lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Georg Weerth (1822 – 1856). Ein Lebensbild  Herausgegeben von Bernd Füllner

Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen - Band 39
Georg Weerth (1822 – 1856). Ein Lebensbild


Herausgegeben von Bernd Füllner



Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen - Band 39

Bernd Füllner (Hrsg.), Marie Weerth

Reihe: Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen - Reihe TEXTE


Aisthesis Verlag Bielefeld
EAN: 9783895287596 (ISBN: 3-89528-759-8)
451 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2009

EUR 39,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Mein Onkel nahm auf der Haustreppe Abschied von meiner sehr traurigen Mutter, streichelte mir das Blondhaar u. stieg zu meinem Vater in den Wagen, indem er sich bis zuletzt mit meinem Bruder neckte.“



Georg Weerths Nichte Marie Weerth hat mit ihrem „Lebensbild“ (um 1910) eine bewegende Biographie in Briefen verfasst. Sie stützt sich auf die Familienbriefe und unterfüttert diese mit eigenen Erinnerungsfetzen und Überlieferungen aus einer der bekanntesten Detmolder Familien. Marie Weerths Biographie liefert ein authentisches Bild ihres Onkels, des Schriftstellers, politischen Redners und Kaufmanns Georg Weerth. Ihre Darstellung ist getragen von einer großen Verehrung und Liebe. Doch bei aller Sympathie für Weerths soziales Engagement und Eintreten für die Interessen der Arbeiter verleugnet sie nie ihre prinzipiellen Probleme mit Weerths starker Einbindung in Marx’ Projekt der „Neuen Rheinischen Zeitung“.



Marie Weerths „Lebensbild“ enthält umfangreiche Briefabschriften aus der Familienüberlieferung, die über Weerths Verhältnis zur Familie, aber auch zu befreundeten Schriftstellern und Politikern informieren. Neben Weerths Rede auf dem Freihandelskongreß im Brüssel im September 1847 nehmen Weerths Spanienreise und seine beiden Überseereisen, sei es per Maultier, Pferd, Kutsche, Eisenbahn oder Schiff, einen großen Raum ein. Die einzelnen Lebensabschnitte werden mit Schilderungen der Autorin eingeleitet, in denen sie manches authentische Material ausbreitet.



Bernd Füllner, geboren 1950, Dr. phil., ist Projektleiter der Digitalisierungsprojekte „Heinrich-Heine-Portal“ am Heinrich-Heine-Institut und des „Grabbe-Portals“ der Lippischen Landesbibliothek Detmold, Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Bergischen Universität Wuppertal und Vorstandsmitglied des Forum Vormärz Forschung e.V. Veröffentlichungen zur Literatur des Vormärz und zur digitalen Edition; (Mit-)Herausgeber der Bände: Briefkultur im Vormärz (Aisthesis 2001), Deutsch-französischer Kulturtransfer im Vormärz (Aisthesis 2002), Heinrich Heine: „… und grüßen Sie mir die Welt“. Ein Leben in Briefen (2005),. „Von Sommerträumen und Wintermärchen“. Versepen im Vormärz (Aisthesis 2007) und Verfasser der Georg-Weerth-Chronik. 1822-1856 (Aisthesis 2006).
Rezension
Marie Weerths Biographie liefert ein authentisches Bild ihres Onkels, des Schriftstellers, politischen Redners und Kaufmanns Georg Weerth. Georg Weerths Nichte Marie Weerth hat mit ihrem „Lebensbild“ (um 1910) eine bewegende Biographie in Briefen verfasst. - Der deutsche Schriftsteller, Satiriker, Journalist und Kaufmann Georg Ludwig Weerth (geb. 1822 in Detmold, Lippe; gest. 1856 in Havanna, Kuba), Sohn eines Pfarrers und Generalsuperintendenten, ist heute nur wenigen bekannt. - Neben einer kaufmännischen Lehre macht er sich mit der Literatur vertraut und wird in freisinnigen Dichterzirkel und durch seine berufliche Tätigkeit u.a. im England der Industrialisierung für das Thema der Sozialen Frage sensibilisiert und lernt die Armut und Not der Arbeiter in den Textilfabriken kennen. In seiner Zeit in England macht Weerth Bekanntschaft mit Friedrich Engels und trifft auf einer Reise nach Belgien im Sommer 1845 auch Karl Marx. Er schließt sich der kommunistischen Bewegung an, deren Weltbild sich in seinen Gedichten widerspiegelt.
Engels benennt Weerth als ersten und bedeutendsten Dichter des deutschen Proletariats. Im April 1848 geht er mit Engels und Marx nach Köln, um bei der Gründung der Neuen Rheinischen Zeitung mitzuhelfen, an der er als Redakteur mitarbeitet. Übergesiedelt stirbt Georg Weerth 1856 erst 34-jährig in Havanna. Dieses Buch bietet einen kompakten Einblick in Weerths literarisches Werk.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Georg Weerth. 1822 – 1856. Ein Lebensbild 1
1. Kindheit 1822 – 36 3
2. Die Lehrjahre 1836 – 40 9
3. Köln 1840 – 42 14
4. Bonn 1842 – 43 19
5. Zwei Reisen nach England 30
6. Bradford 1843 – 45 37
7. Brüssel 1846 – 47 83
8. Der Freihandels-Kongreß in Brüssel 1847 120
9. Die Revolutionszeit 1848 – 49 137
10. Schnapphanski 163
11. Kaufmännische Tätigkeit 1849 – 52 169
Spanische Reise 182
Zwischen zwei Reisen 1851 – 52 210
12. Amerikanische Reise 1852 – 55 246
13. In Europa 1855 357
14. Zweiter Aufenthalt in Amerika 1855 – 56 363
15. Der Tod 384
Anhang 387
Abbildungen 389
Zur Edition 398
Überlieferung 409
„… der Name George ist mir immer besonders lieb gewesen“.
