchpsalmen als solidarisches Gebet 141
Anmerkungen 143

Giusep Nay
Staat und Religionsgemeinschaften. Anforderungen der Zeit und der Religionsfreiheit 151

1. Einleitung151
2. Staat und Religionsgemeinschaften in der Schweiz 152
2.1. Anforderungen der Zeit 152
2.1.1. Trotz kantonaler Zuständigkeit in den Grundzügen gleiche Ordnung 152
2.1.2. Institutionelle Trennung 152
2.1.3. Anforderungen angesichts zunehmender religiöser Pluralität 153
2.2. Anforderungen der Religionsfreiheit 154
2.2.1. Unterstützung der Religionsgemeinschaften im Interesse des freiheitlichen demokratischen Staates trotz Neutralitätsgebot des Staates 154
2.2.2. Selbstbestimmungsrecht und Autonomie der Religionsgemeinschaften 155
3. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung 156
3.1. Zweistufige Anerkennung 158
3.1.1. Einfache oder kleine Anerkennung 158
3.1.2. Qualifizierte oder große Anerkennung 159
3.2. Fazit 161
4. Anerkennung weiterer, namentlich auch islamischer Religionsgemeinschaften 161
4.1. Gebot der Rechtsgleichheit 161
4.2. Rechtsanspruch auf Anerkennung 162
4.3. Politische Vorteile 163
Anmerkungen 164

Adrian Loretan
Wahrheit und Freiheit im Verhältnis von Staat und Religion. Von der Wahrheit mit Herrschaftsgewalt
(Staatsreligion) zur Freiheit mit Weltanschaulichkeitspluralismus (Liberaler Rechtsstaat) 166

1. Gewalt und Religion – eine Einleitung 166
2. Die Aufklärung 168
3. Säkulare Terrorherrschaft 170
4. Die vorkonziliare lehramtliche Position 171
5. Das Zweite Vatikanische Konzil 172
6. Die Rechtstradition der Kirche 173
7. Die moderne Rechtsbegründung 174
8. Die personale Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils 175
9. Freiheit setzt Recht voraus 176
10. Westliche Rechtsstandards oder «the rule of law» 177
11. Ausblick: «Menschenwürde» in Christentum und Islam 179
Anmerkungen 181

Verena Lenzen
«Die Tortur» (Jean Améry). Auseinandersetzung mit Gewalt und Folter in der nationalsozialistischen
Verfolgung 188
Anmerkungen 199

Stephanie Klein
Fortwirkende Stukturen von Gewalt in der Kirche. Erkenntnisse aus der Forschung zur Gewalt gegen Heimkinder 203

1. Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche in der öffentlichen Kritik 204
2. Dimensionen von Gewalt – Erkenntnisse aus der Gewaltforschung 206
3. Phänomene der Gewalt und ihre Analyse am Beispiel der Gewalt gegen Heimkinder 212
3.1. Gewalt in den Heimen 212
3.2. Deklassierung, Exklusion und das Schweigen der Kinder 213
3.3. Machtkartelle und Allianzen 216
3.4. Die gesellschaftliche Botschaft von Gewalt 220
4. Friedensförderndes Handeln – ein Ausblick 222
Anmerkungen 223

Monika Jakobs
Feministische Theologie revisited. Gewalt gegen Frauen als Thema von Theologie
im 21. Jahrhundert 226

1. Feministische Theologie im 20. Jahrhundert 228
1.1. Gewalt als Thema feministischer Theologie 228
1.2. Hermeneutische Modelle für den Umgang mit «schwierigen» Texten 230
1.2.1. Das antijudaistische Deutemodell 230
1.2.2. Das kulturell-historische Deutemodell 230
1.2.3. Hermeneutik der Glaubensgemeinschaft (Elisabeth Schüssler-Fiorenza) 231
1.3. Sind Frauen das friedliche Geschlecht? Die Diskussion um die Bedeutung des Kreuzes 232
2. Heutige Herausforderung der feministischen Perspektive 234
2.1. Gender und Intersektionalität als Analyseinstrumente differenzierter Lebenswelten 234
2.2. Postkoloniale feministische Theologie 236
2.3. Religiöse Pluralität: Frauenfeindlich sind immer die anderen 238
3. Ist der feministische Standpunkt in der Theologie überholt? 241

Literaturverzeichnis 243
Anmerkungen 246
Herausgeber und Autoren 247