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Platon
Platon




Michael Erler

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406541100 (ISBN: 3-406-54110-0)
253 Seiten, paperback, 12 x 19cm, 2006

EUR 14,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Platon kommt neben Aristoteles unter den Philosophen der Antike der erste Rang zu. Seine Schriften zählen zu den bedeutendsten Werken nicht bloß, der Philosophie, sondern der Weltliteratur. Michael Erler führt in diesem Buch in Leben und Werk Platons ein, interpretiert ausführlich die Werke, zeichnet die zugrundeliegenden Fragestellungen nach und skizziert die gewaltige Wirkungsgeschichte.

Michael Erler ist Professor für Gräzistik an der Universität Würzburg.



Platon

Biographie

Werkanalyse

Rezeption

Zeittafel

Bibliographie
Rezension
An Plato(n) kommt man nicht vorbei; zu sehr prägt er und der von ihm her benannte Platonismus die europäische Philosophie und Kultur schlechthin. Gerade auch dieser enormen Wirkungsgeschichte wendet sich diese kompakte Darstellung im letzten Kapitel zu. Zuvor wird systematisch und klar strukturiert in Platons Philosophie eingeführt. Der antike griech. Philosoph (Athen von 427 v. Chr. bis 347 v. Chr.) gilt als einer der bedeutendsten Philosophen in der Geschichte. Er entwickelt seine Lehre im Gesprächscharakter, in Dialogen. Sie bieten nicht ein Lehrgebäude als fertiges System, sondern wollen dessen Entstehungsprozess anschaulich darstellen. Hauptredner in den frühen Dialogen ist Sokrates, dem Platon seine philosophischen Theorien in den Mund legt. Andes als sein Schüler Aristoteles ist Platon kein Empiriker und Realist, sondern ein Idealist; Wissen ist für Platon nicht Abstraktion, gewonnen aus Erfahrung und Überlegung, sondern Anteilhabe an den hinter den Realien stehenden Ideen.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Platon kommt neben Aristoteles unter den Philosophen der Antike der erste Rang zu. Seine Schriften zählen zu den bedeutendsten Werken nicht bloß der Philosophie, sondern der Weltliteratur. Michael Erler führt in diesem Buch in Leben und Werk Platons ein , interpretiert ausführlich die Werke, zeichnet die zugrundeliegenden Fragestellungen nach und skizziert die gewaltige Wirkungsgeschichte.

Michael Erler ist Professor für Gräzistik an der Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind neben Platon, Platonismus, Epikur und Epikureismus, die griechische Tragödie und die kaiserzeitliche Literatur.

Die reihe denker wird herausgegeben von Otried Höffe.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort

I. Person und Leben
1. Familie
2. Politische Umstände
3. Jugend und Sokrateserlebnis
4. Erste Sizilienreise
5. Akademiegründung
6. Zweite und dritte Sizilienreise
7. Letzte Jahre

II. Werk und Autor
1. Das Corpus Platonicum
2. Chronologie und Überlieferung
3. Platons Sokratikoi Logoi
4. Platons Kunstdialoge
5. Platons Mythen

III. Platon im Kontext
1. Platons Umgang mit Traditionen
2. Ein Fallbeispiel: Platons Philosophiebegriff
3. «Ein wunderlicher Mann» (Symp. 215a):
Platons Sokratesbild und die Sophisten
4. Eristik und Philosophie: Euthydemos

IV. Bewahren und Erneuern: Platons Kulturkritik
1. Philosophie als Seelsorge: Apologie
2. Philosophie als Gottesdienst: Euthyphron
3. Philosophie und Rhetorik: Gorgias und Phaidros
a) Rhetorik als Seelsorge: Gorgias
b) Darf der Philosoph täuschen? Rhetorik als Seelenleitung: Phaidros
4. Platon und die Medien
a) Kritik der Schriftlichkeit: Phaidros
b) Hören des Richtigen, Verfehlen der Wahrheit: Platons Kritik der Mündlichkeit
5. Bildung (paideia) als Umkehr des Menschen:
Das Höhlengleichnis in der Politeia
6. Platon und die Interpreten: Ion
7. Platon und die Dichter: Politeia Bücher III und X

V. ‹Plato Socraticus›: Wege der Erkenntnis
1. «Ein ungeprüftes Leben ist nicht lebenswert» (Apol. 38a)
2. Sokrates’ Testmethode: der Elenchos
3. Die Rätselhaftigkeit einer traditionellen Vorstellung: Laches
4. Aporie als Appell: Charmides
5. Einheit der Tugenden: Protagoras
6. Tugend als lehrbares Wissen: Menon
7. Erotik und ‹platonische Liebe›: Symposium und Phaidros
a) Sokrates: Der Silen als Erotiker
b) Platons entsinnlichter Eros: Symposium
c) Eros als göttlicher Wahnsinn

