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Amerikanische Literatur Aus fünf Jahrhunderten
Amerikanische Literatur
Aus fünf Jahrhunderten




Frank Kelleter (Hrsg.)

Verlag J. B. Metzler
EAN: 9783476040336 (ISBN: 3-476-04033-X)
720 Seiten, hardcover, 18 x 25cm, März, 2016

EUR 49,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Alle wichtigen Werke der amerikanischen Literatur aus KINDLERS LITERATUR LEXIKON - in einem Band.



Ein komplettes Werkzeug für literaturwissenschaftler und ein großer Fundus für alle Literaturinteressierten.
Rezension
Alle wichtigen Werke der amerikanischen Literatur aus KINDLERS LITERATUR LEXIKON - in einem Band: kurze biografische Skizzen der Autoren und kundige Darstellung der Werke (vgl. Leseprobe zu Edward Albee im Inhaltsverzeichnis). Die Kindler Klassiker präsentieren in einem Band die wichigen Autoren und Werke einer Nationalliteratur auf ca. 600-800 S. pro Band und bilden damit ein kompaktes Werkzeug für Literaturwissenschaftler und ein großer Fundus für alle Literaturinteressierten. "Kindler Klassiker: Französische Literatur" präsentiert die wichtigsten Autoren und Werke aus 500 Jahren, alphabetisch geordnet und mit Autorenregister und Titelregister versehen. "Kindler Klassiker: Französische Literatur" greift dabei auf KINDLERS LITERATUR LEXIKON in handlicher Form zurück: Das legendäre "Kindlers Literatur Lexikon" (KLL), hg. von Heinz Ludwig Arnold, in 18 Bänden und fast 15.000 Seiten inkl. Registerband, mit den wichtigsten literarischen Werke aller Zeiten, aller Regionen, aller Kulturen in rund 8300 Einträgen mit ca. 21.200 Einzelartikeln, ebenfalls im Metzler Verlag erschienen, ist zwar in 3., völlig neu bearbeiteter Auflage 2009 für 999,- € (statt 2400,- €) zu haben (978-3-476-04000-8), aber der Privatmann wird es kaum erwerben. Der Herausgeber dieses Frankreich-Bands Prof. Dr. Gerhard Wild war Fachbereater bei der 3. Aufl. von "Kindlers Literatur Lexikon" (KLL).

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Kindler Klassiker bietet Auszüge aus der dritten, völlig neu bearbeiteten Aufl age von Kindlers Literatur Lexikon, herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold.
Dr. Frank Kelleter ist Professor für Nordamerikanische Kultur am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin; er war Fach berater bei der dritten Aufl age von Kindlers Literatur Lexikon.
Dieser Band berücksichtigt die US-amerikanische, jedoch nicht die kanadische Literatur.
Inhaltsverzeichnis
Artikel von A bis Z 7

Hinweise für die Benutzung 703
Abkürzungsverzeichnis 704
Autorenregister 705
Titelregister 714


Leseprobe:

Edward Albee

■ geb. 12. 3. 1928 Washington/D. C. (USA)
Ab 1950 erste Experimente als Dramatiker; 1962 Durchbruch mit dem Welterfolg Who’s Afraid of Virginia Woolf?; beeinflusst von A. Artaud; Verfasser von Gesellschaftssatiren mittels surrealer Verfremdungs- und Schockeffekte; bedeutender Vertreter des ›Theaters des Absurden‹.
■ Ausg.: Collected Plays of E. A., 2 Bde, 2004–2005.
■ Lit.: M. C. Roudané: Understanding E. A., 1987. ■ M. Gussow: E. A. A Singular Journey, 1999. ■ The Cambridge Companion to E. A., Hg. S. J. Bottoms, 2005

