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Teilhabe in Zeiten verschärfter Ausgrenzung? Kritische Beiträge zur Inklusionsdebatte
Teilhabe in Zeiten verschärfter Ausgrenzung?
Kritische Beiträge zur Inklusionsdebatte




Holger Wittig-Koppe, Fritz Bremer, Hartwig Hansen (Hrsg.)

Paranus Verlag
EAN: 9783940636102 (ISBN: 3-940636-10-X)
184 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2010

EUR 19,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Was ist Inklusion? Eigentlich eine Selbstverständlichkeit – nämlich dass alle Menschen, so verschieden sie sein mögen, ob beeinträchtigt, behindert oder „normal“, dass alle Menschen gleichberechtigt Teilhabende unserer Gesellschaft sein sollen.

Wie kann das gehen in Zeiten zunehmender Ausgrenzung?

Die derzeitige Debatte um Inklusion hat durch die „UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung“ allerorten Fahrt aufgenommen. Und sie trägt ein Janusgesicht, denn Inklusion wird gerne in Sonntagsreden beschworen, während gleichzeitig unter dem Motto „Eigenverantwortung für alle“ Sozialabbau betrieben wird.

Und doch gilt es die Chancen dieser Neuorientierung zu nutzen.

Was ist also Inklusion? Eine Zielvorstellung, eine Leitidee, ein Paradigma? Ja.

Keinesfalls ein Zustand, den man erreichen könnte.

Wohl auch keine simple Strategie zur Abschaffung von „Sondereinrichtungen“ mit der Folge von Verwahrlosung und Billiglösungen der Betreuung.

Dieses Buch ist die erste kritische Bestandsaufnahme der Debatte und will zur weiteren Diskussion anregen. Die Autorinnen und Autoren greifen das Paradigma Inklusion engagiert auf, verweisen auf erkennbare Gefahren und stellen zugleich zukunftsweisende Fragen. Und sie wollen Inklusion konkret werden lassen, damit das Wort keine Leerformel bleibt.
Rezension
Inklusion wird kommen, - auch in den Schulen. Die Diskussion um eine inklusive Schule ist vor dem Hintergrund der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ("Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen", 2006 / 2009 von der BRD ratifiziert) vollends entfacht und wird das Schulsystem verändern und vor gewaltige neue Herausforderungen stellen in Richtung auf ein "integratives Bildungssystem auf allen Ebenen." Inklusion "bedeutet nichts anderes, als dass Menschen mit einer Behinderung – oder welchem Anderssein auch immer – dort leben, feiern, tanzen, arbeiten, wo alle anderen es auch tun“ (so die Herausgeber dieses Buchs). Die derzeitige Debatte um Inklusion hat durch die „UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung“ allerorten Fahrt aufgenommen. Aber sie trägt ein Janusgesicht, denn Inklusion wird gerne in Sonntagsreden beschworen, während gleichzeitig unter dem Motto „Eigenverantwortung für alle“ Sozialabbau betrieben wird. Auch die Autor/inn/en dieses Buches stehen fest zur Inklusionsidee. Sie nehmen sich aber die Freiheit, kritisch zu hinterfragen, welche Gefahren in der Propagierung dieses Zieles auch stecken können, z.B. Sparkonzepte oder Endprofessionalisierung.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
"Ein lesenswertes Buch zur aktuellen Inklusionsdebatte. Die Autoren sind keine Verhinderer, Nörgler oder Bedenkenträger, sondern kritische Analysten, die in der allgemeinen Euphorie kühlen Kopf bewahren."
Klarer Kurs - Magazin für berufliche Teilhabe

Holger Wittig-Koppe
geb. 1947 in Kiel. Studium der Soziologie und Politologie in Frankfurt/M. und Kiel. Referent im Paritätischen Schleswig-Holstein für die Bereiche Bürgerschaftliches Engagement, Selbsthilfe und Inklusion. Veröffentlichungen zur Arbeitsmarktpolitik und zum bürgerschaftlichen Engagement.

Fritz Bremer
geb. 1954 in Lübbecke, ist Diplompädagoge und arbeitet seit Mitte der 70er Jahre in sozialpädagogischen und sozialpsychiatrischen Einrichtungen.
Er gründete 1985 mit Henning Poersel den „Brückenschlag – Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Literatur, Kunst“ und später den Paranus Verlag.
Heute ist er (Mit)Geschäftsführer der Brücke Neumünster gGmbH.
Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Veröffentlichungen des Autors/der Autorin

"In allen Lüften hallt es wie Geschrei" – Jakob van Hoddis / Fragmente einer Biografie,
Paranus Verlag 2001.

Zusammen mit Renate Schernus: Tyrannei des Gelingens – Plädoyer gegen marktkonformes Einheitsdenken in sozialen Arbeitsfeldern, Paranus Verlag 2007.

Zusammen mit Sibylle Prins und Renate Schernus: "Wir sind weit miteinander gegangen – Eine Psychiatrie-Erfahrene und eine Psychotherapeutin im Gespräch", Paranus Verlag 2009.