VI. Platon und die Sprache
1. «Wie erklärst du dieses» (Laches 192a)
2. Konvention oder Naturalismus der Worte: Kratylos
3. Satz und Sein: Sophistes

VII. Platons Anthropologie
1. Der Mensch, «ein himmlisches Gewächs» (Timaios 90a)
2. Vom Wesen der Seele
3. Unsterblichkeit der Seele

VIII. «Von hier nach dort»: Erfahrungswelt und Idee .
1. Die zweitbeste Seefahrt: Platon als Vater der Metaphysik
2. Wesen und Ort der Ideen
3. Platons ‹Flucht in die Logoi›:
Ideenwissen und Wahrnehmung
4. Probleme der Ideenlehre: Parmenides
5. Die Idee des Guten oder:
Weshalb vermischt Platon Tatsachen und Werturteile?
a) Das Sonnengleichnis
b) Erfahrung und Erkenntnis: Das Liniengleichnis
c) Neuorientierung und Erkenntnis: Nochmals das Höhlengleichnis

IX. Platons Prinzipienlehre
1. Schriftlicher Dialog und mündliches Prinzipiendenken
2. Einheit und Vielheit: Ein Rekonstruktionsversuch
3. Mündliche Lehre als Ergänzung des schriftlichen Dialogs
X. Platons praktische Philosophie 1. Ethik und Politik
2. Eudaimonia (Glück) ist «machbar»
3. Sokrates, der ‹wahre Politiker›: Gorgias
4. Von Athen nach Kallipolis: Politeia
a) Gerechtigkeit und Ordnung im Menschen
b) Gerechtigkeit und Eudaimonie in Kallipolis
5. Von Kallipolis nach Magnesia: Politikos und Nomoi
a) Politik als philosophische Webkunst: Politikos
b) Gesetze in Magnesia: Nomoi

XI. Naturbetrachtung als Therapie der Seele
1. Natur und Ethik: Timaios
2. Kosmogonie und Anthropogonie
3. Kosmologie als Therapie: Zwei Lebensmodelle
4. Der Mensch als Teil der Natur

XII. Platon und das gute Leben
1. Der alte Streit um Lust und Vernunft
2. Philebos oder die Rehabilitierung der Lust

XIII. Nachleben
1. Akademie
2. Mittelplatonismus und Neuplatonismus
3. Interpretatio Christiana in Antike und Mittelalter
4. Renaissance
5. Das 16. bis 18. Jahrhundert
6. Die Suche nach dem historischen Platon: 19. und 20. Jahrhundert
7. Derzeitige Tendenzen

Anhang
Zeittafel
Literatur
Personenregister
Sachregister


Leseprobe:

I. Person und Leben

1. Familie

Platon entstammte einer der vornehmsten und ältesten Familien Athens. Sein Vater Ariston führte seine Ahnen auf den mythischen König Kodros zurück. Durch seine Mutter Periktione war Platon mit Solon, dem wichtigen Gesetzgeber Athens, verwandt (Davies 1971). Platon hatte zwei Brüder, Adeimantos und Glaukon, die in der Politeia eine zentrale Rolle spielen, und eine Schwester, Potone, die Mutter des Speusipp, der später Nachfolger Platons als Leiter der Akademie wurde. Kritias, Sohn des Kallaischros, im Jahr 415 v. Chr., gemeinsam mit Alkibiades wegen religiösen Frevels (Hermokopidenfrevel) angeklagt, Mitglied des oligarchischen Rates der 400 im Jahre 411, als radikaler Antidemokrat Förderer des Oligarchenputsches von 404/3, war sein Vetter; antidemokratisch gesonnen war auch Charmides, ein Bruder seiner Mutter, der mit Kritias 404 am Umsturz beteiligt war. Platons Vater Ariston starb früh, seine Mutter verheiratete sich ein zweites Mal mit ihrem Onkel Pyrilampes, einem Freund des Perikles, der eher demokratisch eingestellt war. Seinen Sohn nannte er ‹Demos› (Volk). In Platons Familie gab es also auch eine demokratiefreundliche Linie.
In diese einflußreiche Familie – ‹göttliches Geschlecht eines berühmten Mannes (sc. Ariston)›, werden Platons Brüder Adeimantos und Glaukon in der Politeia (Rep. 368a) genannt – wurde Platon, wahrscheinlich in Athen oder vielleicht auf der nahegelegenen Insel Ägina, hineingeboren (428/7). Platon war sich der Bedeutung seiner Herkunft bewußt. In seinen Dialogen setzt er manchem Familienmitglied ein Denkmal, indem er es als Sokrates’ Partner auftreten läßt oder es zumindest erwähnt. Von Dropides hören wir z. B., daß er für die Überlieferung des Berichtes über Atlantis mit verantwortlich gewesen sein soll (Tim. 20e). Kritias ist der Erzähler des Atlantismythos im Timaios und Kritias; Charmides ist Hauptperson des Charmides und spielt auch in anderen Dialogen eine Rolle (z. B. Prot. 315a). Seine Herkunft wird im Charmides (157e ff.) besonders hervorgehoben. Platons Brüder Glaukon und Adeimantos sind, wie gesagt, Gesprächpartner in Platons Politeia und sind im Parmenides zumindest präsent.
Über Platons Person und über sein Leben in diesen bewegten Zeiten erfahren wir aus seinem Werk kaum etwas. Das hängt nicht zuletzt mit der von Platon gewählten Form des Dialoges zusammen. Indem ein Dialog nämlich Gesprächshandlungen nachahmt, ermöglicht er es dem Autor, sich hinter seinen Schriften zu ‹verbergen›. Allein Verurteilung und Hinrichtung des Sokrates sind ihm Anlaß, seine Anwesenheit beim Prozeß (Apol. 34a. 38b) und seine Abwesenheit beim Tod des Sokrates (Phaed. 59b) zu dokumentieren. Ansonsten bleibt Platon als Autor anonym. Informationen über sein Leben stammen vor allem aus einem autobiographischen Abschnitt des in seiner Echtheit freilich umstrittenen Siebten Briefes. Der Brief gibt sich als Rückblick des ungefähr 74 Jahre alten Autors auf seine politische und philosophische Entwicklung bis in die 90er Jahre des 4. Jahrhunderts. Auch wenn sich der Brief als unecht erweisen sollte, bleibt er ein wichtiges biographisches Dokument. Weitere Nachrichten über die ersten Lebensjahre Platons und sein Leben stammen von Ap(p)uleius, dem wir die erste erhaltene Biographie Platons verdanken (De Platone et eius dogmate), vor allem aber Diogenes Laertius, der im 3. Jahrhundert n. Chr. lebte und von dem ein umfangreiches Werk Leben und Meinungen berühmter Philosophen überliefert ist. Das 3. Buch dieses Werkes bietet viele Informationen über Platon, sein Werk und sein Leben. Weiteres erfahren wir durch den römischen Biographen Cornelius Nepos (ca. 100 –27 v. Chr.) und den griechischen Philosophen Plutarch – (ca. 45–125 n. Chr.), die beide Lebensbeschreibungen von Platons Freund Dion verfaßt haben. Doch beruhen viele Nachrichten auf Legenden wie jene, daß Platons eigentlicher Vater der Gott Apollon und sein Name Aristokles gewesen sei (Riginos 1976, 9–34). Platon mag sich in seiner Jugend durchaus an Dichtung und vor allem an der Tragödie versucht haben. Doch daß er seine poetischen Werke dann als Folge von Sokrates’ Einfluß verbrannt habe (Diog. Laert. 3, 5), stammt doch wohl aus dem Fundus antiker Geschichten darüber, wie und auf Grund welcher Ereignisse Menschen sich der Philosophie zugewandt haben. Die Geschichte ist sicherlich auch in Zusammenhang mit dem von vielen Interpreten als ein Paradoxon empfundenen Umstand zu sehen, daß Platon sich in seinen Dialogen einerseits als grundsätzlicher Kritiker traditioneller Dichtung und solch bedeutender Dichter wie Homer gibt (siehe Kapitel 6), daß er andererseits aber mit seinen Dialogen dichterische Kunstwerke von höchstem Rang produziert.