Das dramatische Werk

(amer.) – Mit einem OEuvre von über 20 Dramen, darunter
der weltberühmte Klassiker Who’s Afraid of Virginia
Woolf?, 1962 (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?,
1963, P. Braun), und die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten
Stücke A Delicate Balance, 1966 (Empfindliches
Gleichgewicht, 1967, P. Braun), Seascape, 1974
(Seeskapade, 1975, P. Braun), und Three Tall Women, 1990
(Drei große Frauen, 1992, A. und M. Walser), gehört Edward
Albee zu den prägenden Gestalten des modernen
US-amerikanischen Dramas. Seine Karriere begann in
den späten 1950er Jahren. Damals gehörte er neben Jack
Ä Gelber, Arthur Ä Kopit und anderen zu einer Reihe
junger Dramatiker, die sich vom europäischen Theater
des Absurden inspirieren ließen. Trotz inhaltlicher
und formaler Parallelen, etwa bei der Thematisierung
der Identitäts- und Kommunikationsproblematik oder
beim Einsatz surrealer Verfremdungstechniken, teilten
er und seine US-amerikanischen Kollegen jedoch nicht
jenes pessimistisch-existenzialistische Lebensgefühl,
das von Martin Esslin in seiner einflussreichen Studie
The Theatre of the Absurd, 1962 (Das Theater des Absurden,
1964), für Autoren wie Samuel Beckett, Harold Pinter,
Eugene Ionesco oder Jean Genet herausgearbeitet
wurde, sondern beschränkten sich im Wesentlichen auf
die Übernahme formaler Mittel zum Zweck der Gesellschaftssatire.
Maßgeblich beeinflusst wurde Albees dramatisches
Schaffen durch eine Reihe von biographischen Faktoren.
Zu den prägenden Verlusterfahrungen seiner Kindheit
gehört, dass er kurz nach der Geburt von seinen
leiblichen Eltern zur Adoption freigegeben wurde. Er
verbrachte seine Kindheit und Jugend bei seinen wohlhabenden,
selbst kinderlosen Stiefeltern Reed und Francis
Albee in luxuriösen Familienverhältnissen, fühlte
sich in dieser Umgebung aber immer als Fremder – eine
Erfahrung, die sich in zahlreichen Einzelmotiven seiner
Stücke widerspiegelt. Den entscheidenden Bruch mit
seinem Adoptivelternhaus vollzog er 1950, als er sich im
Alter von 22 Jahren im New Yorker Greenwich Village
niederließ und ein Boheme- und Künstlerleben zu führen
begann.
Zu den Stücken, auf denen sich Albees Stellung als
einer der bedeutendsten Repräsentanten des US-amerikanischen
Dramas gründet, gehört neben Who’s Afraid
of Virginia Woolf? vor allem der Einakter The Zoo Story,
1959 (Die Zoogeschichte, 1978, P. Braun), der vier Monate
nach seiner erfolgreichen Uraufführung in Berlin auch
in New York zu einem viel beachteten Theaterereignis
wurde. Das an einem sommerlichen Sonntagnachmittag
im New Yorker Central Park angesiedelte Zweipersonenstück
dreht sich um den Konflikt zwischen dem
Sozialaussteiger Jerry und dem konformistischen Spießbürger
Peter, in dessen Verlauf Jerry sein Gegenüber zuerst
durch das Erzählen einer persönlichen Beispielgeschichte,
dann durch physische Attacken aus dem emotionalen
Käfig seiner Selbstisolierung herauszulocken
versucht. Das Geschehen kulminiert in dem grotesken
Kampf um eine Parkbank und findet seinen Höhepunkt
im Selbstopfer Jerrys, der sich in ein Messer stürzt, das
Peter zu seiner Verteidigung vor sich hält. Es geht dabei
um die paradoxe Botschaft, dass Grausamkeit, indem
sie die Indifferenz zwischenmenschlicher Beziehungen
überwinden hilft, eine emotionale Heilwirkung entfalten
kann. Auf einer metadramatischen Ebene verweist
die spielinterne Konfliktsituation auf das Verhältnis von
Künstler und Publikum im Sinne von Antonin Artauds
›Theater der Grausamkeit‹: Jerry wird über seine innerdramatische
Rolle hinaus zu einer Regiegestalt, die
dem – auf der spielinternen Ebene durch Peter verkörperten
– Publikum durch die unvermittelte Konfrontation
mit verschiedenen Formen der Grausamkeit die
Möglichkeit einer Katharsis eröffnet. Diese Theaterkonzeption
spielt auch eine wichtige Rolle in Who’s Afraid
of Virginia Woolf?. Charakteristisch für die Form dieses
Stücks ist darüber hinaus eine virtuos gehandhabte
