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Lesen, merken und erinnern Übungen für Vergessliche und Ratschläge für Angehörige und Therapeuten 5., überarbeitete Aufl. 2011
Lesen, merken und erinnern
Übungen für Vergessliche und Ratschläge für Angehörige und Therapeuten


5., überarbeitete Aufl. 2011



Erich Kasten

Verlag Modernes Lernen
EAN: 9783861453321 (ISBN: 3-86145-332-0)
192 Seiten, paperback, 16 x 23cm, 2011, durchgehend illustriert

EUR 15,30
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Autoren-Informationen



Prof. Dr. Erich Kasten arbeitet im Fach Medizinische Psychologie an der Universität Lübeck. Als klinischer Neuropsychologe verfügt er seit Anfang der 1990-er Jahre über vielfältige Erfahrungen mit Patienten, die unter Konzentrations- und Gedächtnisproblemen leiden. Er entwickelte eine Fülle von Trainingsmaterialien für diese Menschen.



Beschreibung



Lesen Sie manchmal einen Absatz zum dritten Mal und haben noch nicht erfasst, was darin steht? Haben Sie schon nach einigen Stunden völlig vergessen, was in der Tageszeitung stand?

Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sind ein weit verbreitetes Übel. Bei Kindern sind sie häufige Ursache für Schulleistungsstörungen, für Erwachsene mit Hirnschäden sind sie geradezu typisch und bei älteren Menschen mit nachlassenden Hirnfunktionen nehmen diese Defizite oft zu.

Dieses Buch bietet Hilfestellungen.

Betroffene und Angehörige erfahren hier zunächst anhand von Beispielen aus Behandlungsfällen des Verfassers etwas über die Grundlagen solcher Störungen, und es werden Möglichkeiten der Kompensation genannt.

Der daran anschließende Trainingsteil umfasst eine Vielzahl von Übungen, die mit einfachen Aufgaben beginnen und dann Stufe für Stufe immer schwieriger werden. So wird u.a. das Merken von Einkaufslisten trainiert, das Behalten von Namen, das Erinnern von gelesenen Zeitungstexten, das Lernen englischer Vokabeln, das Wiedererinnern von Ereignissen der eigenen Lebensgeschichte, das systematische Bearbeiten von Aufgaben und das Lernen von Prüfungstexten.

Schon alleine durch die große Anzahl von Abbildungen und Zeichnungen macht das Training Spaß.

Das Buch eignet sich zum Selbsttraining für Betroffene, als Hilfe für Angehörige und als Arbeitsmaterial für Ergotherapeuten, Altenpfleger, Neuropsychologen und andere im Rehabilitationsbereich Tätige.
Rezension
Die erste Auflage dieses Bandes erschien 1995 und entwickelte sich zu einem stetig verkauften Bestseller innerhalb des Verlagsprogramms. Das Material wurde in langjähriger Erprobung an einer großen Zahl von Patienten laufend weiterentwickelt, so dass hier nun eine komplett überarbeitete und deutlich verbesserte Neuauflage vorgelegt werden kann. Auf den folgenden Seiten soll zunächst dargestellt werden, wie die Speicherung von Wissen eigentlich funktioniert, welche Modelle des Gedächtnisses entwickelt wurden, sowie welche Möglichkeiten der Diagnose und der Behandlung es für Menschen mit Gedächtnisproblemen gibt. Der Rest des hier vorliegenden Buches bietet dann eine Fülle von Therapiematerialien, um das Lesen, Merken und Erinnern zu trainieren.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Rezensionen/Kommentare