2. Politische Umstände


Platons Leben fällt in eine Zeit großer politischer Umbrüche. Bei seiner Geburt (428/7 v. Chr.) hatte der Peloponnesische Krieg (431 – 404 v. Chr.) bereits begonnen. Perikles, der bedeutendste Politiker seiner Zeit, war soeben infolge der in Athen wütenden Pest gestorben. Als Platon 80jährig im Jahr 348/7 v. Chr. starb, begann bereits die Zeit der makedonischen Vorherrschaft auch über Athen. Platons Jugendzeit war geprägt von den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Sparta, von der Katastrophe des Sizilienfeldzuges (415–13 v. Chr.), bei dem die attischen Truppen gefangengenommen wurden und zum großen Teil umkamen, durch die Verwüstung Attikas durch die Spartaner in der entscheidenden letzten Phase des Peloponnesischen Krieges (‹Dekeleischer Krieg› 413– 04 v. Chr.), den Umsturz durch die Oligarchen in Athen (411 v. Chr.), Verbannung und Rückberufung des Alkibiades nach Athen, den Untergang von Athens Flotte bei Aigospotamoi (405 v. Chr.) und die endgültige Niederlage Athens (404 v. Chr.), die mit Besetzung und Verlust der Hegemonie seiner Heimatstadt verbunden war. Innenpolitisch erlebte der junge Platon, wie auf die Niederlage gegen Sparta die Machtergreifung durch eine oligarchische Gruppe, die sogenannten Dreißig Tyrannen, folgte, zu denen mit Kritias und Charmides zwei Verwandte Platons gehörten. Folge waren innenpolitische Verwerfungen in Athen, Demoralisierung und Verlust moralischer Standards, Polarisierung der politischen Klassen und die Bildung von Vereinen junger Männer (Hetairien) aus vornehmen Familien, die ihre eigenen Vorstellungen von Recht mittels Gewalttaten durchzusetzen suchten, gleichsam als Zeichen gegenseitiger Treue: Politischer Mord war an der Tagesordnung. Thukydides berichtet davon eindrücklich: «So tobten also Parteikämpfe in allen Städten, und die etwa erst später dahin kamen, die spornte die Kunde vom bereits Geschehenen erst recht zum Wettlauf im Erfinden immer der neuesten Art ausgeklügelter Anschläge und unerhörter Rachen» (Thuc. 3, 82; Üb. Landmann). Euri pides reflektiert diese Situation wachsender Gewaltbereitschaft in der Athener Gesellschaft in seinem Stück Orestes (408 v. Chr.), in dem sich der Muttermörder Orestes, seine Schwester Elektra und sein Freund Pylades von Sympathieträgern zu einer solchen gewaltbereiten Hetairie wandeln, indem sie ihre Rettung mit Kidnapping, Brandstiftung, versuchtem Meuchelmord und großer Grausamkeit selbst in die Hand nehmen. Indem Euripides zeigt, wie Gewalt Eigendynamik erhält, außer Kontrolle gerät und Rache Selbstzweck wird, wie staatliche Gewalt in der Person des Menelaos als rein pragmatischem Gegenspieler sich immer wieder anzupassen sucht, vermittelt er mit seinem Stück einen Eindruck von der Atmosphäre jener Zeit, die Platons geistige Entwicklung prägte.
Auch im kulturellen Bereich erlebte Platon große Veränderungen. War Athen in Platons Jugend das von Thukydides’ Perikles sicher zu Recht gepriesene kulturelle Zentrum Griechenlands (Thuc. 2, 41), so hatten sich zur Zeit von Platons Tod die Schwerpunkte zu verlagern begonnen. Zwar blieb Athen die Hauptstadt der Philosophie – daran hatte neben der Schule seines Schülers Aristoteles und der seines Rivalen Isokrates der Name Platons und seiner Schule entscheidenden Anteil –, doch entstanden jetzt auch andernorts literarische Zentren, so in Alexandria, in Antiochia und in Pergamon.


3. Jugend und Sokrateserlebnis

Obwohl nichts Sicheres bekannt ist, wird Platon in seiner Jugend die musisch-gymnastische Ausbildung erfahren haben, wie sie in einer bedeutenden Familie wie der seinen üblich war. Allerdings sind die meisten Epigramme, die unter Platons Namen überliefert sind, wohl unecht (Ludwig 1963, 59–82). Doch mag ein Gedicht auf den Tod seines Freundes Dion aus seiner Feder stammen und seine Kunst auch im Bereich der Dichtung bezeugen (X Page; Üb. Wilamowitz 1920, 1, 644):


Tränen haben die Schicksalsschwestern
Hekabe und den Troerfrauen
zugesponnen
vor der Geburt.


Doch du standest im Siegerkranze,
Dion, als das Geschick dir aller
Hoffnung Früchte
plötzlich entriß.


Ruhest in heimischer Erde, teuer
Deinem Volke. Wie glühend hat dich,
meine Seele,
Dion, geliebt.