Zitat- und Anspielungstechnik. Hierbei verbinden sich
Elemente des Strindberg’schen Ehe dra mas, der Sittenkomödie,
des realistischem Psychodramas und des absurden
Theaters in einer Weise, die auf die wechselseitige
parodistische Verfremdung dieser Gattungsmuster
hinausläuft.
Die Technik der parodistischen Verfremdung herkömmlicher
Gattungsformen kennzeichnet auch Albees
frühe Kurzdramen The Sandbox, 1960 (Der Sandkasten,
1971, P. Braun), und The American Dream, 1961 (Der
amerikanische Traum, 1962, P. Braun), in denen ironisch
mit den Konventionen des Familiendramas gespielt und
das gesellschaftliche Idealbild des ›clean-cut American
boy‹ satirisch ad absurdum geführt wird. Zu den schwächeren
Leistungen aus der Frühphase gehört das sozialkritische
Stück The Death of Bessie Smith, 1960 (Der Tod
von Bessie Smith, 1978, P. Braun), das den tragischen Tod
der Bluessängerin im Jahre 1936, als ihr nach einem Autounfall
von einem weißen Krankenhaus die Aufnahme
verweigert worden war, zum Anlass einer konfus wirkenden
Analyse des Zusammenhangs von existenzieller
Lebensangst, sexueller Frustration und Rassismus
macht. Ein ähnliche Kritik lässt sich für das Ideendrama
Tiny Alice, 1964 (Winzige Alice, 1967, P. Braun), formulieren,
das erkenntnistheoretische Fragen über das Verhältnis
von Illusion und Wirklichkeit mit Reflexionen
über den Zusammenhang von Sexualität und Religion
verbindet, dabei aber die Rezeptionsmöglichkeiten des
Theaterpublikums überfordert.
A Delicate Balance, 1966 (Empfindliches Gleichgewicht,
1967, P. Braun), knüpft wieder an das Artaud’sche
Konzept des ›Theaters der Grausamkeit‹ an, hier allerdings
in Form eines Gegenentwurfs zu Who’s Afraid of
Virginia Woolf?. Die Handlung dreht sich um das Bemühen
der Mitglieder einer Mittelklassenfamilie, ihre
Beziehungen in einem ›empfindlichen Gleichgewicht‹
zu halten. Dieses wird bedroht durch den unvorhergesehenen
Besuch eines befreundeten Ehepaars, das sich
im Haus der Familie einnisten will und damit vielfältige
Spannungen heraufbeschwört. Bevor es jedoch zum
ultimativen Ausbruch unkontrollierter Aggressionen
kommt, verlassen die Eindringlinge das Haus, wodurch
die prekäre Balance des Handlungsauftakts bis auf Weiteres
wiederhergestellt wird. Thema des Stücks ist der
›ganz normale Wahnsinn‹ eines vom obsessiven Bedürfnis
nach Ordnung geprägten bürgerlichen Alltagslebens.
Die Angst vor dem Kontrollverlust, angedeutet
durch die leitmotivartige Rekurrenz des Wahnsinnsmotivs,
äußert sich dabei paradoxerweise in einer Sprache
der Vernunft. Die Invasion der Nachbarn wird assoziiert
mit dem Bild der Pest (»plague«), das auch in Artauds
Konzeption einen zentralen Stellenwert einnimmt. Es
steht als Metapher für den Ausbruch anarchischer Gewalt,
die nach Artauds Vorstellungen Heilkräfte gegen
das ›falsche Leben‹ freisetzen könnte. Indem sich die
Beteiligten gegen die ›Ansteckungsgefahr‹ zu immunisieren
versuchen, die mit dem Einbruch des ›Unnormalen‹
in die scheinbar normale Alltagswelt einhergeht,
vergeben sie die Möglichkeit einer Katharsis.
Eine neue Phase in Albees dramatischem Schaffen
zeichnete sich in den späten 1960er Jahren ab, als sich
sein Stil immer stärker in Richtung einer introvertierten
Reflexionskunst zu wandeln begann. Es mehrten
sich nun solche Stücke, in denen weitgehend auf eine
Figurenentwicklung und traditionelle Handlungsführung
verzichtet wurde – so etwa in dem dramatischen
Triptychon Box, Quotations from Chairman Mao Tse
Tung, Box, 1968 (Kiste, Worte des Vorsitzenden Mao
Tse-tung, Kiste, 1969, P. Braun), einer nach musikalischen
Kompositionsprinzipien arrangierten Montage
von Monologen, sowie in Dialogkompositionen wie
All Over, 1971 (Alles vorbei, 1973, P. Braun), Listening,
1976 (Zuhören, 1976, P. Braun), Counting the Ways,
1976 (Spielarten, 1976, P. Braun), Finding the Sun, 1983
(Der Sonne entgegen), Marriage Play, 1987 (Ehetheater,
1988, A. und M. Walser), Fragments. A Sit-Around,
