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Die Welt als Spiel, I. Kulturtheorie: Digitale Spiele und künstlerische Existenz
Die Welt als Spiel, I. Kulturtheorie: Digitale Spiele und künstlerische Existenz




Carl-Peter Buschkühle

Athena Verlag
EAN: 9783898962827 (ISBN: 3-89896-282-2)
220 Seiten, 16 x 24cm, Juni, 2007

EUR 24,50
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
In der Antike und über viele Jahrhunderte hinweg galt die Philosophie als Mutter aller Wissenschaften. In einer Zeit, in der sich nicht nur traditionelle Familienbilder wandeln, erscheint es als wenig erstaunlich, dass diese Mutterschaft durch eine andere ersetzt worden ist: Heute darf die Kunst das Recht darauf anmelden, mütterlich ihre Arme um die anderen Disziplinen und vor allem um die heutige Zeit wie die Existenz in dieser zu legen. Laut Carl-Peter Buschkühle. Denn „Kunst“ meint nicht mehr nur die Disziplin der Kunst selbst, sondern viel mehr: Kunst ist ein Prinzip, das Prinzip dieses Prinzips ist das Spiel und das Spiel ist die Art und Weise, in der das Subjekt heutzutage leben muss, um sich selbst und seine Handlungsfähigkeit ständig neu zu entwerfen.

Diese Hauptthese des ersten Bandes „Kulturtheorie“, welcher sich aus verschiedenen philosophischen wie soziologischen und künstlerischen Perspektiven an das übergeordnete Thema „Die Welt als Spiel“ annähert, erscheint dem Leser, der die ästhetiktheoretischen Debatten der letzten Jahrzehnte verfolgt hat, nicht neu. Die Lektüre bestätigt diesen Eindruck: Die Darstellung von Carl-Peter Buschkühle liefert keine innovative kulturtheoretische Position, allerdings leistet sie, und das ist ein großer Verdienst Buschkühles, eine ebenso umfassende wie präzise und kompakte Gesamtschau diverser kulturtheoretischer Positionen (z.B. Frederic Jamesons, Norbert Bolz', Siegfried J. Schmidts, Wolfgang Welschs, Wilhelm Schmids und Bazon Brocks). Die Aspekte „Elemente des Spiels in der Gegenwartskultur“, „Existenzbedingungen des Subjekts in der Gegenwartskultur“, „Digitalisierung des Bewusstseins“, „Ambivalenz der neuen Medien“ und „Künstlerische Existenz“ bilden die Etappen, durch welche Buschkühle den Leser von der Grundannahme „Der 'Homo ludens' ist in der Lage, sich selbst und seine Welt zum Gegenstand eines schöpferischen Spiels zu machen, sich selbst und seine Welt dabei indes aber auch aufs Spiel zu setzen.“ über eine genaue Ausarbeitung dessen, was unter dem „Homo ludens“ zu verstehen ist, welchen Problematiken er als in unserer heutigen Zeit lebendes Subjekt ausgesetzt ist und durch welche Veränderungen sich diese Welt selbst auszeichnet zum konkreten Entwurf einer solchen ästhetisch-spielerischen Existenz gelangt.
Buschkühles Argumentationsgang zeichnet sich dabei durch eine auffallend differenzierte Darstellung aus. Das Pluralistische einer postmodernen Wirklichkeit, die noch dazu im Zuge der Digitalisierung ins Virtuelle „verlängert“ wird, spiegelt sich insofern auf der Ebene der Theorie wider, als sowohl Beschreibungen wie Bewertungen zeitgenössischer Entwicklungen erheblich heterogen ausfallen. Buschkühle nutzt diese Heterogenität: Er stellt dar, er stellt gegenüber, und er stellt heraus. Theoretisch Inkonsistentes kann vor der harten Konkurrenz besser argumentierender Gegenwartsinterpreten nicht bestehen (so entlarvt z.B. die Gegenüberstellung von Bolz' Technifizierungseuphemismus und Jamesons bedächtig formulierter Kulturkritik einige Thesen von Bolz ohne weiteres Zutun durch Buschkühle als oberflächlich), begrifflich Treffendes bleibt im Gedächtnis, wird in neuen Zusammenhängen wieder aufgegriffen und durch weitere sich formierende Begrifflichkeiten ergänzt. Die Folge hiervon ist das Entstehen einer Art Begriffsnetz, das keine Art von Metatheorie darstellt (wogegen sich ein Spieltheoretiker wie Buschkühle auch wehren müsste), sondern das Resultat dialogischer Auseinandersetzung mit den verschiedenen Positionen und Perspektiven auf gegenwärtige kulturelle Entwicklungen bleibt. Dennoch machen diese Begriffe (z.B. „ruinöses Spiel“, „Montage“, „Erzählung“, Kartographie“, „Selbstbewegung“, „Selbstverortung“, „Kunst und Leben“, „Klugheitserziehung“, „ästhetische Differenz“) auf clusterhafte Weise Zusammenhänge sichtbar – es zeichnet sich eine Kontur handlungsfähiger Subjektivität ab in einem Zeitalter, das vor nicht allzu langer Zeit das Subjekt noch als „tot“ proklamierte.
Wer im Diskurs um dem Spielbegriff nicht allzu heimisch ist, mag beim Lesen von Buschkühles Ausgangsthese eventuell eine apologetische Schrift postmodern-leichter Beliebigkeit vermuten. Die Welt ein Spiel? Das Subjekt ein Spieler? Ist so eine Schrift überhaupt ernst zu nehmen? Sie ist. Spätestens im letzten Kapitel, das sich mit Schmid und Brock die Lebensgestaltung des Subjekts im Zeichen des Spiels vornimmt, macht deutlich, dass diese Art von Spiel dem Subjekt einiges abverlangt, das die „Ernstfalldenker“ mit ihren „großen Erzählungen“ ganz und gar nicht im Sinne des Projekts der Aufklärung ihnen abzunehmen trachten. Gerade das Spielen im Sinne eigenen reflektierten Positionierens setzt große Eigenverantwortlichkeit in der Lebensgestaltung, setzt die Potenz freier Reflexion und des Schaffens von Wertgrundsätzen und Zielsetzungen aus sich selbst voraus. Es ist ein großes Projekt, dieses Spielen, und zwar im Gegensatz zu sämtlichen Heilvorstellungsprojekten keines mit einem berechenbaren Ausgang.