Als Platons erster philosophischer Lehrer wird der Herakliteer Kratylos genannt (Arist. met. A 6, 987a32 ff.), wobei diese Verbindung aus dem gleichnamigen Dialog Kratylos, in dem der Kratylos eine wichtige Rolle spielt, herausgesponnen sein kann. Die Nachricht des Aristoteles ist also unsicher, erklärt aber Platons Ideenlehre als eine Antwort auf die von den Herakliteern propagierte problematische Grundlage (Flußlehre) menschlicher Existenz und Erkenntnismöglichkeit (Kratylos, Theaitetos). Prägendstes Erlebnis für die geistige Entwicklung Platons war in seiner Jugend ohne Zweifel seine Begegnung mit Sokrates. Ihm schloß sich der gerade 20jährige Platon an und wurde bis zu Sokrates’ Hinrichtung im Jahr 399 dessen Schüler.
Herkunft und Begabung Platons lassen vermuten, daß Platon eine wichtige Rolle im politischen Leben Athens hätte spielen wollen und können. Wie wir aus dem siebten Brief erfahren (324b–326a), wurde sein anfängliches Interesse durch die politischen Entwicklungen gedämpft: Die Versuche der Dreißig – zu ihnen gehörten ja auch Verwandte Platons –, die Unruhen in der Stadt durch einen oligarchischen Putsch zu beenden, fanden zunächst seine Zustimmung; die politische Realität aber stieß ihn mehr und mehr ab: «Als ich noch in meiner Jugend war, ging es mir wie vielen Jünglingen. Ich hatte im Sinne, sobald ich mein eigener Herr geworden war, mich an der Verwaltung des Staates zu beteiligen. Da kamen mir einige Staats-Unfälle dazwischen, und die waren folgender Art. Da viele mit der damaligen Staatsverfassung unzufrieden waren, so entstand eine Umwälzung derselben, und einundfünfzig aristokratische Männer stellten sich an die Spitze derselben (…). Unter diesen hatte ich einige Verwandte und Bekannte, und sonach luden sie mich alsbald zur Teilnahme an ihrer Politik (…). Und als ich erst sah, wie sie unter andern den Sokrates in seinen älteren Jahren, den mir so teuren Mann, (…) ausschicken wollten, um ihnen einen der Bürger, natürlich zur Schlachtbank, vorzuführen, (…) da bekam ich einen Ekel an dieser neuen Politik und zog mich zurück von der damaligen schlechten Aristokraten-Wirtschaft» (epist. VII, 324b–326a; Üb. Wiegand).
Die Versuche, Sokrates in ungerechte Machenschaften zu involvieren, indem man ihm z. B. auftrug, ein Todesurteil an Leon aus Sala mis zu vollstrecken, Sokrates’ Weigerung unter Gefahr für sein Leben, sich diesem Ansinnen zu fügen, seine Verurteilung im Jahre 399 durch einen Gerichtshof von 500 Geschworenen und die Hinrichtung führten also zur endgültigen Distanzierung Platons von der Athener Politik. Platon erkannte in derartigen Vorfällen nicht nur einen einmaligen Mißgriff, sondern prinzipielles Versagen der Politik als Folge einer falschen Auffassung von Gerechtigkeit, deren Vorgaben nach seiner Auffassung durch demokratische Abstimmung eben nicht zu erfüllen sind. Platon verließ deshalb Athen und begab sich nach Megara zu Eukleides, der ebenfalls ein Schüler des Sokrates war.
Platons Distanz zum politischen Athen markiert einen wichtigen Schritt in seiner Entwicklung. Sokrates’ Anspruch im Dialog Gorgias, der einzig wahre Politiker Athens zu sein (Gorg. 521d), mag die Richtung andeuten, in die Platons Lebenswahl wies. Denn Platons Philosophie versteht sich in der Nachfolge des Sokrates als eine neue Art von Politik, der es freilich nicht um Institutionen, sondern um die Seelen der Mitbürger und deren Besserung als Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben geht.
Dieser Seelentherapie sollten auch die literarischen Dialoge dienen, die in jenen Jahren entstanden und mit denen Platon schon damals seinem Lehrer Sokrates ein literarisches Monument zu setzen begonnen hatte. Die Dialoge sollten für seine Art von Philosophie werben, aber auch Voraussetzungen für eine Heilung der Seele schaffen, insofern sie von Illusionen der Welt befreien und dadurch die Erkenntnis der Wahrheit vorbereiten konnten. Nicht zuletzt zu diesem Zweck gründete Platon auch seine Schule, die Akademie (um 387 v. Chr.), als eine Gemeinschaft ausgewählter junger Menschen, nicht als Ausbildungsstätte zukünftiger Politiker, sondern als «Pflanzstätte», in der «in mündlichem Gespräch geeigneten Seelen» Wissen «eingepflanzt» wird (Phaedr. 276e).