Hartwig Hansen
Jahrgang 1957,
Diplompsychologe, langjährig Geschäftsführer des Bonner Psychiatrie-Verlages.
Heute Redaktionsmitglied des “Brückenschlag” und freier Mitarbeiter im Paranus Verlag Neumünster sowie Paar- und Familientherapeut, Coach und Supervisor in Hamburg. Diverse eigene Buchveröffentlichungen.
Siehe auch: www.hartwighansen.de

Rezensionen:

Rezension in Klarer Kurs - Magazin für berufliche Teilhabe 3/2010:
Kühlen Kopf bewahren
„Inklusion zu verstehen ist ganz einfach. Sie bedeutet nichts anderes, als dass Menschen mit einer Behinderung – oder welchem Anderssein auch immer – dort leben, feiern, tanzen, arbeiten, wo alle anderen es auch tun.“ Auf diese Formel bringt einer der Mitherausgeber dieses Buchs, Holger Wittig-Koppe, die Inklusionsidee. Inklusion, das wird in diesem schlichten Satz sichtbar, ist ein Idealzustand, eine Vision. Der Traum, dass jeder angstfrei so sein darf, wie er ist. Dass er Unterstützung und Rücksichtnahme erhält und die Bedingungen findet, die er braucht, um am Gemeinschaftsleben teilzunehmen.
Auch die fünf Autorinnen und elf Autoren dieses Buches stehen fest zur Inklusionsidee. Sie nehmen sich aber die Freiheit, kritisch zu hinterfragen, welche Fallen, welche Gefahren in der Propagierung dieses Zieles stecken, wer die Idee möglicherweise für andere Ziele missbraucht, welche sozialen Errungenschaften wir eventuell gutgläubig aufgeben. Die Stichworte dazu heißen: Freie Kräfte des Marktes, Deregulierung, Sparkonzepte oder Endprofessionalisierung.
Aber nicht nur kritische Stimmen finden sich in diesem Sammelband, sondern auch Ideen zur weiteren Umsetzung von Inklusion. Hier lohnt der Blick über die Grenzen, insbesondere ins benachbarte Holland (Doortje Kal: Kwartiermakersfestivals – Über die Sehnsucht nach Sichtbarkeit).
Das Thema Teilhabe am Arbeitsleben wird ebenfalls in einem Beitrag behandelt. Prof. Ernst von Kardorff, Soziologe an der Humboldt-Universität in Berlin, warnt davor, Teilhabe am Arbeitsleben auf die Erwerbsarbeit zu reduzieren. Er weitet den Blick auf vielfältige Formen von Arbeit in lokalen Projekten und Initiativen, die – etwa über Dienstleistungen im Alten- und Pflegebereich – auf der Basis eines gesicherten Grundeinkommens Selbstbestimmung und gesellschaftliche Wertschätzung ermöglichen. Fazit: Ein lesenswertes Buch zur aktuellen Inklusionsdebatte. Die Autoren sind keine Verhinderer, Nörgler oder Bedenkenträger, sondern kritische Analysten, die in der allgemeinen Euphorie kühlen Kopf bewahren.

Rezension in praxis ergotherapie:
Auf den Begriff Inklusion trifft man allerorten, der inflationäre Gebrauch lässt aber aufhorchen, und man stellt sich die Frage, inwieweit Etikettenschwindel betrieben wird.
Dieser Sammelband nimmt eine historische Einordnung des Begriffes vor und grenzt ihn vom Integrationsbegriff ab. Dabei scheuen die Autoren auch nicht davor zurück, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, denn die Inklusion "trägt ein Janusgesicht, sie wird gerne in Sonntagsreden beschworen, während gleichzeitig unter dem Motto 'Eigenverantwortung für alle' Sozialabbau betrieben wird".
Wirkliche Inklusion würde einen qualitativen Wandel des Miteinanders in der ganzen Gesellschaft in Gang setzen. Bisher definieren aber weitgehend Politik und Verwaltung, was darunter zu verstehen ist.
Die Autoren stammen zwar aus dem Bereich der Sozialpsychiatrie, erhellen aber in ihren Beiträgen das gesamte Spektrum der Umsetzungsprobleme der Inklusion, so dass das Gesagte auf andere Arbeitsfelder transferierbar ist.
Das Buch schließt mit einem Beitrag der "Soltauer Initiative in sozialen Arbeitsfeldern", der eindringlich davor warnt, den Prozess der Ökonomisierung des Sozialen weiter voranzutreiben. Eine Inklusion gerade behinderter Menschen in einer vom System her exkludierenden Politik sei schwer vorstellbar. Wenn Sozialpolitik im neoliberalen Sinne entworfen werde, sei nicht erkennbar, wie der sozialethisch determinierte Leitbegriff der Teilhabe mit dem neoliberal determinierten Begriff der Effizienz vereinbart werden könne.
Die Perspektive erscheint düster, wenn das Ruder nicht herumgerissen werden kann: Wenn Ideal und Wirklichkeit immer weiter auseinanderklaffen, wird dies auch "zu weiterer Demoralisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen, die die Arbeit im Sozial- und Gesundheitsbereich tragen".