Stimmen zur 4. Auflage:
„Das anschaulich geschriebene Arbeitsbuch über die Therapie von Störungen des Mittelzeitgedächtnisses bietet über 70 erwachsenengerechte Aufgaben für lese- und schreibfähige Patienten. Dabei gibt es acht verschiedene Aufgabentypen, wie Wortlisten merken, Zeitungsartikel lesen und wiedergeben oder Einkäufe per Liste erledigen. Durch die verschiedenen Aufgabentypen können gleichermaßen unterschiedliche Gedächtnisstrategien vermittelt, aber auch dem Lerntyp entsprechende Varianten beim Assoziieren ausfindig gemacht werden.
Zu Beginn eines jeden Kapitels werden dem Leser die betreffenden Strategien dargestellt, die bei den dann folgenden 10 Aufgaben des gleichen Typs verwendet werden können. Der Übungsteil ist auch als Eigenprogramm und Therapiematerial für Kleingruppen verwendbar.
Für Angehörige und Therapeuten bietet der erste Teil des Buches eine übersichtliche Einführung zum Stand der Wissenschaft in bezug auf Lernen und Gedächtnis. Es werden neben einem kleinen Ausflug in die Neurophysiologie verschiedene Gedächtnisformen und prägnante Tests anschaulich erläutert.
Dr. E. Kasten hebt besonders die Bedeutung von kompensatorischen Arbeiten bei Gedächtnisproblemen hervor, um die Selbstgefährdung zu vermindern und den Leidensdruck auf ein erträgliches Maß zu senken. Er bietet praktische Therapievorschläge an und es gelingt ihm, die notwendigen Vernetzungen von Kompensation und Training zu beschreiben.
Das Buch ist allen Vergeßlichen sowie deren Angehörigen und Therapeuten, die gerne mit Papier und Bleistift arbeiten, statt am Bildschirm zu sitzen, sehr zu empfehlen.“ Kirsten Minkwitz (Ergotherapie & Rehabilitation)

„Der Autor erklärt zunächst in verständlicher Weise die Funktion der verschiedenen Gedächtnisspeicher und leitet daraus die unterschiedlichen Formen von Gedächtnisstörungen ab. Hierzu werden im Einleitungsteil Möglichkeiten der Selbsthilfe aufgezeigt. Im Trainingsteil findet sich eine große Anzahl von Übungen. Die Übungen sind abwechslungsreich und praxisnah. So wird unter anderem das Merken von Einkaufslisten trainiert, das Behalten von Namen, das Erinnern von gelesenen Zeitungstexten, das Lernen englischer Vokabeln oder das Wiedererinnern von Ereignissen aus der eigenen Lebensgeschichte. Durch die große Anzahl von Bildern und Zeichnungen macht das Gedächtnistraining mit diesem Buch großen Spaß und zeigt meist rasch erste Erfolge.
Das Buch eignet sich zum Selbsttraining für Betroffene, als Hilfe für Angehörige und als Arbeitsmaterial für Ergotherapeuten, Altenpfleger, Neuropsychologen und im Rehabilitationsbereich tätige Ärzte.“ Schädelhirnpatienten not

„Das Buch eignet sich zum Selbsttraining für Betroffene, aber auch als Hilfe für Angehörige und als Arbeitsmaterial für Ergotherapeuten, Altenpfleger, Neuropsychologen und im Rehabilitationsbereich tätige Ärzte.“ Zentralblatt Neurologie

„Die Übungen sind abwechslungsreich und praxisnah. So wird unter anderem das Merken von Einkaufslisten trainiert, das Behalten von Namen, das Erinnern von gelesenen Zeitungstexten, das Lernen englischer Vokabeln oder das Wiedererinnern von Ereignissen aus der eigenen Lebensgeschichte. Durch die große Anzahl von Bildern und Zeichnungen macht das Gedächtnistraining mit diesem Buch großen Spaß und zeigt meist rasch erste Erfolge. Das Buch eignet sich zum Selbsttraining für Betroffene, als Hilfe für Angehörige und als Arbeitsmaterial für Ergotherapeuten, Altenpfleger, Neuropsychologen und im Rehabilitationsbereich tätige Ärzte.“ NOT 2/96
Inhaltsverzeichnis
Einführung 7
Lernen und Gedächtnis 7
Gedächtnismodelle 13
Gedächtnistests 17
Gedächtnisstörungen 21
Wie funktioniert das Gedächtnis 24
Neuropsychologische Therapie von Gedächtnisdefiziten 31
Welcher Lerntyp? 39
Übungsteil 41
Namen lernen 42
Wortliste merken 61
Einkäufe 71
Zeitung 92
Zahlenfolgen merken 113
Texte merken 115
Vermischte Übungen 137
Englisch 137
Fernsehfilm 140
Schulzeit 141
Mittag 143
Politiker 144
Berühmte Namen 145
Max und Moritz 147
Bratkartoffeln und Spiegelei 148
Kleidungsstücke 149
Stadtplan 151
Systematisch ordnen 157
Prüfungstexte lernen 167
Lateinische Weisheiten 189