1993 (Fragmente), oder in dem spielerisch den Evolutionsgedanken
per siflierenden Phantasiestück Seascape,
1974 (Seeskapade, 1975, P. Braun). Während Seascape
sich durch seine humoristische Tonlage heraushebt,
herrscht in den meisten Dramen aus diesem Zeitraum
eine pessimistische Grundstimmung vor. All Over und
The Lady from Dubuque, 1980 (Die Dame von Dingsville,
1982, P. Braun), dramatisieren den Prozess des Sterbens,
und auch in weiteren Werken dominieren Themen wie
Alter, Krankheit und Tod. In Marriage Play, das die Ehekampfsituation
eines alternden Ehepaares als brillant
inszeniertes Aggressionsspiel zweier kampferprobter
Routiniers ins Bild setzt, und in The Play About a Baby,
1998 (Das Spiel ums Baby, 1999, A. und M. Walser), dessen
Handlung sich um den mysteriösen Realitätsstatus
eines Kindes dreht, variiert Albee Motive aus Who’s
Afraid of Virginia Woolf?, ohne damit allerdings an den
Erfolg des früheren Stücks anknüpfen zu können.
Insgesamt blieb die Resonanz von Publikum und
Kritik auf die in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen
Stücke verhalten. Albees Enttäuschung darüber
fand ihren Ausdruck in dem allegorischen Zweiakter
The Man Who Had Three Arms, 1983 (Der Mann, der
drei Arme hatte, 1984, P. Braun), der von der Kritik zu
seinen schwächsten Leistungen gezählt wird. Das Stück
handelt von einem Protagonisten namens »Himself«,
der aufgrund eines ihm plötzlich gewachsenen dritten
Armes unversehens zu Weltruhm gelangt, nach dessen
Verschwinden jedoch wieder auf eine Durchschnittsexistenz
zurückgeworfen ist und seine Frustration
darüber mit wütenden Publikumsbeschimpfungen und
alkoholischen Exzessen zu kompensieren versucht. Mit
dieser dramatischen Selbstallegorie spielt das Stück
auch auf die Alkoholprobleme an, mit denen der Autor
zeitweise zu kämpfen hatte.
Ab Beginn der 1990er Jahre erfuhr Albees dramatisches
Schaffen durch den überragenden Erfolg von
Three Tall Women einen neuen Aufmerksamkeitsschub.
Der Zweiakter lässt seine Protagonistin (Albees kurz
zuvor verstorbener Adoptivmutter nachgestaltet) in drei
verschiedenen Phasen ihres Lebens – als 90-Jährige,
52-Jährige und 26-Jährige – auf der Bühne erscheinen
und kontrastiert auf beklemmende Weise die Illusionen
und Selbsttäuschungen der früheren Lebensstufen mit
den Verlusterfahrungen des Alterns. Einen weiteren
Höhepunkt von Albees späterem Werk markiert der mit
dem Tony Award ausgezeichnete und für den Pulitzerpreis
in die engere Wahl gezogene Einakter The Goat,
or Who Is Sylvia? Notes Toward a Definition of Tragedy,
2002 (Die Ziege, oder Wer ist Sylvia? Anmerkungen zu
einer Bestimmung des Tragischen, 2003, A. und M. Walser).
Dessen bizarre Handlung dreht sich um einen erfolgreichen
50-jährigen Architekten, der seit Jahren eine
scheinbar harmonische Ehe führt und auch seinem homosexuellen
Sohn mit mustergültiger Toleranz begegnet,
aber eines Tages sein Umfeld mit dem Bekenntnis
schockiert, dass er sich bei einem Landausflug in eine
Ziege verliebt und sich mit ihr sexuell vereinigt habe.
Die an den Stil der konventionellen Wohnzimmerkomödie
erinnernde Komik der Eingangsszene wandelt
sich im weiteren Verlauf immer mehr zu einem grotesken
Gewaltspektakel. Dieses findet seinen Kul mi nations
punkt am Schluss der letzten Szene, als die Frau
des Protagonisten, den blutigen Kadaver einer Ziege auf
dem Arm, den Raum betritt und erklärt, das Tier aus
Eifer sucht getötet zu haben. Neben dem Zentralmotiv
der Sodomie spricht das Stück auch andere Tabuthemen
wie homosexuellen Inzest, Pädophilie und Masochismus
an. Es stellt sein Publikum damit vor die Herausforderung,
herkömmliche Kategorien dessen, was als
›abartig‹ gilt, zu überdenken. Die heftige Kontroverse,
die The Goat bei Publikum und Kritik entfachte, ist ein
Anzeichen für die fortdauernde öffentliche Wirkung
eines Dramatikers, dem das moderne US-amerikanische
Theater wesentliche Impulse zu verdanken hat.