Edith Mayer in: Psychosoziale Umschau:
„Teilhabe in Zeiten verschärfter Ausgrenzung?“ heißt die Artikelsammlung, deren Lektüre ich allen empfehlen kann, die an der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention interessiert sind. Schon der Titel weist darauf hin, dass die Umsetzung Gefahr läuft, an der aktuellen Tendenz zur Individualisierung, zur zunehmenden Ausgrenzung der „Nicht-Integrierbaren“ und dem Rückzug des Staates aus der sozialen Verantwortung zu scheitern.
Die Verfasser, bundesweit bekannte Fachleute, repräsentieren ein breites Spektrum von möglichen Standpunkten zur Umsetzbarkeit des Menschenrechts auf Teilhabe sowie der Schaffung einer inklusiven Gesellschaft.
Die geplanten Reformen der sozialen Fürsorge zielen letztlich auf eine qualitative Veränderung der Gesellschaftspolitik. Die soziale Unterstützung soll in Zukunft vorwiegend in informellen Netzwerken eines überschaubaren, „achtsamen“ Sozialraumes geleistet werden. Grundlegende Voraussetzung für eine solche inklusive Gesellschaft ist die Bildung – eine erweiterte, vertiefte Bildung -, die das Verstehen und Einüben einer Kultur der Achtsamkeit, der Solidarität und des Helfens ermöglicht (42). „Alle Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit“ (43ff.) sind Teil von bürgerschaftlichen Netzwerken in einem Sozialraum. Sie sind Teil einer Gemeinschaft, die von Ehrfurcht vor dem Leben, dialogischem Miteinander und Achtsamkeit für die Bedürfnisse der Anderen geprägt ist. Die von M. Wunder (22 ff.) geforderte „Care Ethik“ ist dabei ein notwendiges Korrektiv zu anderen Zielen der sozialen Inklusion wie dem Recht auf selbstbestimmtes Leben, der Eigenverantwortung oder dem Assistenzkonzept. Erst auf dieser Basis kann das Prinzip der Normalisierung, der selbstverständlichen Zugehörigkeit aller Menschen und der Abbau von Sondereinrichtungen für Behinderte zur Überwindung von Abwertung und Ausgrenzung verwirklicht werden. An deren Stelle treten die sozialen Netzwerke (community care, 46-49), darunter auch solche, die der Stärkung der individuellen Selbsthilfe (Salutogenese, Recovery, Empowerment) und Betroffenenselbsthilfe (Empowerment) dienen (89 ff.).
Die Tatsache, dass die Autoren gelegentlich von einem Traum (66) oder der Vision eines achtsamen Sozialraums sprechen, zeigt, dass sie ihre Augen nicht vor den Risiken einer solchen Veränderung verschließen. Sie sehen durchaus, dass ökonomische Interessen zum Missbrauch der mit dem Inklusionsmodell verbundenen Begriffe als Euphemismen (51) für wirtschaftliche Ziele (z.B. Sparmaßnahmen) führen könnten. So darf das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung nicht als „Recht auf Verwahrlosung“ missverstanden werden, denn es gibt auch Schutzrechte (33). Ebenso wenig darf fachliche Assistenz extrem eingeschränkt und Hilfebedarf vorwiegend auf private Bürgerhilfe verwiesen werden. Auch die reine Servicementalität („Kunde“) sei ein grobes Missverständnis der Assistenz (36-37). Es gehe also weder um ein Sparprogramm noch um eine „Vermarktung“ der Behindertenhilfe (51-52).
Eine sich abzeichnende neoliberale Ego-Gesellschaft fördere aber eine allgemeine Entsolidarisierung (52-53) und die Tendenz zur Entprofessionalisierung der sozialen Arbeit (58). Der Staat wie der einzelne Bürger zögen sich aus ihrer Verantwortung zurück. So habe sich in den letzten Jahren eine Entwicklung zu erneuter Ausgrenzung („Casting Prinzip“) abgezeichnet. Wer willkürlich geforderten Ansprüchen nicht genüge, fliege raus (78).
Inklusion sei eine Bringschuld geworden (81). Dies zeige auch der Missbrauch des Begriffs „fördern und fordern“. Wissenschaftliche Untersuchungen über das Zusammenleben im sozialen Nahraum hätten überdies gezeigt, dass dieser heterogener sei als gedacht und sozial dominante Personen sich gerade in informellen Netzwerken durchsetzten und die Mentalität prägten (123).
Trotz der bereits sich abzeichnenden Fehlentwicklungen befürworten die meisten Autoren die Reformbewegung. Als Lösung schlagen sie die Stärkung der Selbsthilfe- und Selbstvertretungsorganisationen (Empowerment, 53) sowie den behutsamen Aufbau neuer Strukturen von unten vor. Praktische Beispiele zu Letzterem werden häufig angeführt, so z. B. die nachahmenswerten europäischen Modelle (u.a. „Kwartiermarken“ in den Niederlanden, das Capitel Volunteering in Großbritannien oder die Vidacentren in Tschechien) in dem Artikel von Görres und Zechert oder die erstaunliche Entwicklung der Aktivitäten eines Psychoseseminars in Neumünster, dargestellt in dem Artikel von Fritz Bremer. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, sich erreichbare Ziele zu setzen und diese im Rahmen eines Gesamtplans konsequent zu verfolgen.
Ein besonderer Vorzug dieses Buches war für mich, dass sowohl die einzelnen Bausteine einer inklusiven Gesellschaft als auch die mit deren Umsetzung verbundenen Risiken jeweils in den gesellschaftspolitischen Hintergrund eingeordnet wurden, was das Nachdenken darüber sehr erleichtert.

