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Schule versagt Warum Bildung ein Glücksspiel ist und wie sich das ändern kann Originalausgabe
Schule versagt
Warum Bildung ein Glücksspiel ist und wie sich das ändern kann


Originalausgabe

Inge Faltin, Daniel Faltin

Deutscher Taschenbuch Verlag
EAN: 9783423248358 (ISBN: 3-423-24835-1)
300 Seiten, paperback, 14 x 21cm, 2011

EUR 14,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Ein Insiderbericht aus dem Schulalltag

Aufgrund der frustrierenden Schulerfahrungen ihres Sohnes Daniel entschloss sich Inge Faltin zu einem außergewöhnlichen Selbstversuch, einer Art investigativer Langzeitrecherche, wie Günter Wallraff, nur ohne Maskerade. Sie wollte wissen, warum Schule versagt. Sie wollte ins Allerheiligste, ins Lehrerzimmer. Sie absolvierte ein Referendariat und unterrichtete zehn Jahre lang an verschiedenen Schulen. Sie beobachtete, wie durch Hierarchien, sklavisch befolgte Pädagogikkonzepte und eine Haltung, die Erich Fromm die Furcht vor der Freiheit nannte, die Weichen falsch gestellt werden. Sie plädiert dafür, das System Schule, angefangen bei der Auswahl und Ausbildung der Lehrer, völlig neu zu strukturieren, und stellt Überlegungen für ein neues Schulmodell der »Educational Entrepreneurship« an.

Denn wenn es, wie Peer Steinbrück sagt, nur drei Schlüssel gibt »für eine gute Zukunft unseres Landes: Bildung, Bildung, Bildung«, dann darf Bildung kein Glücksspiel bleiben.



Originalausgabe

Deutscher Taschenbuch Verlag www.dtv.de
Rezension
Die internationalen Schulleistungsvergleichsstudien wie PISA, TIMSS u.a. haben die Bildung und Schule in Deutschland in Mißkredit gebracht, - das führt nicht nur zu einem z.T. populistischen, nicht selten wenig reflektierten bildungspolitischen Aktivismus, sondern auch zu vielfältigen Weckrufen selbsternanter Rettungspropheten, die allesamt mehr oder minder genau wissen, woran das deutsche Bildungssystem leidet. In der Regel wird dann zunächst der Beamtenstatus der Lehrerschaft in Frage gestellt, die Ausbildung umzukrempeln versucht, hier: Abschaffung des Referendariats, auf mehr sog. Eigenverantwortung gesetzt (die man dieser Tage einmal mehr in der "wissenschaftlichen Eigenverantwortlichkeit" von Bundesministern erfährt ...) und das Heil der Bildungspolitik ausgerechnet in den USA gesucht, - ein Land, das nun wahrlich nicht geeignet erscheint, bildungspolitische Defizite korrigieren zu können; vielleicht sollte man dazu dann doch eher nach Finnland o.ä. schauen ... Zu eher subjektiven Erfahrungen, die als Begründung der Kritik dienen, fügt sich dann auch ein reißerisch-populistischer Titel wie "Schule versagt", der in dieser Form allzu schwarz-weiß malt und dem Sachverhalt nicht gerecht wird.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Ein Insiderbericht aus dem Schulalltag
Fast immer fühlte Daniel Faltin sich der Schule ausgeliefert, in Jahren, die von Langeweile und dem Gefühl der Ungerechtigkeit und Willkür geprägt waren. Erst während eines Highschool-Jahres in den USA stellte er fest, dass Lernen Spaß machen kann, vorausgesetzt, man wird ernst genommen und ermutigt.
Seine Mutter Inge Faltin entschloss sich zu einem ungewöhnlichen Selbstversuch, einer Art investigativer Langzeitrecherche, wie Günter Wallraff, nur ohne Maskerade. Sie absolvierte ein Referendariat und unterrichtete zehn Jahre lang an verschiedenen Schulen. Von Anfang an beobachtete sie, wie durch Hierarchien, sklavisch befolgte Pädagogikkonzepte und eine Haltung, die Erich Fromm die Furcht vor der Freiheit nennt, die Weichen falsch gestellt werden. Sie plädiert dafür, das System Schule, angefangen bei der Auswahl und Ausbildung der Lehrer, völlig neu zu denken. Sie fordert unter anderem:
Kein »Referendariat«
Kein Beamtenstatus
Keine Unkündbarkeit
Mehr Quereinsteiger
Mehr Leadership
Mehr Eigenverantwortung für alle

