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Geronnene Lava Texte zu politischem Totenkult und Erinnerung
Geronnene Lava
Texte zu politischem Totenkult und Erinnerung




Reinhart Koselleck

Suhrkamp
EAN: 9783518587966 (ISBN: 3-518-58796-X)
572 Seiten, hardcover, 15 x 22cm, April, 2023

EUR 38,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Gestorben wird allein, zum Töten des anderen gehören zwei. Die Fähigkeit des Menschen, seinenesgleichen umzubringen, konstituiert vielleicht mehr noch menschliche Geschichte als seine Grundbestimmung sterben zu müssen.“
Rezension
Reinhart Koselleck (1923-2006) gehörte zweifelsohne zu den führenden Vertretern der Geschichtstheorie in der Bundesrepublik Deutschland. Bekanntheit erlangte der ab 1973 an der Universität Bielefeld wirkende Professor für Theorie der Geschichte durch seine Bücher „Kritik und Krise“(1973, 16. Aufl. 2023), „Vergangene Zukunft“(1979), „Zeitgeschichten“(2003), „Begriffsgeschichten“(2006), „Vom Sinn und Unsinn der Geschichte“(2010) und durch das von ihm mitherausgegebene neunbändige Lexikon „Geschichtliche Grundbegriffe“(1972-1997). In seinen Schriften zeigt Koselleck die Notwendigkeit und Produktivität einer Historik nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Dabei hat er sich auch eingeschaltet in politische Debatten um die Denkmalkultur, zum Beispiel um die „Neue Wache“ und um das Holocaustmahnmal in Berlin.
Kosellecks Beiträge zu historischen Denkmalen und zur Erinnerungskultur sind anlässlich seines 100. Geburtstags im Suhrkamp Verlag unter dem Titel „Geronnene Lava. Texte zu politischem Totenkult und Erinnerung“ erschienen. Herausgegeben werden die 36 Texte von dem Historiker Manfred Hettling (*1956), dem Kunsthistoriker Hubert Locher (*1963) und der Ethnologin Adriana Markantonatos (*1982). 34 Aufsätze des Geschichtstheoretikers wurden zwischen 1979 und 2010 in Sammelbänden, Büchern, wissenschaftlichen Organen und Tageszeitungen publiziert. Zwei autobiographische Texte „Individuelle und kollektive Erinnerung“ und „Geronnene Lava. Erinnerungen an Krieg und Gefangenschaft (1965-2004)“ des Sammelbands stammen aus dem Nachlass Kosellecks im Deutschen Literaturarchiv Marbach; diese werden nun erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der für die neue Aufsatzsammlung gewählte Titel „Geronnene Lava“ spielt auf Kosellecks Unterscheidung zwischen „Primärerinnerung“ und „Sekundärerinnerung“ an. Die Primärerinnerung bezeichnete der Geschichtstheoretiker als „geronnene Lavamasse, die in den Leib gegossen und unverrückbar bleibt“(S. 431). Koselleck liefert in seinen Texten aufschlussreiche Analysen zur politischen Ikonologie von Kriegerdenkmalen und zur Anthropologie des Totenkults, positioniert sich klar in Denkmalskontroversen der Bundesrepublik Deutschland, elaboriert Strukturmerkmale von Erinnerungsprozessen. Außerdem gibt der Historiker Einblicke in seine Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg und im russischen Gefangenenlager nach Kriegsende. Lehrkräfte des Faches Geschichte werden durch das vorliegende Buch motiviert, sich in ihrem Unterricht mit historisch-politischen Denkmalen und Erinnerungsprozessen problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Reinhart Kosellecks Sammelband „Geronnene Lava“ leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über Probleme und blinde Flecken deutscher Erinnerungskultur.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Reinhart Koselleck
Geronnene Lava
Texte zu politischem Totenkult und Erinnerung
Herausgegeben von Manfred Hettling, Hubert Locher und Adriana Markantonatos

