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Aufklärungs-Dinge Zweifler und Verzweifelte im Umbau des Wissens um 1700
Aufklärungs-Dinge
Zweifler und Verzweifelte im Umbau des Wissens um 1700




Martin Mulsow

Wagenbach
EAN: 9783803137265 (ISBN: 3-8031-3726-8)
304 Seiten, kartoniert, 13 x 21cm, März, 2024

EUR 32,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Martin Mulsow präsentiert Objekte und geistige Abenteurer der Frühen Neuzeit und macht so deren Universum anschaulich. An sonderbaren Apparaturen, Figuren und Karikaturen kristallisierte sich eine Lust am radikalen Denken, die die Welt aus den Angeln heben sollte.
Rezension
Was verbindet man gemeinhin mit der Epoche der Aufklärung? Den Richterstuhl der Vernunft, Immanuel Kants berühmte Definition vom Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, den Kampf gegen Vorurteile, den Universalismus, das Fortschrittsdenken, die Wissenschaftsorientierung und die Religionskritik. Was man wohl kaum mit der Aufklärung in Verbindung bringt, sind Guckkästen, Goldmünzen, Schlafröcke, Bäume oder Wünschelruten. Aber auch diese Artefakte fungierten als „Aufklärungs-Dinge“.
So lautet der Titel des neuen Buches von Martin Mulsow (*1959), erschienen im Verlag Klaus Wagenbach. Bekanntheit erlangte der Professor für Wissenskulturen der europäischen Neuzeit an der Universität Erfurt durch seine ideengeschichtlichen Arbeiten zur Frühen Neuzeit, zum Beispiel: „Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit“(2007), „Prekäres Wissen. Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit“(2012), „Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680-1720“(2 Bde., 2018) und „Überreichweiten. Perspektiven einer globalen Ideengeschichte“(2022).
In seinem aktuellen Werk zeigt Mulsow anhand von fünf Polyhistoren und deren die Welt erschließenden Dinge auf, wie sie – oftmals gegen gesellschaftliche und wissenschaftliche Widerstände – ihren Beitrag zur Aufklärung leisteten. Der Ideenhistoriker liefert „Wissensgeschichten“ zu Tobias Pfanner, Ernst Tentzel, Christoph August Heumann, Jakob Friedrich Reimmann und Hermann von der Hardt. Wer die Namen bisher nicht gehört hat, wird nach der Lektüre des Buches von Mulsow sicherlich mit ihnen bestimmte „Aufklärungs-Dinge“ verbinden, die mit über 100 Abbildungen gekonnt illustriert werden. Souverän bewegt sich der Wissenschaftler bei seinen sich durch fundierte Detailkenntnisse auszeichnenden Ausführungen zwischen den Disziplinen Ideengeschichte, Kulturgeschichte, historische Anthropologie und Philosophiegeschichte. So kann er genau aufzeigen, welchen Einfluss zeitgenössische Philosophen wie Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Thomasius auf die Polyhistoren ausübten. Mulsow klärt im wahrsten Sinne durch sein Buch über die Aufklärung auf. Lehrkräfte der Fächer Geschichte und Philosophie werden durch die vorliegende Darstellung des Erfurter Ideenhistorikers motiviert, sich in ihrem Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt problemorientiert mit der Epoche der Aufklärung auseinanderzusetzen.
Fazit: Martin Mulsow leistet mit seiner historischen Monographie „Aufklärungs-Dinge“ einen wichtigen Beitrag zur Frühaufklärung, der für ein wissenschaftlich differenziertes Bild der Epoche der Aufklärung notwendig ist.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Martin Mulsow präsentiert Objekte und geistige Abenteurer der Frühen Neuzeit und macht so deren Universum anschaulich. An sonderbaren Apparaturen, Figuren und Karikaturen kristallisierte sich eine Lust am radikalen Denken, die die Welt aus den Angeln heben sollte.