Daniel Faltin, geboren 1982, studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Dramaturgie und graduierte nach dem Erwerb des BA im Fach »Film- und Fernsehregie« als DAAD-Stipendiat an der University of Sydney zum Master of Film and Digital Image. Zahlreiche Film-, TV- und Video-Projekte, Podcasts und Design-Arbeiten. Für seine Filme erhielt er u. a. den Excellence Award for Achievment in Motion Picture von der Sydney University und der Apple Inc.
Inge Faltin, Dr. phil., geboren 1955, studierte Politikwissenschaft und Germanistik, arbeitete in politikwissenschaftlichen Forschungsprojekten und unterrichtete zehn Jahre an verschiedenen Schulen. Sie lebt heute als Autorin und Producerin in Berlin.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7

Daniel Faltin
Ungenutztes Potenzial 11

Inge Faltin
I. Der Prägestock: Das Referendariat 64

II. Kommunikation, Kompetenz, Kontrolle, Persönlichkeit? Die Lehrerrolle 92

III. Konzentration, Kenntnisse, Reife? Die Schülerrolle 116

IV. Konkurrenz, Mobbing, Hierarchie: Leben in der Parallelwelt 131

V. Innovationsversuche im bestehenden System 153

VI. Der menschliche Faktor 212

VII. Servant Leadership und Entrepreneurship 227

VIII. Sieben Thesen für eine nachhaltige Veränderung der Lehrer-Schüler-Beziehung 241

IX. Ausbildung, Struktur, Selbstverständnis: Schule neu denken 258

X. »Lebensunternehmer« können wir alle werden: Entrepreneurship als zentrales Bildungsziel 282

Danksagung 291
Anmerkungen 293


Inge Faltin
Vorwort
Ich habe einige Jahre als Referendarin und Lehrerin an verschiedenen
Schulen gearbeitet. Auslöser dafür waren die Schulerlebnisse
meines Sohnes. Sein Werdegang in der Schule hatte sich
für meinen Mann und mich immer mehr als Glücksspiel dargestellt,
je nachdem, ob kompetente oder inkompetente, motivierte
oder unmotivierte Lehrer, Pädagogen mit einer entwickelten
Persönlichkeit oder mit Defiziten ihn unterrichteten. Ich stellte
fest, dass viele Eltern ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.
Kaum jemand konnte sich erklären, was die eigentliche Ursache
dafür war. Viele hatten dieses Gefühl von hilfloser Wut und Ohnmacht,
das ich selbst oft empfand. Manche reagierten mit Druck
auf ihre Kinder, mit Schulwechsel, mit Anpassung. Ich fasste einen
anderen Plan. Ich hatte nach meinem Studium der Politikwissenschaft
und Germanistik nicht den Lehrerberuf ergriffen, sondern
andere berufliche Erfahrungen gemacht. Ich beschloss, nun doch
selbst Teil des Schulsystems zu werden, denn ich wollte begreifen,
was da vor sich geht, ich wollte die »heimlichen Lehrpläne« kennenlernen.
Ich wusste nicht, ob ich überhaupt zur Lehrerin geeignet war.
Und es hatte sich auch niemand sonst darüber Gedanken gemacht,
als meine Bewerbung für ein Referendariat auf der Basis der üblichen
Unterlagen angenommen wurde. Es wurden aufschlussreiche
Jahre in der Schule. Ich bekam Einblicke in Strukturen, die
Eltern und Schüler sonst nur von außen betrachten und erahnen
können. Ich habe Dokumente, Konzeptpapiere, Briefe, Befragungsergebnisse
gesammelt und aufbewahrt. Alles, was mir wichtig
erschien, was ich erlebte, was mich berührte, meine Erfolge und
Misserfolge habe ich notiert und ein »Schultagebuch« geführt.
Auf diesen Erfahrungen beruht mein Bericht. Gleichzeitig blieb
ich aber auch distanzierte Beobachterin. Ich hatte den Anspruch,
8 Inge Faltin
nach einem eigenen Weg für die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen
zu suchen und einen Umsetzungsversuch zu machen.
Auch darum geht es in diesem Buch.
Der Buchtitel ›Schule versagt‹ ruft sicherlich unterschiedliche
Assoziationen hervor. Je nachdem, wie sich das eigene Schulerleben
oder das der Kinder abgespielt hat oder abspielt, wird die Reaktion
von Zustimmung bis zu Ablehnung reichen. Ich bin keineswegs
der Ansicht, dass jede Schule immer versagt. Ich weiß, dass
es Schulen gibt, die anders sind. Im Buch finden sich auch Beispiele
dafür. Der Neurobiologe Joachim Bauer hat sogar ein Buch mit
dem Titel ›Lob der Schule‹ verfasst und darin beschrieben, was das
Bildungssystem leisten kann und soll, nicht, was es tatsächlich
