lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Beruht Willensfreiheit auf einer Illusion ? Hirnforschung und Ethik im Dialog
Beruht Willensfreiheit auf einer Illusion ?
Hirnforschung und Ethik im Dialog




Eberhard Schockenhoff (Hrsg.)

Schwabe Basel
EAN: 9783796520815 (ISBN: 3-7965-2081-2)
34 Seiten, kartoniert, 16 x 23cm, November, 2004

EUR 17,00
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Die alte philosophische Frage, ob der Mensch einen freien Willen besitzt oder nicht, erfährt durch die neurobiologische Forschungen eine Renaissance. So behaupten führende Neurobiologen wie Gerhard Roth und Wolf Singer unter Verweis auf Resultate der Hirnforschung, dass Willensfreiheit eine Illusion ist. Die Medien rezipierten begierig diesen Angriff auf das traditionelle Menschenbild und boten den Vertretern des neuronalen Determinismus in Tageszeitungen und Magazinen ein Forum. So wurde der Eindruck geweckt, dass sich genuin philosophische Fragen rein objektivistisch, mittels naturwissenschaftlicher Methodologie beantworten ließen. Kritisiert wurde die Position des neuen Determinismus u.a. von den Philosophieprofessoren Michael Pauen, Peter Bieri und Jürgen Habermas.
Auch von theologischer Seite wird an Leugnern der Willensfreiheit Kritik geübt. So hielt Eberhard Schockenhoff (1953*), Professor für katholische Moraltheologie an der Universität Freiburg/Br., im Rahmen der Aeneas-Silvius-Stiftung am 26.4.2004 in der Universität Basel einen Vortrag zu der Frage „Beruht die Willensfreiheit auf einer Illusion? Hirnforschung und Ethik im Dialog“, der im „Schwabe Verlag“ in gedruckter Form erschienen ist. Der Theologieprofessor beginnt seinen Aufsatz mit einer Phänomenologie des Freiheitsbegriffs, wobei er auf die „sprachliche“, „anthropologische“ und „soziologische Ambivalenz des Freiheitsbegriff“ eingeht (S. 5-11).
Darauf erfolgt von Schockenhoff eine exzellente Kritik des neuronalen Determinismus mit anthropologischen, logischen und wissenschaftstheoretischen Argumenten. Dazu verweist er in Anlehnung an Platons Dialog Phaidon und im Unterschied zu David Hume auf die zentrale Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen (S. 16f.). Davon ausgehend deckt der Theologe die „ungeklärten Prämissen der naturalistischen Basisontologie“ auf, nämlich die „Elimination des Subjekts aus der wissenschaftlichen Beschreibungssprache“ (S. 17-19). Schockenhoff erinnert an Max Plancks Unterscheidung zwischen „Innen- und Außenperspektive“. Sehr aufschlussreich ist auch Schockenhoffs Nachweis, dass der neuronale Determinismus an einem performativen Selbstwiderspruch leidet: „Eine wissenschaftliche Theorie, die mentale Phänomene aus neuronalen Gegebenheiten erklären möchte, ist selbst ein mentales Phänomen, denn der Vorgang des wissenschaftlichen Erklärens spielt sich im Bewusstsein ab.“(S. 20) In diesem Zusammenhang hätte Schockenhoff auch auf Epikurs oder Heinrich Rickerts logische Widerlegung des Determinismus hinweisen können. Außerdem belegt der Theologieprofessor, dass aus den Ergebnissen der Libet-Experimente nicht auf die neuronale Determiniertheit des Menschen geschlossen werden kann (S. 23-25). Auch Libet selbst, was von Schockennhoff nicht erwähnt wird, betonte im Jahr 1999, dass seine Experimente nicht zur Widerlegung der Willensfreiheit taugen.
In dem letzten Teil seines Vortrags begreift Schockenhoff „Freiheit als praktische Aufgabe des Menschen“, wobei auch er auf Immanuel Kants „Beweis“ menschlicher Freiheit eingeht. Kants These vom Menschen als „Bürger zweier Welten“ widerspricht nach Ansicht des Theologen einer „ganzheitlichen“ Anthropologie (S. 32). Deswegen plädiert Schockenhoff für einen „Freiheitsbegriff, der Freiheit als inneres Moment im natürlichen Strebensvollzug des Menschen statt aus einem dualistischen Gegensatz zur Natur versteht“(S. 33).
Fazit: Jedem Ethik-, Philosophie- oder Religionslehrer, der sich in seinem Unterricht mit dem für das Selbstverständnis des Menschen zentrale Thema „Willensfreiheit“ fundiert auseinandersetzen möchte, sei der Vortrag von Schockenhoff aus dem „Schwabe Verlag“ zur Lektüre empfohlen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Beruht die Willensfreiheit auf einer Illusion?
Die Freiheit ist ein zweideutiges Phänomen. Innere und äussere Faktoren beeinflussen unsere Willensentscheidungen: Wünsche, Empfindungen, Triebregungen, Umwelteinflüsse.
Inwieweit ist unser Willen also frei? Oder ist Willensfreiheit eine Illusion?
Die Ambivalenz des Freiheitsbegriffes wird auf vielen Ebenen deutlich. So ist die Freiheit - soziologisch betrachtet - abhängig von der gesellschaftlichen Stellung und Anerkennung durch die anderen. Ein Problem, das Eberhard Schockenhoff anspricht, ist die enorme Optionserweiterung aller zentralen Handlungsfelder im Vergleich zu vergangenen Gesellschaften. Heutige Lebensläufe sind einzig auf die Erprobung angewiesen. Ständig sind Entscheidungen zu treffen, verbunden mit dem Verzicht auf die unendlichen anderen Möglichkeiten. Aus diesem Wachstum der äusseren Freiheit ergibt sich jedoch nicht im gleichen Masse eine gewachsene Fähigkeit zur moralischen Selbstbestimmung.
Schockenhoff, der eine kritische Haltung in bioethischen Fragen einnimmt, untersucht weiterhin die Willensfreiheit unter den Gesichtspunkten der aktuellen nEurowissenschaftlichen Ansätze. Er kritisiert die Haltung, das menschliche Bewusstsein durch das Zurückführen mentaler Phänomene auf nEuronale Vorgänge «erklären» zu wollen. Andererseits bestätigt die gegenwärtige Hirnforschung die Fähigkeit des Menschen, selbstreflektiert seine Freiheit zu vollziehen.

«Freiheit ist ein Gut, das wir uns nur dadurch aneignen können, dass wir es in Anspruch nehmen. Freiheit ist ein Gut, das wir nur besitzen können, indem wir es stets von Neuem erwerben. Freiheit ist schliesslich das Gut, das wir uns nur dadurch aneignen können, dass wir es mit anderen teilen.»
(Zitat aus dem Vortrag)

Inhaltsverzeichnis
1. Die Ambivalenz des Freiheitsgedankens 5
2. Die Willensfreiheit in den neurowissenschaftlichen Ansätzen der Gegenwart 11
3. Freiheit als praktische Aufgabe des Menschen 28