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Phänomen Zeit	 Spektrum der Wissenschaft - SPEZIAL
Phänomen Zeit
Spektrum der Wissenschaft - SPEZIAL



Spektrum der Wissenschaft
EAN: 9783936278330 (ISBN: 3-936278-33-4)
90 Seiten, paperback, 21 x 28cm, Mai, 2003

EUR 8,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Editorial:



Reinhard Breuer Chefredakteur

Unaufhaltsam im Strom der Zeit

Zu meinen intensivsten Zeiterlebnissen gehört ein Gefühl von Endlosigkeit in meiner Kindheit. Vor allem am Ende des Schuljahres packte mich regelmäßig Erleichterung: die Qual hinter mir, vor mir die grenzenlose Zeit der großen Ferien.

Je älter ich wurde, desto mehr verflüchtigte sich diese utopische Empfindung. In Thomas Manns »Zauberberg« staunte ich über Hans Castorps Meditation im Schneegestöber, wie paradox Zeit doch sei. Manchmal fließe sie unerträglich langsam, gerade in Momenten der Langeweile, dann wieder schnell in stürmischen Zeiten. In der Erinnerung jedoch sei es genau umgekehrt: Im Blick zurück schrumpften die Phasen sich wiederholender Langeweile auf ein Nichts, aktive Perioden dagegen erschienen nun als ausgedehnte Lebenszeit. Später spürte ich das Verfließen der Zeit immer stärker, bis zu dem mit den Jahren fast überwältigenden Eindruck, dass die Zeit »rast«.

Alles Unsinn! - musste ich mir sagen, als ich begann, Physik zu studieren. Das subjektive Zeiterlebnis im Wandel des Älterwerdens hat offenbar wenig mit dem zu tun, was uns die exakten Wissenschaften über die Zeit erzählen. Zeit sei ein »Parameter«, der Ordnung in den Wust der Ereignisse bringe und für eine Chronologie des Weltgeschehens sorge. Aber die Zeit selbst habe nun mal kein Tempo. Geschwindigkeit wird als Weg pro Zeiteinheit gemessen, aber die Zeit kann nicht gegen sich selbst gehalten werden. Wir registrieren Zeit nur über Bewegung und Veränderung von Zuständen; gemessen wird sie durch Vergleich mit periodischen Standardabläufen, »Uhren« genannt (S. 26).

Gleichwohl wird die Zeit in Einsteins Relativitätstheorie mit dem Raum zur »Raum-Zeit« verschmolzen und kann lokal unterschiedlich verlaufen: Bewegte Uhren gehen langsamer, wie auch solche, die in die Nähe schwerer Himmelskörper geraten oder gar in den Bannkreis Schwarzer Löcher.

Was mich im Studium aber noch mehr erstaunte, waren die Paradoxien von Gewesenem und Künftigem. Die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

sei, sagte Albert Einstein, »nur eine Täuschung, wenn auch eine hartnäckige«. Gleichwohl deuten alle »Zeitpfeile«, wie Paul Davies auf S. 10 schildert, in Physik und Biologie darauf hin, dass es in aller Regel nur »vorwärts in die Zukunft« geht. Keine Tasse, die auf den Boden fiel, wurde je dabei ertappt, wie sie zurück auf den Tisch sprang und die Scherben sich wieder zusammenfügten. In solchen irreversiblen Prozessen verbirgt sich unter anderem das Wesen des Alterns (S. 52).

Natürlich unterscheidet unser Gehirn das Vergangene vom Künftigen: Das eine steht fest und wir erinnern uns daran; das andere erwarten wir, es ist uns unbekannt und steckt voller Überraschungen. Wie das vor Ihnen liegende Sonderheft über das »Phänomen Zeit«: Es geht dieser flüchtigen Qualität unseres Lebens und aller Naturprozesse nach. Die Forscher haben ein immenses Wissen darüber angehäuft — aber am Ende, wenn wir den Wurzeln unseres Zeitempfindens auch noch so lange nachspüren, bleibt die Frage »Was also ist die Zeit?« weiterhin rätselhaft, kaum anders als für Augustinus im 5. Jahrhundert: »Wenn mich niemand danach fragt, so weiß ich es; wenn ich es jemandem erklären möchte, der mich danach fragt, so weiß ich es nicht.«
Verlagsinfo
Mit dem Phänomen Zeit hat jeder schon einmal bewusst oder unbewusst zu tun gehabt. Meistens vergeht sie zu schnell oder aber sie scheint förmlich zu kriechen. Doch was genau ist eigentlich Zeit? Das neue Spezial beleuchtet die vielfältigen Facetten dieses Begriffes, der in der Physik, der Philosophie und auch in der Kunst eine wichtige Rolle spielt.


