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Der Käse und die Würmer Die Welt eines Müllers des 16. Jahrhunderts
Der Käse und die Würmer
Die Welt eines Müllers des 16. Jahrhunderts




Carlo Ginzburg

Wagenbach
EAN: 9783803128195 (ISBN: 3-8031-2819-6)
240 Seiten, kartoniert, 12 x 19cm, März, 2023

EUR 16,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Das Buch erzählt die Geschichte des Müllers Menochio, der 1584 vor der Inquisition bekennt:

»Ich habe gesagt, daß, was meine Gedanken und meinen Glauben anlanget, alles ein Chaos war, nämlich Erd`, Luft, Wasser und Feuer durcheinander. Und jener Wirbel wurde eine Masse, gerade wie man den Käse in der Milch macht, und darinnen wurden Würm`, und das waren die Engel.«

Ginsburg nimmt die Erzählungen des Müllers nicht nur ernst, sondern er rekonstruiert mit ihnen eine ganze Vorstellungswelt: die der vermeintlich illiteraten Unterschicht.

Carlo Ginzburg, geboren 1939 in Turin, lehrt Neue Geschichte an der Scuola Normale Superiore in Pisa. Er ist u.a. Ehrenmitglied der American Academy of Arts ans Science, erhielt 1993 den Aby-Warburg-Preis der Stadt Hamburg und 2010 den renommierten Balzan-Preis.
Rezension
Die Mühle gehört zu den wichtigsten Orten europäischer Kulturgeschichte, zählte sie doch in der Frühen Neuzeit zusammen mit der Kirche, dem Markplatz, dem Gericht und dem Gasthaus zu den zentralen gesellschaftlichen Einrichtungen und Kommunikationszentren. Aber wie sah das Weltbild eines Müllers zum Beispiel in jener Epoche genau aus?
Auskunft darüber geben regionale Studien bzw. Arbeiten zur Mikrogeschichte. Als einer der Begründer dieser historischen Richtung gilt der preisgekrönte Kulturgeschichtler Carlo Ginzburg (*1939). Der emeritierte Professor für Neuere Geschichte, der an den Universitäten Bologna, University of California (Los Angeles) und an der Sculo Normale Superiore in Pisa lehrte, veröffentlichte 1976 seinen Klassiker der Mikrogeschichte „Il formaggio e i verni. Il cosmo di un mugnaio `500“. Bis 2019 wurde dieser in 26 Sprachen übersetzt. 1979 erschien das Buch erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600“. 2023 wurde die neunte Auflage des Bands im Verlag Klaus Wagenbach unter gleichem Titel mit dem leicht abgeänderten Untertitel „Die Welt eines Müllers des 16. Jahrhunderts“ veröffentlicht.
Im Zentrum der historischen Monographie Ginzburgs stehen die zwei Prozesse des Inquisitionsgerichts gegen den in der Pfarrgemeinde Montereale im Friaul lebenden Müller Domenico Scandella (1532-1601). Der Menoccio genannte wird angeklagt in seiner Gemeinde „Ketzereien“ verbreitet zu haben. In seinen Reden vor der Inquisition vertritt er eine bestimmte Theologie, Kosmogonie und Angelologie, mündend in der Behauptung: „Und jener Wirbel [an Gedanken und Glauben] wurde also eine Masse, gerade wie man den Käse in der Milch macht, und darin wurden Würm`, und das waren die Engel.“(S. 91) Gott wurde nach dem Müller zur gleichen Zeit auch aus der oben erwähnten Masse erschaffen. Auf dieses Zitat spielt der von Ginzburg gewählte Titel seiner Untersuchung an.
Hat Menocchio die von ihm vertretenen religiösen Positionen wirklich nur aus seinem eigenen „Hirn geschöpft“, wie der Müller behauptet, oder hat er Gedanken von anderen oder aus bestimmten Büchern übernommen? Dieses untersucht Ginzburg präzise anhand archivalischer Quellen und unter Berücksichtigung der historischen Forschungsliteratur. Lehrkräfte des Faches Geschichte werden durch das vorliegende Buch motiviert, sich in ihrem Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt mit Weltbildern problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Carlo Ginzburgs Monographie „Der Käse und die Würmer“ ist ein Klassiker der Mikrogeschichte, welcher einen Platz in jeder guten molinologischen Bibliothek verdient.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Carlo Ginzburg
