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Blumen und Brandsätze
Eine deutsche Geschichte, 1989-2023
Klaus Neumann
Hamburger Edition
EAN: 9783868543858 (ISBN: 3-86854-385-6)
512 Seiten, hardcover, 15 x 22cm, April, 2024
EUR 40,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Kaum etwas hat die Öffentlichkeit in den vergangenen vier Jahrzehnten so sehr erregt wie die Frage, wie viele und welche Menschen, »die wir nicht gerufen haben«, Deutschland aufnehmen sollte. Klaus Neumanns Geschichte lokaler und lokalpolitischer Auseinandersetzungen: im Westen Hamburgs und im südöstlichen Sachsen zeigt, wie sehr Aushandlungsprozesse um die Aufnahme von DDR-Übersiedlern und Asylsuchenden, Aussiedlerinnen und Kriegsflüchtlingen verquickt waren mit Debatten über Rassismus und Rechtsextremismus, demokratische Teilhabe sowie west- und ostdeutsche Identitäten.
„Saarloius, Freiburg, Hoyerswerda, Thiendorf, Magdeburg, Schwedt, Eberswalde, Freital, Dresden, Leipzig, Bredenbek – deutsche Heimatkunde im Herbst 1991. […] Die Gefahr von rechts ist jetzt ein zusätzliches Legitimationsargument für die Therapie ‚Schotten dicht!‘ […] Beginnen Sie stattdessen endlich, sich an der Debatte um Menschenrecht, Menschenwürde und Gleichberechtigung von Flüchtlingen zu beteiligen.“
Anna Bruns in der Hamburgischen Bürgerschaft, 25.9.1991
Rezension
Das Thema „Migration“ gehört zu den „Triggerpunkten“(Mau/Lux/Westheuser) in privaten und öffentlichen Debatten. Das 21. Jahrhundert wird wohl – wie das vorherige – wieder aufgrund von Kriegen, Wohlstandspolarisierung, politischer Verfolgung und der Klimakrise eines der Migration werden. Die Zahl der Migrant:innen und Schutzsuchenden auf Welt erreicht immer neue Höchststände. In den Medien und in politischen Debatten wird dafür überwiegend der Begriff „Flüchtlingskrise“ verwendet, welcher die realen Fluchtursachen von Schutzsuchenden verschleiert. De facto wäre von einer Krise der Migrationspolitik zu sprechen. Zur Versachlichung von politischen Debatten können historische Kenntnisse über den Umgang mit Schutzsuchenden in der Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung bis in die Gegenwart beitragen.
Solche lassen sich der Monographie „Blumen und Brandsätze. Eine deutsche Geschichte, 1989-2023“ von Klaus Neumann (*1966) entnehmen. Erschienen ist diese in der Hamburger Edition, des Verlags des Hamburger Instituts für Sozialforschung. An diesem ist Neumann, bis 2018 Professor für Geschichtswissenschaft in Melbourne, assoziiert und tätig für die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Der Wissenschaftler deckt anhand lokaler Studien - Hamburg-Altona, Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – auf, wie seit 1989 mit Schutzsuchenden verschiedener Länder vor Ort unterschiedlich umgegangen wurde. Das Spektrum reicht von einer Willkommenskultur über Ablehnung bis hin zu rechtsradikalen Brandanschlägen und gewalttätigen Übergriffen von Neonazis auf Schutzsuchende, bei denen diese ermordet wurden. Erinnert sei nur an Solingen, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Deutlich arbeitet der Historiker heraus, dass bei den (lokal)politischen Debatten über die Aufnahme von Schutzsuchenden konfligierende Werte und bestimmte Einstellungen zutage treten. So kann Neumann in der deutschen Bevölkerung und bei konservativen und rechtsextremen Parteien verbreitete homophobe und rassistische Einstellungen identifizieren, die auch gegenwärtig noch manifest sind und sich in der Präferenz für eine rechtspopulistische und -extreme Politik widerspiegeln. Auch die (aktuelle) Diskussion um die Existenz west- und ostdeutscher Identitäten findet in seinen Ausführungen Berücksichtigung. Außerdem würdigt Neumann zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich für Migrant:innen eingesetzt haben und einsetzen, wie die „Aktion Zivilcourage e.V.“ und das „AKuBIZ e. V.“, beide in Pirna ansässig.
