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Geschichte von Florenz  Das Werk ist Teil der Reihe:
(Beck`sche Reihe: bsr - C.H. Beck Wissen;2773)
Geschichte von Florenz


Das Werk ist Teil der Reihe:

(Beck`sche Reihe: bsr - C.H. Beck Wissen;2773)

Volker Reinhardt

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406645112 (ISBN: 3-406-64511-9)
128 Seiten, paperback, 12 x 18cm, Februar, 2013, mit 17 Abbildungen und 1 Karte

EUR 8,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Den Ruf als Stadt der Künste verdankt Florenz seiner Blütezeit im 14. bis 16. Jahrhundert, als sich am Arno Künstler und Gelehrte von Weltrang versammelten und in Architektur, Malerei, Philosophie und Literatur ein neues Bild vom Menschen entwarfen. Volker Reinhardt beschreibt die Entwicklung der Stadt von den antiken Anfängen über die glanzvolle Herrschaft der Medici bis in die Neuzeit. Der Schwerpunkt seiner anschaulichen und kurzweiligen Darstellung liegt auf der Renaissance.



Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, ist einer der führenden Kenner der italienischen Renaissance.
Rezension
Im 14.-16. Jahrhundert steht die toskanische Stadt Florenz in ihrer Blüte und wird zur führenden Stadt der Kunst und der Renaissance. Begründet durch den unermeßlichen Reichtum der aufstrebenden Bankiers-Familie der Medici werden in der Stadt am Arno Künstler und Gelehrte von Weltrang versammelt: Dante und Boccaccio, der Architekt Brunelleschi entdeckt die antike Baukunst neu und erschafft die Kuppel des Florentiner Doms, Leon Battista Alberti formuliert die Prinzipien der Zentralperspektive in der Malerei, Giotto, Masaccio und Botticelli wenden sich der für die Renaissance typischen Mittelpunkt-Stellung des Menschen zu, der nun erstmals individuell und differenziert dargestellt wird, Leonardo da Vinci verkörpert den typischen uomo universale der Renaissance, Michelangelo und Donatello erschaffen wesentliche Werke ... Machiavelli konzipiert politische Macht neu und Galileo Galilei entwirft das heliozentrische Weltbild ... Dieser kompakte Band beschreibt die Entwicklung der Stadt Florenz von der Antike über den Aufstieg der Medici bis in die Neuzeit.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Das Wunder Florenz

1. Von Cäsar bis zum Vorabend der Kommune (59 v. Chr.–1138)
Stadtgründung und Stadtwachstum: Legenden und Fakten
Der Mythos der zweiten Gründung und der Aufstieg zur regionalen Vormacht

2. Die Kommune des Adels (1138–1282)
Selbstverwaltung und Selbstbestimmung
Neue Familien, neue Regime

3. Die Republik der Oligarchen (1282–1433)
Zünfte und Ökonomie
Wirtschaftskrisen, Parteikämpfe und Epidemien
Das Regiment der Reichen
Der Aufstieg der Medici
Der Kampf um die Kommune

4. Die Republik der Medici (1434–1494)
Abrechnung und Neuordnung
Erfolge und Sackgassen
Konkurrenz und Kultur

5. Die Stadt der Umwälzungen (1494–1569)
Die breite Republik
Auf dem Weg zum Fürstentum
Der Modellfürst

6. Die Stadt der Erinnerung – Florenz nach der Renaissance
Die Stadt der Großherzöge
Der Weg in die Gegenwart

Zeittafel
Literaturhinweise
Personenregister
Bildnachweis



Leseprobe:

Einleitung: Das Wunder Florenz

Ab 1420 wird Florenz für mehr als ein Jahrhundert zum kulturellen
Maß aller Dinge. Die Statuen des Bildhauers Donatello
an der Kirche Or San Michele und die Fresken des Malers
Masaccio in der Brancacci-Kapelle von Santa Maria del Carmine
zeigen den Menschen in einer vorher nie gesehenen Monumentalität
und Dramatik, dazu mit psychologischer Eindringlichkeit
und sicherem Gespür für seine unverwechselbaren
Wesenszüge. Gleichzeitig entdecken Architekten wie Filippo
Brunelleschi und Michelozzo di Bartolomeo die Prinzipien der
antiken Architektur neu und setzen diese Regeln produktiv und
innovativ in Basiliken wie San Lorenzo und Palästen wie dem
der Medici um. Zur selben Zeit schreiben in Florenz tätige
Humanisten wie Coluccio Salutati und Leonardo Bruni nicht
nur das eleganteste Latein, sondern auch politische Traktate
und Geschichtswerke, in denen sie bei aller Anlehnung an die
Vorbilder des Altertums zu neuen Erkenntnissen, etwa zum
Verhältnis von Freiheit und Kulturblüte, vorstoßen.
Diese setzt sich über mehrere Generationen fort. In der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts verkündet der Philosoph Marsilio
Ficino die Vereinbarkeit von platonischer Philosophie und
christlicher Lehre. Auf diesem Fundament baut wenig später der
junge Francesco Pico della Mirandola seine Theorie von der
Gottähnlichkeit des Menschen auf, der seine Fähigkeiten im
Sinne seines Schöpfers zur Selbstvervollkommnung verwendet.
Solche «vollendeten Menschen» lassen nicht mehr lange auf
sich warten. 1452 wird mit Leonardo da Vinci ein Maler, Zeichner
und Ingenieur geboren, dessen Begabung in den Augen seinerMitmenschen
in übermenschliche Höhen emporragt. Mit Michelangelo
Buonarroti schließlich schenkt die Stadt am Arno –
so die fast einhellige Einschätzung der zeitgenössischen Kunstexperten
– der Welt das Menschheits-Genie, das mit Skulptur,
Malerei und Architektur die Dreieinigkeit der Künste zu göttlicher
Perfektion bringt. 1563, ein Jahr vor Michelangelos Tod,
gründet schließlich Herzog Cosimo de’ Medici die «Zeichen-
Akademie» und damit die erste Institution dieser Art, die Studium,
Pflege und Lehre der darstellenden Kunst systematisch zu
ihrer Aufgabe macht – mit einem beispiellosen Nachahmungseffekt
in ganz Europa.
Florenz wird auf diese Weise für Bewunderer, Konkurrenten
und Neider gleichermaßen zu einem einzigartigen Modell, zur
Geburtsstätte der Renaissance schlechthin. Warum? Was zeichnete
diese Stadt von kaum 40 000 Einwohnern vor allen anderen
aus? Ihrer Ausnahmestellung waren sich die Florentiner
früh bewusst. Wie ist unsere Stadt zu einem neuen Athen geworden?
Was hat uns geistig beweglicher, scharfsinniger und talentierter
für Kunst und Wissenschaft gemacht? Diese Fragen wurden
schon im 15. Jahrhundert von herausragenden Historikern
und politischen Denkern wie Coluccio Salutati und Leonardo
Bruni gestellt. In ihren Augen brachte der offene Wettbewerb
freier Bürger die großen Leistungen hervor, derer sich die Stadt
am Arno rühmen durfte. Dass Florenz zum Geburtsort und weit
ausstrahlenden Zentrum einer neuen Kultur wurde, ist für sie
also kein Zufall, denn gute Gesetze allein schaffen die Voraussetzungen
dafür, dass sich Begabungen entfalten können; im
Klima der Angst verkümmern die Musen. In Florenz aber
herrscht Gerechtigkeit, weil hier jedem das Seine gegeben wird;
hier setzen sich die Besten durch, weil jeder jeden offen kritisieren
darf und auf diese Weise Verdienste belohnt werden.