Der Käse und die Würmer
Die Welt eines Müllers um 1600
Erweiterte Ausgabe mit neuem Vorwort
Aus dem Italienischen von Karl F. Hauber
WAT [819]. 23.3.2023
240 Seiten. Broschiert
16,– €
ISBN 978-3-8031-2819-5
Ein Schlüsseltext für die moderne Geschichtsschreibung: die Mentalität und das Weltbild eines Müllers zur Zeit der Inquisition. Mit einem neuen Vorwort des Autors.
Das Buch erzählt die Geschichte des Müllers Domenico Scandello, genannt Menocchio, der 1584 vor der Inquisition bekennt: »Ich habe gesagt, dass, was meine Gedanken und meinen Glauben anlanget, alles ein Chaos war, nämlich Erd’, Luft, Wasser und Feuer durcheinander. Und jener Wirbel wurde eine Masse, gerade wie man den Käse in der Milch macht, und darinnen wurden Würm’, und das waren die Engel.«
Diese seltsame, eher an Aristoteles als an scholastische Lehrmeinung erinnernde Überlieferung einer Gerichtsaussage ist Anhaltspunkt des Buches, das Carlo Ginzburg über einen 1532 im Friaul geborenen und 1601 als Ketzer verbrannten Müller geschrieben hat.
In diesem klassischen Text rückt erstmals ein Individuum ins Zentrum der Mentalitätsgeschichte. Ginzburg lauscht der Melodie von Menocchios Mühle und nimmt die Erzählungen des Müllers nicht nur ernst, sondern er rekonstruiert mit ihnen eine ganze Vorstellungswelt: die der vermeintlich illiteraten Unterschicht.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 7
Der Käse und die Würmer 23
1. Menocchio 25
2. Das Dorf 27
3. Erstes Verhör 30
4. »Unsinnig« 31
5. Von Concordia nach Portogruaro 32
6. »Genug gegen die Obrigkeit sagen« 34
7. Eine archaische Gesellschaft 39
8. »... und sie unterdrücken die Armen« 43
9. Lutheraner und Wiedertäufer 45
10. Ein Müller, ein Maler, ein Possenreißer 50
11. »Meinungen, die ich aus meinem Hirn geschöpft habe« $7
12. Bücher 59
13. Lesepublikum aufdem Dorf 61
14. Gedruckter Text und »wunderliche Meinungen« 62
15. Sackgasse? 64
16. Der Tempel der Jungfrauen 65
17. Das Begräbnis der Gottesmutter 66
18. Der Vater Christi 68
19. Der Tag des Gerichts 69
20. Mandeville 75
21. Pygmäen und Menschenfresser 79
22. »Gott der Natur« 83
23. Die drei Ringe 85
24. Schriftliche und mündliche Kultur 88
25. Das Chaos 89
26. Zwiegespräch 92
27. Mythische Käse und wirkliche Käse 95
28. Das Wissensmonopol 97
29. Die Worte des Fioretto 99
30. Die Funktion der Metaphern 101
31. »Herr«, »Verwalter«, »Arbeiter« 102
32. Eine Hypothese 105
33. Bäuerliche Religion 109
34. Die Seele 111
35. »Ich weiß nicht« 112
36. Zwei Seelen, sieben Geister, vier Elemente 113
37. Bahn einer Idee 115
38. Widersprüche 118
39. Das Paradies 120
40. Eine neue »Weise zu leben« 122
41. »Die Priester umbringen« 125
42. »Neue Welt« 127
43. Verhöre 133
44. Brief an die Richter 133
45. Rhetorische Figuren 136
46. Urteil 139
47. Kerker 142
48. Rückkehr ins Dorf 145
49. Denunziationen 148
50. Nächtliches Gespräch mit dem Juden 151
51. Zweiter Prozess 152
52. »Phantastereien« 154
53. »Eitle Dinge und Träume« 157
54. »O großer, allmächtiger und heiliger Gott« 160
55. »Wäre ich also tot gewesen mitfünfzehn Jahren« 162
56. Zweites Urteil 162
57. Folter 163
58. Scolio 165
59. Pellegrino Baroni 171
60. Zwei Müller 176
61. Herrschende Kultur und Kultur der Unterschichten 182
62. Briefe aus Rom 183
Nachwort 2019 187
Anmerkungen 195