Erinnerungsarbeit in der Familie Weerth. 413
Bibliographie Marie Weerth 419
Abkürzungen und diakritische Zeichen 420
Literaturverzeichnis 422
Nachwort und Dank 424
Lebensdaten 1822 – 1856 425
Briefkonkordanz 437
Register 443


Leseprobe:
1. Kindheit 1822 – 361
Am 17. Februar 1822 wurde dem Generalsuperintendenten Weerth auf der
Wehme zu Detmold sein Sohn Georg geboren. Wie der Nachbarsjunge Ferdinand
Freiligrath war auch Georg Weerth Lipper von Geburt und Rheinländer
von Geblüt; denn seine Eltern stammten aus den Rheinlanden, der Vater aus
Gemarke bei Barmen, die Mutter aus Mühlheim am Rhein. Vor 17 Jahren war
der Vater, der erste seiner Familie, der sich einem gelehrten Berufe widmete,
von der Fürstin Pauline als Generalsuperintendent und oberster Leiter des
Schulwesens nach Detmold berufen, u. als er in die neuen Verhältnisse eingelebt
war, holte er sich die Geliebte seines Herzens, die er schon vor Jahren
im Hause des Predigers Rauschenbusch in Elberfeld kennen gelernt hatte, als
Gemahlin in sein Haus. 3 Kinder waren bis jetzt dieser Ehe entsprossen: Karl
geb. 1812, Charlotte geb. 1814 und Wilhelm geb. 1815. Georg, der nächste in
der Reihe kam so in einen Kreis älterer Geschwister; 3 Jahre später erschien
als jüngster der Familie der nach dem Vater benannte Ferdinand. [2] Das
Familienleben war überaus glücklich. Zwar war der Vater durch Berufsgeschäfte
so sehr in Anspruch genommen, daß er sich den Kindern weniger als
er wünschte, widmen konnte; meist sah er sie nur bei den Mahlzeiten und in
den Abendstunden, wenn er von des Tages Last und Arbeit ausruhte. Aber
dann ging der ernste Mann gern auf ihre kindlichen Ideen ein, ließ sich erzählen
und ergötzte sich mit rheinischem Humor an ihren drolligen Einfällen. So
herrschte volles Vertrauen zwischen Vater und Kindern, sie hatten Ehrfurcht
aber keine Furcht vor ihm. Harmlose Fröhlichkeit ließ keins derselben empfinden,
daß sie in strenger Zucht gehalten wurden.
Als Georg 8 Jahre alt war, wurde durch des Vaters Krankheit und zunehmende
Kränklichkeit das Haus stiller, und die Mutter hätte wohl kaum allen
auf ihr ruhenden Pflichten genügen können, wenn sie nicht an der Tochter
eine treue Gehülfin gehabt hätte. Lotte war in Berlin im Hause ihres Oheims
des Bischof Roß mit dessen jüngster Tochter zusammen erzogen und hatte
einen Unterricht genossen, wie das in Detmold nicht möglich gewesen wäre,
hatte auch allerlei schöne Künste gelernt und sich feine gesellschaftliche
Manieren angeeignet – aber einfach, natürlich und anspruchslos wie sie [3]
nach Berlin gegangen, kehrte sie zurück. Den Brüdern war sie die zärtlichste
Schwester, scherzte und neckte sich mit ihnen, half ihnen in kleinen Nöten,
1 In der Originalhandschrift wird über der Kapitelüberschrift der Titel: „Georg
Weerth. 1822 – 1856.“ wiederholt.
4
5
10
15
20
25
30
35
40
und die beiden Kleinen, Georg und Ferdinand half sie erziehen. 1835 verheiratete
sie sich mit dem Pastor August v. Cölln in dem benachbarten Schötmar.
Die Mutter war es, welche die Erziehung vorzugsweise in die Hand nahm,
und sie war wohl befähigt dazu. Klug und tatkräftig, tief religiös und sittenstreng,
dabei schalkhaft fröhlich und von einer wissenschaftlichen Bildung,
wie man sie damals bei Frauen selten fand, war sie eine vortreffliche Hausfrau,
die dem großen Hauswesen mit landwirtschaftlichem Betrieb vorzüglich
vorstand, dem Gatten eine verständnisvolle Gefährtin, den Kindern wie es der
Augenblick erforderte, die strenge Erzieherin oder der fröhliche Kamerad,
immer aber die liebevolle Mutter.
