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Die Gewalt des Heiligen Legitimationen souveräner Macht
Die Gewalt des Heiligen
Legitimationen souveräner Macht




Claudia Simone Dorchain

Königshausen & Neumann Verlag
EAN: 9783826048067 (ISBN: 3-8260-4806-7)
490 Seiten, paperback, 16 x 24cm, 2012

EUR 68,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Das „Heilige“ rechtfertigt weltweit die Gewalt. Im Namen des Heiligen wird enteignet, bedroht, vergewaltigt, gemordet. Warum aber legitimiert das „Heilige“ die Gewalt des Menschen gegen den Menschen in unserer postmodernen, säkularen Gegenwart? Wie vollzieht sich die Gewalt des Heiligen in Kunst und Wissenschaft, Religion und Politik? Welche aktuellen Beispiele gibt es für diese Dynamik? Zuletzt: kann man überhaupt den Wirkzusammenhang der Gewalt mit dem Heiligen jetzt oder zukünftig im Hinblick auf ein friedliches Zusammenleben der Kulturen überwinden? Dorchains Studie spannt den Bogen zur Gegenwart und setzt den Begriff des Heiligen in Verbindung mit philosophischen Theorien der Gewalt bei Hannah Arendt, Walter Benjamin, Max Weber und vielen anderen. Wo das Heilige Gewalt legitimiert, defi niert es sich selbst als „souveräne Macht“. Giorgio Agamben glaubt, dass der tötbare Bürger, der einer souveränen Macht völlig ausgeliefert ist, das Menschenmodell der Postmoderne sei. Diese Studie zeigt jedoch, dass das Modell des tötbaren Bürgers als solches aus dem Heiligen stammt und daher in modernen Gesellschaften ein Atavismus ist. Die Anmaßung, dass Menschen sich zum Souverän über andere Menschen erheben, ist eine vormoderne Anmaßung. Das Paradigma der Moderne ist nicht der tötbare „homo sacer“, sondern der „homo liber“, das vor Gewalt geschützte Rechtssubjekt. Doch dieses Paradigma ist bedroht.
Rezension
1972 hat der französische Literaturwissenschaftler, Kulturanthropologe, Religionsphilosoph und Mitglied der Academie francaise René Girard seine bedeutende kultur- und religionswissenschaftliche Studie "Das Heilige und die Gewalt" vorgelegt. Dieser Theorie nach erwächst Gewalttätigkeit und ihr Zerstörungspotential aus dem Zwang zur Konkurrenz und Rivalität. Nach Girard vermag nur die Religion mit Hilfe eines "versöhnenden Opfers", - wie es sich z.B. im Christentum par excellence durch den Sühnetod Jesu Christi darstellt -, die Gewalt zu durchbrechen. Auf diese Abhandlung spielt der Titel der hier anzuzeigenden Studie "Die Gewalt des Heiligen" an, die danach fragt, was die uns bekannte Gewalt mit dem uns unbekannten Heiligen zu tun hat. Gewalt ist kein Sonderfall, sondern ein durchgängiges Gestaltungsprinzip unserer Zivilisation. Dem Heiligen kommt dabei eine rechtfertigende, legitimierende Funktion von Gewalt zu, damit die Gewalt ihre systemerhaltende Funktion ausüben kann: "Etwas legitimiert nicht die Gewalt, weil es heilig ist, sondern es gilt als heilig, weil es die Gewalt legitimiert." (S. 12)

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Autorin Claudia Simone Dorchain, Studium der Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte in Freiburg und Saarbrücken, 2004 Promotion über Meister Eckhart, Postdoktorandin im Kolloquium „Jüdische Studien“ an der Humboldt Universität zu Berlin.
Inhaltsverzeichnis
Die Gewalt des Heiligen
Vorbetrachtung: Ist das Heilige noch aktuell?

I. Opfer und Götter: Gewalt und Heiliges 20

1. Betrachtung zu den Begriffen 31
Exkurs über Gewalt und Geschichte

1.1. Beredte Macht, stumme Gewalt 34
- Alle gegen alle. Kollektive Gewalt und individuelle Gewalt
- „Der gefesselte Prometheus" von Aschylos: Macht und Gewalt in der Tragödie
- Mythische und göttliche Gewalt bei Walter Benjamin

1.2. Gewalt als Immanenz des Heiligen 49
- Etymologie: Zum Begriff des Heiligen
- Das „bewegliche" Heilige als Perspektive: Wann ist das Heilige?
- Dionysisches und apollinisches Götterbild bei Friedrich Nietzsche
- Appendix: Die Ambivalenz des Heiligen als „Mythologem "?
- Martha Nussbaum und die Friedensreligion: Wo ist das Dionysische?

1.3. Prozesse der Gewalt 77
- Hannah Arendt und Max Weber: Machterwerb, Machterhalt
- Exkurs über das zukünftige Heilige als das gewalttätigste Heilige (Karl Popper)
- Gewaltsame Ursprünge oder Gründungsgewalt bei Rene Girard
- Diskussion: Probleme der Macht ohne ein Heiliges

Zwischenspiel: Macht ohne Gewalt? (Utopie und Nominalismus)

2. Gewaltarten 104

2.1. Das triadische Gewaltmodell nach Jan Phillip Reemtsma 107
- Gewalt als Verfügung: lozierende Gewalt
- Gewalt als Vergewaltigung: raptive Gewalt
- Gewalt als Tötung: autotelische Gewalt

2.2. Einwand zu Reemtsma 121
- Die erwürgte Taube. Das Heilige verweigert gewaltfreie Komplemente
- Exkurs: Das sadistische Heilige
- Ausschlachten zur höheren Ehre Gottes: Folter und Opfer
- Die deprivierende Gewalt: Von Tantalus bis zum Embargo

2.3. Das Heilige als Atiologie der Gewalt 145
- Der Tod des Individuums als Opfer. Askese und Abgeschiedenheit
- Wie die Götter morden: Das Opfer bei Rene Girard und Marcel Mauss
- Warum brauchen die Götter eigentlich Blut?