Einführung
„Immer diese Vergesslichkeit! Manchmal gehe ich zum Schuppen, um einen Eimer Kohlen und Holz zu holen, aber wenn ich den Schuppen verschlossen finde, merke ich, dass ich den Schlüssel vergessen habe und muss zum Haus zurückgehen. Wenn ich in die Wohnung komme, habe ich vergessen, dass ich den Schlüssel brauche, um die Tür des Schuppens zu öffnen“, berichtete der Patient Sassezki, der im Krieg eine schwere Hirnverletzung erlitten hatte, in dem neuropsychologischen Bestseller „Der Mann, dessen Welt in Scherben ging“ von Alexander Luria.
Hier wird eine schwere Gedächtnisstörung beschrieben, die in abgeschwächter Form aber jeder auch aus seinem eigenen Leben kennt, denn etwas zu vergessen ist ein völlig normaler Prozess. Das Gehirn ist vom knöchernen Schädel umgeben, es kann nicht beliebig wachsen, sondern muss mit dem vorhandenen Platz auskommen. Daher löscht es ständig die nicht mehr benötigten Informationen aus seinen Speichern. Eine Grenze zwischen normalem Vergessen und krankhaften Gedächtnisstörungen anzugeben ist daher schwierig.

...

Lernen und Gedächtnis
Sie blicken hier gerade auf ein Blatt Papier, das mit einer riesigen Menge winzig-kleiner schwarzer Linien bedruckt ist. Wie schafft es unser Gehirn, daraus einen Sinn herauszufiltern? Diesen Text hier durchzulesen und den Inhalt zu behalten ist ein komplexer, mehrstufiger Prozess, der nur durch das exakte Zusammenwirken mehrerer unterschiedlicher Systeme im Gehirn funktioniert. Eine Information muss von den Sinnesorganen zunächst einmal aufgenommen und dann im Gehirn verarbeitet, d. h. verstanden werden. Das hört sich banal an, ist aber z. B. für Erstklässler, Legastheniker und Aphasiker (d. h. Sprechstörung nach einer Hirnschädigung) eine ernstzunehmende Hürde. Der nächste Schritt ist die Abspeicherung,
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d. h. das Merken im Gedächtnis, dafür wird die Information vom Gehirn in Rubriken ähnlicher Sachverhalte einsortiert, ohne dass wir etwas davon mitbekommen. Wird z. B. ein neuer Bundespräsident gewählt, dann wird der Name in der Schublade für wichtige Politiker abgelegt. Und schließlich muss die Person in der Lage sein, diese Information im richtigen Moment auch wieder hervorzurufen. Ich bin mir sicher, dass Sie wissen, wie unser vor-vorletzter Bundespräsident hieß. Aber können Sie sich jetzt, in diesem Moment, an seinen Namen erinnern? Alle diese Prozesse können also gestört werden.
Sich Sachverhalte zu merken ist keine eigenständige Funktion, sondern Teil einer eng verzahnten Maschinerie. Grundlegende Voraussetzung für Verstehen und Behalten ist immer die Aufmerksamkeit. Ein Schüler z. B., der im Unterricht mit seinen Gedanken ganz woanders ist, wird das vermittelte Wissen gar nicht richtig aufnehmen. Ein Lehrer, der den Stoff viel zu kompliziert erklärt und seine Schüler demotiviert, wird es erfolgreich vereiteln, dass Kinder klüger werden. Neues Wissen braucht Zeit, um sich im Gehirn zu verankern, daher sind Ruhepausen beim Lernen wichtig, sonst verdrängen neue Inhalte das gerade Gelernte. Auch aufregende Ereignisse direkt vor oder nach dem Unterricht können verhindern, dass in der Schule gelerntes Wissen sich im Gehirn festsetzt. Die meisten Lerninhalte müssen ohnehin mehrfach wiederholt werden, damit sie fest im Gedächtnis verankert bleiben. Ein Schüler schließlich, der während der Klassenarbeit übersteigerte Ängste hat, z. B. durch viele Misserfolge oder Mobbing von Klassenkameraden, wird nicht in der Lage sein, sich richtig an die gelernten Vokabeln oder mathematischen Formeln zu erinnern.
Verständ-lichkeitAufmerk-samkeitAufnahme derInformationTextVerstehenMerkenAbrufenInteressant-heitMotivation
Abb.: Verarbeitung einer Information
