|
Ernst Troeltsch - Theologe im Welthorizont
Eine Biographie
Friedrich-Wilhelm Graf
Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406790140 (ISBN: 3-406-79014-3)
638 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 15 x 22cm, Oktober, 2022, mit 37 Abbildungen
EUR 38,00 alle Angaben ohne Gewähr
|
|
Umschlagtext
Ernst Troeltsch (1865 - 1923) ist einer jener Riesen, auf deren Schultern so viele Gelehrte stehen, dass ihr eigenes Bild unscharf wird. Der renommierte Theologe, Historiker und Troeltsch-Experte Friedrich Wilhelm Graf verleiht in seiner meisterhaft geschriebenen Biographie einem Theologen, Soziologen, liberalen Politiker und Zeitdiagnostiker scharfe Konturen, den die Frage umtrieb, wie sich Religion und Moderne – trotz aller Widerstände von beiden Seiten – in ein zeitgemäßes Verhältnis zueinander setzen lassen. Weit über Leben und Werk Ernst Troeltschs hinaus ist seine Biographie ein bestechend klarer Beitrag zu einem bis heute virulenten Problem.
Als Religionssoziologe und Historiker steht Ernst Troeltsch im Schatten seines Heidelberger Freundes und Kollegen Max Weber. Konnte er als Theologe überhaupt ein «wertneutraler» Sozialwissenschaftler sein? Oder war er gar kein richtiger Theologe? Beides zusammenzubringen irritiert bis heute und war doch, wie Friedrich Wilhelm Graf zeigt, Troeltschs ureigenes Anliegen, das für ihn politische Bedeutung hatte. Troeltsch erforschte die Kulturbedeutung der Religion, um den Protestantismus aus traditionellen kirchlichen und dogmatischen Bindungen zu befreien. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er als liberaler Politiker für die Weimarer Republik ein und rückte in seinen berühmten zeitdiagnostischen Kommentaren die Probleme der Gegenwart in einen «Welthorizont». Graf rekonstruiert die lebens- und werkgeschichtlichen Konstellationen, die den liberalen Protestanten prägten, und erhärtet damit auf brillante Weise Ernst Troeltschs Überzeugung, dass sich die eigentliche Bedeutung einer Person oder Sache erst in ihrer konsequenten Historisierung erschließt.
Friedrich Wilhelm Graf ist Professor em. für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München und Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er war Vorsitzender der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft und ist geschäftsführender Herausgeber der Kritischen Gesamtausgabe der Werke Ernst Troeltschs.
Rezension
Der protestantische Theologe, Kulturphilosoph und liberale Politiker (DDP) Ernst Troeltsch (*1865 in Augsburg; †1923 in Berlin) ist ein Vertreter der bedeutenden Religionsgeschichtlichen Schule, die das Christentum innerhalb der Relghionsgeschichte zu verorten sucht. Christentum und Moderne prägen entscheidend die moderne Kultur Europas und sind aufeinander angewiesen: Die Bewahrung der Substanz des Christentums muß mit der intellektuellen Form der Moderne versöhnt werden. Religiöse Institutionen wie die Kirche spielen für Troeltsch, der das konfessionelle Christentum zu überwinden sucht, keine Rolle. Und einen Widerspruch zwischen Naturwissenschaften und Religion gibt es nicht, weil der Geist als eigenständig wirksame Kraft von der Natur kategorial unterschieden wird. In allen Religionen geht es um rein innerliche Allgemeingültigkeit, Vergeistigung, Versittlichung und Individualisierung. Hier hat das Christentum die höchste Stufe innerhalb der Religionen erreicht: die Absolutheit des Christentums. Damit gilt Troeltsch (neben Adolf Harnack und anderen) als ein Vater der liberalen Theologie bzw. des Kulturprotestantismus mit seiner Versöhnung von Moderne und Christentum, wozu auch der Autor dieser Biographie heute gezählt werden darf.
Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagwörter:
19. Jahrhundert, 20. Jahrhundert, Biografie, Biographie, Ernst Troeltsch, Historiker,, Kulturbedeutung, Liberalismus, moderne, Politiker, Probleme der Gegenwart, Protestantismus, Religion, Religionssoziologie, Theologe, Theologie, Verhältnis, Weimarer Republik, Welthorizont, Zeitdiagnose
Pressestimmen:
„Grafs meisterliche Biografie holt Troeltsch verdientermaßen zurück in den unabgeschlossenen Diskurs um Herkunft und Bedeutung der Moderne.“
Der Tagesspiegel, Bernhard Schulz
„Grafs Biographie wird durch ihren Kenntnisreichtum und die Plastizität ihrer Schilderungen für lange Zeit ein Standardwerk sein.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Hans Joas
Es wird die narrative Stärke des Verfassers deutlich, durch die es ihm gelingt, Troeltsch seinen Lesern als lebendigen Denker und Menschen vor Augen zu malen.“
Die Tagespost, Tilman Asmus Fischer
„Eine glänzend geschriebene Biografie “
Die Furche, Christian Danz
„Empfehlenswert auch, weil Troeltsch und Graf etwas gemeinsam haben: Sie können beide schreiben.“
WELT am Sonntag, Matthias Heine
„Ein ausgereiftes Standardwerk … flüssig geschrieben und souverän changierend zwischen biografischer Nachzeichnung und Werkgenese.“
Deutschlandfunk Kultur, Marko Martin
"Friedrich Wilhelm Graf präsentiert uns einen überragenden Gelehrten und bedeutenden politischen Beobachter, dessen Denken zum Verhältnis von Geschichte, Religion und Moral der Gegenwart viel zu sagen hat. Glänzend geschrieben."