Georg muß zwar seinen Brüdern sehr ähnlich gewesen sein, denn sein
Freund Büsing, der ihn in Havanna zu Tode gepflegt hatte, erkannte an der
Ähnlichkeit zwei von ihnen, als er sie einige Jahre später zufällig in der
Eisenbahn traf, an einem Orte, wo er sie nicht vermuten konnte. Dennoch
wird berichtet, daß Georg sich als Kind sehr [4] von ihnen unterschied und
nicht allein dadurch, daß er blond und die Brüder rote Haare hatten. Er
glich am meisten dem Vater in Natur und Gesichtsschnitt, und die Mutter hat
oft erwähnt, daß er auch geistig am meisten Ähnlichkeit mit ihm gehabt hätte.
Doch entwickelte er sich langsam, und auf der Schule zeichnete er sich nicht
sonderlich aus, wenn er auch die Klassen des Gymnasiums bis in die Sekunda
regelrecht absolvierte – seine älteren Brüder galten für intelligenter. Mit der
Orthographie stand er auf gespanntem Fuße – noch während seiner Lehrjahre
machte ihn die Mutter öfter auf Schreibfehler aufmerksam – die lateinische
Grammatik liebte er ebenso wenig wie den Cicero. Er war ein Träumer,
erschien wohl manchmal teilnahmslos; hat aber später bewiesen, daß er auf
dem Gymnasium gute Kenntnisse gesammelt hatte, auf denen er weiter bauen
und sich zu bedeutender wissenschaftlicher Bildung heraufarbeiten konnte.
Von den Lehrern sind besonders der Direktor Möbius und Chr. Falkmann
wichtig für Georg geworden. Möbius, ein hervorragender Altphilologe, fesselte
ihn durch den Homer. Er war ein etwas sonderlicher Mann, der seinen
Schülern manches Lächeln abzwang. Wie groß trotzdem Georgs Verehrung
für ihn gewesen, spricht sich lebhaft in dem Gedichte „der Schulmeister“ aus.
[5] Falkmann, der sich in weiteren Kreisen durch sein stilistisches Elementarbuch
und das Hülfsbuch bekannt machte, war ein ganz vorzüglicher Lehrer
der deutschen Sprache. Grabbe und Freiligrath, Georg Weerth und Theodor
Althaus, Rudolf Cruel (Verfasser von „Gedichten eines alten Schulmeisters“)
und Theodor Piderit (Verfasser von „Mimik und Physiognomik“ und von verschiedenen
Dramen) waren seine Schüler, und eine Menge anderer, die zwar
nicht Dichter und Schriftsteller gewesen sind, aber in Briefen, Berufsarbeiten,
Predigten eine große Beherrschung der Sprache und Gewandtheit im Ausdruck
gezeigt haben.
5
5
10
15
20
25
30
35
40
Der Generalsuperintendent Weerth hielt dafür, daß Handarbeit auch für
Knaben sehr wünschenswert sei. Seine Söhne mußten deshalb in Freistunden
bei einem ehrbaren Buchbinder dessen Handwerk lernen. Georg hat fleißig
geklebt und gepappt, daß er zu Festtagen kleine, selbstgemachte Geschenke
verteilen konnte – das Schenken war ihm schon als Kind eine Herzensfreude.
Doch kam er zu früh von Haus fort, um es in diesem Handwerk weit zu
bringen.
War Georg ein Träumer, so hinderte ihn das doch keineswegs, an körperlichen
Übungen und allerlei Sport seine Freude [6] zu haben. Ganz glücklich
war er, als am Gymnasium Turnstunden eingerichtet wurden und dann als
man in der Werre eine Badeanstalt eröffnete. Im Winter (in seinen Kinderjahren
waren ganz besonders strenge Winter) wurde dem Eissport gehuldigt,
auf dem Burggraben Schlittschuh gelaufen oder von den Abhängen herunter
gerodelt, oder man fuhr die kleinen Freundinnen im Schlitten. Der Sommer
aber bot mancherlei Vergnügungen. Die Gärten und der Baumhof der
Superintendentur mit den herrlichen alten Bäumen boten fröhliche Arbeit: Da
wurde gepflanzt und gesäet in den Bäumen herum geklettert, das Obst abgenommen,
die aromatischen Bergamotten, die Roggenäpfel, Peppins2 u.s.w.
Am meisten hing Georgs Herz an den von ihm selbst gepflanzten Weinstöcken,
die das Haus an der Gartenseite umrankten. Als nach des Vaters Tode die
Familie ausziehen mußte, schrieb der Junge in eifersüchtiger Regung: „Hackt
die Weinstöcke ab.“ Diese Weinstöcke in fremden Händen zu wissen, das war
zu schmerzlich, obgleich der Nachfolger seines Vaters, Pastor Althaus, ein
Freund der Familie, ihn selbst konfirmiert hatte und er der Spielkamerad von
dessen Kindern war. Die Weinstöcke blieben aber stehen.
Den Eltern war es sehr recht, daß die Kinder sich frei entwickelten, – zu
großer [7] Waghalsigkeit wußte die Mutter wohl zu steuern. Einstmals als
die lieben Jungen auf dem Scheunendach ihre Turnübungen machten, wartete
sie ganz geduldig unten mit der Rute in der Hand, bis sie herunterkamen;
ein Anruf hätte die Kinder erschrecken und in die Tiefe stürzen können.
Was ein Mutterherz in solchen Augenblicken leidet, darüber schweigt die
Geschichte – das Dach aber wurde nie wieder der Ort der kindlichen Spiele.
