Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
während wir das Heft vorbereiteten, hat die Frage, wie Gott und das Leid zusammengedacht werden können, leider und unerwartet eine traurige Aktualität bekommen: Unter den 150 Passagieren der zum Absturz gebrachten Germanwings- Maschine 9525 waren 16 Schülerinnen und Schüler sowie zwei Kolleginnen des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern am See.
Mit diesem Schicksalsschlag ist eine allgemeine Diskussion in der Religionspädagogik für uns alle sehr konkret geworden.
In der Religionspädagogik hatte vor fast 30 Iahren der evangelische Religionspädagoge Karl Ernst Nipkow in seiner Untersuchung „Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf“ diagnostiziert, dass die Theodizeefrage die wichtigste „Einbruchstelle für den Verlust des Glaubens bei Jugendlichen“ sei. Wie Georg Langenhorst in seinem Beitrag in diesem Heft zu Recht anmerkt, setzt diese Sicht bei den Jugendlichen einen Glauben voraus, von dem heute nicht unbesehen ausgegangen werden kann. Deshalb verschiebt sich die Theodizeeproblernatik von der kognitiven Auseinandersetzung zum Lernen des Umgangs mit Leid zu einem „Leben mit ungelösten Fragen - Chancen und Grenzen von Trost“.
Damit ist im Grunde der Spannungsbogen unseres RelliS-Heftes zum Thema „Theodizee“ vorgezeichnet: So beschreiben im ersten Teil Vertreter unterschiedlicher Disziplinen theologische Perspektiven auf die Herausforderung, angesichts des Leidens in der Welt an einen guten und allmächtigen Gott zu glauben. Ludger Schwienhorst-Schönberger unterzieht in seinem bibeltheologischen Beitrag das Buch Hiob einer Relecture, die durch die Meditationen eines Johannes am Kreuz angeregt worden ist. Alexander Loichinger entfaltet die theologische Problematik der Theodizee aus einer fundamen- taltheologischen Perspektive und zeigt an Stationen der Theologiegeschichte, wie diese Herausforderung für den Glauben in unterschiedlichen Argumentationsformen bedacht und bearbeitet worden ist. Dass auch die islamischen Theologie das Problem der Theodizee kennt, aber zu anderen Antwortversuchen findet, beschreibt in einem dritten theologischen Beitrag Mouhanad Khorchide. Georg Langenhorst schließlich wendet als Religionspädagoge den Blick auf Chancen und Grenzen von Trost angesichts des Leidens. In der „Unterbrechung“ erweitert Gotthard Fuchs die Überlegungen zur Theodizeefrage auch um die Frage Gottes an die Menschen.
Im Praxisteil finden Sie dann eine ganze Reihe von Vorschlägen und Impulsen für den Unterricht: Heike Harbecke nimmt die Situation am Gymnasium in Haltern in ihrem Unterrichtsvorhaben mit den Materialien aus der Trauerfeier mit auf und sucht nach Antworten auf dieses furchtbare Geschehen. Diaa Eldin Hassanein zeigt Ihnen, wie man mit Schülerinnen und Schülern das Böse und das Leiden aus einer islamischen Perspektive erschließt. Andreas Wronka widmet sich der Theologie im Roman „Nemesis“ von Philip Roth und zeigt zumindest einen kleinen Lichtblick für Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe. Bausteine zum Einsatz des Spielfilms „Adams Äpfel“ im Kontext der Theodizeediskussion in der Kursstufe präsentiert dagegen Marcus Hoffmann. Jürgen Langer formuliert schließlich Impulse und Anregungen, wie man im Rahmen von Schulpastoral mit Tod und Trauer in der Schule umgehen kann.
Als wir uns im Rahmen unserer Herausgeberrunde vor nun einem Jahr entschieden, das Themenheft „Theodizee“ als Heftverantwortliche zu übernehmen, konnten wir noch nicht ahnen, in welchem furchtbaren Maße das Böse und seine Macht sich auch in nächster Nähe zeigen sollte. In der Konfrontation mit dieser Leidsituation bekam die Konzeption dieses Heftes eine neue und sehr konkrete Dimension, wohl Wissend, dass auch gerade im Religionsunterricht dieses Ereignis von Schülerinnen und Schülern thematisiert werden wird. So hoffen wir, dass dieses Themenheft für diesen Anlass und darüber hinaus den ein oder anderen hilfreichen Impuls zu geben vermag.
Ihre
Ludwig Rendle und Clauß Peter Sajak
Inhaltsverzeichnis
Editorial 1
Theologische Perspektiven
Ludger Schwienhorst-Schönberger
Das Leid und die Frage nach Gott
Eine Relecture des Ijobbuchs 4
Alexander Loichinger
Sinn des Leids?
Das Theodizeeproblem und seine modernen (Glaubens-)Antworten 10
Mouhanad Khorchide
Leid als ein Ruf Gottes?
Die Theodizeefrage aus einer islamischen Perspektive 15
Georg Langenhorst
Von der Theodizee zum Trost
Die Theodizeefrage im Religionsunterricht 19
Unterrichtspraxis
Heike Harbecke
„Entweder ist er böse. Oder er ist eine Flasche.“
Nachdenken über die Theodizeefrage
(Jahrgänge 5/6) 24
Diaa Eldin Hassanein
Allah ist der Weise
Das Böse und das Leiden aus einer islamischen Perspektive (Jahrgänge 7/8) 34
Andreas Wronka
Ist Gott böse?
Die düstere Theologie im Roman „Nemesis“ von Philip Roth und ein kleiner Lichtblick
(Jahrgang 10) 37
Marcus Hoffmann
„Ich muss ihn knacken, diesen Himmelsboten mit seiner Barmherzigkeit!“
Bausteine zum Einsatz des Spielfilms „Adams Äpfel“ im Kontext von Glaube und Leid
(Jahrgänge 11/12) 45
Jürgen Langer
Schulische Krisenintervention
als seelsorgliche Antwort auf die Theodizeefrage
(Schulpastoral) 54
Unterbrechung
Gotthard Fuchs
Des Guten zu viel ...
Die andere Theodizeefrage 32
REZENSIONEN UND AV-MEDIENTIPPS 58
NACHRICHTEN DES BKRG 62
VORSCHAU 64