Wenn jemand Schwierigkeiten hat, sich Informationen zu merken und richtig wiederzugeben, muss man sich also vorher Gedanken darüber machen,
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wo die Ursache dafür liegt. Das erfordert manchmal das Gespür eines Detektivs. Insbesondere, wenn ein Training durchgeführt werden soll, ist es sinnvoll zunächst zu überprüfen, welche Teile des in der obigen Abbildung dargestellten Systems funktionstüchtig sind und welche überhaupt durch Übungen verbessert werden können. Ist der Lernstoff zu leicht oder zu schwer? Bringt der Betroffene überhaupt ausreichend Motivation mit? Vielleicht stört das Umfeld den Lernprozess? Sind zu viele ablenkende Reize da?
Wird der Lernstoff überhaupt richtig wahrgenommen? Insbesondere Hörschäden, Seh-, Lese- oder Sprachverständnisstörungen können dies erheblich erschweren. So führen z. B. Kurzsichtigkeit oder minimale Schielwinkel der Augen zu erheblichen Problemen des Lesens, oft verbunden mit häufigen Kopfschmerzen. Kinder mit akustischem Diskriminationsdefizit, das meist unentdeckt bleibt, schreiben Worte so, wie sie diese hören: falsch.
Im letzten Sommer hatten wir einige Tage „Tropenhitze“, einmal war es so heiß, dass sich die Klebebindung einer Doktorarbeit, die ich korrigieren sollte, regelrecht auflöste. Allerdings hatte ich bei rund 35° im Büro sowieso Probleme, den komplexen Inhalt der Arbeit angemessen zu bewerten. Haben Sie auch manchmal Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren? Psychologen können mit speziellen Tests untersuchen, ob generell ausreichend viel Aufmerksamkeit vorhanden ist. Kinder können sich oft stundenlang auf ein Computerspiel konzentrieren, aber keine fünf Minuten auf die Mathematik-Hausaufgaben. Sie haben kein Problem der Aufmerksamkeit, sondern eines der Motivation und profitieren eher von systematischen Belohnungsprogrammen für konzentriertes Arbeiten, wie sie in der Verhaltenstherapie entwickelt wurden. Echte Konzentrationsstörungen findet man eher als Folge von Hirnschäden. Diese können angeboren sein oder später im Leben erworben (z. B. durch Unfälle oder Hirnerkrankungen). Bei echten Aufmerksamkeitsstörungen muss dann zunächst einmal ein Konzentrationstraining durchgeführt werden, damit die betroffene Person lernt, wie man die Gedanken längere Zeit auf einen Wissensstoff fokussiert. Hierzu gibt es eine Fülle von Materialien für Papier-Bleistift-Übungen und zunehmend mehr Computerprogramme. Allerdings ist es schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen; viele Materialien trainieren nicht spezifisch die Defizite des Betroffenen, einige überfordern den Patienten und führen dann zu Demotivierung.
Das Problem bei Patienten mit extrem schweren Störungen des Gedächtnisses liegt leider häufig auch darin, dass die Aufgabenstellung während des Übens ständig wieder vergessen wird. Hier muss gerade am Anfang eine Bezugsperson stetig an die Aufgabenstellung erinnern, bis das ArB
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beitsgedächtnis sich so weit verbessert hat, dass ein Behalten möglich ist und der Patient die Übungen selbständig bearbeiten kann.
Jeder von uns kennt das Problem, dass man auf der Straße einen guten alten Bekannten trifft, dessen Name einem jedoch gerade in diesem Moment einfach nicht einfallen will. Er liegt einem, wie man bildmalerisch sagt, auf der Zunge. Hierbei handelt es sich um eine Hemmung beim Abrufen. Interessant ist, je verzweifelter man versucht, drauf zu kommen, umso weniger gelingt dies. Das Gehirn durchjagt insbesondere unter Stress stur dieselben Schaltkreise. Meist fällt einem der Name dann spontan in einer ruhigen, entspannten Situation ein, in der die Hemmung