Die Umgegend von Detmold, die Berge und Buchenwälder lockten natürlich
manchmal in die freie Natur, und diese Streifereien waren für Georg
umso genußreicher, weil sein Bruder Karl, der später das Naturwissenschaftliche
Museum in Detmold gründete, schon als Schüler und Student ein eifriger
Naturforscher war. Für ihn sammelten auch die jüngeren Brüder gern
Pflanzen und Steine und allerlei kleines Getier; Georg legte sich selbst eine
2 Alte Appfelsorte (vgl. Georg Friedrich Most: Enzyklopädie der Volksmedizin
Medizin. 1843).
6
5
10
15
20
25
30
35
40
Eiersammlung an. Die Beobachtungsgabe wurde dadurch geschärft, und die
Liebe zur Natur blieb nicht eine unklare Schwärmerei wie bei so vielen anderen,
sondern Georg lernte schon als Kind ihre Gesetzmäßigkeit begreifen
und bekam Ehrfurcht vor ihrer Größe und Mannigfaltigkeit. Zuweilen wurden
auch größere Ausflüge unternommen. [8] Solange der Vater noch kräftig
war nahm er wohl eins oder zwei von den Kindern mit, wenn er bei seinen
Inspektionsreisen das Haus eines befreundeten Pfarrers aufsuchen wollte.
Später nach der Verheiratung der Schwester waren die Knaben häufige Gäste
im Schötmarer Pfarrhause. Die herrlichste Ferienreise machte Georg aber
im Sommer 1835 mit einigen Freunden: Bei dem Pfarrherrn in Langenholzhausen
fanden sie gastliches Quartier und wanderten weiter mit dem Ranzen
auf dem Rücken nach Rinteln und Eisbergen und am Weserufer entlang. Ein
andres Mal ging die Reise über Barntrup nach Pyrmont und über Schieder
zurück. Ganz begeistert war Georg von solcher Wanderung, die Erinnerung
daran gehörte zu den schönsten seines Lebens.
Die Lipper sind bekannt wegen ihrer Wanderlust, überall in der weiten Welt
trifft man sie an. Auch Freiligrath und Georg Weerth wurden davon ergriffen,
ersterer ließ seine Phantasie in ferne Welten schweifen, Georg wurde aber ein
wirklicher Weltreisender. Dieser Zug in die Ferne wurde jedenfalls durch die
Lektüre der Odyssee gestärkt und in bestimmte Bahnen gelenkt – gerade Seefahrten
sind es, die Georg Weerth nachher immer besonders angezogen haben.
Sogar in den Träumen beschäftigte er sich damit. Einmal träumte er, daß er
bei Cuba Schiffbruch litte, ein andres Mal in den Fieberphantasien seiner
schweren Krankheit, daß er unter Palmen begraben würde. [9] Es kamen aber
noch mancherlei Beziehungen hinzu, die den Blick aus dem engen Kreise des
kleinen Kindchens hinaus in die Ferne zogen. Der Pastor Burgmann, Georgs
Großvater mütterlicherseits war, ehe er nach Mühlheim kam Judenmissionar
und Prediger in London gewesen, und dahin kehrte sein ältester Sohn, George
zurück und brachte es in den Napoleonischen Kriegen als General-Kommissar
der Flotte im Mittelländischen Meere durch Tüchtigkeit und Redlichkeit
zu hohem Ansehen und Würden. Nach ihm war Georg Weerth benannt. Was
Wunder, daß die Briefe des Genies, der mit der Schwester in lebhafter Korrespondenz
stand, und seine Schilderungen des englischen Lebens ihn ungeheuer
interessierten! Manchmal erzählte die Mutter auch von ihrer Schwester
Sophia Albrecht, die als Missionarin nach Südafrika gegangen war und mit
ihrem Gatten bis an den Tod segensreich unter den Hottentotten gewirkt hatte.
Oft kam auch Besuch von auswärts, z.B. der Oberpräsident v. Vincke aus
Münster, der Georg zur Taufe gehalten hatte, und der Ministerialdirektor v.
Meyer aus Kassel, beide Universitätsfreunde des Generalsuperintendenten.
Vor allem der Bischof Roß, der Gemahl seiner einzigen Schwester, der auf
den Reisen, die er alljährlich von Berlin in seine [10] Diözese Rheinland
7
5
10
15
20
25
30
35
40
und Westfalen unternahm, nicht verfehlte bei dem Schwager einzukehren. Da
konnten die Knaben bei den gemeinsamen Mahlzeiten manchem interessanten
Gespräche lauschen, der sie zu weiterm Nachdenken veranlaßte.
