Was ist Chemie? Eine im schulischen Kontext häufig zu hörende Antwort lautet: „was knallt und stinkt“. Dieses entspricht oftmals dem Image von Chemie in der Öffentlichkeit, gelten chemische Stoffe doch als künstlich, umweltgefährdend oder giftig. Selbst in Magazinen, welchen den Anspruch besitzen, einem breiten Publikum naturwissenschaftliche Grundkenntnisse und Forschungsergebnisse nahe zu bringen, fristet die Chemie eher ein Schattendasein. Entgegen einem weit verbreiteten Vorteil gehören chemische Grundbegriffe und Erklärungsmodelle auch zur Allgemeinbildung.
Umso verdienstvoller ist es daher zu bewerten, wenn Chemikerinnen und Chemiker in Büchern versuchen, Menschen mit geringem Bezug zur Chemie die Bedeutung ihrer Disziplin für die Erklärung der Welt und seine Relevanz für die Lebenswelt sachgerecht zu verdeutlichen. Ein solches Anliegen verfolgt Armin Börner mit seinem Buch „Chemie. Verbindungen fürs Leben“, erschienen 2019 bei wbg Theiss, einem Imprint der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft. Dem Professor für Organische Chemie an der Universität Rostock gelingt es sehr gut - aufgrund seines souveränen Umgangs mit dem chemischen Wissen seines Spezialgebiets Organische Chemie-, im Alltag verbreitete Mythen, beispielsweise über Vitamin C, Dehydrierung, Decarbonisierung, Säuren oder Diäten - vielfach bedingt durch chemische Trivialnamen und schiefe Metaphern - gekonnt zu widerlegen. Dieses kann zur Rationalisierung mancher in der Öffentlichkeit geführten Debatte beitragen. Erwähnenswert sind auch Börners hervorragende Erläuterungen chemischer Formeln, bei denen er auch wissenschaftsgeschichtliche Aspekte der Chemie adäquat berücksichtigt.
Kritik lässt sich allerdings gegen das kaum funktionale philosophische Zitat-Dropping im Buch anbringen. So wird beispielsweise ein Zitat Wilhelm von Humboldts Alexander von Humboldt zugeschrieben (S. 15) und der performative Selbstwiderspruch des neurophysiologischen Konstruktivismus bzw. Anti-Realismus Humberto Maturanas unkritisch übernommen (S. 358). Wie der Radikaler Konstruktivismus sitzt auch Börner in seinem Buch dem naturalistischen Fehlschluss auf (vgl. S. 15, 321, 360). Erinnert sei in diesem Zusammenhang an eine klassische Erkenntnis aus der Willensfreiheitsdebatte um die Jahrtausendwende, nämlich dass die Freiheit, die Bedingung unserer Moralität „in der naturalistischen Unterbestimmtheit unserer Handlungs- und Urteilsgründe“ besteht, so der Philosoph Julian Nida-Rümelin in seinem Buch „Über menschliche Freiheit“ (S. 35).
Leserinnen und Leser jedenfalls, die sich auf die genuin chemischen Passagen von Börners Werk konzentrieren, werden die Bedeutung des Kohlenstoffs als das chemische Element unseres Lebens mehr zu schätzen wissen und das Wechselspiel von Kohlendioxid und Methan verstehen. „Chemie. Verbindungen fürs Leben“ ist primär geeignet als Einführung in und Überblickswerk über die Organische Chemie für Studierende und Lehrkräfte des Faches Chemie. Außerdem werden Personen, die in der Schule Freude an dem exakten naturwissenschaftlichen Unterrichtsfach hatten, bei der Lektüre des Chemie-(Lese-)Buchs manches Aha-Erlebnis haben.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

„Chemie habe ich nie verstanden - aber jetzt!.“

Wagen Sie den Schritt in eine Welt, in der es einen Zusammenhang gibt zwischen Zucker und Entscheidungsfreudigkeit oder Höhlenzeichnungen und Formelsprache. Sehen Sie, wie die Chemie die Welt strukturiert und Chemiekenntnisse zu einem tieferen Verständnis unserer Lebenswelt beitragen können.

Vieles von dem was in diesem Buch steht haben Sie im Chemieunterricht gelernt - Sie haben es wahrscheinlich in einer Kurve Ihres Gehirns abgelegt und vergessen. Entweder, weil Sie meinen es nicht verstanden zu haben oder, weil Sie glauben, dass es keine Relevanz für Ihren Alltag hat. Das Gegenteil ist der Fall. Die Chemie ist der rote Faden, der alle Bereiche unseres Lebens verbindet.

2019. 392 S. mit 23 farb. Abb. und 259 Illus., Bibliogr. u. Reg., 17 x 24 cm, Fadenh., geb. mit SU. wbg Theiss, Darmstadt.

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