■ Lit.: Critical Essays on E. A., Hg. P. C. Kolin/J. M. Davis, 1986. ■
E. A., Hg. H. Bloom, 1987. ■ E. A. A Casebook, Hg. J. B. Mann,
2003. Kurt Müller

Who’s Afraid of Virginia Woolf?

(amer.; Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, 1963,
P. Braun) – Obwohl dem Stück nach der Uraufführung
am 13. Oktober 1962 der Pulitzerpreis aufgrund einer
umstrittenen Jury-Entscheidung versagt blieb, wurde
es – nicht zuletzt aufgrund seiner berühmten Verfilmung
mit Elizabeth Taylor und Richard Burton in den
Hauptrollen (1966) – zu einem Welterfolg und gehört
heute international zu den herausragenden Klassikern
des modernen Dramas.
Die Handlung des Dreiakters spielt im Wohnzimmer
des 46-jährigen George, der als wenig erfolgreicher
Geschichtsprofessor an einem College in New England
lehrt, und seiner 52-jährigen Frau Martha, der Tochter
des Collegepräsidenten. Als die beiden spät in der Nacht
von einer Dozentenparty im Haus von Marthas Vater
zurückkommen, eröffnet Martha ihrem Mann, dass
sie einen neu angestellten jungen Kollegen, den Biologieprofessor
Nick, und dessen Frau Honey zu einem
›Schlummertrunk‹ eingeladen habe. Vor den Augen
der bald darauf eintreffenden Gäste liefern sich George
und Martha eine immer weiter eskalierende Auseinandersetzung,
in deren Verlauf sie einander fortwährend
mit wechselseitigen Demütigungen zu überbieten versuchen.
Das Geschehen entwickelt sich von der komödienhaften
Ehekampfsituation des ersten Aktes – »Fun
and Games« (»Spaß und Spiele«) – im zweiten Akt
zusehends zu einer Orgie der Bösartigkeit (»Walpurgisnacht
«) und kulminiert schließlich in der ›Geisteraustreibung‹
des dritten Aktes (»Exorcism«). Das Gästepaar,
das den verbalen Ehekrieg seiner Gastgeber zunächst
aus der Distanzhaltung unbeteiligter Zuschauer
verfolgt, wird im Verlauf des Geschehens immer mehr
in den Konflikt hineingezogen. Eine zentrale Rolle als
Auslöser und Kampfmittel spielt dabei der von Martha
und George gemeinsam gepflegte Privatmythos, einen
Sohn zu haben. Dieser steht für die Lebenslüge, mit der
beide in einem Spiel wechselseitiger Selbsttäuschung die
Unfruchtbarkeit ihrer Beziehung zu verdrängen versuchen.
Von George dazu provoziert, breitet Martha den
Sohnesmythos vor den Gästen aus. George nimmt dies
zum Anlass, den Mythos endgültig zu zerstören, indem
er den Sohn für tot erklärt, und setzt damit ein Beispiel
für seine Gäste, deren Ehe ebenfalls kinderlos geblieben
ist. Am Ende des Stücks steht andeutungsweise die
Hoffnung, dass beide Paare vielleicht in der Lage sein
werden, ihrer Situation illusionslos ins Auge zu sehen.
Die künstlerische Komplexität von Who’s Afraid of
Virginia Woolf? ist nicht zuletzt das Resultat einer virtuos
gehandhabten Zitat- und Anspielungstechnik. In
der dramatischen Form verbinden sich Strindberg’sche
Ehedramatik, Noël Coward’sche Sittenkomödie, realis
tisches Psychodrama und Elemente des absurden
Theaters (P. Goetsch, 295). Durch eine Fülle von intertextuellen
Referenzen – etwa auf die feministische
Schriftstellerin Virginia Woolf, das erste US-amerikanische
Präsidentenpaar George und Martha Washington,
die Zerstörung Karthagos oder Oswald Spenglers
geschichtsphilosophisches Werk Der Untergang des
Abendlandes (1918/22) – wird darüber hinaus der übergreifende
kulturelle Resonanzboden des dramatischen
Geschehens evoziert. Die kulturkritische Dimension des