Von größter Bedeutung waren für Georg die äteren Brüder. Wilhelm, der
6 Jahr älter war als er, stand ihm am nächsten. Die beiden hatten ein gemeinsames
Schlafzimmer, wodurch allein schon größere Vertraulichkeit veranlaßt
wird; sie waren sich wohl auch im Charakter am meisten verwandt. 1834
bezog Wilhelm allerdings die Universität Jena, später Göttingen als Student
der Theologie, und der Vater gestattete nur kurze Ferien. Zudem machte Wilhelm
mehrmals Ferienreisen, die ihn nicht in die Heimat führten: einmal eine
Fußtour von Jena nach Prag, dann ebenfalls zu Fuß an den Rhein – aber seine
Briefe enthielten herrliche Schilderungen. Auf des Vaters Wunsch, der sein
Ende nahe fühlte, verbrachte er den ganzen Sommer 1836 in Detmold. Karl,
der Naturwissenschaftler begeisterte sich mit seinen Freunden als Student für
ein großes, einiges deutsches Vaterland und entging nur mit Mühe der damaligen
Demagogenhetze. Durch ihn wurde wohl zuerst der Patriotismus [11]
in Georg geweckt. Zu den historischen Erinnerungen, die sich an den Teutoburger
Wald knüpfen, die Hermannsschlacht und Karls des Großen Sachsenkriege
fand diese vaterländische Gesinnung reiche Nahrung.
Erwähnt werden muß auch, daß Georg in Detmold viel gute Musik hörte.
Der Fürst war ein großer Theaterliebhaber, er ließ ein schönes, neues Theater
erbauen und hielt eine vergnügliche Kapelle, deren Konzerte von den Detmoldern
fleißig besucht wurden. Ins Theater ging der Generalsuperintendent
selbst nicht, um nicht als Geistlicher bei frommen Seelen Anstoß zu erregen,
erlaubte aber seinen Kindern, dreimal im Jahr guten Vorstellungen, beizuwohnen.
Im Familienkreise fehlte die Musik nicht, die Mutter und Schwester
spielten Klavier – letztere hatte auch eine hübsche, geschulte Stimme – Karl
spielte die Flöte und Wilhelm die Gitarre.
In Georgs Elternhause galt kein Ansehn der Person nach Rang und Reichtum.
Dem Vornehmen wurde die gebührende Höflichkeit gezollt, Achtung
hegte man für jeden Braven, Freundschaft für alle wirklich edlen Menschen.
Dem Generalsuperintendenten galt es als schönste Aufgabe, für die Belehrung
des armen, unwissenden Volkes, mit dem er das größte [12] Mitleid
hatte zu sorgen; darum wurde er der Reorganisator des Volksschulwesens
in Lippe. Dieses Mitleid mit den Armen lebte von klein auf in Georg. Er
nahm schon als Schüler stets Partei für die Unterdrückten, sodaß ihn der Vater
scherzhaft den Ritter Jürgen nannte. Daß Georg manchmal mit dem gleichaltrigen
Erbprinzen, dem späteren Fürsten Leopold III. spielte, änderte daran
nichts. Er muß aber wohl ein liebenswürdiger Spielkamerad gewesen sein.
Als der Fürst 1855 eine Reise nach Paris gemacht hatte und nachher hörte,
daß Georg Weerth gleichzeitig dort gewesen wäre, und in der Oper in seiner
8
5
10
15
20
Nähe gesessen hätte, bedauerte er, ihn nicht gesehen zu haben, denn „er hätte
Georg Weerth immer sehr lieb gehabt.“ Ob er von Georgs sozialpolitischen
Bestrebungen nichts erfahren hatte? Das scheint bei der Kleinheit des Fürstentums
kaum wahrscheinlich.
Fassen wir nun zusammen, was Georg aus dem Elternhause mit hinaus
nahm ins Leben. Er hatte eine gesunde Seele in gesundem Körper. Ein scharfer
Verstand und gute Beobachtungsgabe verband sich mit lebhafter Phantasie
und einem weichem Herzen. Pflichtgefühl und Frömmigkeit beseelten ihn,
tiefe Liebe zu Heimat und Vaterland, [13] aber Haß gegen alle Unterdrückung,
Heuchelei und Hochmut. Er ließ sich wohl zu tollen Streichen hinreißen,
trug aber geduldig die Strafe – wie denn Gerechtigkeitssinn und Offenheit
hervorragende Eigenschaften bei ihm waren. Seine Mutter schrieb ihm
noch ein Jahr vor seinem Tode: „Das habe ich Dir – selbst nach manchen
ehemaligen Knabenstreichen – immer rühmlichst nachsagen können: Du hattest
ihrer kein Hehl, und es fanden Deine Bekenntnisse deshalb auch immer
Glauben bei mir.“ Dazu kam eine ungewöhnliche Arbeitskraft, Gewandtheit
im Ausdruck, gefällige Manieren. Er hatte Freude an allem Schönen, liebte
Scherz und Humor. Alle Anlagen finden wir schon im Kinde, die den Mann
später auszeichneten, sie fanden im Leben ihre reiche Entfaltung, der Glaube
an die Dogmen der christlichen Kirche ging ihm auf dem Lebenswege verloren;
die tiefe Religiösität seiner Eltern wandelte sich in ihm zur Begeisterung
für alles Gute und Wahre.
==================
10
15
20
25
30
35
40
[14]
2. Die Lehrjahre 1836 – 40
Georg hatte selbst den Wunsch, Kaufmann zu werden; das schien ihm der
beste Weg, die Welt kennen zu lernen. Und der Vater war wohl damit einverstanden,
weil er sein nahes Ende voraussah und er erwarten durfte, daß Georg
als Kaufmann schneller denn als Studierter auf eigenen Füßen würde stehen
können. Seine rheinischen Verwandten waren mit Ausnahme des Bischof Roß
sämtlich Kaufleute oder Fabrikanten, und durch sie wurde ihm für Georg eine
Lehrlingsstelle in dem Geschäft von Brink & Co. in Elberfeld angeboten. Zu
langer Überlegung war nicht Zeit. Kaum hatte die Mutter die Kleidung und
Wäsche in Ordnung gebracht, da trat der 14jährige die Reise an, bis Paderborn
von seinem Bruder Wilhelm begleitet.