nachgelassen hat, in der Badewanne zum Beispiel oder beim Einschlafen. Diese Hemmung hat ihren biologischen Sinn: Wenn ständig Erinnerungen in unser Bewusstsein fließen würden, könnten wir uns nicht mehr auf die aktuelle Realität konzentrieren. Das Gehirn macht die Schublade, in der ein bestimmtes Wissen steckt, also ordentlich zu. Das führt leider gerne mal dazu, dass wir auch dann nicht herankommen, wenn wir diese Information dringend benötigen. Sehr häufig ist die Fähigkeit zum Abspeichern durchaus intakt, man hat aber Schwierigkeiten, das Wissen wieder zu reproduzieren. Beim Training mit Personen, die solche Schwierigkeiten beim Abrufen von Wissen haben, benutzt man das System der ausblendenden Hilfen, indem man beim Erinnern zunächst in der Multiple-Choice-Form mehrere Vergleichsreize anbietet:
Die Hauptstadt von Bulgarien ist:
(a) London
(b) New York
(c) Belgrad
(d) Sofia
(e) Athen
Solche Hilfen werden dann allmählich ausgeblendet. Zum Beispiel könnte man im nächsten Übungsdurchgang nur noch den Anfangsbuchstaben der bulgarischen Hauptstadt „S“ vorgeben und erst im letzten Schritt gar keine Hilfe mehr.
Je schwerwiegender Lern- und Gedächtnisstörungen sind, umso wichtiger wird mehrfaches Abfragen. Die Abspeicherung von Daten entsteht im Gehirn dadurch, dass Nervenzellen miteinander Kontakt aufnehmen. Diese Verknüpfung ist zunächst nur zart und bildet sich sofort wieder zurück, wenn sie nicht gebraucht wird. Aber jedes Mal, wenn man die Information erneut übt, wird die Bindung zwischen diesen Nervenzellen stärker, d. h. die Information verfestigt sich soweit im Gedächtnis, dass sie immer leichter
abrufbar wird.
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Übungsmaterialien wie dieses Buch sind ähnlich wie eine Krücke nach einem Beinbruch nur eine Hilfe, die dem Betroffenen beibringen soll, selbständig zu gehen. Sinnvollerweise sollte man vor allem Wissensbereiche aus dem direkten Umfeld üben, die für den Betreffenden eine fassbare lebenspraktische Bedeutung haben. Bei Kindern also Schulwissen, bei Erwachsenen z. B. berufspraktische Kenntnisse, bei älteren Menschen Lebenserinnerungen und bei Demenz beispielsweise die Namen des Pflegepersonals. Dieses Buch soll Betroffenen helfen, Methoden zu entwickeln, um Wissen besser im Gehirn abzuspeichern. Diesbezüglich können die hier enthaltenen Übungen sicherlich auch Ideen liefern, um individuell angepasste Therapiematerialien selbst zu entwickeln. Wichtig sind Übungen in allmählich ansteigendem Schwierigkeitsgrad. Begonnen wird zunächst mit leichten Aufgaben, die Erfolgserlebnisse zulassen. Wird ein Niveau erreicht, das für den Übenden noch zu schwierig ist, muss man eine Stufe zurückgehen und erst einmal weiter Aufgaben auf dem leichteren Niveau auswählen. Überlastung wirkt sich immer negativ aus, wichtig sind viele kleine Erfolgserlebnisse, dann traut sich der Übende irgendwann auch an die schwereren Bereiche.
Leider hat das sture Abarbeiten von Trainingsaufgaben alleine nur sehr geringe langfristige Effekte. Man darf sich nicht erhoffen, dass ein drillartiges Durcharbeiten von Gedächtnisübungen alleine bereits gravierende Besserungen im Alltag zur Folge haben wird. Der Band ist in erster Linie dafür gedacht, um anhand des Materials Strategien auszubilden, mit denen man dann auch im Alltagsleben Informationen besser behalten kann. In der Regel enthält die Anleitung zum Material Hinweise wie z. B.:
Beim Merken der Wortlisten, etwa einer Einkaufsliste, kann man die Geƒƒdächtnisleistung deutlich verbessern, wenn man zu den Begriffen eine einfache Geschichte erfindet, die diese Worte enthält und die später das Erinnern erleichtert. Bei einer Einkaufsliste könnte man sich z. B. vorstellen, wie man aus den ganzen Zutaten eine verrückte Mahlzeit zubereitet. Zur Verbesserung des Namensgedächtnisses sollte man versuchen, die ƒƒNamen mit typischen Besonderheiten des Gesichtes zu assoziieren. Texte werden besser behalten, wenn man wichtige Teile der Information ƒƒunterstreicht oder zunächst mit einem Leuchtstift markiert und dann versucht, sich diese reduzierte Informationsfülle zu merken. Dies gelingt am besten durch das Formulieren eigener Fragen zu dem Text.
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Als wichtigste Regeln für Lernen und Behalten gelten:
Je ungestörter (ablenkungsfreier) eine Person beim Lernen ist, ƒƒumso besser verankert sich das Wissen im Gedächtnis.Wissen benötigt Pausen, um sich im Gehirn festsetzen zu kön-ƒƒnen. Bei größeren Lerneinheiten ist es daher sinnvoll, sich selbst für den Lernerfolg zu belohnen, indem man danach das macht, was man eigentlich statt zu lernen lieber gemacht hätte.Je häufiger ein Wissensinhalt wiederholt bzw. abgefragt wird, ƒƒumso besser ist die Behaltensleistung.Je mehr Sinne beim Merken angesprochen werden, umso bes-ƒƒser wird eine Information behalten.Emotionen erhöhen das Behalten.ƒƒJe höher die persönliche Beteiligung beim Lernprozess ist, um ƒƒso mehr behält man. Passives Zuhören ist also deutlich schlech-ter als aktives, selbständiges Erarbeiten eines Stoffes.Je größer die Motivation (z. B. Neugier) ist, sich mit einem Stoff ƒƒzu beschäftigen, umso leichter behält man die Informationen.Je sinnvoller und überschaubarer ein Stoff geordnet wurde, ƒƒumso besser kann er später reproduziert werden.
Die Behaltensleistung kann also erheblich gesteigert werden, indem man sich die einzelnen Worte oder Beschreibungen der Aufgaben bildhaft möglichst intensiv vorstellt, Eselsbrücken baut oder persönliche Bezüge zum eigenen Leben herstellt, am besten solche, die mit Gefühlen behaftet sind. Erst dann blättert man um und bearbeitet die dazugehörigen Fragen. Darüber hinaus ist es immer wieder wichtig, Taktiken auszubilden, um die Informationsfülle möglichst weitgehend zu reduzieren und in Rubriken zu ordnen, die das Behalten erleichtern.
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Sensorischer SpeicherPrimärer SpeicherArbeits-SpeicherKurzzeitgedächtnisLangzeit-gedächnissemantischer,episodischer,prozeduralerSpeicherKonzentrationWiederholungMotivationInteressantheit
Abb.: GedächtnissystemeGedächtnismodelle
Dem, der es kann, erscheint es lapidar, sich Sachen zu merken und sonderbarerweise, wenn wir uns etwas merken wollen, sind wir auch subjektiv völlig überzeugt davon, es ganz bestimmt zu behalten. Aber was genau ist das Gedächtnis eigentlich?
Der Sensorische Speicher
Habe Sie schon einmal in ein Blitzlicht geschaut und sich dann über den weißen Fleck geärgert, den man noch längere Zeit sieht? Sinnesorgane, beispielsweise die Augen oder Ohren, nehmen Informationen auf und können diese kurz speichern, bevor sie weitergeleitet werden. Der Zeitraum liegt aber normalerweise nur im Millisekundenbereich und fällt einem z. B. nur bei Nachbildern auf, etwa wenn man in ein Blitzlicht geschaut hat. Für das eigentliche menschliche Gedächtnis sind diese sensorischen Speicher nicht sehr bedeutungsvoll.
Das Kurzzeitgedächtnis
Kennen Sie das Phänomen, dass Sie einen eben gehörten Satz aufschreiben wollen, aber nur bis zum ersten Komma kommen und danach die zweite Satzhälfte völlig vergessen haben? Keine Angst, das ist normal. Der erste Speicher, den ein Lernstoff nach den Sinnesorganen erreicht, ist das