Rezension von Dr. Arnhild Köpcke:
„Money makes the World go round“
Beginnen möchte ich meine Rezension mit dem Aufsatz von J. Schiedeck und M. Stahlmann, einer Art Metakritik des Inklusionskonzeptes im Lichte neoliberaler Denkweisen (Individualisierung, Deregulierung und Freier Markt).
Inklusive Bestrebungen haben zur Basis eine wertorientierte Sozialphilosophie und treffen auf eine Gesellschaft, der diese wertorientierte Basis verloren gegangen ist.
Inklusion wird zur Bringschuld des Einzelnen und damit zynisch.
In Anlehnung an Marcuse und Foucault sprechen die Autoren von repressiver Entexkludierung und üben damit Kritik an den Machtverhältnissen. Der gesellschaftliche Durchschnitt setzt die Normen und bewirkt eine Standardisierung aller Lebenbereiche. Das Positive des Inklusionskonzeptes prallt auf die normative Mehrheit. Mit seiner Umsetzung ist ein Perspektivwechsel aller Beteiligten erforderlich.
Historisch wichtig war das Integrationskonzept, das sich durch den Assimilationsdruck vom Inklusionsrecht aller unterscheidet (M. Wunder) und überwunden werden soll. Will Inklusion mehr sein als die Domestizierung der Anderen, mehr sein als die Unterwerfung, ein emanzipatorisches Potenzial entfalten, bedarf es der Ehrfurcht vor dem Leben, der Barmherzigkeit und der Liebe.
Der Traum vom friedlichen Miteinander aller liegt dem Inklusionsbestreben zugrunde. Menschen, die nicht beitragen zum Bruttosozialprodukt, sollen in ihrer Würde anerkannt und teilhaben dürfen an den Kultur- und Sozialgütern.
Das Prinzip der Care-Ethik (M. Wunder), des sich Sorgens um den behinderten Anderen und des sich Verantwortens vor den Bedürfnissen der Notleidenden, ist unverzichtbar. Es handelt sich nicht nur um gesellschaftliche Widersprüche, die geglättet werden können, sondern um das Schicksal von Armut und Krankheit beherrschter Menschen. Ihre Nöte gehen uns an im Streit um mehr Gerechtigkeit und dem Gebot, einen Jeden teilhaben zu lassen.
Psychiatriepatienten bilden dabei eine Minderheit, die von Exklusion stets bedroht war und ist, und sich heute in Eigenvertretung zu Wort meldet und damit emanzipiert aus der Objektrolle.
Das ambulante Ghetto ist der Ort, an dem sich viele Psychiatrie-Erfahrene aufhalten und doch ein Fortschritt in der Geschichte der Marginalisierten. Die Eröffnung des Multilogs ist dabei Hoffnungsträger und man muss Sorge tragen, dass sein Brennpunkt, in dem Psychiatrie-Erfahrene stehen, wieder erlöschen könnte an der Selbstzufriedenheit des Spießers.
Neben dem fragwürdigen Recht, nicht gestört zu werden, gibt es das Recht zu stören, neben dem „Ruhe ist die erst Bürgerpflicht“ gibt es die Stimme der Exkludierten, die sich erhebt. Behinderung ist kein individuelles Phänomen, sondern ein sozial vermitteltes.
Dass die Gesellschaft sich verantwortlich macht für die Rechte Behinderter ist nur recht und billig.
Fritz Bremer beschreibt, wie ein solcher Prozess der Inklusion in der Region Neumünster aussieht, wie der Trialog neue Entfaltungsmöglichkeiten für alle an ihm Beteiligten bringt.
Doortje Kal spricht vom Lob der Sichtbarkeit und davon, dass der öffentliche Raum nicht nur für Standardmenschen da ist und die Befreiung des privaten Selbst befördern kann.
Insgesamt ein komprimiertes Buch vielfacher Facetten des Inklusionsgedankens.
Und auch eine Psychiatrie-Erfahrene kommt zu Wort, nämlich Sibylle Prins, die mit Humor und Ernst untersucht, welche Bedürfnisse in dem Wunsch nach Teilhabe sich artikulieren.
Das Buch regt auf jeden Fall zum Weiterspinnen an und informiert über Stolpersteine, die nicht nur am Wegesrand liegen. Es ist ein engagiertes Buch, das sich eindeutig dem Wohle der Benachteiligten widmet.
Die Soltauer Initiative, die in diesem Buch auch zu Wort kommt, sieht und benennt die Gefahr. Sie sieht die Notwendigkeit zu einem Systemwandel wirtschafts- und sozialpolitisch, um die Forderungen der UN- Behindertenkonvention einzulösen.
Ein politisches Buch, das zum Streiten anregt, zum Streiten für die Rechte behinderter Menschen, ohne das Ganze aus den Augen zu verlieren.