So einfach wie jetzt war solche Reise damals nicht, sie dauerte 3 Tage –
allerdings hielt er sich eine Nacht bei dem Bruder seiner Mutter Dr. Burgmann
in Lennep auf. Am 19. Sept. 1836 kam er an seinem Bestimmungsorte
an, aber ohne alle Effekten, weil die wohllöbliche Post vergessen hatte, den in
Paderborn aufgegebenen Mantelsack zu expedieren. Doch der Vetter Richard
Peill, dem Georg ganz besonders empfohlen war, nahm sich seiner getreulich
an und focht es auch durch, daß er für den nachgesandten [15] Mantelsack
nicht zu zahlen brauchte, wie die Post es verlangte. Überhaupt agierte Rich.
Peill wie ein Vormund für Georg; an ihn schickten die Eltern das Geld, an
ihn mußte Georg seine Rechnungen abliefern und von ihm sich jeden Monat
seinen Gulden Taschengeld holen.
Georg gefiel es in Elberfeld ausnehmend. Alles war ihm neu und reizte ihn.
Die Verwandten und Freunde der Eltern nahmen ihn mit offnen Armen auf,
die Tante Peill mit ihren Söhnen und Töchtern, die Familien de Werth, Rittershaus,
Rauschenbusch, Ball, der alte Eller, der einstmals mit Georgs Vater auf
die Universität gegangen war, nur um sich nicht von dem Freunde zu trennen,
und noch manche andere, auch Ferdinand Freiligrath. Mit Feuereifer stürzte
er sich in das Geschäft, mit Begeisterung kopierte er die Briefe – zunächst
seine hauptsächlichste Arbeit – und versetzte sich in Gedanken in die Gegenden,
wohin sie gerichtet waren. Er fand das Kaufmannsleben hoch poetisch.
Für Heimweh war kein Raum, kaum fand er Zeit an die Heimat zu denken.
Da bekam er nach kaum 6 Wochen die Nachricht vom Tode des Vaters und
nach abermals 6 Wochen die vom Tode der Schwester. [16] Natürlich konnte
er nicht zur Beerdigung nach Haus fahren, dazu war die Reise zu umständlich
und kostspielig, er hätte auch nicht rechtzeitig eintreffen können. So
mußte er den großen Schmerz als 14jähriger Knabe allein durchkämpfen.
10
5
10
15
20
25
30
35
40
Und er hielt sich tapfer. Der Wunsch, seiner Mutter möglichst bald die Sorge
für ihn abzunehmen und seinen Unterhalt selbst zu verdienen, spornte ihn
zu eisernem Fleiße. Am 16. Nov. 36 schrieb er seinem Bruder Wilhelm nach
Göttingen: „In einem Jahr bist Du nun wohl mit Deinem Studium fertig
und kannst Dir selbst helfen, dann kommt die Reihe an mich, und tüchtig
arbeiten und die Zeit benutzen ist für mich die Hauptsache. Das Kaufmann-
Lehrlings-Leben gefällt mir so und ich stehe mit den Prinzipalen in so gutem
Klang, daß ich denke, wenn meine Lehrzeit aus ist, schon durchzukommen.“
Die in ihm schlummernde Energie war erwacht und trieb ihn restlos weiter
sein Leben lang.
Die pekuniären Verhältnisse der Familie hatten sich durch des Vaters Tod
verändert – nur wenig Vermögen war vorhanden. Da galt es sich einzuschränken,
und Georg mußte seine teure Pension gegen eine bescheidenere vertauschen,
die sich im Hause eines Lehrers fand. Ihm wäre es am liebsten gewesen,
wenn er wie sein Bruder auf der Universität hätte in eignem Zimmerchen
wohnen und zum Essen ausgehn können; der Unabhängigkeitsgeist regte sich
schon damals in ihm – die Mutter aber hielt ihn noch der Aufsicht im Hause
für bedürftig.
Die freien Morgen- und Abendstunden waren [17] dem für den Beruf
nötigen Sprachstudium gewidmet, – im ersten Vierteljahr nahm er auch noch
Rechenstunden – nur der Sonntag galt dem Vergnügen und der Erholung.
