„Darwin und kein Ende?“ hieß es im Iahr 2009 zu Charles Darwins 200. Geburtstag, als intensive Debatten um Kreationismus und Intelligent-Design geführt wurden. Inzwischen sind die Kontroversen zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie zwar aus den Schlagzeilen verschwunden, im Religionsunterricht gehören sie jedoch weiterhin zu den Standardthemen.
Obwohl heute weder theologisch noch biologisch ein Widerspruch zwischen der Rede von der Schöpfung in der Bibel und naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen gesehen wird, verursacht ihre Zuordnung für viele Schülerinnen und Schüler einen kognitiven Konflikt. Vor dem Hintergrund der „beweisbaren“ Naturwissenschaften lassen Jugendliche im Zweifelsfall eher den Schöpfungsglauben hinter sich, weil sie meinen, sich zwischen theologischer und naturwissenschaftlicher Deutung entscheiden zu müssen. Damit sie nicht in diese Falle tappen, ist es eine wichtige religionsdidaktische Aufgabe, Schülerinnen und Schülern zu vernetztem Denken zu befähigen. Dabei müssen sowohl der Schöpfungsglaube als auch die Evolutionstheorie erstarrte Positionen aufgeben: Wenn etwa im Unterricht ein naturwissenschaftliches Weltbild vermittelt wird, das zu beweisen versucht, wie es „wirklich“ war, wird die Evolution zu wenig als Prozess verstanden. Wenn umgekehrt auf theologischer Seite der Schöpfungsglaube als bloßer Mythos verharmlost und auf den ökologischen Imperativ einer „Bewahrung der Schöpfung“ reduziert wird, bleibt der Schöpfungsbegriff unterbelichtet.
Das vorliegende Heft will einen Beitrag zum vernetzten Denken leisten, das im Religionsunterricht am Ende schöpfungstheologischer Lernsequenzen als Kompetenz der Schülerinnen und Schüler erkennbar sein soll. Dazu geben zunächst die theologischen Perspektiven verschiedene Impulse: Zu Beginn beleuchtet der exegetische Beitrag von Maria Neabrand nicht - wie zu erwarten wäre - die alttestamentlichen Schöpfungserzählungen der Genesis. Vielmehr behandelt sie den interessanten neutestamentlichen Aspekt, dass Paulus vom „Stöhnen der Schöpfung“ und dem „Mitstöhnen der Geschöp-
fe“ spricht (Röm 8,22) und damit ihren unvollkommenen Charakter herausstreicht. Der Biologe und Theologe Ulrich Lüke skizziert in seinem systematischen Beitrag die Debatte zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie und motiviert zu intellektuell fairer Auseinandersetzung statt ideologisch verbohrtem Grabenkampf Der ethische Beitrag von Markus Vogt betont den Gedanken der Nachhaltigkeit und entwirft die Vision eines gelungenen Lebens in den Grenzen der Natur.
Schließlich lädt Oliver Reis in seinem didaktischen Beitrag dazu ein, in schöpfungstheologischen Lernprozessen explizit bis an die Grenzen des Glaubenswissens der Schülerinnen und Schüler zu gehen.
Zum vernetzten Denken laden auch die Beiträge im Praxisteil ein: Stephan Sigg zeigt in seiner Lernsequenz, was der Kauf von Textilien mit Schöpfungsverantwortung zu tun hat. Heike Harbecke will mit ihrer Lernsequenz für die Schöpfung als „Welt der Wunder“ begeistern. Auf der Basis der Vereinbarkeit von mythischem und naturwissenschaftlichern Denken fragt Annegret Langenhorst nach der Relevanz und den Konsequenzen von Schöpfungstheologie für jeden Einzelnen. Christian Höger nimmt in seinem Artikel die Kreationismus-Debatte kritisch unter die Lupe. Der Beitrag von Markus Zimmer schlägt vor, Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ zum Thema einer interdisziplinären Lernsequenz im Musik- und Religionsunterricht zu machen. Für den Bereich der beruflichen Schulen öffnet Daniela Matheis eine christlich-ethische Perspektive für die Regelung eines verantwortungsvollen und
nachhaltigen Zugriffs auf das Schöpfungsgut Wasser.
Unser Themenschwerpunkt ist topaktuell, denn mit Spannung wird Ende des Jahres die Enzyklika „Die Ökologie des Menschen“ von Papst Franziskus erwartet. Darin geht es um Umwelt, Verschwendung und Nachhaltigkeit und es ist zu vermuten, dass sie, wie auch das vorliegende Heft, zu mutigen
Visionen motivieren will. Wir wünschen Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern anregende schöpfungstheologische Lernsequenzen
Ihr Ludwig Rendle und Christian Cebulj
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Theologische Perspektiven
Maria Neubrand MC
Die Schöpfung stöhnt mit den Geschöpfen
Paulinische Gedanken zu einer nicht vollkommenen Schöpfung
Ulrich Lüke
Der Mensch
Masterplan Gottes oder Zufallsereignis?
Markus Vogt
Praktizierter Schöpfungsglaube
Die Umweltkrise als Herausforderung für Theologie und Ethik
Oliver Reis
Was ist heute „Schöpfung“?
Schöpfungsdidaktik an der Grenze von Theologie und Schülerdenken
Unterrichtspraxis
Stephan Sigg
Meine faire Jeans
Beim Textilien-Kauf Schöpfungsverantwortung wahrnehmen
(Jahrgang 5/6)
Heike Harbecke
Welt der Wunder
Nachdenken über den biblischen Schöpfungsglauben
(Jahrgang 5/6)
Annegret Langenhorst
„Die Schöpfung geht weiter!“ (Ernesto Cardenal)
Neue Impulse zu alten Fragen
(Jahrgang 7/8)
Gottes Werk und Darwins Beitrag
Eine Lernsequenz zur Debatte urn Schöpfung und Evolution
(Iahrgang 9/10)
Markus Zimmer
Der gute Ton der „Creation“
Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ Fächerübergreifend aufschließen
(Jahrgang 11/12)
Daniela Matheis
„Wasser - Ware oder Ressource für alle?“
Ein Unterrichtsversuch zu „Bottled Life“ (2012)
(Jahrgang 11/12)
Unterbrechung
Bernhard Grom SJ
„Wiedewerzauberung der Welt“ oder Schöpfungsspiritualität?
Die Schöpfung - das Staunen lernen
REZENSIONEN UND AV-MEDIENTIPPS
NACHRICHTEN DES BKRG
VORSCHAU