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Olga
Olga




Bernhard Schlink

Diogenes Verlag
EAN: 9783257070156 (ISBN: 3-257-07015-2)
320 Seiten, hardcover, 12 x 19cm, Januar, 2018

EUR 24,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Der neue große Roman



Eine Frau, die kämpft und sich findet, ein Mann, der träumt und sich verliert. Leben zwischen Wirklichkeit, Sehnsucht und Aufbegehren.

Vom späten 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert, von Deutschland nach Afrika und in die Arktis, von der Memel an den Neckar - die Geschichte einer Liebe, verschlungen in die Irrwege der deutschen Geschichte.



"Mein Lieber, letztes Jahr wolltest Du vor Weihnachten zurück sein, dieses Jahr wollten es die Soldaten. Auf Euch Männer ist kein Verlass."



BERNHARD SCHLINK, geboren 1944 in Bielefeld, ist Jurist und lebt in Berlin und New York. Der 1995 erschienene Roman "Der Vorleser" begründete seinen schriftstellerischen Weltruhm.
Rezension
Lässt sich die Mentalität der Deutschen von Bismarck bis Hitler, über das „Wirtschaftswunder“ hinaus zur Kulturrevolution der 68er auf einen Begriff bringen? Ja, folgt man Olga, der willensstarken und stoizistischen Protagonistin von Bernhard Schlinks neuen gleichnamigen Roman. Sie ist aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in Breslau, schaffte es aus eigener Kraft das Lehrerinnenseminar in Posen zu besuchen und war in einem Dorf in der Nähe von Tilsit 30 Jahre als Volksschullehrerin tätig. Für Olga, die immer die Sozialdemokratie wählte und später nach dem Verlust ihres Gehörs als Näherin arbeitete, steht außer Zweifel: Deutschland will es immer „zu groß“. Nationalismus, Heroentum, Imperialismus, Lebensraumpolitik der Nationalsozialisten und „Weltrettertum“ der 68er-Generation subsumiert sie unter Großmannssucht, ein Terminus, der im Roman von Schlink zwar nicht fällt, aber anhand seiner Figuren ausführlich beschrieben wird. Diese Mentalität der Deutschen habe zuerst Bismarck geprägt, auch wenn der Reichskanzler im Zeitalter des Imperialismus gegen den Erwerb deutscher Kolonien gewesen sei. Begründet liege die Phantasie von Deutschlands Größe, so deckt Olga ideologiekritisch auf, darin, dass das Deutschland im Unterschied zu England, Frankreich oder Russland eine „verspätete Nation“ (Plessner) sei.
Historisch gesehen werden durch Olgas Geschichtsdeutung die Handlungsoptionen der Akteure in der Weimarer Republik, in den „Krisenjahren der Klassischen Moderne“(Peukert), ausgeblendet, was sich auch darin zeigt, dass die erste deutsche Demokratie in Schlinks Werk nur einmal kurz Erwähnung findet. Diese historische Reduktion, die wohl auch der literarischen Fokussierung geschuldet ist, legitimiert ein Antiquar im Roman durch die geschichtstheoretische These, dass Geschichte nicht, nach dem berühmten Diktum des Historiker Leopold von Ranke darstelle, „wie es eigentlich gewesen ist“, sondern ein Konstrukt der Nachwelt sei. Mit „Olga“ liefert der emeritierte Jura-Professor und Bestseller-Autor ein Panorama deutscher Geschichte seit der Gründung des Kaiserreichs 1871 bis ins Jahr 1971 sub specie Großmannssucht.
Diese Haltung exemplifiziert Schlink anschaulich anhand der von Olga so genannten „Kinder“, insbesondere ihrem Freund Herbert sowie dem Jungen Eik, zu dem sie eine ganz besondere Beziehung pflegt. Auch den im zweiten Teil des Buches auftauchenden Ich-Erzähler Ferdinand nennt Olga, deren Werdegang im ersten Teil des Buches ein auktorialer Erzähler bin Anfang der 1950er Jahre schildert, „Kind“. Dieser entdeckt in einem Antiquariat in Tromsö die für den Leser des Romans aufschlussreichen Briefe Olgas an Herbart aus den Jahren 1913-1915, 1936, 1939, 1956 und 1971, welchen den dritten Teil des Buches ausmachen. Die norwegische Hafenstadt bildete 1913 den Ausgangspunkt für die Expedition von Herbart, der durch die Nordostpassge die Arktis erreichen wollte - gemäß dem Ziel seiner Vorträge „Deutschlands Zukunft liegt in der Arktis“. Motiviert wurde Herbart, der schon als Mitglied der Schutztruppe am ersten deutschen Genozid an den Herero in „Deutsch-Südwestafrika“ 1904 beteiligt war, durch seine bisherigen Reisen unter dem Motto „Weite ohne Ende“, die er überlebte - nicht aber die Arktis-Expedition. Nichtsdestotrotz schreibt Olga, postlagernd Briefe an Herbart nach Tromsö, auch Jahrzehnte später, in dem sie ihm von dem „Kind“ Eik berichtete, das sie besonders umsorgt hatte und aus dem ein Nazi geworden ist, der deutschen Lebensraum bis zum Ural forderte und im Reichssicherheitshauptamt arbeitete - nach der Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft 1955 bei der Kriminalpolizei.
Bei dem letzten „Kind“ Ferdinand Jahren fungierte Olga, die immer aufgrund ihrer eigenen Biographie Lernen als Privileg begriff, in den 1950er und 1960er-Jahren eher als großmütterliche Bildungsberaterin, eigentlich war sie im Haushalt als Näherin angestellt. Was ihr bei Herbert und Eik nicht gelungen war, nämlich zu vermitteln, dass das Leben kein Abenteuer(spielplatz) war, womit sie historische Schuld auf sich geladen hat, erreichte sie bei Ferdinand, der Philosophie studierte und über den ersten Erziehungsroman der Moderne, nämlich Jean-Jacques Rousseaus „Emile oder über die Erziehung“(1762) promovierte.
Daher ist Schlinks neues Werk nicht nur als ein historischer Roman zur deutschen Geschichte zu begreifen, sondern auch als ein Bildungsroman, was an den eingefügten philosophischen Reflexionen deutlich wird: über die Nichtexistenz Gottes, die Unendlichkeit, die Unverfügbarkeit des Anderen in der Liebe, den Tod als „Gleichmacher“ und biographische Brüche. Schlinks neues die deutsche Geschichte thematisierendes, stilistisch gelungenes, drei Erzählperspektiven aufweisendes, gut lesbares Buch „Olga“ steht zurecht auf der Bestseller-Liste. Sein Panorama deutscher Geschichte, versehen mit philosophischen Reflexionen über Leben und Tod, verdient von allen historisch Interessierten gelesen zu werden, insbesondere von Lehrkräften der Fächer Deutsch und Geschichte. Der moderne Bildungsroman des Schriftstellers Schlink, erschienen bei „diogenes“, kann in Zeiten von „Retrotopia“(Bauman) zugleich verstanden werden als Warnung vor den nationalistischen Phantasien von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Außerdem könnte diskutiert werden, den im Deutsch-Abitur mancher Bundesländer verankerten erfolgreichsten Schlink-Roman „Der Vorleser“(1995) durch sein neuestes, bestes Buch „Olga“ zu ersetzen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Olga