Georg schrieb am Weihnachtstage 37 an seinen Bruder Wilhelm, nachdem
er zunächst von dessen Plänen gesprochen hatte: „Es wird und muß dir gelingen,
denn der Segen eines Vaters wie Du ihn nennst und wie er es wirklich
war, eines so hochwürdigen Vaters, wird doppelt auf dem Sohne ruhen, der
sucht ihm ganz und am ähnlichsten zu werden. O, wie wird sich der Vater
und die Schwester im Himmel und die Mutter hier auf der Erde freuen, wenn
sie sehen, daß aus uns Übrigen, und wir 2 Jüngsten, die wir noch an der Tür
der großen, weiten Welt stehen besonders, da ihr beiden älteren schon Eure
Arbeit gut begonnen habt, etwas Ordentliches, Gott und allen guten Menschen
Wohlgefälliges wird.“
„Hier geht es ferner gut und lustig voran, die einmal angetretene Reise
durch das Leben reut mich nicht, jeden Tag gewinne ich sie lieber und finde
sie angenehmer als jede andre; besonders da ich nun auch in so einem Kramhandel
nicht agiere, den ich freilich jedem andern [18] Geschäft und Amt
nachstelle; denn unsre Korrespondenzen erstrecken sich bis über die Erde von
einem Ende bis zum andern, wir schreiben und erhalten Briefe in mehreren
Sprachen; auf unserm Comptoir sehe ich und verfolge leicht, wie die Sache
steht, von der Quelle bis an das unabsehbare Meer, wo alles sich vereinigt,
wo alles sich auftürmt, wo der Eine aufblüht, der Andre vergeht; ich sehe
deutlich, daß durch Fleiß und Mühe ich auch dahin gelangen kann, wo so
11
5
10
15
20
25
30
35
40
ein großer Kaufmann, wie Schiller ihn schildert, steht, – daß ich dann auch
mal Aussicht habe, das Steuer des Handels zu ergreifen und auch das Boot
zu besteigen, was unter ihm lustig und mit vollen Segeln den Ozean durchschnitt.
– Dahin will ich immer und zum Höchsten streben, wenn ich auch
nicht bis ins Innerste des menschlichen Treibens gelange, so will ich doch
wenigstens sehen, wie weit daß ich komme.“
„Mit Richard Peill stehe ich ferner auf dem besten Fuße, er ist ein charmanter
Mann, er sieht recht gut ein, daß ein Junge wie ich, wenn er sich
die ganze [19] Woche und oft auch den halben Sonntag herumgeplackt hat,
nicht noch ein paarmal in die Kirche gehen kann wie er, und wenn er es auch
in seinem Sinne für übel hält, die Freuden des Lebens an einem 4tel Sonntag
zu genießen, so mag er es tun; die ganze Woche bin ich zu Haus oder
auf dem Comptoir zu finden, und den Sonntag dann suche ich ordentliche
Gesellschaft. – Wenn ich meinen Kaffee oder Schoppen Wein trinken will,
so gehe ich auch immer in das erste, vornehmste Gasthaus, wo ich vor jedem
erscheinen kann, und in keine Konditorei oder Kaffeehaus, wie wohl andre
junge Leute tun.“
Im Juli 38 schreibt Georg: „Der Ort und die Umgebung erleichtern mir
mein Lernen sehr, denn ich bewohne mit noch einem jungen Kaufmann, der
mir im Studieren mit dem besten Beispiel vorangeht, zwei charmante Zimmer,
die so schön und reizend liegen, daß es nur Spaß ist, in ihnen zu arbeiten.
Ziemlich gut meubliert unter anderm mit einem schönen Flügel, sehen sie
inwendig ordentlich und nett aus; doch was ihnen auch noch fehlen sollte
wird durch die schöne [20] Aussicht gut gemacht, welche man hat, wenn
man sich fern zum Fenster hinausbiegt; denn man durchsieht die ganze Länge
der schönen Barmer Kunststraße, einer Brunnen-Allee ähnlich, denn an beiden
Seiten verbreiten ziemlich hohe und starke Linden einen angenehmen
Schatten. Vom frühen Morgen bis tief in die Nacht wogt die geschäftigste
Menschenmasse der Welt in ihr auf und ab. Links sieht man von Elberfeld
den stärksten Strom heranwallen, elegante Wagen, Reiter, Karren kommen
in buntem Gemisch dahergezogen. Rechts führt der Märkische Bauer seine
Kohlen heran, vor uns hängt der Färber schimmernde Wolle zum Trocknen
auf, und hinter uns hört man unaufhörlich den kräftigen Hammer manches
weithergekommenen Arbeiters, der unermüdlich das große Werk, die Eisenbahn,
zu entstehen helfen sucht. Dieses alles und die schönen Wälder, durch
welche das freie Auge weithin schweift, umringt die friedliche Wohnung,
welche mir ein Schloß dünkt.“
Im Herbst 38 machte Wilhelm Weerth eine Reise nach Frankfurt und den
Rhein hinunter und besuchte den Bruder in Elberfeld. Wie [21] es scheint
nahm er ihn auf der Rückreise mit nach Detmold, doch kann Georgs Besuch
bei der Mutter nur ganz kurz gewesen sein. Sie konnte mit der Entwicklung
12
5
10
15
20
25
30
35
40
des Sohnes wohl zufrieden sein; er war groß und stark geworden und hatte
vieles gelernt.