Stücks vermittelt sich auch durch eine subtile Allegorisierungstechnik.
So verweist die biologische Unfruchtbarkeit
der beiden Ehepaare, hier insbesondere in der
Gestalt Nicks, auf die Sterilität der US-amerikanischen
Gesellschaft, und in der Gegenüberstellung von Nick
und George verkörpert sich der zeitgenössische Konflikt
zwischen einer dem opportunistischen Utilitätsdenken
verhafteten Naturwissenschaft und einer in ineffizientem
Intellektualismus erstarrten Geisteswissenschaft.
Ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis des
Stücks findet sich im Motiv des Rituals. Was wie ein
realistisches Ehekampfdrama beginnt, wandelt sich
immer mehr zu einem Ritual im Sinne von Antonin
Artauds Konzept des ›Theaters der Grausamkeit‹. In
diesem Sinne wird das Geschehen am Schluss zu einer
quasi-religiösen Zeremonie, bei der nach dem Ausagieren
der destruktiven Impulse eine Katharsis in Gang
gesetzt wird. Eine besondere Bedeutung kommt dabei
der metadramatischen Ebene der Handlung zu. Im Rahmen
der spielinternen Rollenverteilung bildet das ältere
Ehepaar das ›Darsteller‹- und das jüngere das ›Publikumsensemble‹.
Nick und Honey fungieren dabei als
Stellvertreterfiguren für das reale Theaterpublikum, das
ebenfalls durch gezielte Provokationen aus der überlegenen
Position emotionaler Distanz herausgerissen und
in einen Zustand existenzieller Betroffenheit gebracht
werden soll.
Innerhalb dieser Konstellation kommt der Gestalt
des George eine komplexe Rolle zu. Er trägt Züge eines
Neurotikers, fungiert aber gleichzeitig als Kommentatorfigur
und wird dabei streckenweise zum Sprachrohr
von Albees eigener Zivilisationskritik. Darüber hinaus
übernimmt er im Rahmen des Artaud’schen Grausamkeitsrituals
die Rolle des ›metteur-en-scène‹ (›In-Szene-
Setzers‹) und wird dabei nicht nur zum drameninternen
Regisseur der Handlung, sondern erhält im letzten Akt
auch eine Art Priesterfunktion. Die religiösen Anspielungen,
die sich im Schlusssegment massiv häufen,
sind insofern nicht schlechthin parodistisch gemeint,
sondern unterstreichen den Charakter des Geschehens
als einer quasi heiligen Reinigungszeremonie. Georges
symbolische Opferung des imaginären Sohnes mündet
in ein gemeinsam mit Martha vollzogenes Bekenntnis
zu ihrer ehelichen Unfruchtbarkeit – ein Akt, der in der
Bühnenanweisung nicht von ungefähr mit dem religiös
konnotierten Begriff »communion« charakterisiert
wird. Die vom ›Darstellerensemble‹ vorgeführte Zeremonie
wird ihrerseits zum Auslöser einer vergleichbaren
Katharsiswirkung beim ›Publikumsensemble‹, die
sich auch auf das reale Theaterpublikum übertragen soll.
Mit seiner komplexen dramatischen Struktur, seinem
Reichtum an literarischen, dramatischen, zeit- und kulturgeschichtlichen
Anspielungen und seinem wirkungsästhetischen
Provokationspotenzial stellt Who’s Afraid
of Virginia Woolf? eine interpretatorische Herausforderung
dar, die Kritik, Leserschaft und Theaterregisseure
immer wieder neu inspiriert und dabei schon zu einer
Vielzahl von höchst unterschiedlichen Deutungen und
Reaktionen geführt hat.

■ Lit.: P. Goetsch: E. A. Who’s Afraid of Virginia Woolf?, in: Das
amerikanische Drama, Hg. P. G., 1974, 295–318. ■ M. Roudané:
›Who’s Afraid of Virginia Woolf?‹. Necessary Fictions, Terrifying
Realities, 1990. ■ G. Selerie: E. A.’s ›Who’s Afraid of Virginia
Woolf?‹, 1995.

Kurt Müller