Udo Sierck in Dr. med. Mabuse:
Die Ratifizierung der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen hat quer durch die politischen Parteien und bei den Behindertenverbänden euphorische Reaktionen ausgelöst. Manche sahen darin einen „großen Wurf“ oder gar einen „revolutionären Schub“. Der vorliegende Sammelband von fünfzehn Fachleuten – vornehmlich aus der Sozialpsychiatrie und -pädagogik – versucht hingegen, die Perspektiven der Inklusion, also der vorbehaltlosen Zugehörigkeit und gleichberechtigten Teilhabe aller behinderter Personen in der Gesellschaft, in den Kontext realer Sozial- und Wirtschaftspolitik zu stellen. Denn: „Rechte ohne Ressourcen zu besitzen, ist ein grausamer Scherz“, wie schon der US-amerikanische Gemeindepsychologe Julian Rappaport zum Auseinanderklaffen von Anti-Diskriminierungsgesetzgebung und sozialer Wirklichkeit anmerkte.
Zum deutschen Alltag gehört, dass körperlich behinderte Erwachsene gegen ihren Willen in ein Heim eingewiesen werden, weil das zuständige Amt die Kosten des selbstbestimmten Wohnens im Stadtteil scheut. Dazu gehört auch der regelrechte Boom der Tafel-Bewegung: Viele behinderte Menschen sind bei ihrer Ernährung auf die Versorgung durch Tafeln angewiesen und empfinden dies als diskriminierend. Waren es 1994 erst vier, so ist die Zahl der Tafeln derzeit auf über 800 angestiegen. Aktuelle Untersuchungen stellen schließlich „beunruhigende Zeichen einer Bereitschaft zur Abwertung von Behinderten, Obdachlosen, Bettlern“ fest: Über ein Drittel der Deutschen stimmte in einer Untersuchung der Universität Bielefeld 2007 tendenziell der Aussage zu, dass die Gesellschaft sich „wenig nützliche Menschen“ nicht mehr leisten kann.
Allein diese drei Beispiele dokumentieren das verbreitete Effizienzdenken und machen deutlich, wie „fern diese Bewusstseinslage der Grundintention der UN-Konvention nach Teilhabe für alle“ ist. Die im Buch wiedergegebene skeptische Einschätzung eines Mitarbeiters aus einer therapeutischen Einrichtung trifft die Wirklichkeit wohl am ehesten: Vielleicht trägt das aufgeregte Reden über Inklusion wenigstens dazu bei, die vielerorts festgefahrenen Bemühungen zur Integration wieder anzutreiben.
Darüber hinaus erinnern Jürgen Schiedeck und Martin Stahlmann in ihrem Aufsatz bei aller Sympathie für den Inklusionsgedanken an eine kritische Haltung als Tugend: „Wer nur noch Integration will, nichts als dazugehören, mitmachen, dabei sein, im Trend liegen, verrät damit, dass die Gleichschaltung nichts mehr ist, was ihn schreckt.“
Davon ausgehend ergeben sich weitere Fragen: Wie wird eigentlich festgestellt und definiert, wer inklusionsbedürftig ist? Und wie lässt sich Inklusion denken, ohne die Andersheit des Anderen zum Verschwinden zu bringen? Auch an anderer Stelle des Sammelbandes wird an Theodor W. Adornos Warnung erinnert, dass in der Betonung der Gleichheit der Menschen ein unterschwelliger Totalitätsgedanke mitschwinge, dem nur durch die Akzeptanz der Vielfältigkeit und Verschiedenheit zu begegnen sei.
Trotz solcher Analysen begreifen die AutorInnen des Bandes die angestrebte Inklusion als Chance und Fortschritt. Allerdings müssen ethische Werte in den Vordergrund rücken: Neben der allgemeinen Menschenrechtsorientierung gelte es, die Unterschiedlichkeit von Menschen nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu wertschätzen (Beitrag von Andreas Lob-Hüdepohl). Aus historischer Sicht und mit Blick auf die umfassende Isolierung behinderter Menschen bedeuteten die Konzepte der Normalisierung und Integration zwar einen wichtigen Wert, weil mit ihnen reformerische Entwicklungen in Gang gesetzt werden, die die Inklusion erst denkbar machen. Doch der Integrationsbegriff schafft „zwei Gruppen: die integrierenden, ,normalen’ Menschen oder Bürger und die zu integrierenden, ,nicht normalen’ Anderen.“ Damit wird die Polarisierung zwischen „bereits Dazugehörenden und noch nicht Dazugehörigen“ beibehalten. Das Inklusionskonzept setzt hingegen auf vorbehaltlose Zugehörigkeit.
Damit dieses Miteinander auch bei schwer behinderten Personen funktionieren kann, entwickelt Michael Wunder die Idee der Care Ethik: Die weitgehend von körperbehinderten Erwachsenen initiierte Selbstbestimmt-Leben-Bewegung hat die persönlichen Assistenten von Menschen mit Behinderung als Auftragnehmer definiert. In der Care Ethik verbindet sich dieser klientenzentrierte Ansatz der Selbstbestimmung mit der Verantwortlichkeit der Assistenten, die lernen, Achtsamkeit als Korrektiv einzusetzen. So werden auch schwer behinderte Menschen in die Idee von einem Leben ohne Fremdbestimmung einbezogen.
Die Aufsätze des Sammelbandes machen insgesamt Mut, die Chancen zur Neuorientierung zu nutzen, ohne jedoch – wie die üblichen Sonntagsreden zur Inklusion – auf nachdenkliche Hinweise zu verzichten, die die Kehrseite des Mottos „Eigenverantwortlichkeit für alle“ zeigen.
Udo Sierck, Lehrbeauftragter am Zentrum für Disability Studies“, Universität Hamburg

Verena Liebers in: Der Eppendorfer:
Zusammen tanzen, lachen, arbeiten
15 Autoren diskutieren, wie sich Teilhabe erreichen lässt – und was sie behindert
Schnell, jung, flexibel – in einer Welt, die diesen Maximen folgt, geraten immer mehr Menschen in eine Außenseiterposition. Fünfzehn Pädagogen und Psychologen diskutieren diese Entwicklung im vorliegenden Band. Schonungslos benennen sie die Schwierigkeiten, mit denen viele aufgrund von Armut, körperlichen und psychischen Gebrechen konfrontiert sind. Was bedeutet es aber für eine Gesellschaft, wenn immer weniger Menschen den scheinbaren Standards entsprechen? Wie kann es gelingen, dennoch ein Miteinander zu schaffen, auch wenn die Unterschiede immer größer werden? Die Autoren machen deutlich, dass unterschiedliche Nationalitäten und Altersgruppen, körperliche oder psychische Einschränkungen ebenso zur lebendigen Vielfalt gehören wie verschiedene Interessen und Begabungen. Dabei distanzieren sich die Verfasser einiger Beiträge von dem Begriff Integration. Oft genug sei damit eine eher zwanghafte Anpassung verbunden.
Inklusion meint dagegen, dass jeder in seiner individuellen Einzigartigkeit dazugehört. Eine Gruppe wird nicht dadurch zur Gemeinschaft, indem sich alle aneinander angleichen, sondern indem alle auf jeweils eigene Weise Gemeinsames erleben. Zusammen tanzen, lachen, arbeiten – teilhaben an einer Lebenswelt.
Wie sich dieses Ideal erreichen lässt, wo konstruktive Ansätze vorhanden sind und was eher kontraproduktiv ist, diskutieren die fünfzehn Autoren auf hohem Niveau. Kritische Überlegungen, philosophische Betrachtungen und Berichte aus dem Alltag ergänzen sich. In diesem Sinne ist das Buch schon ein Schritt in Richtung Inklusion: Mosaikartig fügen die Herausgeber unterschiedliche Perspektiven zusammen.

