Welcher Besucher Südtirols freut sich nicht, dass er sich in dieser Region Italiens in Deutsch problemlos verständigen kann. Die deutsche Sprache ist in Südtirol neben der italienischen nicht nur Verkehrssprache, sondern sie bildet ein zentrales Element der kulturellen Identität der dort lebenden Menschen. Zwischen 1939 und 1943 stellten die italienischen Faschisten aufgrund eines von Hitler und Mussolini verabschiedeten Vertrags, die deutschsprachigen Südtiroler vor die Wahl, entweder ins Dritte Reich auszuwandern oder in Italien als Bürger zweiter Klasse zu leben. Das beinhaltete zahlreiche rechtliche Einschränkungen für die Südtiroler, insbesondere das Verbot sich der deutschen Sprache zu bedienen. Deutsche Ortsnamen wurden „zwangsitalienisiert“.
Diese historischen Ereignisse verarbeitet Marco Balzano (*1978) in seinem 2018 erschienenen Roman „Resto qui“, der in Italien schnell zum Bestseller avancierte, weil er einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur Südtirols und Italiens leistet. Dem Diogenes Verlag kommt das Verdienst zu, 2020 eine deutsche Übersetzung des Werks unter dem Titel „Ich bleibe hier“ vorgelegt zu haben. Balzano, der an einem Mailänder Gymnasium arbeitet, zählt mittlerweile zu den bekanntesten Schriftstellern Italiens – für seinen 2014 publizierten Roman „L`ultimo arrivato“, deutsche Ausgabe „Das Leben wartet nicht“ bei diogenes, erhielt er den renommierten Literaturpreis „Premio Campiello“. In „Ich bleibe hier“ würdigt er den Kampf von Südtirolern gegen die „Faschisierung“ ihrer Region und Kultur. Im Zentrum seines Romans steht Trina, die als junge Grundschullehrerin im Vinschgauer Bergdorf Graun ihre Schülerinnen und Schüler im Fach „Deutsch“ unterrichten möchte und dazu Wege in Katakomben und Scheunen finden muss.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg leistet die Protagonistin von Balzanos Roman Widerstand, dieses Mal gegen das Stauseeprojekt, das auf eine Eradierung ihres Dorfes hinausläuft. Passend zum realen historischen Kontext ist auf dem Cover von „Ich bleibe hier“ der aus dem Reschensee ragende Kirchturm von (Alt-)Graun zu sehen. Das massentouristische Highlight Südtirols wird von dem Schriftsteller zu Recht als Vertriebenen-Mahnmal gesehen. Balzano gelingt es in seinem auf historischen Recherchen basierenden und gut lesbaren Buch, in dem es auch eine Liebesgeschichte zwischen Trina und Erich vorkommt, Handlungsoptionen und Freiheitsspielräume von Menschen unter schwierigen politischen Verhältnissen aufzuzeigen.
Fazit: Marco Balzanos Roman „Ich bleibe hier“ kann allen, die sich für die Geschichte Südtirols interessieren, nur zur Lektüre empfohlen werden.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Ich bleibe hier
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Ein idyllisches Bergdorf in Südtirol – doch die Zeiten sind hart. Von 1939 bis 1943 werden die Leute vor die Wahl gestellt: entweder nach Deutschland auszuwandern oder als Bürger zweiter Klasse in Italien zu bleiben. Trina entscheidet sich für ihr Dorf, ihr Zuhause. Als die Faschisten ihr verbieten, als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie heimlich in Kellern und Scheunen. Und als ein Energiekonzern für einen Stausee Felder und Häuser überfluten will, leistet sie Widerstand – mit Leib und Seele.
Hardcover Leinen
288 Seiten
erschienen am 01. Juli 2020
978-3-257-07121-4
€ (D) 22.00 / sFr 30.00* / € (A) 22.70
* unverb. Preisempfehlung

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