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Geschwisterbeziehung und seelische Erkrankung Entwicklungspsychologie, Psychodynamik, Therapie
Geschwisterbeziehung und seelische Erkrankung
Entwicklungspsychologie, Psychodynamik, Therapie




Dorothee Adam-Lauterbach

Klett-Cotta
EAN: 9783608891409 (ISBN: 3-608-89140-4)
176 Seiten, paperback, 14 x 21cm, 2013

EUR 24,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die Schattenseiten einer lebensprägenden Erfahrung

Konfliktreiche Geschwisterbeziehungen können das seelische Gleichgewicht eines Menschen nachhaltig stören und sogar krank machen. Behandlungsbeispiele aus der psychoanalytischen Therapie sowie Erkenntnisse aus der Forschung liefern umfassende Einsichten in ein bisher wenig beachtetes Thema.

Geschwisterbeziehungen sind komplex, vielfältig und manchmal auch krankmachend. Heftige Konflikte, exzessive Bindungen oder große Distanz bis hin zum Beziehungsabbruch unter erwachsenen Geschwistern sind häufige Themen in der Psychotherapie. Bisher fehlte es jedoch an konzeptuellen Überlegungen, wie die Geschwisterbeziehung langfristigen Einfluss auf die Menschen nimmt – im Positiven wie im Negativen. Dorothee Adam-Lauterbach hat dazu sowohl geforscht als auch umfangreiche Praxiserfahrung gesammelt.

In ihrem Buch:

- zeigt sie an vielen Fallbeispielen zu ganz unterschiedlichen Geschwisterkonstellationen, wie die therapeutische Arbeit konkret aussehen kann

- reflektiert sie die Erkenntnisse der empirischen Geschwisterforschung und der analytischen Entwicklungspsychologie.

Das Buch enthält eine Fülle an wissenschaftlich geprüften Erkenntnissen, die auch für Menschen, welche an Geschwisterkonflikten leiden, von hohem Interesse sind.
Rezension
In psychoanalytischer Perspektive beleuchtet dieses Buch den Zusammenhang von Geschwisterbeziehungen und seelischen Erkrankungen. Die Verfasserin zeigt auf, dass Geschwisterpositionen und Geschwisterkonstellationen sich im Erwachsenenalter in neurotischen Konflikten wiederfinden können. Insofern ist das Buch insbesondere auch für Eltern von Bedeutung, um aufmerksamer mit den Geschwisterkonstellationen umzugehen; denn die Geschwisterbeziehung nimmt langfristigen, positiven oder negativen Einfluss auf die Menschen und kann sie sogar krank machen. Zahlreiche Fallbeispiele weisen die Problematik anschaulich auf, zugleich gibt die Verfasserin daran die konkrete therapeutische Praxis auf.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Dieses Buch richtet sich an:
- PsychoanalytikerInnen
- Tiefenpsychologisch fundiert arbeitende PsychotherapeutInnen
- Entwicklungspsychologen
- FamilientherapeutInnen
»Es gelingt der Autorin, mit ihrem psychoanalytisch orientierten Zugang den Zusammenhang von Geschwisterbeziehungen und seelischen Erkrankungen deutlich herauszuarbeiten: Was in der Kindheit als Folge der Geschwisterposition und Geschwisterkonstellation aufgrund mangelnder Elternunterstützung abgewehrt werden musste, kann sich als unbewusster neurotischer Konflikt im Erwachsenenalter fortsetzen.
Dorothee Adam-Lauterbach, Dipl.-Päd. und Dipl.-Psych., Dr. phil., Psychoanalytikerin und analytische Paar- und Familientherapeutin, Supervisorin und Lehranalytikerin. Sie ist in eigener Praxis in Berlin niedergelassen.
Insofern ist das Buch allen therapeutisch Tätigen sehr zu empfehlen. Ebenso ist es für den Bereich der Elternbildung wichtig, damit Eltern den offenen oder unterschwelligen, u.U. persönlichkeitsstörenden Prozessen in der Geschwisterbeziehung Aufmerksamkeit schenken können.«
Erika Butzmann, Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, November 2013
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9

