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Relativismus in der Literaturwissenschaft Studien zu relativistischen Theorien der Interpretation literarischer Texte
Relativismus in der Literaturwissenschaft
Studien zu relativistischen Theorien der Interpretation literarischer Texte




Stefan Descher

Erich Schmidt Verlag, Berlin
EAN: 9783503174607 (ISBN: 3-503-17460-5)
350 Seiten, hardcover, 14 x 21cm, August, 2017

EUR 79,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Sind Interpretationen literarischer Texte relativ? Ist es am Ende beliebig, wie wir Literatur verstehen? Die Auffassung, dass Interpretationen nicht objektiv richtig oder falsch sein können, sondern allenfalls relative Geltung besitzen, ist in allen philologischen Fächern weit verbreitet. Das Buch fragt danach, wie überzeugend diese Auffassung ist. Es stellt die zentralen Argumente vor, mit denen der Relativismus in unterschiedlichen Theorietraditionen gerechtfertigt wurde, und diskutiert kritisch deren Überzeugungskraft. Damit liegt erstmals eine systematische Untersuchung der unterschiedlichen Formen vor, in denen der Interpretationsrelativismus in der Literaturwissenschaft auftritt, sowie der Gründe, die für ihn angeführt wurden.
Rezension
Im Zeitalter von Postmoderne und "anything goes" scheinen Verbindlichkeit, klare Strukturen und Regeln, objektive Geltung, sichere Methodiken, Eindeutigkeiten und stabile Bedeutungen zugunsten unendlicher Vielfältigkeiten zu schwinden. Das betrifft auch die Literaturwissenschaften und ihre Interpretationskompetenzen. Sind Interpretationen literarischer Texte also relativ? Ist es am Ende beliebig, wie wir Literatur verstehen? Die Auffassung, dass Interpretationen nicht objektiv richtig oder falsch sein können, sondern allenfalls relative Geltung besitzen, ist in allen philologischen Fächern weit verbreitet. Die hier anzuzeigende Göttinger Dissertation setzt sich mit solchen relativistischen Positionen kritisch auseinander und untersucht kritisch deren Überzeugungskraft.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften
Herausgegeben von
Ulrich Ernst, Michael Scheffel und Rüdiger Zymner
Band 21

Die vorliegende Arbeit wurde 2016 als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung: Relativismus in der Literaturwissenschaft 13

I.1 Vorbemerkungen zum Begriff des Relativismus 15
I.2 Was sind relativistische Theorien der Literaturinterpretation? 19
I.2.1 Ablehnung objektiver Geltung 19
I.2.2 Ablehnung der Idee echten wissenschaftlichen Fortschritts 20
I.2.3 Legitimität inkompatibler Interpretationen 21
I.2.4 anything-goes 23
I.2.5 Ablehnung stabiler Bedeutungen und anti-intentionalistische Grundhaltung 24
I.2.6 Bezug auf bedeutungsbestimmende interpretative Aussagen 25
I.2.7 Normativer Relativismus 27
I.2.8 Zusammenfassung 27
I.3 Zum Aufbau der Arbeit und zur Auswahl der diskutierten Theorien 29
I.4 Relativismus in der Forschungsdiskussion 34
I.5 Zur Relevanz des Vorhabens 40

