lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
homo mediator. Geschichte und Menschenbild der Mediation
homo mediator. Geschichte und Menschenbild der Mediation



Klett-Cotta
EAN: 9783608941463 (ISBN: 3-608-94146-0)
296 Seiten, hardcover, 16 x 24cm, 2005

EUR 29,50
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Mediation ist vor allem eine Lebenshaltung.

Mediation ist nicht etwa in jüngster Zeit aus Amerika zu uns gekommen, sondern sie hat in Europa eine Eigene, Jahrhunderte zurückreichende Geschichte und eine nur zeitweise unterbrochene Tradition. Der Autor zeigt ihre geschichtlichen Wurzeln auf, angefangen bei Solon im 6. Jahrhundert vor Christus über den „mediator familiaris“ Ludwigs des Deutschen, die großen Vermittlerpersönlichkeiten des westfälischen Friedens bis hin zu den eher leisen Vermittlern im Zweiten Weltkrieg. Dabei wird herausgestellt, was vermittelnde Frauen und Männer stets gemeinsam hatten und was wir noch heute von ihnen lernen können. Im zweiten Teil des Buches entsteht ein Bild des vermittelnden Menschen und der Vermittlung als einer Lebenshaltung; der Autor arbeitet in den Kapiteln „Vertrauer“, „Schweiger – Hörer und Frager“, „Mitbürger“, „Menschenrechtler“, „Teilnehmer am Machtspiel“ und (parteiloser) „Demokrat“ die spezifische Lebensform des homo mediator heraus: Mediation ist als zwischenmenschlicher Austausch aller Beteiligten eine Sache der Haltung und Lebensweise als einer Methode oder eines juristischen Vorgehens.
Rezension
Unter „Mediation“ versteht man ein vermittelndes Verfahren zur gewaltfreien Lösung von Konflikten. Mittlerweile gibt es Mediatoren, also Personen die diesen Vermittlungsprozess zwischen den Konfliktparteien vollziehen, bei der Polizei, in Betrieben, im Strafvollzug, unter den Rechtsanwälten, bei den Psychologen und auch in der Schule. Dabei soll die vermittelnde Tätigkeit von sogenannten „Schülermediatoren“ geleistet werden. Diese Schüler sind von Lehrern, die Fortbildungen zum Thema „Streitschlichtung“ besucht haben oder selbst über eine Mediatorenausbildung verfügen, angeleitet worden. Oftmals begnügen sich die Lehrerfortbildner aber damit, in ihren Sitzungen den LehrerInnen bestimmte Techniken zur Lösungen von Konflikten vorzustellen und mit ihnen einzuüben. Historische und philosophische Aspekte werden in den Veranstaltungen fast vollkommen ausgeblendet. Damit entsteht aber nicht nur ein unzureichendes Bild der historischen Entwicklung der Mediation, gleichzeitig kommt die für das Gelingen des Mediationsprozesses entscheidende Haltung des Mediators zu kurz.
Um zu mehr sticht aus der breiten Literatur zum Thema >Mediation< das im Jahre 2005 erschienene Buch >homo mediator< des international anerkannten Professors Joseph Duss-von Werdt hervor. Der frühere Leiter des Instituts für Ehe und Familie in Zürich geht in seinem Buch mit dem Untertitel >Geschichte und Menschenbild der Mediation< den bisher in der Forschung und auch praktischen Ausbildung vernachlässigten historischen Wurzeln und anthropologischen Aspekten der Vermittlung nach. Mit anderen Worten Duss-von Werdt, der Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschrift >Familiendynamik<, legt den Schwerpunkt in seiner Abhandlung auf den >Geist der Mediation< (S. 268). Der praktizierende Mediator geht in seinem Buch von der anthropologischen Prämisse aus, >daß längst vor der „Mediation“ immer wieder Menschen selbstlos oder eigennützig damit beschäftigt waren< (S. 141), Konflikte gewaltfrei zu lösen. Seit mindestens 2600 Jahren lässt sich Mediation historisch nachweisen.
Duss-von-Werdt gliedert sein Werk, an dem er fünf Jahre gearbeitet hat (S. 268), in zwei Großkapitel. Der erste Teil enthält die >Geschichte und Geschichten von Mediatorinnen und Vermittlern in Europa<; im zweiten Teil werden >philosophische Entwürfen zu einem Selbstbild> des homo mediator entwickelt. Anzumerken ist noch, dass in dem ersten Abschnitt Duss-von-Werdt den Schwerpunkt seiner Darstellung mehr auf die Vermittler als auf die Vermittlung selbst legt (S. 13). Auch wenn der Psychologe bekennt kein Fachhistoriker zu sein (S. 15), rekurriert er bei seinen historischen Untersuchung auf Forschungsarbeiten ausgewiesener Wissenschaftler. So erfährt der Leser zum Beispiel, dass der athenische Staatsmann Solon (S. 26-32), der ostfränkische König Ludwig der Deutsche (S. 86f) oder auch der Diplomat des Westfälischen Friedens Alvise Contarini als Mediatoren tätig waren (S. 33-43). Der Theologe Fabio Chigi formulierte zudem zudem praktische Verfahrensvorschriften zur Streitschlichtung (S. 47-49). Von historischer Bedeutung sind auch die präzisen juristischen Unterscheidungen zwischen Vermittler (mediator), Schiedsrichter (arbiter) und Schlichter (arbitrator) des Aufklärungsphilosophen Christian Wolff (S. 59-62). Ein für die Geschichte der Mediation erstrangiges Dokument stammt von dem >Lehrmeister der Diplomaten<(Dickmann) Abraham de Wicquefort. Aus seinem klassischen Werk >L’Ambassdeur et se Fonctions< (Der Botschafter und seine Funktionen) sind entscheidende Abschnitte in dem Buch >homo mediator< abgedruckt (S. 66-84). Diese Quelle könnte u.a. in einer Unterrichtseinheit zum >Westfälischen Frieden< Berücksichtigung finden. Außerdem beschreibt Duss-von Werdt in seinem Buch noch andere Typen von Mediatoren wie >Vermittler in Liebesdingen< oder >Wirtschaftsmediatoren< (S. 98-100). Erwähnenswert ist auch sein Kapitel zur weiblichen Mediatorin, zur >mediatrix< (S. 106-114). Auf die Differenz zwischen dem Amt des Vermittlers und seiner realen Tätigkeit wird in dem Abschnitt >Ein Vermittler und kein Vermittler in Kriegen des 20. Jahrhunderts< eingegangen.
Nach dem Rundgang durch die Geschichte der Mediatoren widmet sich Duss-von Werdt der „Lebensart“ des homo mediator. Anhand philosophisch-anthropologischer Untersuchungen versucht er einen >Entwurf zu einem Selbstbild< (S. 146) des Mediators vorzulegen. Ausdrücklich betont Duss-von Werdt die Bedeutung dieses anthropologischen Reflexionswissens als Antidot gegen eine technologisch verkürzte Mediation: >Handeln ohne dieses Werden zum Sein wird sich eher früher als später abnutzen, zur Routine und seelenlosen „Technik“ verkommen. Je mehr Menschsein vermittelnde Gestalt annimmt, desto eher bekommt das Handeln des Menschen ein mitmenschliches Antlitz.< (S. 153) Besondere Erwähnung verdient auch Duss-von Werdts Kapitel zu Logik der Mediation, in der er die Differenzen zur klassischen Logik mit ihrem tertium non datur aufzeigt (S. 187-202). In der Mediation gilt stattdessen der >Satz vom eingeschlossenen Dritten<(Galtung). Diese Ausführungen zu erkenntnistheoretischen und logischen Dimensionen der Mediation könnten durch Arbeiten zur hermeneutischen Erkenntnislehre und Logik eines Georg Misch, Hans Lipps oder Otto Friedrich Bollnow noch vertieft werden.
Fazit: Duss-Von Werdts bei >Klett-Cotta< erschienene historisch-systematische Abhandlung zum >homo mediator< ist eine exzellentes Buch, das jedem Mediator nur zur Lektüre empfohlen werden kann.