4. Erste Sizilienreise

Zuvor war jedoch Platon – nun 40 Jahre alt (epist. VII, 324a) – zu einer ausgedehnten Bildungsreise aufgebrochen (ca. 389–387 v. Chr.). Die Gründe, die ihn nach Unteritalien und Sizilien führten, sind nicht bekannt. Unsicher ist ebenfalls, ob er auch nach Ägypten und Kyrene gelangte. Vielleicht hängt die Nachricht über diese Reise mit dem Umstand zusammen, daß Platon mit dem Mathematiker Theodoros befreundet war, der aus Kyrene stammte und der eine Rolle im Dialog Theaitetos spielt. Auf der Reise nach Unteritalien und Sizilien erfuhr Platon Anregung und sammelte Erfahrung im philosophischen und politischen Bereich (von Fritz 1968). In Italien und Sizilien kam er in Kontakt mit Pythagoreern, insbesondere mit Archy tas von Tarent. Möglicherweise hat er in Lokroi den Pythagoreer Timaios getroffen, den er später zur Hauptfigur des gleichnamigen Dialoges machte. Den luxuriösen Lebensstil in Magna Graecia fand Platon problematisch, er sah darin einen Grund für politische Unsicherheit in der Region (epist. VII, 326b–d). Andererseits mögen ihn Vorstellungen orphischer und dionysischer Kreise, mit denen er ebenfalls in Kontakt kam, beeinflußt haben. Die von Platon in einigen Dialogen (z. B. Gorgias, Phaidon, Politeia) geschilderten Jenseitsmythen mit ihren Vorstellungen von einem Totengericht könnten Ausdruck einer entsprechenden Beeinflussung sein. In Syrakus traf er mit dem Tyrannen von Syrakus, Dionysios I., zusammen und hegte einige Zeit die Hoffung, in den hohen gesellschaftlichen Kreisen philosophisch Einfluß nehmen zu können. In Syrakus machte Platon auch die Bekanntschaft mit Dion, dem Schwager und Schwiegersohn des Dionysios I. (epist. VII, 327a), einem sehr begabten und für Philosophie begeisterten jungen Mann, der sich Platons philosophischen Idealen anschloß. Mit Dion verband Platon eine dauerhafte Freundschaft. Das Verhältnis zu Dionysios I. endete jedoch mit einem Zerwürfnis. Anscheinend war Platons Offenheit dem Tyrannen nicht willkommen. Auf seiner Rückreise von Syrakus soll Platon in Gefangenschaft geraten und auf Ägina, das mit Athen zu dieser Zeit Krieg führte, verkauft worden sein. Sein neuer Herr Annikeris aus Kyrene soll ihn jedoch freigelassen haben, als er bemerkte, wer Platon war. Die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte ist freilich umstritten.