Forum für Kinder- und Jugendarbeit 3/2010:
Inklusion kommt. So lassen die Herausgeber ihr Vorwort in diesem Buch beginnen. In 14 Beiträgen beschäftigen sich verschiedene AutorInnen aus unterschiedlicher Perspektive mit den unterschiedlichen Aspekten der allerorts postulierten "Inklusion". (...) Das Buch ist eine kritische Bestandsaufnahme der Debatte und kann erfolgreich zur weiteren Diskussion anregen. Die AutorInnen greifen das Paradigma Inklusion engagiert auf, verweisen auf erkennbare Gefahren und stellen zukunftsweisende Fragen.
Inhaltsverzeichnis
7 Vorwort der Herausgeber

13 Andreas Lob-Hüdepohl:
Vielfältige Teilhabe als Menschenrecht - ethische Grundlage inklusiver Praxis

22 Michael Wunder:
Inklusion - nur ein neues Wort oder ein anderes Konzept?

38 Klaus von Lüpke:
Inklusion: eine Frage der Kultur - Thesen zur Inklusionsdebatte in der Behindertenhilfe

46 Georg Theunissen:
Inklusion - für die Behindertenarbeit kritisch buchstabiert

55 Holger Wittig-Koppe:
Wider die sozialstaatliche Kolonialisierung des bürgerschaftlichen Engagements

67 Ingmar Steinhart:
Der Weg zu einer inklusiveren Gesellschaft - Herausforderung für alle

78 Jürgen Schiedeck / Martin Stahlmann:
Neoliberales Inklusionsregime - Über simulierte Inklusion und repressive Ent-Exkludierung

87 Birgit Görres / Christian Zechert:
»Exklusion verhindern!« und »Inklusion fördern!« - die europäische Perspektive

98 Doortje Kai:
Kwartiermakersfestivals - Über die Sehnsucht nach Sichtbarkeit

107 Fritz Bremer:
Inklusion praktisch - was da alles drin ist!

121 Sandra Landhäußer:
Inklusion im lokalen Sozialraum - Empirische Anmerkungen zu einer aktuellen Auseinandersetzung

129 Ernst von Kardorff:
Gesellschaftliche Teilhabe psychisch kranker Menschen an und jenseits der Erwerbsarbeit

140 Sibylle Prins:
Jetzt dürfen wir also mitspielen ...

154 SOLTAUER INITIATIVE:
Moralisch aufwärts im Abschwung? UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Kontext von Sozial- und Wirtschaftspolitik

173 Mitwirkende an diesem Buch


Leseprobe:

Vorwort der Herausgeber:
Inklusion kommt.
So wollten wir das Vorwort für dieses Buch beginnen lassen – vor drei Monaten. Spätestens seit der Ratifizierung der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen gehören die Grundsätze einer inklusiven Teilhabe behinderter Menschen zum state of the art einer zeitgemäßen Politik für Menschen mit Behinderung. Das wollten wir gerne glauben – bei aller Skepsis, ob die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung dies selbstverständliche Paradigma wirklich umsetzen wollen und ob die ökonomische Krisensituation dieses überhaupt erlaubt.

Jetzt, knapp drei Monate, später, müssen wir feststellen, unsere Skepsis, ob Inklusion vom politischen System wirklich gewollt wird, ist deutlich größer geworden:
– Der Bundesaußenminister betätigt sich als sozialer Brandstifter, um die Umfragewerte seiner Partei zu retten, und diffamiert viele Millionen Menschen, die unser Wirtschaftssystem ausgegrenzt hat.
– In Schleswig-Holstein gibt es Absichtserklärungen sowohl vons Seiten der Kommunen, als auch vom Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Landtag, bei den 5600 Millionen Euro, die derzeit jährlich für die Teilhabe behinderter Menschen ausgegeben werden, 100 Millionen Euro einzusparen.
– Immer wieder ist aus Kreisen der „Koordinierungsstelle soziale Hilfen“ der schleswig-holsteinischen Kreise, aber auch von denr sozialpolitischen Experten der der FDP-Fraktion, zu hören, Wahlfreiheit und Vielfalt des Angebots seien zwar schön und gut, aber leisten könne man sie sich nicht mehrdies könne man sich nicht mehr leisten. Große Einrichtungen seien eben wirtschaftlicher.
– Bei dem verzweifelten Versuch den schleswig-holsteinischen Landeshaushalt zu sanieren, geraten immer wieder die Zuwendungen in den Fokus, die der Aufrechterhaltung einer sozialen Infrastruktur dienen: AIDS-Hilfen, Schuldnerberatungsstellen, Begegnungsstätten, Betreuungsvereine, Kindertagesstätten, Familienbildungsstätten und so weiter. Übrigens Aalles Angebote, bei denen bürgerschaftliches Engagement in erheblichem Umfang unmittelbar in die Arbeit zumindest aber beim Träger in einem erheblichen Umfang bürgerschaftliches Engagement eingebunden ist.
– Ein Bundesaußenminister, betätigt sich als sozialer Brandstifter, um die Umfragewerte seiner Partei zu retten, und diffamiert viele Millionen Menschen, die unser Wirtschaftssystem ausgegrenzt hat.