Aus dem Inhalt:
- Zeit ohne Grenzen
- Der rätselhafte Fluss der Zeit
- Ein Abgrund im Zentrum der Physik
- Bauanleitung für eine Zeitmaschine
- Vom Wimpernschlag zur Ewigkeit
- Eine kurze Geschichte der Zeitmessung
- Die ultimative Uhr
- Die Kunst des Kalendermachens
- Wie Materialien altern und dabei die Zeit messen
- Zeit unseres Lebens
- Wenn das Zeitempfinden verloren geht
- Wo die Uhren anders gehen
- Kandinsky, Leibniz und Raumzeit
Inhaltsverzeichnis
EINFÜHRUNG
Zeit ohne Grenzen
Unser Lebenstakt beschleunigt sich stetig, die Zeit wird immer genauer messbar, doch ihr Wesen bleibt räselhaft.

PHYSIK
Der rätselhafte Fluss der Zeit
Wir erleben, wie die Zeit unaufhaltsam dahin-strömt - von der unabänderlichen Vergangenheit über die flüchtige Gegenwart zur unbekannten Zukunft. Doch für Physiker ist das nur eine Illusion.

PHILOSOPHIE
Ein Abgrund im Zentrum der Physik
Die Physiker finden keine Zeit - buchstäblich. Können ihnen Philosophen beim Suchen helfen?

ZEITREISEN
Bauanleitung für eine Zeitmaschine
Ein Fahrzeug für Zeitreisen wäre gewiss nicht einfach zu konstruieren - aber zumindest theoretisch ist es denkbar.

DAS MASS DERZEIT
Vom Wimpernschlag zur Ewigkeit
Panta rhei - alles fließt, folgerte der griechische Philosoph Heraklit aus seinen Beobachtungen.

UHREN
Eine kurze Geschichte der Zeitmessung
Dass der moderne Mensch »keine Zeit hat«, ist ein hausgemachtes Problem: Im Laufe der Jahrtausende ersannenTüftler immer genauere Chronometer, um Tag und Nacht zu zergliedern.

PRÄZISIONSCHRONOMETER
Die ultimative Uhr
Moderne High-Tech-Chronometer treiben die Genauigkeit der Zeitmessung an die physikalischen Grenzen.

ZEITMESSUNG
Die Kunst des Kalendermachens
Wie zählen die Menschen ihre Tage? Zweckmäßig so, dass die Zählung mit dem Lauf der Jahreszeiten in Einklang steht. Aber diese Forderung über Jahrtausende hinweg zu erfüllen ist nicht einfach.

NEUROPHYSIOLOGIE
Wenn das Zeitempfinden verloren geht
Unser Zeiterleben richtet sich nach eigenen Regeln. So ordnen wir Ereignisse normalerweise auch zeitlich. Aber das Bewusstsein überspielt den eigenen Zeitbedarf des Gehirns.

KUNSTPHILOSOPHIE
Kandinsky, Leibniz und die Raumzeit
Musik sei in der Zeit, Gemälde und Skulpturen hingegen seien Phänomene im Raum. Diese althergebrachte Auffassung haben Künstler wie Philosophen spätestens

MATERIALFORSCHUNG
Wie Materialien altern und dabei die Zeit messen
Auch an Werkstoffen geht die Zeit nicht spurlos vorüber. Dem müssen Ingenieure Rechnung tragen. Andererseits können altersbedingte Veränderungen auch als Zeitmesser dienen.

CHRONOBIOLOGIE
Zeit unseres Lebens
In uns ticken viele Uhren, langsame und schnelle. Sie prägen den Aktivitätsrhythmus von Körper und Geist.

ZEITKULTUREN
Wo die Uhren anders gehen
Wie Menschen mit Zeit umgehen, hängt von der Kultur ab, in der sie leben. Erst wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir andere Kulturen wirklich verstehen -und unsere eigene.
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