Christoph Möllers
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Der Vielspältige
Reden am Sarg 13
Lebenswelten und Trauergemeinde 20
Verachtet, vergessen, aber nicht erledigt 24
1
Jugend in Melanchthons Reichsstadt
Familienbande: Vorfahren und Stämme 29
Familienleben: Der Vater und die Geschwister 33
Im Hause eines Arztes und Naturliebhabers 39
Konkurs als Katastrophe 42
«Immer besonders verbunden»: Die Mutter 45
Der Tod des Vaters 47
2
Lutherischer Neuhumanismus: Das Gymnasium bei St. Anna
Humane Bildung und ihre prägenden Lehrer 51
Pfarrer Julius Hans und sein Konfirmand 62
3
Die ersten Anderen: Katholische Patres und «Kinder der Welt»
«Dieser Feind»: Studium bei den Benediktinern 67
«Ganz kolossale Arbeit»: Vom Einjährigen zum Reserveoffizier 69
4
Auf dem Weg zur Wahrheit: Das Studium
Erlangen: Theologische Altertümer 74
In der Uttenruthia: Freiheit, Liebe, Wahrheit 76
Freundschaftskult und «kitzliche» Themen 80
Berlin: Der Genuss des immensen wissenschaftlichen Lebens 84
Göttingen: Ritschls Blickverengung und ein akademischer Preis 86
Lektüren: Hass auf Hegel, Einkehr bei Homer 91
«Theoretisch Skeptiker, praktisch ein gewöhnlicher Frommer» 93
5
Vikar im Glaspalast
Prüfungen: Dem «Vorzüglich» nahe bei mangelnder Einfalt 100
«Freier Theologe»: Predigerseminar und Vikariat 107
Moderne Kunst, das Leben und die Religion 111
6
Die «Kleine Göttinger Fakultät»
Stress für alle: Privatdozenten 118
Theologische Ideengeschichte: Die Dissertation über Johann Gerhard 121
Weihestunden für potentielle Gefährder 125
«Revolution der Geister» und akademisches Abseits 130
Vorzüglich mit erheblichen Bedenken: Die Anstellungsprüfung 137
Pietistische Sprache: Troeltschs Examenspredigten 141
7
Luthers Glaubenswacht am Rhein: Extra-Ordinarius in Bonn
Auf Betreiben des Ministeriums 143
Christliche Weltanschauung und moderne Ideale 147
Jenseits der Theologie: Neue Netzwerke und Freundschaften 152
Grafes Gastfreundschaft und die Bonner Theologen 155
Zwangloser Gemeingeist: Die Schweiz-Reise 159
8
Seelische Revolutionen: Jungordinarius in Heidelberg
«Kirchhofsfrieden»: Die Theologische Fakultät 163
Exzentrisch, wohlhabend, geistreich: Die Freunde 167
«Ihr Mann ist mir ein geistiges Schicksal»: Marianne und Max Weber 171
Vorlesungen und Fidulitäten 175
Utopie vom kirchenfreien Christentum: Die Rothe-Feier 180
Deutsches Blut und deutscher Geist: Bei den Siebenbürger Sachsen 183
«Hemmnisse und Schwierigkeiten»: Die Ehe 186
Den Gemeinsinn steigern: Politische Ethik und Christentum 190
Vom Wanderprediger Jesus zum Christuskult der Gemeinde 197
«Eine neue Phase des Christentums»: Modernistische Netzwerke 202
9
«Es wackelt alles»: Der Neubau der Theologie
Protestantische Theologie im Deutschen Kaiserreich 207
In Dialog und Streit: Auf dem Weg zu einer historischen Theologie 211
Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte 215
Distanz gewinnen: Religionsphilosophische Skizzen 219
10
«Meet me at the Fair»: Reise in die Neue Welt
Weltausstellung und wissenschaftliche Leistungsschau 225
Geld und Ehre 228
Vorbereitungen, Überfahrt und Ankunft in New York 231
Ein Stück Heimat unweit der Niagara-Fälle 235
Überforderung Chicago 238
Ausstellung und Kongress in St. Louis 242
Washington, Neuengland und Rückkehr nach Europa 250
11
Arbeit am Protestantismus
Der «unaustilgbare Pluralismus der historischen Wirklichkeit» 256
Arbeit am Begriff der Moderne 259
Gegen protestantische Geschichtsmythen 261
Protestantismus und Moderne: Zwei Schlüsseltexte 267
Calvinismus, du hast es besser: Religion und Liberalismus 272
«Weber-Troeltsch»: Keine gemeinsame Firma 274
12
Geistesgegenwart im «Weltdorf» Heidelberg
Eranos: Elitäre Geselligkeit 277
Im Maschinenraum der Ideen: Die Treffen der Eranisten 281