In der zweiten Hälfte seiner Lehrzeit gestaltete sich doch manches anders,
nicht allein im Geschäft, wo er immer schwierigere und mehr verantwortungsvolle
Arbeiten bekam. Seine Sprachstudien waren soweit gediehen, daß er die
französische Korrespondenz führen konnte; das Englische machte ihm allerdings
noch Schwierigkeiten, indessen konnte er sich jetzt mit gutem Gewissen
auch anderen Studien hingeben. Gute, inhaltreiche Bücher bildeten seine
größte Freude. Wahrscheinlich auf Anregung seines Bruders Karl studierte er
Humbold und versenkte er sich in das Nibelungenlied und die germanische
Mythologie; dann sind es Joh. v. Müllers Cimbernkrieg und Rankes Fürsten
und Völker von Südeuropa, die er durcharbeitete. Zur besseren Einprägung
des Gelesenen pflegte er Auszüge davon zu machen, wie er das bei seinem
Vater gesehen hatte. Weerth ließ sich auch in das von Freiligrath gestiftete
Literatur-Kränzchen aufnehmen, das [22] damals aus 15 Doktoren, Poeten,
Kaufleuten und Taugenichtsen bestand, wie er sich ausdrückt. Sie versammelten
sich abwechselnd in ihren Kneipen, lasen zusammen (vorzugsweise
Shakespeare) oder trugen eigene Dichtungen vor. Als Vorleser zeichnete sich
Hackländer aus, ein vorzüglicher Interpret des Falstaff. Weerth konnte ihn
aber nicht leiden. Als er in späteren Jahren auf einem Schiffe mit ihm zusammentraf,
ignorierte er ihn, was sonst bei alten Bekannten nicht seine Art war.
Von der größten Wichtigkeit wurde für Weerth die Bekanntschaft mit Hermann
Püttmann, der sich als politischer Lyriker einer gewissen Berühmtheit
erfreute und sich damals eifrig mit dem Studium der Kunstdenkmäler am
Rhein beschäftigte. Er würdigte Georg Weerth trotz des großen Altersunterschieds
seiner besonderen Freundschaft, ermunterte ihn zum Dichten, öffnete
ihm die Augen für die Schönheiten der Kunst und weckte sein Interesse dafür
und besprach mit ihm politische und soziale Probleme. Man darf wohl nicht
sagen, daß Püttmann seinem Geiste die Richtung gegeben und ihn in andre
Bahnen gelenkt hätte, als er ohne ihn gewandelt wäre – denn diese Richtung
war die Weerths Anlagen entsprechende. Aber Püttmann hat die Entwicklung
[23] gefördert und die noch unklaren Gefühle des Freiheitsdranges und des
sozialen Mitleid und den Haß gegen Ungerechtigkeit und Heuchelei gestärkt
und geklärt. Wirtshäuser besuchte Weerth kaum noch. Die Gesellschaft welche
er dort fand, stieß ihn ab durch Liederlichkeit oder Frömmelei, auch wohl
durch hochmütiges Protzentum. Wahre Frömmigkeit hat er alle Zeit zu schätzen
gewußt, und darum ist er auch mit dem frommen Rich. Peill immer in
freundschaftlichem Verhältnis geblieben. Er schreibt über ihn: „Richard ist
ein lieber Mensch und zeigt sich im Umgang gar so eigen nicht, als wie man
wohl denken sollte, – man muß sich nur, was die Religion angeht, ihn weit
genug vom Halse halten. Besonders ich, der ich den ganzen Tag mit resoluten
13
5
10
15
20
25
Leuten umgehe, bin keineswegs so ängstlich in meinen Interjektionen und
würde daher, wenn wir von theologischen Sachen anfingen, nur zu Richards
Ärger und meinem Schaden meine liberalen Gesinnungen an den Tag legen.“
Großes Vergnügen machten Weerth die Bälle, zu denen er von den befreundeten
Familien eingeladen wurde. Und dann die Touren nach Düsseldorf, die
er anfangs mit Freunden unternahm um Spaß zu haben, später aber um sich an
Gemälden und Musik zu [24] erfreuen. Er nahm auch am Musikfeste 39 teil.
Die Liebe und Begabung für die Musik hatte Georg von seiner Mutter geerbt,
ebenso wie das dichterische Talent.
Inzwischen war der jüngste Bruder, Ferdinand auch konfirmiert und Georg
suchte und fand für ihn eine Lehrlingsstelle in einem Handlungshause in
Köln. Ferdinand wurde ihm von der Mutter zugesandt, und er brachte ihn
nach Köln, wohin er selbst ihm einige Monate später folgte.
Nach Vollendung der Lehrjahre hoffte Georg seinen Flug in die weite Welt
zu nehmen. Er knüpfte Verbindungen in Buenos Ayres an, und als diese Aussicht
durch einen ausgebrochenen Krieg zu Nichte wurde, in Mailand. Amerika,
das Land der Freiheit und Italien, das Land der Kunst, sind immer die
Länder seiner Sehnsucht gewesen. Da wurde ihm durch Vermittlung eines
Freundes ganz unerwartet eine Buchhalterstelle auf dem Gräflich Meinertshagenschen
Komptoir in Köln angeboten, die er dem Wunsche der Mutter
gehorchend annahm, wie schwer es ihm auch wurde, die langgehegten Wünsche
und Hoffnungen aufzugeben oder doch auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
[25] Ehe er jedoch die neue Stelle antrat, besuchte er die Mutter und
erhielt von ihr die Erlaubnis und das Geld zu einer Reise. Sein Bruder Wilhelm
begleitete ihn bis nach Höxter; Georg kam nach Frankfurt und Wiesbaden;
auf der Bergstraße geriet er zum ersten Male in Konflikt mit der Polizei
und mußte umkehren, weil er vergessen hatte, seinen Paß erneuern zu lassen.
Dann fuhr er stromabwärts nach Köln.
==================