5. Akademiegründung

Nach Athen zurückgekehrt, kaufte Platon ein Grundstück, das dem Heros Akademos geweiht war, und eröffnete um 387 v. Chr. eine Schule: die Akademie, die zusammen mit der Schule des Rhetoriklehrers Isokrates (436–338 v. Chr.) die erste Einrichtung für höhere Bildung in Griechenland war. Sie genoß bald hohes Ansehen und zog zahlreiche junge Menschen an (Baltes 1993; C.W. Müller 1993, 31–43). Kennzeichen des akademischen Lebens in der Schule Platons sind die philosophische Lebensgemeinschaft (synousia) auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung und die Pflege von Wissenschaften wie Mathematik und Astronomie, Botanik, Zoologie, Logik und Rhetorik, Politik und Ethik. Oberster Orientierungspunkt ist das Prinzip des Guten, das zugleich als Erklärungsprinzip der ontologischen Struktur der Wirklichkeit wie auch als Zielpunkt allen menschlichen Wollens gilt. Bei den Schülern wurde offenbar ein Unterschied gemacht zwischen an reiner Theorie interessierten Schulmitgliedern und einer größeren Gruppe, die praktischen Nutzen aus den Ergebnissen ziehen wollte. Merkmale des Lebens und Lernens sind Freiheit von den Notwendigkeiten des Alltags, Gleichberechtigung und Gemeinschaft der an Theorie Interessierten. Man darf sich auch vorstellen, daß im Rahmen des Unterrichts auch die Werke Platons diskutiert wurden (Erler 1987, 57 ff.). Nachrichten über den Unterricht in der Akademie haben wir nicht viele; wir sind dabei z. T. auf platonkritische Tradition oder karikierende Darstellungen der Komödie angewiesen, denen man aber wohl einen realistischen Kern zusprechen darf. Bekannt ist hier vor allem die Schilderung einer Schulszene im Gymnasium der Akademie durch den Komödiendichter Epikrates aus der ersten Hälfte des 4. Jh. (frg.10 K.-A.). Vorgeführt wird ein für Platon typisches Einteilungsverfahren (Diärese), mit dessen Hilfe ein Gegenstand bestimmt werden soll. Bei Epikrates geht es um die Frage, zu welcher Gattung der Kürbis gehört. Da es unter den Schülern zum Streit kommt, übernimmt Platon die Rolle des milden Schiedsrichters, der die Schüler schließlich von vorne beginnen lässt. Wenn auch durch Komödienspott verzerrt, läßt sich doch aus Platons Dialogen (z. B. Sophistes, Politikos) und aus Nachrichten über seinen Neffen und Nachfolger in der Schulleitung, Speusippos, belegen, daß die Szene Merkmale der Schulwirklichkeit spiegelt. Wir erfahren zudem, daß Platon seinen Schülern Aufgaben gestellt hat, die z. B. den Bereich der Mathematik oder der Kosmologie betrafen und die zu Lösungsvorschlägen geführt haben. Offenbar gab es Schüler, denen es um wirkliche Forschung ging, und andere, die ein eher oberflächliches philosophisches Interesse verfolgten. Man darf auch davon ausgehen, daß Platons Dialoge im Kreise seiner Schüler gelesen, die in ihnen aufgeworfenen Fragen und Aporien diskutiert, Hinweise aufgegriffen und Lösungen im Sinne Platons gesucht wurden (Erler 1987; Merkelbach 1988). Von ihrer bedeutenden Konkurrentin, der Schule des Isokrates, unterschied sich die Akademie Platons dadurch, daß der Unterricht unentgeltlich war – die Schule finanzierte sich aus Platons Vermögen –, unterschied sich durch das Konzept der philosophischen Lebensgemeinschaft (epist. VII, 341c), durch gemeinsame Schulfeste (Apollons Geburtstag) und Symposien. Zudem fühlte man sich für die Schule und die Mitglieder verantwortlich. Parallelen zu den Gemeinschaften der Pythagoreer sind konstatiert worden, wobei es bei Platon weniger ‹esoterisch› und wohl auch weniger dogmatisch zuging. Auch wenn Platon über große Autorität verfügte, so sprechen die großen Freiheiten, die sich Schüler wie Aristoteles ihm gegenüber leisten konnten – man denke an Aristoteles’ Kritik an Platons Ideen lehre – für eine liberale Atmosphäre innerhalb der Akademie.
In Platons Lern- und Lehrgemeinschaft, zu der zahlreiche Mitglieder – wir hören auch von zwei Frauen – gehörten, wirkten Philosophen von Bedeutung, wie Platons Neffe Speusippos, der auch sein Nachfolger wurde, Xenokrates, der nach Speusippos die Schulleitung übernahm, und Aristoteles, der zwanzig Jahre lang in der Akademie lernte und lehrte, bis er sie nach Platons Tod verließ. Viele Mitglieder nahmen später wichtige politische Aufgaben als Ratgeber in unterschiedlichen Teilen der Welt wahr. In die ersten zwei Jahrzehnte von Platons Lehrtätigkeit fallen bedeutende Dialoge wie Menon, Phaidon, Symposion, vermutlich auch der Phaidros, vor allem aber seine Konzeption eines Idealstaates sowie die Politeia, die man als sein Hauptwerk bezeichnen kann.


6. Zweite und dritte Sizilienreise

Platons Lehrtätigkeit wurde durch zwei weitere Reisen nach Sizilien (367/6 oder 366/5 und 361/0 v. Chr.) unterbrochen, wo er seine staatstheoretischen Überlegungen in die Tat umzusetzen versuchte (vgl. epist. VII). Auf Drängen seines Freundes Dion wollte er nach dem Tode des Dionysios I. mit dessen jungem Nachfolger, dem neuen Tyrannen von Syrakus, Dionysios II., die Idee des Philosophenkönigtums verwirklichen. Dionysios II. hatte Interesse an Philosophie geäußert. Der nun 60jährige Platon ließ sich von Dion überreden, dem Tyrannen philosophische Kategorien der Machtausübung nahezubringen (epist. VII, 327c–329b). Doch schlugen seine Bemühungen fehl. Bei Dionysios II. wegen angeblicher Umsturzpläne denunziert, wurde Dion verbannt. Platon selbst gelang nur mit Mühe die Flucht nach Athen. Als Platon fünf Jahre später auf Dionysios’ Wunsch erneut nach Syrakus reiste (361 v. Chr.), tat er dies, weil Dionysios ihn wissen ließ, ein solcher Besuch werde nicht zum Nachteil Dions sein. Zudem sprach für das ernsthafte philosophische Interesse des Herrschers, daß er Sokratesschüler wie Aischines und Aristippos um sich geschart hatte. Platon ließ sich von seinen Schülern Speusippos und Xenokrates begleiten. Dennoch gelang es ihm auch diesmal nicht, den Tyrannen für tiefergehende philosophische Studien zu gewinnen (339e ff.). Zwar stellte sich Dionysios einem Test (epist. VII, 340b), doch erwies sich sein philosophisches Wissen als nur oberflächlich und bedeutungslos für seine Lebensweise. Zudem konnte Platon ihn nicht mit Dion aussöhnen. Durch seine Versuche inzwischen selbst wieder in Gefahr geraten, konnte Platon nur mit Hilfe des Archytas von Tarent nach Athen zurückkehren.
Über diese – erneut gescheiterten – Bemühungen Platons, theoretische Philosophie praktisch umsetzen zu lassen, gibt uns der Siebte Brief Auskunft. Nach dem Scheitern der friedlichen Mittel versucht Dion trotz Platons Einspruch mit Gewalt, Dionysios II. zu stürzen. Der Putsch gelingt, doch wird Dion bei seinen Bemühungen, in Syrakus und Sizilien für Ordnung zu sorgen, Opfer eines Attentats.