Der »gewaltsam Umgebrachten« zu gedenken, gehört zum Kern der politischen Kultur. Reinhart Koselleck hat mit seinen wegweisenden Arbeiten zum »Totenkult« ein neues Forschungsfeld erschlossen: die europäischen Denkmalslandschaften in ihrer ganzen historischen, ästhetischen und politischen Komplexität. Ob es sich um Opfer für das Vaterland oder um solche von Kriegen und Gewaltherrschaft handelt, ob Menschen in Bürgerkriegen und Revolutionen oder durch Staatsverbrechen, politischen oder religiösen Terror umgebracht wurden – alle sind »getötete Tote«. Ohne ihrer zu gedenken, so der Humanist Koselleck, ist ein Weiterleben nicht möglich.
Der Band versammelt Kosellecks Aufsätze zum politischen Totenkult, publizistische Beiträge zu den Debatten über die »Neue Wache« und das Holocaustmahnmal in Berlin, theoretische Überlegungen zum Erinnerungsbegriff und unveröffentlichte autobiografische Notizen über seine Erfahrungen in Krieg und russischer Gefangenschaft. In Distanz zur populären »Erinnerungskultur« betonen sie die Unhintergehbarkeit der Differenz zwischen individueller Erfahrung und kollektiven Erinnerungskonstruktionen. Die Historie soll solche kollektiven Identitäten nicht stiften, sondern kritisch analysieren. Darin liegt für Koselleck die Aufgabe der Geschichtswissenschaft.
Inhaltsverzeichnis
I. Historische Analysen zum politischen Totenkult
und zur politischen Ikonologie 9
Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden 11
Daumier und der Tod 52
Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in
der Moderne 74
Zur politischen Ikonologie des gewaltsamen Todes. Ein
deutsch-französischer Vergleich 93
Anmerkungen zum Totenkult in Wien 141
Die bildliche Transformation der Gedächtnisstätten in der
Neuzeit 148
Die Demokratisierung des Reiters. Vom dynastischen zum
nationalen Totenkult 183
Der Unbekannte Soldat als Nationalsymbol im Blick auf
Reiterdenkmale 207
Politische Sinnlichkeit und mancherlei Künste 236
II. Zu bundesrepublikanischen
Denkmalskontroversen 251
Bilderverbot. Welches Totengedenken? 253
Stellen uns die Toten einen Termin? Die vorgesehene
Gestaltung der Neuen Wache wird denen nicht gerecht,
deren es zu gedenken gilt 259
»Mies, medioker und provinziell« 268
Welches Gedenken? 274
Bundesrepublikanische Kompromisse. Die Deutschen und ihr
Denkmalskult 280
Vier Minuten für die Ewigkeit. Das Totenreich vermessen –
Fünf Fragen an das Holocaust-Denkmal 286
»Denkmäler sind Stolpersteine« 293
Erschlichener Rollentausch. Das Holocaust-Denkmal im
Täterland 301
Reflexion und Heimatkunde 308
Die falsche Ungeduld. Wer darf vergessen werden? Das
Holocaust-Mahnmal hierarchisiert die Opfer 316
Die Widmung. Es geht um die Totalität des Terrors 325
III. Die Subjektivität und Diskontinuität von
Erinnerung 333
Primärerfahrung und sekundäre Erinnerungen 335
Das Dritte Reich des Traums. Nachwort 346
Vielerlei Abschied vom Krieg 361
Die Diskontinuität der Erinnerung 370
Gebrochene Erinnerung? Deutsche und polnische
Vergangenheiten 388
Gibt es ein kollektives Gedächtnis? 405
Erinnerungen an das Dritte Reich 412
Ich war weder Opfer noch befreit 429
Über Krisenerfahrung und Kritik 437
IV. Geronnene Lava. Autobiographische Notizen 449
Krieg 454
Gefangennahme 462
Arbeitslager 1945, Karaganda 477
Lazarettlager Spassk 480
Allgemeines zur Gefangenschaft 491
Heimkehr 505
Träume 512
Nachwort – Reinhart Kosellecks Analysen zum Nachleben
kriegerischer Gewalt im politischen Totenkult 515
Editorische Notiz 543
Textnachweise 545
Bildnachweise 549
Begriffs- und Sachregister 553
Ortsregister 561
Namenregister 565