Einleitung: »Denn lieber Wilhelm wir wollen uns einmal nie trennen.« 11

1. Die Geschwisterbeziehung in der Forschung 18

2. Psychoanalytische Konzepte von Geschwistererfahrungen und psychischer Erkrankung 22

2.1 Weiterentwicklung der psychoanalytischen Betrachtung pathologischer Geschwistereinflüsse 28

3. Entwicklungspsychologie und Psychodynamik der Geschwisterbeziehung 30

3.1 Aspekte der Geschwisterbeziehung in der frühen Affekt- und Wahrnehmungsentwicklung 31
3.2 Zum Erleben des erstgeborenen Kindes auf Schwangerschaft und Geburt eines Geschwisterkindes - stimmt das Konzept der Entthronung? 32
3.3 Der Einfluss älterer Geschwister auf die frühe Entwicklung 39
3.4 Die Geschwisterbeziehung als Objektbeziehung 41
3.5 Geburtsposition und frühe Kindheitsentwicklung 46
3.6 Ödipale Konflikte zwischen Geschwistern 49
Überlegungen zur weiblichen Identitätsentwicklung als Schwester 51
Überlegungen zur männlichen Entwicklung der Identität als Bruder 57
3.7 Identifikationsprozesse zwischen Geschwistern 62
3.8 Aspekte der Geschwisterposition und -konstellation in der Adoleszenz 64
3.9 Die Rolle der Sexualität in Geschwisterbeziehungen 69
3.10 Geschwisterdynamik im Erwachsenenalter 72

4. Klinische Aspekte persistierender Geschwisterkonflikte 75

Exkurs: Zum Krankheitsverständnis der Psychoanalyse 75
4.1 Geschwisterkonflikte und psychische Erkrankung 78
Zwillingsschwester Frau G.: »Ich betete, dass ich nicht größer werde als mein Bruder!« 80
Auswirkungen des Twinnings auf die Weiblichkeitsentwicklung 82
4.2 Der Einfluss der Eltern 85

5. Geschwisterstudie 91

5.1 Stichprobe, Methodik und Zielvorstellung der Studie 91
5.2 ICD-10-Diagnosen 96
5.3 Psychoanalytisch orientierte Diagnostik - OPD 98
5.4 Erhebung psychodynamischer Geschwisterkonflikte 103
5.5 Ergebnisse der Untersuchung psychodynamischer Geschwisterkonflikte 108
5.6 Zusammenfassung 117

6. Zum psychoanalytischen Verständnis und zur klinischen Bedeutung der Geschwisterbeziehung 121

6.1 Zur Psychodynamik der Einzelkind- und erstgeborenen Position 123
Einzelkind, Frau A.: »Ich bin dazu da, dass es meiner Mutter gut geht.« 125
Erstgeborene von zwei Schwestern, Frau C.: »Ich fühlte mich immer ausgeschlossen und wollte doch nur dazugehören!« 129
6.2 Zur Psychodynamik der mittleren Position 132
Mittlerer Bruder zwischen zwei Schwestern, Herr H.: »Mir geht es am besten, wenn ich weg bin!« 133
6.3 Zur Psychodynamik der jüngsten Position 138
Jüngster von drei Brüdern, Herr M.: »Für mich war es der Joker, dass ich der Kleine war!« 139

7. Aspekte der psychoanalytischen und psychotherapeutischen Behandlung von persistierenden Geschwisterkonflikten bei erwachsenen Patienten 145

7.1 Die Geschwister in der Anamnesenerhebung 146
7.2 Geschwisterkonflikte und Repräsentanzen in Übertragung und Gegenübertragung 150
7.3 Die Darstellung und Bearbeitung von Geschwisterkonflikten in Träumen 157

8. Fazit 162

9. Literatur 165



Leseprobe:

