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Die Jahre der Vernichtung
Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406549663 (ISBN: 3-406-54966-7)
869 Seiten, hardcover, 15 x 22cm, September, 2006
EUR 34,90 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Bis in die entlegensten Winkel des Kontinents weitet sich der von Deutschland aus in Gang gesetzte Vernichtungsfeldzug gegen die Juden aus, dem zwischen fünf und sechs Millionen Menschen zum Opfer fallen. Saul Friedländer schildert eingehend das Handeln der Täter, die Reaktionen ihrer Opfer und das Verhalten der Gesellschaften, vor allem der politischen und geistlichen Eliten, in ganz Europa. Zugleich aber bewahrt er seine Darstellung mit einem überwältigenden Chor von Stimmen – Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Erinnerungen – vor der Gefahr einer "domestizierten" Erinnerung an ein Geschehen, das ohne Beispiel ist. Es ist gerade diese besondere Qualität, die Saul Friedlaenders Buch aus der Literatur heraushebt und ihm einen einzigartigen Rang zuweist. Mit "Die Jahre der Vernichtung" hat die Geschichte des Holocaust zu einer gültigen Darstellung gefunden.
"Mit seinem Werk über die Vernichtung der Juden Europas ist Friedlaender eine makellos sachliche und gründliche Arbeit gelungen: Die Fassungslosigkeit wird hier erlärt, doch glücklicherweise und mit gutem Grund nicht ganz eliminiert. Wir verdanken Saul Friedländer ein erstaunliches und ergreifendes, ein unvergeßliches Buch."
Marcel Reich-Ranicki
Rezension
Im Jahre 2006 legte Saul Friedlaender, Professor für Geschichte an den Universitäten Tel Aviv und Los Angeles, den zweiten Band über „Das Dritte Reich und die Juden“ vor. Dieser widmet sich den „Jahren der Vernichtung“ während des Zweiten Weltkrieg. 1998 hatte der israelische Historiker bereits sein vielfach gewürdigten ersten Band über „Die Jahre der Verfolgung 1933-1939“ vorgelegt. Friedlaender ist mit seinem neuen Werk, das zurecht für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Sparte Sachbuch nominiert wurde, gelungen, eine Gesamtdarstellung des Holocaust vorzulegen - er selbst spricht von „integrative[r] und integrierte[r] Geschichte“ (S. 14). Seine Ausführungen beschränken sich nämlich nicht auf die Darlegung der „deutschen politischen Strategien, Entscheidungen und Maßnahmen“, sondern er bezieht anhand von offiziellen Stimmungsberichten auch die Einstellungen, die Reaktionen und die Mithilfe von Deutschen im besetzten Europa sowie den Satellitenstaaten Europas bei der Judenvernichtung mitein (S. 13f). Einen besonderen Schwerpunkt legt Friedlaender auf die Erfahrungen und das Leiden der Opfer, die in zahlreichen Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Gerichtsaussagen, Interviews zu Wort kommen. Für diese Berücksichtigung individueller Stimmen, die in einem strukturorientierten Geschichtsmodell marginalisiert werden, spricht zunächst, dass sie die Fassungslosigkeit über die Verbrechen verdeutlichen (S. 24f). Meines Erachtens ist diese Berücksichtigung personaler Geschichtsschreibung beim Thema „Holocaust“ in einem besonderen Maße berechtigt, weil die Nationalsozialisten sich einer Ideologie verschrieben haben, die strikt auf die „Ent-Subjektivivierung des Menschen“(Aschenberg) abzielte. Anzumerken ist zudem, dass Friedlaender nicht nur professioneller Historiker ist, der sich mit dem Thema seit den frühen sechziger Jahren erforscht, sondern auch selbst Überlebender des Holocaust ist. Der Wissenschaftler folgt auch in seinem Band über die Vernichtung der Juden im zweiten Weltkrieg einem ideologiegeschichtlichen Ansatz. Friedlaender vertritt nämlich die These, dass der „ideologischen Fanatismus“ der Nationalsozialisten die entscheidende Triebkraft der Judenvernichtung bildete. Seine Auffassung kann er u.a. an dem Verhalten des Bauleiters in Auschwitz, der die Einrichtung der Krematorien in Birkenau überwachte, belegen (S. 530f.).
Friedlaender greift mit seinem Buch zugleich in aktuell Historikerdebatten ein. Götz Alys These in seinem Buch „Hitlers Volksstaat“ von der primär materiellen Motivation der Judenvernichtung widerspricht Friedlaender, da die „Beraubung der Juden“ seiner Ansicht nach in erster Linie eine ideologische Funktion als „Führerbindung“(Broszat) zukam (S. 688). Auch Daniel Goldhagens Auffassung vom eines „eliminatorischen“ genuin deutschen Antisemitismus, vertreten in seinem Werk „Hitlers willige Vollstrecker“, teilt der Friedlaender nicht (S. 18). Er verweist in diesem Zusammenhang auf die besondere Rolle Adolf Hitlers, welcher der „Brandstifter“ des „Erlösungsantisemitismus“ war (S. 17). Die Juden dienten ihm als „metahistorischen Feind“ (S. 19), dem eine „Mobilisierungsfunktion“ zukam (S. 18). Friedlaenders Schlussfolgerung lautet daher: „Der Nationalsozialismus hätte [...] ohne Adolf Hitler einerseits und ohne die Reaktion der Deutschen auf Hitler andererseits nicht entstehen und Fuß fassen können.“ (S. 687) Damit stimmt er in zentralen Punkten mit Ian Kershaws Deutungsansatz von Hitler als „charismatischen Herrscher“ überein.