Dr. Marcel Remme, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
In einer Zeit, in der es vor allem um Effizienz, um Strategien, Techniken und schnelle Lösungswege geht, stellt der Autor das Grundlegende und das Nachhaltige des Bereiches Mediation in den Mittelpunkt. Die Darstellung ihrer Geschichte und das philosophierende Nachdenken über die Person des Mediators gibt dem neuen Fach Rückhalt und verleiht ihm eine solide Grundlage.

Mediation ist nicht etwa in jüngerer Zeit aus Amerika zu uns hinübergekommen, sondern sie hat in Europa eine eigene, Jahrhunderte zurückreichende Geschichte und Tradition. Der Autor zeigt uns ihre geschichtlichen Wurzeln, angefangen bei Solon im 6. Jahrhundert vor Christus über den »mediator familiaris« Ludwigs des Deutschen, die großen Vermittlerpersönlichkeiten des Westfälischen Friedens bis hin zu den eher leisen Vermittlern im Zweiten Weltkrieg. Dabei stellt der Autor heraus, was diese Vermittlerpersönlichkeiten auszeichnete, was sie gemeinsam hatten und was wir heute von ihrem Vorgehen lernen können.

Im zweiten Teil des Buches entwirft er ein Bild des vermittelnden Menschen und der Vermittlung als einer Lebenshaltung; er arbeitet in den Kapiteln »Vertrauer«, »Schweiger - Hörer und Frager«, »Mitbürger«, »Menschenrechtler«, »Teilnehmer am Machtspiel« die spezifische Lebensform des homo mediator heraus: Mediation kann nicht unabhängig von der eigenen Persönlichkeit durchgeführt werden, sie ist eher eine Sache der Haltung und Lebensweise als eine Methode oder juristische Vorgehensweise.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt


Auf den Spuren des homo mediator 13

Erster Teil
Geschichte und Geschichten von Mediatorinnen und Vermittlern in Europa
Vorzeichen der Geschichtsbetrachtung 19
Solon – innenpolitischer Vermittler im Athen des 6. Jahrhunderts v.Chr. 24
Alise Contarini – ein in allen Lagunen bewanderter Diplomat 33
Fabio Chigi – ein parteiischer Taktiker? 44
Theoretiker und Methodiker des 17. und 18. Jahrhunderts 52
Abraham de Wicquefort – ein Theoretiker der Praxis 64
Den Unbekannten ein Denkmal, den Bekannten zur Erinnerung 85
Mediatrix 106
Private oder öffentliche Person? 115
Ein Vermittler und kein Vermittler in Kriegen des 20. Jahrhunderts 127
Lehrt Geschichte etwas, und lernen wir daraus? 139

Zweiter Teil
homo mediator – philosophische Entwürfe zu seinem Selbstbild
Vermittelnd schreiben, vermittelnd lesen 145
Philosophierer 147
Partisan 154
Mitmensch 160
„Mittelsmensch“ 167
Unterscheider 176
Trialogiker 187
Vertrauer 203
Schweiger – Hörer – Frager 210
Macht-Mitspieler 226
Mitbürger 232
Demokrat 242
Menschenrechtler 252
Überleitung zum Alltag: „...die entsprechende Bereitschaft macht es möglich.“ 267

Nachwort 268
Dank 269
Anmerkungen 270
Literatur 289