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Kognitive Lernvoraussetzungen und mathematische Grundbildung von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
Kognitive Lernvoraussetzungen und mathematische Grundbildung von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung




Steffen Siegemund

Athena Verlag
EAN: 9783898966368 (ISBN: 3-89896-636-4)
330 Seiten, paperback, 16 x 24cm, 2016

EUR 34,50
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In der sonderpädagogischen sowie der inklusiven Lehr- und Lernforschung nimmt die Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern durch adaptive Lernangebote eine zentrale Position ein. Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung werden jedoch häufig vereinfachend beschrieben und auf eine biologisch bedingte Behinderung reduziert, die alle psychischen Funktionen gleichermaßen beeinträchtigt. Das vorliegende Buch von Steffen Siegemund setzt dieser Sichtweise eine differenzierte und aktuelle Diskussion verschiedener Erklärungsmodelle und Bedingungsfaktoren des Phänomens »Geistige Behinderung« entgegen. Die herausgearbeiteten Schlüsselprobleme bieten sich im Ergebnis als allgemeine Richtlinien für einen entwicklungsorientierten Unterricht an. Es zeigt sich darüber hinaus, dass syndromspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen sind und dass letztendlich auch bei Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Lernvoraussetzungen im Einzelfall bestimmt werden müssen.

Die Bedeutung kognitiver Lernvoraussetzungen für konkrete Lernprozesse wird am Beispiel der Entwicklung mathematischer Kompetenzen erläutert. Typische Entwicklungspfade werden genauso beschrieben wie syndromspezifische Besonderheiten. Insbesondere die in mehreren deutschsprachigen Publikationen hervorgehobene Bedeutung sogenannter pränumerischer Konzepte kann auf Grundlage des dargestellten internationalen Forschungsstandes kritisch beurteilt werden. Alle Schülerinnen und Schüler sollten möglichst früh an numerische Konzepte herangeführt werden. Diese Erkenntnis bietet zusätzlich neue Perspektiven für den Unterricht in inklusiven Grundschulklassen.

Die Relevanz der genannten Analysen für die Unterrichtspraxis zeigt sich besonders in der Beurteilung verschiedener Förderprogramme sowie der Darstellung neu entwickelter Aufgabenformate. Diese verfolgen den Anspruch, kognitive Lernvoraussetzungen zu berücksichtigen, selbst einen Beitrag zur kognitiven Entwicklung zu leisten und numerische Kompetenzen zu fördern.

Zusammenfassend bietet die herausgestellte Komplexität basaler mathematischer Kompetenzen eine Chance für heterogene Lerngruppen – auch unter dem Einbezug von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.

Dr. Steffen Siegemund hat in Hamburg sowohl Lehramt für Sonderpädagogik studiert als auch das Referendariat absolviert. Durch viele Jahre Berufserfahrung an einer integrativ arbeitenden Stadtteilschule und an einer Förderschule für geistige Entwicklung kennt der Autor die Herausforderung, Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zu unterrichten in allen Facetten auch aus der Praxis. Im Jahr 2011 folgte eine Abordnung an die Europa-Universität Flensburg an den Lehrstuhl für Sonderpädagogische Psychologie. Seit 2015 arbeitet Steffen Siegemund als Koordinator im Handlungsfeld Inklusion des Hamburger Projekts ProfaLe im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Rezension
Im Kontext der Inklusionsdebatte gewinnen die Begriffe Individualität und Individualisierung an positiver Bedeutung. Im Sinne der Förderdiagnostik bedarf es aber neben der persönlichen Individiualität auch eines ojektivierbaren Maßstabs von der Struktur des Gegenstands her. Das Konzept des Lernens am gemeinsamen Gegenstand beachtet sowohl die Sachlogik als auch das jeweilige Aneignungsniveau. Hinzu treten unterschiedliche Sichtweisen auf die kognitive Gesamtentwicklung und bereichsspezifische Kompetenentwicklung. Der Autor dieser Würzburger Dissertation zeigt, dass syndromspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen sind und dass letztendlich auch bei Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Lernvoraussetzungen im Einzelfall bestimmt werden müssen.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Explikation der Fragestellung 9