Zwischenspiel: Gewalt und Körper (Shylock und die Mystiker)

II. Das Ich und sein Mörder: Gewalt und Identität 177
Von den Dyaden der Gewalt und vom Spaß, Täter zu sein


3. Verbrechen und Ordnung 183
Vom absichtslosen Prinzip des „Paten" zur Gewalt als Identitätsfaktor

3.1. Gewalt als Persönlichkeitsfaktor 186
- Herr und Knecht als Beispiel für Machtasymmetrie bei Meister Eckhan
- Das Heilige und die Gott-Mensch- Trennung (Blumenberg)
- Appendix: Werwölfe und Ausnahmezustände

3.2. Opfertypen als Differenzierung von Gewalt 205
- Opfertypen: Huren und Helden, Frevler und Märtyrer
- Gewalt und Sprache als Konstruktionsfaktor des Geschlechts
- Exkurs: Sprache als Machtmittel (Foucault und die Sophisten)

3.3. Verbrechen als heilige Gewalt 223
- Schuld und Rache: Grete Minde, Tess d'Urbanville und Beatrice Cenci
- Mord an der „heiligen Hure": Jack the Ripper und der Ehrenmord
- Opferkultische Sühne: Marschall Retz und das Massaker von Hinterkaifeck
- Kriminologie: Cesare Lombrosos „geborener Verbrecher"

Zwischenspiel: Eskalationen und Übergänge

4. Gewaltlegitimation 256
Von der Krise der Ordnung bis zur Souveränität

4.1. Walter Benjamin und die Krise der Ordnung 258
- Legitime Gewalt: Rechtszwecke und Rechtmittel
- Auch das Apollinische muss sich rechtfertigen. Gewalt und „schicksalhafte Krönung" durch Gesetz
- Das moderne Heilige als Gewaltprävention

4.2. Friedrich Nietzsche und der Wille zur Macht 275
- Der Wille zur Macht. Gewalt als Selbstmanifestation des Herren m enschen
- Leichen-Blicke im „Zarathustra". Hinrichtung des Ichs als Opfer an den toten Gott: Nietzsche, Lacan und Cusanus
- Exkurs über die identifizierte Wahrheit (Foucault)

4.3. Georges Bataille und das Absurde 292
- Eskalation und mimesis: Blaubart und Girards „mimetisches Motiv" der Gewalt
- Verschwendung und Opfer: Batailles Konzept des „Souveräns"
- Das Absurde in der Gewalt: Kafka, Decadence und Stasi-Terror
- Exkurs über Gewaltlegitimation: Vom Lagos zum Topos

Zwischenspiel: Das Heilige im Alltag oder Gibt es profane Gewalt?

III. Moderne Opfer 325

5. Gewalt als Ordnungsstabilisator 333

5.1. Sanktion und Gratifikation 336
- Die linke Hand des Staates (Montaigne)
- Sakrales und profanes Böses
- Das uneigennützige Böse und die Denunziation

5.2. Gewalt im Spiegel des Rechts 349
- Verfahrensgewalt als Frevel und Sühne (Luhmann und Dorfrichter Adam)
- Ziviler Ungehorsam als Opferform (Hannah Arendt und Thoreau)
- Appendix zur Aktualität des zivilen Ungehorsams

5.3. Propaganda der Gewalt 363
- Süßer Engel SS: Der Fahrbunker und die Täterstilisierung
- Ästhetik des Kulturpessimismus: „Matrix" und Böcklins „Toteninsel"
- Vatermord und Hurenstigma: Enkel der Nazifunktionäre

Zwischenspiel: Vatermord oder Kriminelle und politische Gewalt
- Exkurs zum Vatermord

6. Ästhetik des Bösen 392

6.1. Opfer und Kunst 395
- Exkurs zur geöffneten Venus
- Rops und Goya: Ästheten des Dionysischen
- Ophelia, Mariana und The lady of Shalott: Gewaltdarstellung am weiblichen Opfer
- Exkurs: Gewalt in der Alltags-Repräsentation: It-Girls und Vamps
- Bukake: Stigmatisierung der "heiligen Hure"

6.2. Opfer und Eros 427

- Eros als Mittel zum Machterwerb: "Venus im Pelz" (Sacher-Masoch)
- Eros als Mittel zum Machtverlust: "Die Geschichte der O." (Réage)
- Exkurs zu Seyran Ates "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution"
- Appendix: Stätten des "homo sacer": Das Lager und das Bordell

6.3. Das neue Böse 455

- Etymologie: Was ist das Böse?
- "Sturmhöhe": Emily Bröntes Vision des Bösen
- Appenix: Böses um des Bösen willen bei de Sade

Zwischenspiel: Epochen der Gewalt oder Wo ist der "heilige Raum" in der Moderne?

Schluss: Die Zukunft des Heiligen? 475