Durch das Buch erhält man zudem einen hervorragenden Einblick in die Praxis der Migrationspolitik vor Ort und die Gründe für die Erfolge rechtskonservativer und -extremer Parteien. Ein Umgang mit Schutzsuchenden soll sich nach Neumann an den Werten, Einstellungen und Gütern Achtsamkeit, Gastlichkeit, Solidarität, Gerechtigkeit und Menschenwürde orientieren. Neumann zeigt mit seinen Ausführungen zugleich auf, welchen Beitrag die Geschichtswissenschaft zur Rationalisierung von Debatten über Zwangsmigration und Asylpolitik leisten kann. Lehrkräfte der Fächer Geschichte und Politik werden durch das vorliegende Buch motiviert, sich in ihrem Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt mit dem höchst aktuellen Thema „Migration“ problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Klaus Neumann leistet mit seinem Buch „Blumen und Brandsätze“ einen wichtigen Beitrag zur historischen Aufklärung über den Umgang mit Schutzsuchenden in der Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung. Zugleich plädiert der Historiker auf Basis seiner Forschungsergebnisse aus guten Gründen für die Aufnahme von Schutzsuchenden und für eine auf humanitären Grundsätzen basierende Migrationspolitik.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Klaus Neumann
Blumen und Brandsätze
Eine deutsche Geschichte, 1989-2023
512 Seiten, gebunden, 2 Karten
ISBN 978-3-86854-385-8
Erschienen im April 2024
Zum Buch
Spätestens seit den 1980er Jahren erregt kaum etwas die Öffentlichkeit so sehr wie die Frage, wie viele und welche Menschen, »die wir nicht gerufen haben«, Deutschland aufnehmen sollte. Klaus Neumann beschäftigt sich mit Antworten auf diese Frage: von Forderungen nach der Änderung von Artikel 16 des Grundgesetzes in den frühen 1990er Jahren über die sogenannte Willkommenskultur 2015 bis zur Neuauflage der Behauptung, das Boot sei voll, nach der Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine 2022.
Der Historiker untersucht die unterschiedlichen Motivationen, Schutz zu gewähren oder Schutzsuchende abzuweisen. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung stehen dabei lokale und lokalpolitische Auseinandersetzungen: im Westen Hamburgs und im südöstlichen Sachsen. Er macht anschaulich, wie sehr Aushandlungsprozesse um die lokale Aufnahme von DDR-Übersiedlern und Asylsuchenden, Aussiedlerinnen und Kriegsflüchtlingen verquickt waren mit Debatten über Rassismus und Rechtsextremismus, demokratische Teilhabe sowie west- und ostdeutsche Identitäten.
Sein Buch erlaubt somit neue Einblicke in dreieinhalb Jahrzehnte deutscher Geschichte. Zugleich ist es ein Plädoyer für eine umfassende und gut informierte Debatte über die Frage, warum Deutschland Schutzsuchende aufnehmen sollte.
Über Klaus Neumann
Klaus Neumann ist Historiker und Kulturwissenschaftler. Er zog 1985 nach Australien, um dort mit einer Arbeit über Geschichte und Geschichten in Papua-Neuguinea zu promovieren, und war bis vor Kurzem Professor für Geschichte in Melbourne.
Inhaltsverzeichnis
1 Historischer Fortschritt, Deutschland aus der Ferne und
die unvergleichbaren Enden eines imaginären Spektrums 7
2 Hamburger Unwirtlichkeiten, kommunalpolitisches Engagement
und die Schranken »ehrbarer Fernstenliebe« 30
3 »Ausländische Bürger«, »dumpfe Menschen« und die
hochfliegenden Pläne eines zugezogenen Bürgermeisters 60
4 Die Opferbereitschaft gut situierter Nachbarschaften, die
Provenienz Hamburger Schweißer und der »Asylkompromiss« 97
5 Ein »friedliches Dörflein im Wesenitztal«, das Feilschen
um Telefonzellen und Spielarten von Angst und Gewalt 133
6 Eine kontroverse »Belegungsentzerrung«, das Wort eines
Hanseaten und Vorbehalte gegen den Rückbau von Flüchtlings
unterkünften 166
7 Zeugen der Baseballschlägerjahre, ein ertrunkener Junge und
Abhilfe gegen »Misskredit« 199
8 Privilegien nationalstaatlicher Souveränität, Schutzsuchende
außer Sichtweite und Kämpfe um ein Bleiberecht 239
9 Ein »landschaftlich reizvoll« gelegenes Lager, tiefer Frust
bei den Bürgern und die »Würde der Anderen« 272
10 Die Verhinderung eines »Ghettos«, Kettensägen in einem
Villenvorort und die Marginalisierung des rechten Randes 307
11 Die Konsequenzen einer »Bierlaune«, das »Recht aller Anwohner
auf Ruhe und Frieden« und die Coronapandemie als Fortsetzung
der »Flüchtlingskrise« 348
12 Abschließendes über Geschichte und Geschichten, Unterschiede
und Zusammenhänge und eine unaufgeregte Diskussion 389
Anmerkungen 419
Quellen und Literatur 477
Archive, Sammlungen und digitale Informationssysteme 477
Zeitungen und Zeitschriften 479
Zitierte Literatur 480
Abkürzungen 504
Personenregister 507
Danksagung 512
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