Diese Freiheit ist Florenz – Salutati und Bruni zufolge – nicht in den
Schoß gefallen, sondern durch dunkle Jahrhunderte hindurch
mühsam erkämpft worden. Florenz als geistige und politische
Lebensform sollte auch in der Gegenwart stets aufs Neue gegen
eine feindliche Außenwelt verteidigt werden, in der finstere Tyrannen
nur darauf warten, sich den Hort der Freiheit einzuverleiben.
Dieses Lob der Freiheit stimmten jedoch nicht alle an, denn
sie galt nicht für alle. Die große Mehrheit der Florentiner
hatte keine oder allenfalls minimale politische Mitbestimmungsrechte;
auch vor Gericht waren die Einwohner der Stadt alles
andere als gleich. Warum die so hochtönend beschworene
Freiheit ihrer Stadt nicht auch für sie gelten sollte, sahen die
kleinen Leute am Arno immer weniger ein. Schon 1378 erhoben
sich die Arbeiter der Textilindustrie (Ciompi), die dem Diktat
der großen Handels- und Bankhäuser schutzlos ausgeliefert
waren, und protestierten gegen ihre miserablen Arbeits- und
Lebensbedingungen. Künftig wollten auch sie eigene Berufsgenossenschaften
bilden, bei Lohnverhandlungen gleichberechtigt
mitreden und den ihnen zustehenden Anteil an den politischen
Positionen besetzen. Nach kurzfristigen Erfolgen wurde ihr
Aufstand niedergeschlagen. Unruhe in den unteren Schichten
der florentinischen Gesellschaft wurde künftig unterdrückt. Die
Mittelschicht ließ sich jedoch nicht so einfach mundtot machen.
Sie behielt ihre relativ bescheidene Ämterquote und wartete auf
mehr. Günstige Gelegenheiten boten sich immer dann, wenn die
Führungsschicht gespalten war oder Krisen von außen eintraten.
Florenz wurde dadurch zu einer umtriebigen, getriebenen, unruhigen
Stadt.
Bei aller Rivalität teilten Elite und Mittelstand jedoch die
Überzeugung, dass ihre Stadt vom Schicksal dazu vorherbestimmt
sei, der Welt ein Beispiel zu geben. Für die Medici, die in
Florenz ab 1434 das Sagen hatten und diese Macht ein Jahrhundert
lang – von kürzeren Phasen des Machtverlusts abgesehen
– zielstrebig ausbauten, bestand ihre Aufgabe und damit
die Mission von Florenz darin, ein neues Goldenes Zeitalter der
Harmonie und der kulturellen Blüte heraufzuführen; diese Botschaft
verkündeten zumindest ihre großen Kunstwerke. Die
kleinen Leute ließen sich davon mehr oder weniger stark beeindrucken
– mehr in guten, weniger in schlechten Zeiten. Die
schlechten Zeiten von Krieg, Pest und Hungersnot blieben trotz
aller Glücksbeschwörungen der Medici nicht aus. So sehr man
sich auch an schönen Bildern ergötzte, gegen Brotteuerung und
Angst vor fremden Armeen half dieser Kunstgenuss wenig. So
liehen Handwerker und Ladenbesitzer dem Propheten Savonarola
willig ihr Ohr, als dieser ab 1490 eine alternative Mission
der Erwählten Stadt verkündete: Florenz sollte sich geistlich
läutern, kirchlich reformieren, politisch durch die Gleichberechtigung
des Mittelstands neu konstituieren und so gestählt die
Welt im wahren Glauben vereinen.
Kurz darauf entwarf der Florentiner Niccolò Machiavelli ein
düsteres Bild seiner Stadt, mit dem er fast alle Florentiner gegen
sich aufbrachte. Mit dem Florenz der Freiheit, dem Florenz des
Goldenen Zeitalters und dem Florenz der Frommen hatte sein
Bild wenig zu tun. Für Machiavelli lag von Anfang an ein
Fluch über seiner Heimatstadt. Sie war vom Spaltpilz zerfressen
und wurde von unaufhörlichen Erschütterungen heimgesucht.
Dieses Übel hatte zwei Namen: setta und corruttela, Klientel
