Mathematikerinnen und Mathematiker benötigen zum gründlichen Erlernen ihres Berufs in den meisten Fällen eine Kreidetafel. Auch wenn heute vermeintlich fortschrittliche Stimmen mit krähenden Kehlen "das Ende der Kreidezeit" ausgerufen haben und der Meinung sind, dass Mathematik auf glänzenden Whiteboards mit stinkenden Stiften oder gar ausschließlich elektronisch steuerbaren Smartboards lehr- und lernbar sei: Dieses Buch mit seinen einhundertelf Beiträgen und Tafelbildern beweist das Gegenteil. Es ist eben die Kreidetafel, an der mathematische Ideen und Arbeitsskizzen entstehen, Beweise durchgeführt werden, Schlussfolgerungen perfektioniert werden. Die Autorin, selbst Fotografin und nicht etwa Mathematikerin, hat zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gebeten, eines ihrer Tafelbilder vorzustellen. Eine jede Doppelseite enthält rechts eine Fotografie mit dem Tafelbild, während links die Gedanken des Mathematikers/der Mathematikerin zu lesen sind, ergänzt durch eine jeweils kurze biographische Notiz. Allen Beiträgen kommt dabei die präzise geschulte Reflexionsfähigkeit der befragten Personen zugute: Sie sprechen über ihr Verhältnis zu einem ihrer wichtigsten Arbeitsmittel und geben so einen seltenen Einblick in die mathematische Studierstube, aus der ja sonst (wenn überhaupt) nur fertige Ergebnisse an das Licht der Öffentlichkeit gelangen. In diesem Buch hingegen wird die Tür zum Arbeitszimmer immer wieder einen Spalt weit geöffnet, so dass erhellende Details sichtbar werden.
Auch wenn man von den Tafelbildern selbst kaum etwas versteht: An jedem der Beispiele wird deutlich, um was für eine hochentwickelte und hoch spezialisierte Wissenschaft voller Ästhetik es sich handelt. Es wird wohl keinem Menschen mehr möglich sein, das gesamte Gedankengebäude der Mathematik zu bereisen - jeweils einen kleinen Ausschnitt daraus stellen uns diese Beiträge vor.
In Summe ist diese Publikation ein gehaltvolles Sachbuch mit gehörigem Tiefgang, das sich z.B. als Geschenk für Mathematikkolleginnen und -kollegen eignet oder auch als Geschenk für Abiturientinnen und Abiturienten, die mit dieser schönen Wissenschaft gern in Kontakt kommen möchten.
Es handelt sich auch um ein Plädoyer für Konzentration und Präzision und gegen omnipräsente Digitalisierung aller Lehr- und Lernprozesse sowie gegen die damit meist einhergehende völlige Zerstreuung des Wissens.

J. Groß, www.lbib.de

Rätselhafte Formeln und Gleichungen, faszinierende mathematische Fragestellungen und Lösungsansätze – auf den Tafeln der Forschenden erscheinen sie so fesselnd wie abstrakte Kunst. Nach und nach erschließen sie sich als ein Schatz an Geistesblitzen, kreativen Denkprozessen und konzeptioneller Schönheit.

Die Kreidetafel hat für Mathematiker und Mathematikerinnen bis heute einen einzigartigen Stellenwert: Sie dient der Lösung hochkomplexer Fragen und Probleme und als Ort der Zusammenarbeit und der Vermittlung. Während die meisten Forschungsgebiete längst Whiteboards und andere digitale Präsentationsformen nutzen, bleibt die Mathematik Tafel und Kreide treu. In über einhundert Fotografien zeigt Jessica Wynne in »Bitte nicht wegwischen« Tafelbilder, die für uns Laien zunächst so rätselhaft wie ästhetisch fesselnd sind. Gezeichnet, gekritzelt, verändert, weggewischt und immer wieder neu entworfen wurden sie von renommierten und jungen Stimmen der Mathematik aus aller Welt, die in ihren Begleittexten anschaulich von ihrer Arbeit erzählen. Nach und nach erschließt sich so aus dem Zusammenspiel von Wort und Bild die bewundernswerte Vorstellungskraft ihres Denkens und die konzeptuelle und visuelle Schönheit ihrer Disziplin.