Ein Guckkasten, eine Indianerfigur, ein Schlafpelz, Goldmünzen, eine Wünschelrute, verästelte Bäume und eine Silenbüste: Ausgehend von diesen antik-exotisch oder verwunschen anmutenden Objekten vollzieht Martin Mulsow, unermüdlicher Chronist der Frühen Neuzeit, Tiefenbohrungen in die Welt um 1700 und führt voller Detailkenntnis ins brodelnde Zeitalter der Aufklärung.
Fernab von Heldenerzählungen und den Routinen der Triumphgeschichte treten auf diese Weise Schicksale von Gelehrten vor Augen, die bereit waren, die alte Welt mit ihren Gedanken zu sprengen, aber an den Missständen und der Bequemlichkeit ihrer Mitmenschen verzweifelten. Es erscheinen wuchernde Wissensgeflechte aus kühler Rationalität und Okkultem sowie mal dunkle, mal glanzvolle Lese- und Bücherwelten aus heiligem Ernst und beißendem Spott.
Nahezu haptisch wird so das geistige Klima einer Epoche fühlbar, die sich aufschwang, in Zweifel zu ziehen, was über Tausende von Jahren gegolten hatte: ein durchaus fremdes Zeitalter, das den Startschuss für eine Revolution der Skepsis gab, die bis heute anhält.
Inhaltsverzeichnis
SEIN ODER SCHEIN? ZUR EINLEITUNG 9
1 GUCKKÄSTEN. FENSTER DER AUFKLÄRUNG 13
Blicke in die Welt 13
Grauzone 16
Die betrogene Welt 18
Das Milieu der Kupferstecher 26
Lebensabschnittsbeschäftigung 28
Rekonstruktion von Habitusformen 31
Im Guckkasten des Medienwechsels 39
2 INDIANER. UNZUFRIEDENHEIT STUDIEREN 43
Der Aussteiger 43
Die Unterseite des Leipziger Studiums 45
Ein Kreis von Thomasianern 47
Hoffmann als anonymer Autor 51
Kupferstiche der Unzufriedenheit 54
Pribers Frau 59
Die Utopie 63
3 SCHLAFPELZ. INFORMALITÄT UND MELANCHOLIE AM HOF 69
Schlafröcke 69
Informalität 70
Zirkulationen und Audienzen 72
Eine doppelte Persona 76
Als Archivrat in Weimar 80
Der Jurist bei der Arbeit 81
Der Historiker 82
Die Praktiken des Sammelns 84
Pfanners Religion 86
Pietismus? 89
Schlafpelz, Blödigkeit und intellektueller Eigensinn 91
4 GOLDMÜNZEN. VIELWISSEN IN ECHTZEIT 97
Alchemisches Gold 97
Vielwisser 102
Die Monatlichen Unterredungen 104
Korrespondenz und Mobilität 108
Der Journalist bei der Arbeit 111
Medaillenwissen als Medium höfischer Kommunikation 117
Numismatischer Historiograph 122
Mühe mit der Geschichte Gothas 123
Verlagskontakte, Historiker und der Markt 124
Lokales Wissen 126
Dresden 127
Der Betrug 130
5 WÜNSCHELRUTE. ARBEITEN IM BERGWERK DES WISSENS 139
Wünschelruten 139
Der Verbesserer 144
Briefwechsel: Dialogische Exegese und elegante Gelehrsamkeit 151
Reflexivität 158
Wahrheitsähnlichkeit: Verbesserung, Privatklugheit und die
Gelehrtenrepublik 160
6 BÄUME. VERZWEIGUNGEN DER IGNORANZ 165
Philomoria 165
Reimmann als Thomasianer 168
Spannungen zum Pietismus: Reimmann und Lange 173
Zwei skeptische Bücherkenner:
Reimmann und Struve 175
Paradoxie, Skepsis, Kritik 176
Die Tölpelfreude von der Logica 181
Paradoxie als pädagogische Praxis 183
Reimmanns litterärgeschichtliches Programm 190
I SILEN. BUKOLIK UND DER GROSSE VERBLENDUNGS-
ZUSAMMENHANG 201
Die Büste 201
Die Deutung 203
Politische Figuren des Schweigens 207
Gewissensfreiheit 211
Korallen 214
Sag es durch die Blume 220
Politische Bukolik 224
POSTSCRIPTUM 229
Die Ironie der Dinge 229
Anmerkungen 235
Abbildungsverzeichnis 292
Personenregister 297