Diese Liste alarmierender aktueller Entwicklungen ließe sich sicher noch reichlich fortsetzen. Deutlich wird, dass Werte wie Solidarität, Gastfreundschaft, Teilhabe, Bürgerengagement, Selbstbestimmung in der derzeitigen Wirklichkeit unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich sind. Aber genau diese Werte müssen gestärkt werden, wenn Inklusion für Menschen mit Behinderung möglich sein soll.

Trotzdem wir halten wir daran fest: Inklusion kommt, wenn genügend Menschen sie wollen. Aber auch die Sorge der an diesem Buch BeteiligtenAutoren bleibt: Wwas kommt dabei raus, wenn nur PPolitik und Verwaltung definieren, was sie unter Inklusion verstehen?

Zurzeit besteht durchaus die Gefahr, dass das Paradigma Inklusion missbraucht wird, um Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung zu reduzieren und um so die Kosten des Sozialstaates zu senken. Es passt ja durchaus in den neo-liberalen Zeitgeist (von dem vielleicht mittlerweile nur noch ein Gespenst übrig geblieben ist), der Gemeinschaft die Verantwortung für „ihre“ Menschen mit Behinderung zurückzugeben und die Teilhabeleistungen möglichst weitgehend dem Bürgerengagement zu überlassen.

Es ist notwendigbesteht aber auch die Chance, den derzeitigen Zustand unserer Gesellschaft unter der Fragestellung zu untersuchen, mit der Frage, ob er Inklusion behindert oder befördert. Inklusion, die ja nicht mehr und nicht weniger s anderes bedeutet, als dass Menschen in ihrem Anderssein ihren selbstverständlichen, gleichberechtigten Raum in der Gesellschaft finden, stellt die Frage nach der Art und Weise, wie wir in dieser Gesellschaft leben wollen. Eine Frage, die angesichts von Finanz-, Wirtschafts-, und diverser andererr Krisen vielleicht den Tatsachen unseres Lebens m Zeitgeist viel näher ist als alle neoliberalen Antworten. Deutlich wird jedenfalls, dass Inklusion sich nicht umsetzen lässt mit einer Sozialpolitik, die sich nur als Armuts- und Nachteilsverhinderungspolitik versteht. Der Streit darüber, wie Inklusion sich entwickelnumsetzen lässt, macht mal wieder einmal mehr deutlich, dass Sozialpolitik, die sich nicht als Gesellschaftspolitik versteht, zu kurz greift. In der Inklusionsdebatte Es geht es um den qualitativen Wandel des Miteinanders und nicht um die quantitative Veränderung der finanziellen Transfers.

Genau die Sorge, was kommt dabei raus, wenn das Paradigma Inklusion in der Politik für Menschen mit Behinderung Raum greift –, der kurze Sprung in die Sparfalle der Finanzpolitik oder der große Sprung zu den gesellschaftspolitischen Fragen, wie wollen wir das Miteinander in dieser Gesellschaft künftig gestalten? – genau diese Diskussion, treibt die Herausgeber, die und Autorinnen und Autoren dieses Buches um. Alle Autorinnen und Autoren sind überzeugte Verfechter des inklusiven Grundgedankens: Menschen mit Behinderung sind gleichberechtigte und selbstbestimmte Bürger dieses Landes. Aber alle sindsie sind auch erfahren genug, um zu wissen, dass mit Begriffen regelhaft unterschiedliche Interessen verbunden sind und mit wohlklingenden Worten auch Missstände kaschiert werden könnenbegriffliche Welten immer wieder gegen den Strich gebürstet werden müssen, um ein Bild von der wirklichen Welt zu bekommen.

In diesem Sinne ist dieses Buch kein Beitrag zur Kritik des Paradigmas Inklusion, sondern ein Beitrag zur Kritik des Missbrauchs des Paradigmas für unlautere Zwecke.

Dass Inklusion den Bezug auf ethische Werte und Orientierungen braucht, macht Andreas Lob-Hüdepohl in seinem Beitrag deutlich. Die Menschenrechtsorientierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen geht aus seiner Sicht über die Akzeptanz der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen hinaus. Sie verlangt die Bereitschaft, das, was behinderte Menschen zur Vielfalt und Lebendigkeit einer Gesellschaft beitragen, wertzuschätzen.

Auf die UN-Konvention bezieht sich ebenfalls Michael Wunder. An ihr verdeutlicht er die Unterschiede der Paradigmen Integration und Inklusion. Auch er weist auf die Notwendigkeit hin, Inklusion ethisch zu fundieren. Mit der Care Ethik hat er ein ethisches Konzept gefunden, das die Achtsamkeit als notwendiges Korrektiv zur alleinigen Betonung der Selbstbestimmung einführt. Mit Hilfe der Care Ethik gelingt es ihm, die Asssistentenrolle der Professionellen zu reflektieren.

In seinen zehn Thesen gelingt machtes Klaus von Lüpke fast spürbar zu machen, wie die Kultur einer Gesellschaft sich ändert, wenn es gelingt, Inklusion – als Wiedererlangung des Sozialen – zu verwirklichen.

Georg Theunissen warnt davor, bei aller Begeisterung für das Konzept Inklusion, die Wirklichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. An fünf Schlüsselproblemen zeigt er auf, wie wichtig es ist, Inklusion in der Praxis kritisch zu reflektieren, damit sie nicht zu einer Leerformel wirdgerinnt.