II. Vier Begründungsstrategien für den Interpretationsrelativismus 45

II.1 Dekonstruktivistischer Relativismus (Jacques Derrida) 45
II.1.1 „Alle Interpretationen sind Fehlinterpretationen“ (AIF) 51
II.1.1.1 Wie ist AIF zu verstehen? 52
II.1.1.1.1 Ist AIF selbstwidersprüchlich? 53
II.1.1.1.2 Sprechen unerwünschte interpretationspraktische Konsequenzen gegen AIF? 54
II.1.1.1.3 Ist AIF eine gehaltlose These? 54
II.1.1.1.4 AIF als eine interpretationstheoretische Position unter anderen (Axel Spree) 56
II.1.1.1.5 Jonathan Cullers Argumente für AIF 58
II.1.1.1.6 Die hier zugrunde gelegte Lesart von AIF 64
II.1.1.2 Vorbemerkung I: Instabilität der Bedeutung vs. Inkohärenz 69
II.1.1.3 Vorbemerkung II: Immunisierungsstrategien 71
II.1.2 Rekonstruktion eines Arguments für AIF (Jacques Derrida) 74
II.1.2.1 Die Iterabilität sprachlicher Zeichen 75
II.1.2.2 Dekonstruktivistisches Interpretationsverständnis und Relativismus 82
II.1.2.3 Was spricht für das dekonstruktivistische Interpretationsverständnis? 84
II.1.3 Kritik des dekonstruktivistischen Relativismus 87
II.1.3.1 Performativer Selbstwiderspruch 87
II.1.3.2 Modaler Fehlschluss 92
II.1.3.3 Übertriebene Ansprüche an die ‚Sättigung‘ des Kontexts 93
II.1.3.4 Unklare Rede von der ‚Unbegrenztheit‘ des Kontexts 95
II.1.3.5 Unangemessenheit des Iterabilitätsbegriffs 96
II.1.3.6 Interpreten erheben keinen Anspruch auf Gewissheit 98
II.1.3.7 Rolle von Intentionen bei der Zeicheninterpretation und undifferenzierter Zeichenbegriff 99
II.1.3.8 Missverhältnis zwischen Theorie und Praxis 101
II.1.3.9 Schlussbemerkungen 102
II.2 Pragmatischer Interpretationsrelativismus (Stanley Fish) 105
II.2.1 Die Theorie der Interpretationsgemeinschaften 108
II.2.1.1 Vorbemerkung: Schwierigkeiten der Argumentrekonstruktion 109
II.2.1.2 Begründung der Theorie der Interpretationsgemeinschaften 110
II.2.1.3 Fishs Bedeutungsbegriff 112
II.2.1.3.1 Exkurs: Abgrenzung zur Dekonstruktion 113
II.2.1.4 Konsequenzen für Leser-, Text- und Autorbegriff 115
II.2.1.4.1 Leserbegriff und Subjektstatus von Interpreten 115
II.2.1.4.2 Textbegriff 116
II.2.1.4.3 Autorbegriff 117
II.2.1.5 Fishs Erklärungsmodell für Interpretationskonflikte und Interpretationskonsense 118
II.2.1.6 Begrenzter Pluralismus (limited pluralism) statt Relativismus 120
II.2.1.7 Kriterien für die Akzeptabilität von Interpretationen 121
II.2.1.8 Unklarheit: Ein Text oder mehrere? 123
II.2.2 Interpretationskonflikte im Lichte der Theorie der Interpretationsgemeinschaften. Ein Beispiel 124
II.2.2.1 Was spricht für die Theorie der Interpretationsgemeinschaften? 129
II.2.3 Kritik des pragmatischen Interpretationsrelativismus 131
II.2.3.1 Unklarer Begriff der Interpretationsgemeinschaft 132
II.2.3.2 Unwahrscheinlichkeit von identischen Interpretationen unter Mitgliedern einer Interpretationsgemeinschaft 135
II.2.3.3 Unzureichende Kritik an intentionalistischen Positionen 136
II.2.3.4 Praxis wird Theorie zufolge sinnlos 137
II.2.3.5 Theorie liegt im Widerspruch zu Voraussetzungen der Kommunikationspraxis 139
II.2.3.6 Unmöglichkeit leserseitiger ‚Überraschungen‘
(Gerald Graff) und Immunisierung gegen Kritik 139
II.2.3.7 limited pluralism läuft auf Beliebigkeit hinaus 141