„Bruder Bruder geh weg und bleib“ – Gertrude Stein

Die Beziehung zwischen Gertrude Stein und ihrem Bruder Leon ist ein Beispiel für eine höchst komplizierte Geschwisterbindung, die nach einer intensiven emotionalen als auch intellektuellen Nähe nach 40 Jahren abrupt endete und selbst bis zum Tod keine Versöhnung mehr zuließ. Ein Bespiel dafür, wie ambivalent und gestört Geschwisterbeziehungen sein können. Nähe und Bindung aber eben auch Rivalität und Konkurrenz scheinen ubiquitär für die Geschwisterbindung zu sein. In den letzten Jahren sind zahlreiche Publikationen zu Geschwistern und deren wichtige Bedeutung erschienen, aber Fragen nach dem klinischen Einfluss von Geschwistererfahrungen bei psychischen Störungen beziehen sich, wenn überhaupt, auf traumatisierende Erfahrungen durch Erkrankung, Tod oder Gewalt eines Geschwisterkindes. Langandauernden Effekten von Geschwistereinflüssen bei seelischen Erkrankungen im Erwachsenenalter ist bislang wenig nachgegangen worden.
Dorothee Adam-Lauterbach fragt, ob bei psychogenen Störungen Geschwistererfahrungen klinische Relevanz haben und ob die erfahrene Geschwisterposition auch im Erwachsenenalter psychodynamisch wirksam ist. Vor dem Hintergrund entwicklungspsychologischer Theorien und Forschungsbefunden stellt sie die Entwicklung der Geschwisterbeziehung als intersubjektives psychodynamisches Geschehen dar, in dem Fragen wie Geburtsrangfolge und Geschwisterkonstellation eine neue tiefere Dimension bekommen, die sich von der herkömmlichen Birth-Order-Forschung unterscheidet.
Stellen z.B. meist ältere Geschwister Kompensationen für defizitäre Elternbeziehungen dar, können lebenslange symbiotische Verstrickungen und Abhängigkeiten für die jüngeren entstehen, die Trennung und Verselbständigung bis ins Erwachsenenalter hochgradig belasten. Solche und andere pathogene Einflüsse, die mit der Entwicklung der Geschwister in der Kindheit verbunden sein können, werden in dem Buch anhand von Einzelfällen psychoanalytischer Behandlungen von erwachsenen Patienten illustriert.
Untermauert werden die Überlegungen zusätzlich durch eine von der Autorin durchgeführten Studie in einer psychosomatischen Klinik, die über den Einzelfall hinausgehend das Ziel verfolgte, persistierende Geschwisterkonflikte in ihren langandauernden Effekten zu explorieren. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, ob es bei psychisch erkrankten Patienten zwischen Einzel- und Geschwisterkindern Unterschiede hinsichtlich der formulierten psychodynamischen Konflikte gibt. Interessanterweise zeigte sich z.B., dass es vor allem Einzelkinder und Erstgeborene sind, die am stärksten darunter leiden, von ihren Eltern in eigene Konflikte einbezogen worden zu sein.
Aus metapsychologischer Sicht ist das Wahrnehmen der Ersetzbarkeit durch die Geburt eines weiteren Kindes eine für alle Menschen universale Erfahrung, die mit einer tiefen narzisstischen Kränkung verbunden ist, denn die offene Reihung nach unten impliziert, „dass es gleichgültig sein könne, ob es mich gibt oder nicht“. Konkurrenz und Rivalität unter Geschwistern sind für die Entwicklung der Persönlichkeit wichtig. Man identifiziert sich mit den Geschwistern und wird ihnen ähnlich, man differenziert sich aber auch von den Geschwistern und wird so verschieden. Das Ziel ist die Individuation und die eigene Identität. Viele Geschwisterkonflikte haben in diesem Spannungsverhältnis ihren Ursprung und können nicht integriert werden. Geschwisterbeziehungen sollten sich im Laufe der Entwicklung egalisieren, spielen Fragen der Geburtsposition im Erwachsenenalter immer noch eine Rolle, handelt es sich, so die Autorin, meist um eine neurotische Dynamik, die Beziehungen und soziales Miteinander belasten können.
Zum Schluss des Buches zeigen Bespiele aus der psychoanalytisch-psychotherapeutischen Praxis, wie die Bearbeitung von (un-) bewussten Geschwisterkonflikten Potentiale und Ressourcen freisetzen können. Denn häufig sind es unbewusste, das heißt eben auch unerkannte, Geschwisterkonflikte, nicht nur auf Seiten des Patienten, sondern auch auf Seiten des Therapeuten, die in psychotherapeutischen bzw. psychoanalytischen Behandlungen intersubjektiv zusammenwirken. Letztendlich ist Ziel des Buches dazu beizutragen, das psychoanalytische Verständnis der Geschwisterdynamik zu vertiefen und Psychotherapeuten zu ermutigen, diese für die klinisch-therapeutische Praxis nutzbar zu machen.

Dorothee Adam-Lauterbach