Dass der Diskurs zur Inklusion eng verbunden ist mit dem Diskurs über Bürgergesellschaft und bürgerschaftliches Engagement stellt Holger Wittig-Koppe herausfest. Inklusion braucht die Auseinandersetzung darüber, wie wir miteinander zusammenleben wollen. Aber ebenso wie Inklusion ist bürgerschaftliches Engagement bedroht, neoliberal als staatliches Sparkonzept missbraucht zu werden. Er setzt dagegen, Inklusion zu einer Strategie sozialer Arbeit zu machen, die Bürgergesellschaft bewusst als streitbaren Gegenentwurf zu neoliberalen Konzepten aufnimmt.

Auch Ingmar Steinhart ist sich der Gefahr bewusst, dass Inklusion eine vergängliche Worthülse bleiben kann. Er beschreibtversucht die Herausforderungen zu beschreiben, denen sich sowohl die Leistungsträger als auch die Leistungsanbieter stellen müssen, ebenso wie die ihre politischen „Überbauten“ in der kKommunale Ppolitik und dien Verbänden der freien Wohlfahrtspflege.

Während Steinhart versucht, pragmatisch Vorschläge zur Umsetzung des Inklusionsparadigmas zu machten, verweisen Jürgen Schiedeck und Martin Stahlmann auf die neoliberalenn Inklusionsfallenn. Wenn Inklusion nur die Anerkennung der individuellen Verschiedenheit einfordert, öffnet sie sich unreflektiert einem neoliberalen Denken, das Individualisierung verbindet mit Deregulierung und dem freien Spiel des Marktes.

Den Blick auf den europäischen Diskurs zur Inklusion öffnen Birgit Görres und Christian Zechert in ihrem Beitrag. Sie berichten über einige Projekte in Nachbarländern, die zum Ziel haben, Tabus, Stigmata und Vorurteile gegenüber psychisch erkrankten Menschen zu verringern.

Mit dem Beitrag von Doortje Kal bleiben wir noch einen Augenblick in einem europäischen Nachbarland. Unter der Überschrift „Sehnsucht nach Sichtbarkeit“ Sie betont sie die besondere Bedeutung einer kulturellen, künstlerischen Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung für die Entwicklung einer gastfreundlichen Gesellschaft. Eindrucksvolle Beispiele sind hierfür die Kwartiermakersfestivals in den Niederlanden.

Inklusion kann nur gelingen, wenn Organisationen der Sozialpsychiatrie und der Behindertenhilfe in sich selbst eine inklusive Kultur leben. Wie diese inklusive Kultur in einer Organisation entwickelt wird, zeigt Fritz Bremer in seinem Beitrag auf. Öffnung in den Sozialraum kann nur erfolgreich gelingen, wenn trialogische Arbeit und Mitwirkung der NutzerInnen die selbstverständliche Grundlage für neue soziale Erfindungen bilden.

Dass der Sozialraum aber nicht das heile Wohnzimmer ist, in das nun auch Menschen mit Behinderung eintreten dürfen, macht Sandra Landhäußer deutlich.
Unter Verweis auf empirische Untersuchungen stellt sie fest, dass gerade sozial benachteiligte Menschen im Gemeinwesen am wenigsten über soziales Kapital verfügen. Damit entsteht die Gefahr, dass bei dem Verweis auf informelle Netzwerke soziale Ungleichheit verschleiert wird.

Ernst von Kardorff wendet sich einem zweiten für Inklusion wichtigen gesellschaftlichen System zu: der Erwerbsarbeit. Er warnt davor, Teilhabe am Arbeitsleben allein auf die Teilhabe an Erwerbsarbeit auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren. Er verweist auf die vielfältigen Formen von gesellschaftlichen anerkannten Tätigkeitsformen in zivilgesellschaftlichen Projekten und Initiativen, die auch für Menschen mit Behinderung gesellschaftliche Teilnahme ermöglichen.

In ihrem abschließenden Beitrag nimmt uns Nachdem in allen Beiträgen sich Professionelle so ihre Gedanken gemacht haben zur Inklusion und ihren Widersprüchen, reflektiert in dem letzen Beitrag des Buches Sibylle Prins als unsichtbare Beobachter mit zu einem Treffen von Psychiatrie-Erfahrenen, die – durchaus vielstimmig – ihre Assoziationen und Erlebnisse zum Begriff „Teilhabe“ austauschendie Schwierigkeiten der Diskussion um Teilhabe für Psychiatrie-Erfahrene.

Ans Ende des Buches haben wir die Stellungnahme der SOLTAUER INITIATIVE „Moralisch aufwärts im Abschwung? – UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Kontext von Sozial- und Wirtschaftspolitik“ gestellt, weil wir der Auffassung sind, dass die Stellungnahme noch wesentlich mehr Beachtung verdient und weil sie aus unserer Sicht für alle in diesem Buch versammelten Beiträge eine gute Klammer ist.

Wir würden uns freuen, wenn dieses Buch zur notwendigen Auseinandersetzung um die Entwicklung von Inklusion beiträgt, ohne Widersprüche vorschnell zu entschärfen und Unebenheiten zu glätten. Unser Interesse liegt dabei nicht im ideologisierenden Gebrauch des Begriffes, sondern in der konkreten, differenzierten Arbeit an Alltagsfragen. Die Realisierung von Inklusion kann nur dann gelingen, wenn der Widerstreit um sie lebendig ausgetragen werden kann.

Holger Wittig-Koppe für die Herausgeber