Kunst ist ein Prinzip, das Prinzip dieses Prinzips ist das Spiel und das Spiel ist die Art und Weise, in der das Subjekt heutzutage leben muss, um sich selbst und seine Handlungsfähigkeit ständig zu entwerfen. Wenn die Kunst also Buschkühle zufolge – und Buschkühle ist mit seinen prominenten Gewährsmännern im Gepäck äußerst überzeugend – die neue Mutter der verschiedenen Disziplinen ist, so ist dieser erste Band von „Die Welt als Spiel“ nicht nur allen Kunstvermittlern zu empfehlen, sondern jedem, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Subjektivität im Zeitalter von Pluralisierung und Digitalisierung zu begreifen und zu gestalten sein könnte. Offen bleibt allein die Frage, welche Konsequenzen der aktive Pädagoge aus den dargelegten theoretischen Konstrukten für seine Unterrichtspraxis ziehen sollte. Zum Glück hat Herr Buschkühle ja noch einen zweiten Band geschrieben.

Dana Braunert, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Welt als Spiel untersucht einflussreiche Aspekte der Gegenwartskultur und bestimmt davon ausgehend bedeutsame Herausforderungen und Eigenschaften einer zeitgemäßen künstlerischen Bildung. Im kulturtheoretischen ersten Band wird das Spiel als markantes Element der postmodernen Gesellschaft untersucht. Dabei stehen nicht Eventkultur und elektronische Spiele im Vordergrund, vielmehr wird das Spiel als charakteristische Eigenschaft des selbstbestimmt handelnden Subjekts aufgefasst. In dem Maße, in dem fortschreitende Entwicklungen der digitalen Technologien auf unterschiedlichen Gebieten dieses humanistische Ideal gefährden, gewinnen Fragen nach Eigenschaften und Chancen eines schöpferischen Individuums und seiner Lebenskunst neue Bedeutung.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen erforscht der kunstpädagogische zweite Band Merkmale einer künstlerischen Existenz und eines künstlerischen Denkens als Zielperspektiven für eine zeitgenössische künstlerische Bildung. Untersuchungen zur Gegenwartskunst im Bereich der neuen Medien sowie zur Theorie der künstlerischen Produktion vertiefen die Bestimmungen von Eigenschaften und Herausforderungen einer künstlerischen Pädagogik. Die Arbeit mündet in einer Theorie der Ziele, Inhalte und Methoden künstlerischer Bildung sowie in einer umfangreichen Darstellung ihrer Praxis, welche künstlerische Projekte zu unterschiedlichen Themen in verschiedenen Jahrgangsstufen vorstellt. Die Welt als Spiel unternimmt auf diese Weise den Versuch einer Grundlegung künstlerischer Bildung.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9