leistet. Auch bei ihm finden sich Hinweise darauf, wie Schule an
der wichtigsten Voraussetzung für gelingendes Lernen, nämlich
an konstruktiven Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern,
scheitern kann. Oder dass es mit den sozialen Beziehungen in
Lehrerkollegien mitunter gar nicht gut aussieht.
Auch ich befasse mich mit der Frage, wie Schule gelingen kann.
Aber zunächst wollte ich herausfinden, warum Schule so oft versagt.
Ich meine mit »Schule« nicht einzelne Schulen. Ich meine den
»Output« unseres Schulsystems als Ganzes, im Hinblick darauf,
dass es letztendlich um die Anforderungen der Wissensgesellschaft,
um Schlüsselkompetenzen, um die kreative, produktive
und verantwortliche Orientierung von jungen Menschen in der
Zivilgesellschaft und vor allem um ihre individuelle Förderung
geht.
Zunächst kommt mein Sohn zu Wort. Ich habe ihn gebeten,
seine
Schulerfahrungen noch einmal hervorzuholen und aufzuschreiben.
Aus der Schilderung seiner Erlebnisse wird (auch)
deutlich, warum ich diese Recherche unter- und auf mich genommen
habe. Mein Sohn war noch ein Teenager, als ich das
Referendariat
begann. In den verschiedenen Schulen, in denen
ich unterrichtete, lernte ich die Lehrerrolle ebenso kennen
wie die Schülerrolle und die gruppendynamischen Prozesse
im Lehrerzimmer.
Ich habe auch Erfahrungen gemacht mit
Innovationsversuchen
im bestehenden System. Deren Ziel war
es, die Fähigkeit der Schüler zu eigenverantwortlichem Arbeiten
und Lernen zu stärken. Dafür ist ein gutes pädagogisches Kon-
Vorwort 9
zept Voraussetzung,
aber für den Erfolg oder den Misserfolg erwies
sich letztlich der menschliche Faktor als ausschlaggebend.
Die Barriere der eingefahrenen Verhaltensmuster ist schwer zu
überwinden.
In jüngster Zeit findet das Prinzip der Servant Leadership in
Unternehmen und Organisationen immer größere Verbreitung.
Das Konzept steht für eine Kultur des Führens und Dienens als
Basis für Erfolg. Ich kam zu der Überzeugung, dass es genau solche
Kompetenzen sind, nämlich Mentor und »leitende Kraft« zu sein
und gleichzeitig dem Wachstumsprozess der Schüler zu dienen,
die vorhandene Verhaltensmuster ablösen müssen. Diese Kompetenzen
müssen die Grundlage der Vermittlung von Lehrstoff
ebenso wie der individuellen Förderung von Schülern sein. Die
Lehrer-Schüler-Beziehung muss verändert werden. Ich stelle sieben
Thesen zur nachhaltigen Veränderung dieser Beziehung auf.
These 1 lautet nicht zufällig: Bei sich selbst beginnen, zum Beispiel
bei der Frage, warum man sich überhaupt für den Lehrerberuf entscheidet.
Die zweite Schlussfolgerung für mich war, dass das System
Schule zwingend neu strukturiert werden muss, von der Ausbildung
und Persönlichkeitsentwicklung von Lehrern angefangen
bis hin zu neuen Lernformen. Damit sich die frustrierenden Erfahrungen
von Schülern, Eltern und Lehrern nicht endlos fortsetzen.
Damit Schule nicht versagt.
Die Ereignisse, Szenen und Dialoge, die wir im Buch beschreiben,
haben sich so oder in sehr ähnlicher Weise abgespielt. Orts- und
Personenbeschreibungen sind verfremdet, alle Namen frei
erfunden. Ich habe Typisierungen vorgenommen. Es geht hier
nicht darum, einzelne Schulen, Lehrer und Vorgesetzte zu porträtieren.
Die im Buch vorkommenden Personen repräsentieren
nicht einzelne identifizierbare Individuen, sondern Denk-, Handlungs-
und Lebensorientierungen, die jeweils für einen bestimmten
Lehrertypus charakteristisch sind. Es geht um Verhaltensmuster
und -motive, auf die ich immer wieder traf.
Wenn ich darüber nachdenke, was, neben den Ergebnissen der
Recherche und den daraus erwachsenen Erkenntnissen, für mich
persönlich geblieben ist aus dieser Zeit, dann ist es die lebendige
Erinnerung daran, dass ich mit einigen klugen, aufgeschlossenen
und integren Lehrerinnen und Lehrern zusammen gearbeitet
10 Inge Faltin
habe. Vor allem aber empfinde ich Dankbarkeit dafür, das Heranwachsen
und die Entwicklung junger Menschen beobachtet,
begleitet und vielleicht auch gefördert zu haben. Wie bei allen
schöpferischen und produktiven Prozessen spürte ich dort die
Energie, die sich nicht verbraucht, sondern erneuert und stetig
zufließt.
Inge Faltin, November 2010