II.2.3.8 Verwechslung von transzendentaler und empirischer Perspektive (Richard Gaskin) und performativer Selbstwiderspruch 142
II.2.3.9 Unplausible Erklärung von Interpretationskonflikten 145
II.2.3.10 Praktische Konsequenzen der Theorie der Interpretationsgemeinschaften 147
II.2.3.11 Ein tragfähiger Relativismus im Anschluss an Fish? (Gregory Currie) 149
II.2.3.12 Schlussbemerkungen 160
II.3 Wahrheitstheoretischer Relativismus (Joseph Margolis) 161
II.3.1 Zur Theorie des wahrheitstheoretischen (‚Robusten‘) Relativismus 165
II.3.1.1 Voraussetzungen 168
II.3.1.2 Zentrale Annahmen 172
II.3.2 Motivierung des wahrheitstheoretischen (‚Robusten‘) Relativismus 175
II.3.2.1 Praxisadäquatheit 175
II.3.2.2 Ontologie literarischer Werke 177
II.3.2.3 Die Rolle von Bezugstheorien bei der Interpretation 181
II.3.2.4 Was spricht für den wahrheitstheoretischen (‚Robusten‘) Relativismus? 183
II.3.3 Kritik des wahrheitstheoretischen (‚Robusten‘) Relativismus 186
II.3.3.1 Beschaffenheit der neuen Logik bleibt unklar 187
II.3.3.2 Kritik von Jerrold Levinson und ‚negative Interpretationen‘ 188
II.3.3.3 Fehlende Differenzierung zwischen unterschiedlichen Interpretationstypen 189
II.3.3.4 Irreführende Verwendung des Plausibilitätsbegriffs 190
II.3.3.5 Interpretative Behauptungen ohne Wahrheit? 194
II.3.3.6 Verhinderung echter Interpretationskonflikte 195
II.3.3.7 Robuster Relativismus kein genuiner Relativismus? (Robert Stecker) 196
II.3.3.8 Problematische Einschätzung der interpretativen Praxis 198
II.3.3.9 Keine Legitimierung der bestehenden Praxis 199
II.3.3.10 Fehlende Kriterien für die Einführung einer mehrwertigen Logik 199
II.3.3.11 Schlussbemerkungen 200
II.4 Konstruktivistischer Relativismus (Michael Krausz) 202
II.4.1 Konstruktivistische Interpretationstheorie bei Krausz. Ein Überblick 204
II.4.1.1 Vorbemerkungen zur Rekonstruktion der Krausz’schen Theorie 206
II.4.2 Multiplismus und Imputationalismus 208
II.4.2.1 Singularismus vs. Multiplismus 208
II.4.2.1.1 Multiplismus als Möglichkeit ‚inkongruenter‘ Interpretationen 212
II.4.2.1.2 Was ‚Inkongruenz‘ nicht heißt 214
II.4.2.1.3 Die Inkommensurabilität von Beurteilungsstandards 217
II.4.2.1.4 Zusammenfassung Multiplismus 223
II.4.2.2 Imputationalismus 223
II.4.2.2.1 Ein Beispiel für multiplistisch-imputationalistische Interpretationen 224
II.4.2.2.2 Zusammenfassung Imputationalismus 232
II.4.2.3 Was spricht für den multiplistischen Imputationalismus? 233
II.4.3 Kritik des konstruktivistischen Interpretationsrelativismus 235
II.4.3.1 Was heißt ‚imputieren‘? 236
II.4.3.2 Das Problem der zwei Gesellschaften (André Kukla) 242
II.4.3.3 Das Dilemma des Konstruktivismus (Robert Stecker) 246
II.4.3.4 Präzisierungsbedürftige Rede von Beurteilungsstandards 252
II.4.3.5 Interne Widersprüche in der Konzeption des Multiplismus 256
II.4.3.6 Literarische Werke als ‚historische‘ Gegenstände 258
II.4.3.7 Krausz’ Verteidigung eines moderaten Relativismus 260
II.4.3.8 Schlussbemerkungen 263

III. Weitere relativistische Problemfelder 265

III.1 Interpretiert jeder sein eigenes Werk? 268
III.2 Plausibilität statt Wahrheit? 277
III.3 Zielpluralismus und Relativismus 289
III.4 Theorien- und Methodenpluralismus 298

IV. Fazit 313

Literaturverzeichnis 325
Danksagung 350