1 Einleitung 13

2 Elemente des Spiels in der Gegenwartskultur 20
2.1 Einige Grundbestimmungen zum Spiel: Johan Huizinga 20
2.1.1 Spiel als freies Handeln 20
2.1.2 Künstlerisches Spiel 21
2.1.3 Spiel und Ernst des Lebens 23
2.2 Spielen diesseits des Ernstfalls 26
2.3 Dunkle Seiten der spielerischen Existenz 28
2.4 Spiele an der Oberfläche 31
2.4.1 Ästhetisierung und Erlebnisorientierung 31
2.4.2 Digitalisierung und Welt als Spiel 35
2.4.3 Die Kunst und das Spiel der freien Kräfte 38

3 Existenzbedingungen des Subjekts in der Gegenwartskultur (Ästhetik und Spiel) 41
3.1 Krisenszenarien der Moderne 41
3.2 Medienästhetik und fragmentiertes Ich 43
3.3 Das Subjekt im Hyperraum 47
3.4 Designer des virtuellen Raumes: Norbert Bolz, Jean Baudrillard 49
3.5 Karthograph des Hyperraumes: Frederic Jameson 53
3.5.1 Architektur als Metapher 58
3.5.2 Fragmentarisierung und Montage: Beispiel Paik 63
3.5.3 Ästhetik nach dem Muster der Kartographie 69
3.6 Selbstbewegung und Selbstverortung als existentielle Kreativität 73
3.7 Die Erzählung 75

4 Digitalisierung des Bewusstseins 80
4.1 Entäußerung des Zentralnervensystems in den neuen Medien 80
4.2 Transfer des Bewusstseins in den Computer 84
4.3 Kritik der künstlichen Intelligenz 94
4.3.1 Joseph Weizenbaum: Körperlichkeit und Kontextualität 96
4.3.2 Hubert Dreyfus: Ganzheitlicher Horizont 101
4.4 Konstitutive Elemente menschlichen Denkens 105

5 Ambivalenz der neuen Medien 111
5.1 Siegfried J. Schmidt: Cyberspace und Oikos 112
5.1.1 Wirklichkeit als Konstruktion 112
5.1.2 'Crossing' zwischen Realität und Virtualität 116
5.1.3 Aussichten einer computergestützten Kunst 121
5.2 Wolfgang Welsch: Revalidierung der nicht-elektronischen Wirklichkeit 126
5.2.1 Elektronische Spielwelt 126
5.2.2 Widerstände der realen Welt 129
5.2.3 Mediale Urteilsfähigkeit 132
5.2.4 Doppelfigur der Moderne 135

6 Künstlerische Existenz 139
6.1 Abgrenzung gegen die ästhetische und die ethische Existenz 139
6.2 Friedrich Schiller: Kunst und freies Spiel der Kräfte 141
6.3 Wilhelm Schmid: Lebenkunst 143
6.3.1 Kunst und Leben 143
6.3.2 Exkurs: Beuys und die Koordination des Künstlerischen 146
6.3.3 Kohärenz und Erzählung 148
6.3.4 Kluge Selbstsorge 151
6.3.5 Selbstmächtigkeit und ökologisches Bewusstsein 153
6.3.6 Klugheitserziehung 160
6.3.7 Kunst des schönen Lebens 164
6.4 Bazon Brock: Gegen den Ernstfall 166
6.4.1 Protagonisten des Ernstfalls 166
6.4.2 Kunst als ruinöses Spiel 170
6.4.3 Ästhetische Differenz und kulturelle Bildung 176
6.4.4 Arrièregardismus 181
6.4.5 Beispiel Beuys 183
6.4.6 Viator und Hortulanus 186
6.5 Richard Rorty: Kontingenz und liberale Ironie 190
6.5.1 Solidarität und private Vervollkommnung 191
6.5.2 Erzählung und Selbsterschaffung 195
6.5.3 Kontingenz und Ironie 197
6.5.4 Erzählung und gesellschaftlicher Fortschritt 201
6.5.5 Die Erzählung der bildenden Kunst 205

Abbildungsverzeichnis 209

Literaturverzeichnis 211