Auch für die Kontrovers um das Wissen der Deutschen über die Judenvernichtung liefert Friedlaender ausreichend Belegmaterial. Seine Analysen zeigen:“ Es kann kaum Zweifel daran bestehen, daß es Ende 1942 oder spätestens Anfang 1943 einer gewaltigen Zahl von Deutschen, Polen, Weißrussen, Ukrainern und Balten klar vor Augen stand, daß die Juden zur totalen Ausrottung verurteilt waren.“ (S. 20f) Dabei kritisiert Friedlaender insbesondere die Haltung der katholischen und der protestantische Kirche, weil sie öffentlich nicht gegen den Umgang mit den Juden protestierten. Für Papst Pius XII. stand nach Friedlaender die Bekämpfung der „Bolschewiken“ im Vordergrund (S. 594). Der Historiker betont ausdrücklich, dass diese Ausführungen sich auf das vorliegende eingeschränkte Quellenmaterial stützen, da den Wissenschaftlern der Zugang zu den Archiven des Vatikans verwehrt ist (S. 21). Friedlaenders chronologische Darstellung, die sich an bestimmten Monatszeiträumen orientiert, überzeugt durch ihre exzellente Quellenauswertung und durch ihre historiographische Qualität. Friedlaender gelingt ein anschauliches Bild von den einzelnen Phasen und der Dynamik der Judenvernichtung zu machen. Einzelne Quellenausschnitte und Zitate aus der Forschungsarbeit können m.E. im Geschichtsunterricht sinnvoll eingesetzt werden. Das Buch ist zudem auch für den historischen Laien verständlich geschrieben.
Fazit: Friedlaenders Geschichte des Holocaust aus dem „Verlag C.H.Beck“ ist für jeden Geschichtslehrer, der sich fundiert mit dem Holocaust auseinandersetzten möchte, ein unentbehrliches Werk. Das Sachbuch sollte Aufnahme in jede gute Lehrerbibliothek finden.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
SZ/Buchjournal/Börsenblatt/NDR-Sachbuchbestenliste November 2006: Platz 1
"Wir verdanken Saul Friedländer ein erstaunliches und ergreifendes, ein unvergeßliches Buch."
Marcel Reich-Ranicki
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs erreicht auch die Geschichte des Holocaust im Jahr 1939 eine neue Dimension. Sie kann nicht mehr auf deutsche Politik, Entscheidungen und Maßnahmen begrenzt werden, sondern muß die Reaktionen (manchmal auch Initiativen) der sie umgebenden Welt und die Haltung ihrer Opfer miteinbeziehen. Das ist schon deshalb unausweichlich, weil das, was wir "Holocaust" nennen, einen Vorgang bezeichnet, dessen Totalität gerade in der Konvergenz all dieser Elemente besteht. Überall im besetzten Europa hing die Ausführung deutscher Maßnahmen von der Gefügigkeit der politischen Institutionen, der Unterstützung durch lokale Ordnungskräfte, der Passivität oder Mitwirkung der Bevölkerung und vor allem ihrer politischen und geistlichen Eliten ab. Sie war auch abhängig von der Bereitschaft der Opfer, den Weisungen Folge zu leisten, oft in der Hoffnung, diese abzumildern oder doch Zeit zu gewinnen und irgendwie dem deutschen Schraubstock zu entkommen. Eine Gesamtgeschichte des Holocaust muß alle diese Ebenen in den Blick nehmen und integrieren.
"Die Jahre der Vernichtung" erzählt mit großer historiographischer Meisterschaft die Geschichte der Ermordung der europäischen Juden vom Beginn des Zweiten Weltkriegs bis zum Ende des Dritten Reiches. Doch das Streben nach wissenschaftlicher "Objektivität", nach Erklärung und Analyse kann in einer Geschichte des Holocaust allein nicht genügen. Mit einem überwältigenden Chor von Stimmen – Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Erinnerungen – bewahrt Saul Friedländer seine Darstellung vor der Gefahr der "domestizierten" Erinnerung an ein Geschehen, das ohne Beispiel ist. Es ist gerade diese besondere Qualität seiner Geschichtsschreibung, die das Buch aus der Literatur heraushebt und ihm einen einzigartigen Rang zuweist. Mit Die Jahre der Vernichtung liegt Saul Friedländers großes Werk über die Ermordung der europäischen Juden nun vollständig vor.
Saul Friedländer , geb. 1932 in Prag, ist Professor für Geschichte an den Universitäten von Tel Aviv und von California, Los Angeles. 1998 erhielt er für den ersten Band seiner Darstellung Das Dritte Reich und die Juden den Geschwister-Scholl-Preis.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Danksagung 9
Einleitung 11
Erster Teil
Terror (Herbst 1939 – Sommer 1941)
1. September 1939 – Mai 1940 29
2. Mai 1940 – Dezember 1940 91
3. Dezember 1940 – Juni 1941 155
Zweiter Teil
Massenmord (Sommer 1941 – Sommer 1942)
4. Juli 1941 – September 1941 225
5. September 1941 – Dezember 1941 289
6. Dezember 1941 – Juli 1942 357
Dritter Teil
Shoah (Sommer 1942 – Frühjahr 1945)
7. Juli 1942 – März 1943 427
8. März 1943 – Oktober 1943 497
9. Oktober 1943 – März 1944 568
10. März 1944 – Mai 1945 630
Anhang
Anmerkungen 697
Bibliographie 808
Register 847
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