2 Entwicklungsdynamik und kognitive Lernvoraussetzungen der Schülerschaft mit dem FgE 17


2.1 Menschen mit geistiger Behinderung: Symptome, Perspektiven, Klassifikation und Diagnostik 17
2.1.1 Der Begriff der geistigen Behinderung 17
2.1.2 Perspektiven auf das Phänomen »Geistige Behinderung« 18
2.1.3 Geistige Behinderung in den Klassifikationssystemen der WHO und der APA 20
2.1.4 IQ und Entwicklungsalter aus diagnostischer Perspektive 22
2.1.5 Bio-psycho-soziale Bedingtheit als multidisziplinärer Konsens? 25
2.2 Geistige Behinderung aus psychologischer Sicht: »The Developmental-Difference Controversy« 26
2.2.1 Lewins Rigiditätsmodell 27
2.2.2 Lurijas Theorie der Systemdissoziation 29
2.2.3 Ellis’ Theorie der Reizspurschwäche 34
2.2.4 Entwicklungs(verzögerungs)ansatz der geistigen Behinderung 35
2.2.5 Zur Bedeutung von Stufenmodellen im Kontext »geistige Behinderung« 41
2.2.6 Dichotomie in familiär-polygene und organisch bedingte Formen der geistigen Behinderung 42
2.2.7 Zur Aktualität der »Developmental-Difference Controversy« in der deutschen Sonderpädagogik 43
2.2.8 Allgemeine Niveaus der Entwicklung und Domainentwicklung 45
2.2.9 Pluralität entwicklungspsychologischer Sichtweisen 47
2.3 Geistige Entwicklung und Kognition im Informationsverarbeitungsansatz 49
2.3.1 Modelle der Informationsverarbeitung 50
2.3.2 Der Neurokonstruktivistische Ansatz der Informationsverarbeitung 52
2.3.3 Defizite der basalen Informationsverarbeitung bei geistiger Behinderung 54
2.3.4 Kognitive Strategien und Strategietraining für Schülerinnen und Schüler mit dem FgE 63
2.3.5 Zusammenfassung: Informationsverarbeitung von Schülerinnen und Schülern mit dem FgE 67
2.4 Geistige Entwicklung in der Konzeption von Piaget 70
2.4.1 Figuratives vs. operationales Denken 70
2.4.2 Piagets Stufenmodell: Von der Senso-Motorik zu den formalen Operationen 73
2.4.3 Das Stufenmodell von Piaget und die Geistigbehindertenpädagogik: Rezeption und empirische Befunde 77
2.4.4 Behinderung der Operationen: Egozentrismus und Affirmation 79
2.4.5 Relativierung des Gegensatzes von figurativem und operationalem Aspekt im Spätwerk 83
2.4.6 Schlussfolgerungen aus der Theorie Piagets für den Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit dem FgE 83
2.4.7 Im Anschluss an Piaget – Konstruktivistische Orientierung im Unterricht 85
2.4.8 Konstruktivistische Orientierung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung 86
2.4.9 Exkurs aktiv-entdeckend lernen: »mathe 2000« 90
2.5 Geistige Entwicklung in der Konzeption der Kulturhistorischen Schule 95
2.5.1 Struktur und Dynamik der kindlichen Entwicklung 96
2.5.2 Das Stufenmodell von Vygotzkij und Elkonin 98
2.5.3 Zusammenfassung kognitive Entwicklung und geistige Behinderung im kulturhistorischen Modell 105
2.5.4 Kulturhistorische Didaktik für Schülerinnen und Schüler mit dem FgE 109
2.6 Kognitive Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern mit dem FgE – Beantwortung der Fragestellung 1 114

3 Die Entwicklung mathematischer Basiskompetenzen 119

3.1 Recherche und Auswahl der Literatur 122
3.2 Zur Relevanz des Modells der Entwicklungsverzögerung in der mathematischen Kompetenzentwicklung 123
3.3 Modellierung des Zahlbegriffs im Werk von J. Piaget 125
3.3.1 Die Algebraische Struktur – Vereinigung und Trennung 127
3.3.2 Die Ordnungsstruktur – Platzierung und Verlagerung 130
3.3.3 Die Stück-für-Stück-Korrespondenz und der Zahlbegriff 133
3.3.4 Anschlussfähige Perspektiven in Piagets Spätwerk 137
3.3.5 Der Zahlbegriff nach Piaget bei Menschen mit geistiger Behinderung 139
3.4 Die Repräsentation von quantitativen Konzepten und numerischem Wissen 140
3.4.1 Zusammenfassung: Repräsentation von quantitativen Konzepten und Zahlwissen bei Piaget 141
3.4.2 Repräsentation im struktur- und niveauorientierten Mathematikunterricht 142
3.4.3 Modelle der Zahlrepräsentation 144
3.4.4 Zahlenwissen im Säuglingsalter – Subitizing und figurale Muster 148
3.4.5 Basale Anzahlrepräsentation und Subitizing von Schülerinnen und Schülern mit dem FgE 152
3.5 Entwicklungsmodelle zur Integration verschiedener Repräsentationsformen 156
3.5.1 Protoquantitative Schemata und aktuelle Entwicklungsmodelle der Post-Piaget-Ära 157
3.5.2 Entwicklung der Integration verschiedener Repräsentationsformen von Schülerinnen und Schülern mit dem FgE 164
3.6 Zählen und Zählprinzipien 166
3.6.1 Eineindeutigkeit (»one-one principle«) 170
3.6.2 Festgelegte Reihenfolge der Zahlwörter (»stable-order principle«) 171
3.6.3 Kardinalität (»cardinality principle«) 173
3.6.4 Abstraktion (»what-to-count principle«) 177
3.6.5 Exkurs: Token oder die Konstruktion der Eins 179
3.6.6 Fortsetzung Abstraktionsprinzip und die Bedeutung der Einheit 180
3.6.7 Irrelevanz der Anordnung (»order-irrelevance principle«) 182
3.6.8 Zählen und Zählprinzipien von Schülerinnen und Schülern mit dem FgE 184
3.7 Intervention und Evidenzbasierung im Mathematikunterricht im FgE 193
3.8 Die Entwicklung mathematischer Basiskompetenzen – Beantwortung der Fragestellungen 2 und 3 203

4 Beurteilung von Lernprogrammen und Materialien für den Mathematikunterricht im FgE 207

4.1 Zusammenfassung der Kriterien der Beurteilung entsprechend den Fragestellungen 1–3 207
4.2 Beurteilung spezieller Unterrichtsmethoden/-programme für den FgE 210
4.3 Beurteilung von Frühförderprogrammen 220
4.3.1 Mengen, zählen, Zahlen 222
4.3.2 MARKO-T 233
4.3.3 Das Zahlenbuch – Frühförderung 246
4.3.4 Förderung anhand von individuellen Förderplänen 260
4.4 Beurteilung ausgewählter Förderprogramme zur vorschulischen mathematischen Bildung für den Unterricht im FgE – Beantwortung der Fragestellung 4 271

5 Alternative Methoden und Aufgabenformate für den Mathematikunterricht im FgE 275

6 Zusammenfassung und Ausblick 293


Verzeichnis der Tabellen 301
Verzeichnis der Abbildungen 303
Literaturverzeichnis 305
Danksagung 329