7. Letzte Jahre

Platons Versuch, auf Sizilien seine politischen Vorstellungen in die Praxis umzusetzen, war also gescheitert. Die folgenden dreizehn Jahre bis zu seinem Tod verbrachte er forschend und lehrend in Athen. Es entstanden dabei so bedeutende Werke wie der Philebos der Timaios oder das große, erst postum von seinem Schüler Philippos aus Opus herausgegebene zweite staatstheoretische Werk, die Nomoi. In diese letzten Jahre fällt wohl auch eine öffentliche Vorlesung Über das Gute, mit der Platon Einblick in innerakademische Diskussionen über die letzten Prinzipien gewährte. Anlaß war vielleicht der Wunsch, sich gegen den Verdacht antidemokratischer Einstellung zu rechtfertigen (Gaiser 1980). Nach Ansicht ihrer Zeitgenossen zeigten sich Platon und seine Schüler nämlich gegenüber den Angelegenheiten des Volkes und der Tagespolitik allzu distanziert. Gepriesen wurden andererseits Platons Zurückhaltung und Würde (Anecd. 106 Riginos; Diog. Laert. 3, 26). Die Komödie verspottet Platons Lehre vom Guten und sein angeblich finsteres Wesen (Amphis fr. 13 K.-A.: «wie eine Schnecke ziehst du feierlich deine Brauen hoch»), spielt dabei auf ein Element des Intellektuellen-Typus der Zeit an, womit Platons Außenseiterrolle betont werden sollte. Platons Versuch, gegen seine Überzeugung vor einem philosophisch nicht vorbereiteten Publikum zu sprechen, scheiterte. Seine Ausführungen mit dem Ziel, das Gute als das Eine zu erweisen, stießen auf Verständnislosigkeit und mögen Vorurteile, wie sie im Komödienspott der Zeit manifest werden, eher noch bestärkt haben. Seinem Ruf als bedeutender Philosoph tat dieser Mißerfolg freilich keinen Abbruch. Weniger als Lehranstalt für Politik, denn als Bildungsmacht hatte sich die Akademie etabliert und weite Geltung erworben und zog Hörer und Schüler aus vielen Teilen Griechenlands an.
Als Platon 347 v. Chr. im Alter von 80 Jahren starb, war er hoch geehrt. Mithridates, der Perser, soll ihm in der Akademie eine Statue des Bildhauers Silanion mit Inschrift aufgestellt haben. Diese Statue Silanions ist als jenes Original anzusehen, das die uns erhaltenen Platon-Bildnisse inspiriert hat. Als eines der schönsten erhaltenen Exemplare – neben einem fein gearbeiteten Kopf, der heute in Berlin aufgestellt ist – gilt die römische Kopie des zu einem Statuenkörper gehörenden Originals in der Münchener Glyptothek, die aus der Sammlung von R. Boehringer stammt (Richter – Smith 1984, 181 ff.; Vierneisel 1987, 11–26). Der Kopf paßt in mancherlei Hinsicht zu dem, was wir schriftlichen Zeugnissen über Platons Erscheinungsbild entnehmen können, ist aber auch dem Stereotyp eines Intellektuellen-Porträts des 4. Jahrhunderts v. Chr. verpflichtet, das Platon weniger als Philosophen, sondern als guten Bürger vorstellen will (Zanker 1995, 70–79).

S. 15 - 26; Copyright Verlag C.H.Beck oHG

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