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Lebt Gott in der Psychiatrie? Erkundungen und Begegnungen
Lebt Gott in der Psychiatrie?
Erkundungen und Begegnungen




Ronald Mundhenk

Paranus Verlag
EAN: 9783940636065 (ISBN: 3-940636-06-1)
184 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2010

EUR 16,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Ich bin der liebe Gott“, sagt Herr B., ein ehemaliger Boxer mit kräftiger Statur. Jetzt ist Herr B. in der Psychiatrie – und er ist nicht allein mit seiner Überzeugung, er trifft dort auf andere „Götter“, „Jesusse“ oder „Marias“. Es gibt kaum einen psychotischen Menschen, den die Frage nach Gott völlig kalt lässt. Aber nicht alle reden darüber.

„Ich finde es mit Gott und Jesus Christus einfach wunderschön“, sagt wiederum Frau N. nach langer Psychiatrieerfahrung. Lebt Gott also in der Psychiatrie? Ja, offenbar gerade auch dort.

Ronald Mundhenk, mit seinen Publikationen bekannt gewordener Pastor und Krankenseelsorger in der Psychiatrie, unternimmt mit diesem Buch eine Erkundungsreise in die außergewöhnliche religiöse Welt im Grenzgebiet zwischen Gesundheit und Krankheit, Himmel und Hölle. Es ist eine Welt, in der die gewagtesten Spekulationen ebenso zu Hause sind wie eine unbeirrbare Frömmigkeit.

Dabei lässt er immer wieder die Betroffenen mit ihren individuellen Sichtweisen zu Wort kommen und formuliert Leitideen für eine solidarische, seelsorgerliche und geschwisterliche Grundhaltung in der Psychiatrie.
Rezension
Religion und Psychiatrie scheinen nur auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben: Religion bietet Sinnstiftungen und Orientierung, Psychiatrie erscheint als Ort der Sinn- und Orientierungslosigkeit, Wahnsinn und Irrsinn contra Sinnstiftung und Sinnerfahrung. Der Autor dieses Buchs, Krankenseelsorger in der Psychiatrie, ist entgegengesetzter Meinung: Glaube und Wahn sind keineswegs so weit voneinander entfernt, wie üblicherweise vermutet wird. Die Religionskritik hat erkannt, wie sehr Religion von Einbildung und Wahn geprägt ist (Dawkins, Freud, Feuerbach). Mit Religion ist eben ursprünglich verbunden: Verzückung, Ekstase, Entrücktsein, Apotheose, Schauder, Angst, Überwältigung und Besessenheit (mysterium tremndum et fascinosum). Dieses Buch entführt in das Grenzgebiet zwischen Gesundheit und Krankheit, Himmel und Hölle, Religion und Psychiatrie.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
7 Zur Einführung: Religion und Psychiatrie – Streitende Geschwister?

17 „Ich bin der liebe Gott!“ und andere Begegnungen

21 Gesunde Kranke und kranke Gesunde

29 Gibt es die wirkliche Wirklichkeit? – Nachdenken über Wahn und Illusion

38 „Wen Gott will strafen, den schickt er nach Heiligenhafen ...“

45 Der Heilige von Heiligenhafen – Herr Rossoll

51 Gott liebt die Psychiater, aber Gott hasst die Psychiatrie

56 Ausnahmeerlebnisse in Mystik und Psychose

64 Heilung auf Gegenseitigkeit

68 Sünder und Gerechte

74 „Was hat Gott nur mit mir vor?“ – Briefe von Frau V.

79 Bitte nicht stören – ich verrichte ein Gebet!

84 „Ich finde es mit Gott und Jesus Christus einfach wunderschön ...“ – Gespräch mit Frau N.

93 Die Stimme Gottes und das Stimmenhören

100 „Sehen wir unser Leben als Fragment, werden wir freier.“

104 Geschwisterlichkeit im Austausch von Geben und Nehmen

109 Helden – Ein Gedicht von Regina Schmick

111 Die dunkle Nacht – Depression jenseits von Krankheit

116 Jenseits erlebter Sinnlosigkeit – Rituale machen „Sinn“

122 Händchen halten mit Verbrechern? – Seelsorge in der Forensik

129 „Ohne Gottes Kraft und Liebe wäre ich schon tausendmillionenmal an mir selber zerbrochen ...“ –
Ein Gespräch mit Herrn Z. in der Forensik

139 Es ist heilsam, miteinander verbunden zu sein

144 Ehrenamt und Teamarbeit

150 „Ich hatte immer das Gefühl, Gott steht mir bei …“ – Ein Gespräch mit Erika T.

158 „Was brauche ich?“ und „Wo werde ich gebraucht?“ – Welche Religion für wen?

166 Tiefe Fragen und befreiende Perspektiven – Gedanken über das Sterben und den Tod

173 Auf dem Weg zu einer solidarischen, gesprächigen, seelsorgerlichen Psychiatrie

179 Literaturverzeichnis


Leseprobe:

„Gott liebt die Psychiater, aber Gott hasst die Psychiatrie“
So sagt es Herr H. Herr H. ist ein gläubiger Mensch. Seine Lebensgeschichte ist reich an religiösen Erlebnissen und Gedanken. Seit Anfang der 1960er Jahre gilt er als psychisch krank. Mehr als vierzig psychiatrische Behandlungen folgten. Über seine erste psychiatrische Aufnahme schreibt er: „Am 1. Mai 1962 wurde ich von meinem Vater ... in die Universitätsklinik in Kiel gebracht. Es ist heute 46 Jahre, 60 Tage, 60 Stunden her: Diese Einweisung läuft einher mit meiner Wiedergeburt. Jesus hat es gefallen, mir seit diesem Tag viele Dinge erstrebenswert erscheinen zu lassen ... Die Institution, die bei jedem Versuch (diese Ziele zu erreichen) die zerstörende Kraft war, ist die Psychiatrie!“ (...)
Immer wieder ist in ähnlicher Weise von psychisch kranken Menschen zu hören, dass die Probleme im Grunde erst mit der Aufnahme in die Psychiatrie begonnen hätten. Bis dahin hätten sie sich eigentlich ganz okay gefühlt, manchmal sogar großartig. Erst die psychiatrische Unterbringung aber, deren Sinn und Notwendigkeit sie ohnehin nicht begriffen hätten, habe sie „krank“ gemacht. (...)
Andererseits überrascht es, dass Herr H. zwischen der Psychiatrie und den Psychiatern sorgfältig unterscheidet. Für ihn, und das finde ich bemerkenswert, sind die Psychiater eben nicht nur willenlose Funktionäre ihrer Einrichtungen, sondern Menschen. Ich weiß, dass Herr H. auch nette, verständnisvolle, gesprächsbereite Psychiater und Psychiaterinnen erlebt hat. Zwar sind sie Teil eines Systems, das er vor dem Hintergrund seiner Überzeugungen und Erfahrungen kritisch beurteilen muss. Sie können eben nicht aus ihrer Haut. Aber zugleich sind sie doch unverwechselbare Menschen, die auch ihrerseits Anspruch auf Verständnis und ein faires Urteil haben. Und sie sind als Menschen (einschließlich ihrer Schwächen) Gottes Ebenbilder und entsprechend von Gott geliebt. Ich finde, das ist eine schöne und weitherzige Sichtweise. Eine Sichtweise, die beispielhaft ist auch für die Einschätzung psychiatrischer Einrichtungen und ihrer Mitarbeiter/innen aus seelsorgerlicher Perspektive. (...)