Vereine, Kränzchen, Zeitschriften 286
Im Salon der Webers 289
Bitte wertfrei: Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie 292
13
Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen
Das Christentum und die unteren Klassen 296
Ein ungeschriebener Verriss und eine Artikelserie 299
Christliche und weltliche Vergesellschaftungen 302
«Von der Urzeit bis zum Beginn der modernen Zeit» 304
Von der Artikelserie zum Buch 307
Die Erfindung des christlichen Naturrechts 310
Kirche – Sekte – Mystik 313
Ein Kultbuch der Jugend 316
Die Augustin-Studie, viel Beifall und Ruhm 320
14
Viel Kapital: In Heidelberg ganz oben
Reden, Kränze, Huldigungen: Ein Jahr Prorektor 324
Peinliche Konkurrenz: In der Philosophischen Fakultät 329
Der Übergang nach Berlin 332
Vom Sein zum Sollen: Der Freund Georg Jellinek 337
Gelehrtenökonomie: Gehälter und Honorare 339
Frauenrechte und Mission: Kirchenpolitische Positionen 343
Zu den Waffen für die Freiheit: Troeltschs Kriegsrede vom 2. August 1914 349
15
Die Dinge aus der Nähe kennengelernt: Im Karlsruher Ständehaus
Konservativer Fortschritt 356
Die Wirklichkeit ist komplizierter 361
Netzwerke und Standpunkte 364
Konfessions- und Kulturkämpfe 370
Antiklerikale Fakultätspolitik 376
Von Neckarschiffern und Prostituierten 379
16
Vom wilhelminischen Mandarin zum Großstadtintellektuellen: Ordinarius in Berlin
Diners, Teegesellschaften und Spaziergänge 384
Mittwochabend: Hans Delbrücks politisch-militärischer Zirkel 389
Willkommen im Klub: Die Deutsche Gesellschaft 1914 395
Gelehrte Gesellschaften und karitative Vereine 399
Entspanntes Tatchristentum aus dem Geist Rudolf Steiners 402
Die «Anarchie der Werte» meistern: Vulkanische Vorlesungen 404
Das Abendland und der Krieg: Die Kaisergeburtstagsrede 406
Historisierendes Globetrottertum: Die geschichtsphilosophischen Seminare 413
17
Deutscher Geist und Westeuropa: Im Großen Krieg
Kriegsautor an der Heimatfront 423
Gegen ein nationales Christentum 425
Deutsche Freiheit im Konzert der Völkerindividualitäten 428
Der Primat des Politischen und die Kriegszieldebatte 433
Deutschland und die «atlantischen Großmächte» 436
Demobilisierung der Geister: Der Volksbund für Freiheit und Vaterland 439
18
«Ein Saustall»: Zwei Jahre im preußischen Kultusministerium
Kirchenpolitische Fronten 446
Als Staatssekretär gegen den Oberkirchenrat 452
Pragmatismus in Schulfragen 456
Weitere Pflichten und Erfolge 458
19
«Die ganze Welt wird anders»: Berliner Spectator
«Mittebildung»: Zeitdiagnostik für die Republik 462
Kontakte und Informanten 465
Neue Weltlage und internationale Kämpfe 468
Gegenrevolution und Bürgerkrieg in Berlin 472
Verachtung für das Bürgertum, Kritik am System 475
Die Ordnungskräfte für die Republik versammeln 479
20
Die zweiten Anderen: Troeltschs Juden
Streit um die Propheten Israels 483
Kein Sinn für das Substanzielle: Antijüdische Stereotype 487
«Jüdisches Problem» und «nationale Kultur» 489
«Ein heißes Würgen in der Kehle»: Der Mord an Walther Rathenau 494
21
Gelehrtenrepublikanismus: Demokrat in vielfältigen Rollen
Den Wandel gutheißen: Der Demokratische Volksbund 498
Politik als Nebenberuf: Arbeit in der DDP 502
Versöhnung mit dem Ausland: Reisen und Besuche 507
Ämter und Würden 511
Neue Weste, neue Gedanken: Britische Reisepläne 513
Westeuropäische und deutsche Ideenwelt: Ein folgenreicher Vortrag 518
Irdische Sorgen und der Berg der Läuterung 520
«Befiehl du deine Wege»: Ehekrise, Erschöpfung, Tod 523
22
Dies tat man zu seinem Gedächtnis
«Das war ein Mann!» 530
Christian Gentleman: England und Amerika trauern 533
Das Schicksal des Grabes 537
Epilog: Troeltschs Gott als Individualitätsgarant 543
Anhang
Dank 553
Anmerkungen 555
Bildnachweis 619
Personenregister 621
|
|
|