Die Geschichte der Liebe zwischen einer Frau, die gegen die Vorurteile ihrer Zeit kämpft, und einem Mann, der sich mit afrikanischen und arktischen Eskapaden an die Träume seiner Zeit von Größe und Macht verliert. Erst im Scheitern wird er mit der Realität konfrontiert – wie viele seines Volks und seiner Zeit. Die Frau bleibt ihm ihr Leben lang verbunden, in Gedanken, Briefen und einem großen Aufbegehren.


Ein Dorf in Pommern am Ende des 19. Jahrhunderts. Olga ist Waise, Herbert der Sohn des Gutsherrn. Sie verlieben sich und bleiben gegen den Widerstand seiner Eltern ein Paar, das immer wieder zueinander findet, auch als Olga Lehrerin wird und er zu Abenteuern nach Afrika, Amerika und Russland reist. Vom Kampf gegen die Herero zurückgekehrt, voller Träume von kolonialer Macht und Größe, will er für Deutschland die Arktis erobern. Seine Expedition scheitert, und die Bemühungen zu seiner Rettung enden, als der Erste Weltkrieg ausbricht. Olga sieht ihn nicht wieder und bleibt ihm doch auf ihre eigene Weise verbunden.

Erzählt wird die Geschichte einer starken, klugen Frau, die miterleben muss, wie nicht nur ihr Geliebter, sondern ein ganzes Volk den Bezug zur Realität verliert. Es wird die Frage ihres Lebens: Warum denken die Deutschen zu groß? Wieder und wieder?