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Kurzzeitgedächtnis. Der primäre Speicher dieses Gedächtnisses hat nur sehr begrenzte Aufnahmekapazität. Der normale Erwachsene behält etwa sieben Informationseinheiten darin, dies können zum Beispiel sieben Zahlen, Bilder, Buchstaben oder Worte sein. Die Behaltensdauer in diesem Gedächtnisteil ist ebenfalls begrenzt. Die Informationen werden in der Regel nicht sehr viel länger als 30 – 60 Sekunden in diesem Speicher aufbewahrt, danach werden sie von neuen Ereignissen verdrängt. Es sei denn die Information wurde in den nächst-höheren Speicher hinübergerettet. Hierzu reicht es beispielsweise, sich darauf zu konzentrieren und die Information mental zu wiederholen.
Das Arbeitsgedächtnis
Informationen, die man nicht sofort wieder vergisst, werden in das Arbeitsgedächtnis übertragen. Die Hausfrau, die am Morgen lüftet, die Wäsche in die Maschine steckt und die Kartoffeln für das Mittagessen aufsetzt, muss sich an alle diese begonnenen Handlungen erinnern, um sie fristgerecht zu Ende führen zu können. Im Lehrbuch „Neuropsychologische Rehabilitation“, 1980 von den Professoren Cramon und Zihl herausgegeben, wurde das Beispiel eines Mannes beschrieben, der infolge einer Hirnschädigung zu dieser sinnvollen Abfolge von Handlungen nicht mehr fähig war: „Der Patient begann den Rasen zu mähen. Als er in die Nähe des Rosenbeetes kam, ließ er den Rasenmäher mit laufendem Motor stehen und begann Rosen zu schneiden, die er ins Haus bringen wollte. Zufällig sah er dann seinen Sohn mit dem Nachbarn sprechen. Er vergaß daraufhin sowohl die Rosen wie auch den noch laufenden Rasenmäher völlig und nahm an der Unterhaltung teil. Keine der begonnenen Handlungen nahm er später von sich aus wieder auf.“
Das Arbeitsgedächtnis ist für den täglichen Lebenskampf der wichtigste Speicher. Hier merken wir uns ständig Aufträge, erledigen sie und haken das Ganze dann geistig ab. Auch Informationen, die später im Langzeitgedächtnis abgelegt werden, mussten zunächst dieses Arbeitsgedächtnis passieren und dort für wichtig befunden werden.
Das Langzeitgedächtnis
Die Auswahl der Informationen, die vom Arbeits- in das Langzeitgedächtnis übergehen, ist dabei, wie bereits oben erwähnt, im Wesentlichen abhängig vom Interessantheitsgrad und von der Anzahl der Wiederholungen. Ein spannender Kinofilm wird schon nach einmaliger Darbietung so gut erinnert, dass man den Inhalt oftmals noch Jahre später nacherzählen kann. Als langweilig empfundene Lerninhalte (z. B. Vokabeln) müssen mehrfach wiederholt und abgefragt werden, bis sie sicher abgespeichert worden sind.
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Die erste Methode ist einfacher und bequemer. Im Alltagsleben, vor allem für die Schul- und Berufsausbildung, kommt man ohne die zweite aber leider nicht aus. Den besten Lernerfolg erzielt man, wenn beide Methoden miteinander verknüpft werden.
Auch Lerninhalte, die sicher beherrscht werden, vergisst man leider wieder. Bereits 1885 wies der deutsche Psychologe Hermann Ebbinghaus nach, dass man von einem auswendig gelernten Stoff (sinnlose Silben) schon am nächsten Tag mehr als die Hälfte wieder vergessen hat. Ohne weitere Wiederholung weiß man eine Woche später nur noch rund ein Viertel des einmal gelernten Wissens. Dieser Anteil bleibt aber über erstaunlich lange Zeiträume konstant. Hier spricht man dann vom Langzeit- oder auch vom Altgedächtnis.
Abb.: Vergessenskurve nach Ebbinghaus (1885).
Das Langzeit- oder Altgedächtnis ist modellhaft weiter unterteilt worden. Man unterscheidet einen „episodischen“ Teil, in dem wichtige Lebensereignisse abgespeichert werden von einem „semantischen“ Teil, in dem Schul- und Fachwissen liegen. Beide werden als „deklaratives Gedächtnis“ zusammengefasst. Außerdem gibt es das „prozedurale Gedächtnis“, in dem erlernte Handlungsabläufe gespeichert werden, z. B. Schwimmen, Radfahren oder Gitarrespielen.