und Korruption. In Florenz herrschten von Anfang an Interes–
sengruppen, die sich um finanziell potente und daher politisch
einflussreiche Politiker bildeten. Diese kaufen sich mit Geld und
Gunst so viele Gefolgsleute in der Ober- und Mittelschicht, dass
sie die zuvor dominierende Clique von den Schalthebeln der
Macht und den damit verbundenen Privilegien verdrängen konnten.
Doch politische Stabilität konnte so nicht einkehren, denn
das nächste Netzwerk lauerte bereits auf seine Chance, die
Herrschaft zu ergreifen.
Machiavelli war nicht der einzige, der in den ersten Jahrzehnten
des 16. Jahrhunderts eine kritische Bilanz der florentinischen
Geschichte zog. Allzu deutlich trat neben der chronischen Unruhe,
die schon der große florentinische Dichter Dante Alighieri
für unheilbar gehalten hatte, und der intellektuellen wie künstlerischen
Produktivität ein drittes Leitmotiv hervor: der Widerspruch
zwischen republikanischer Ideologie und der Regierungspraxis
der Medici, mit anderen Worten: die Kluft zwischen
Propaganda und Wirklichkeit. Nirgendwo sonst entwickelte
sich die Kunst, durch Bilder, Bauten und Statuen, aber auch
durch Geschichtswerke und philosophische Traktate einen
schönen Schein zu erzeugen, so virtuos wie in Florenz; nirgendwo
sonst wurde diese Bildwelt so konsequent dazu genutzt,
die graue Realität zu überdecken und schön zu färben.
Als erste voll entfaltete Medienstadt Europas forderte Florenz
seine besten Köpfe zugleich dazu heraus, hinter die Fassaden
zu blicken, Masken herunterzureißen und die wahren Beweggründe
der Mächtigen freizulegen. Gerade weil die allgegenwärtige
Propaganda das Wesen der Politik und der Politiker
in Florenz so systematisch verschleierte, wurde für eine kleine
intellektuelle Elite der Reiz unwiderstehlich, das Wechselspiel
von Sein und Schein zu ergründen. Um diesen Gesetzen auf
die Spur zu kommen, musste man den Menschen tiefer und
unvoreingenommener als bislang üblich erforschen. Damit
wurde der Blick in Abgründe der Manipulation, des Selbstbetrugs
und der Destruktivität frei, die einen stärkeren Staat mit
einer neuen Selbstrechtfertigung, der Staatsräson, erforderlich
machten.
So wurde Florenz gleich mehrfach zur Geburtsstätte der Moderne:
Hier entstanden eine neue Kunst, eine neue Propaganda,
eine neue Gesellschaft und umstürzend neue Ideen über den
Staat und den Menschen. Wir sind anders: Von dieser gemeinsamen
Überzeugung durchdrungen blickten schon die Florentiner
des 14. und 15. Jahrhunderts in die Vergangenheit, um
die Ursachen für ihre Einzigartigkeit zu ergründen. Für die
Humanisten wie Salutati, Bruni und ihre häufig astrologiegläubigen
Nachfolger war die Geburtsstunde der Stadt, das
heißt der Moment ihrer Gründung, von ausschlaggebender Bedeutung.
Geschah sie im Zeichen der Republik oder – durch
Cäsar oder Oktavian, den späteren Kaiser Augustus – im Zeichen
der Monarchie? Ob man für das republikanische oder das
monarchische Entstehungsmodell votierte, war kein bloßer
Streit unter Gelehrten, sondern ein Votum für eines der beiden
politischen Systeme, denn die Gründung galt allgemein als Akt
der Vorherbestimmung.
Daher war es kein Wunder, dass die Parteigänger der Medici
wie auch ihre Gegner mit der passenden Gründungslegende aufwarten
konnten. So wie die Medici das letzte Wort behielten,
triumphierten schließlich auch ihre Geschichtsbilder. Der erste
große Fürst des Hauses, Cosimo I., ließ den monumentalen
Ratssaal des Palazzo della Signoria, des alten republikanischen
Heiligtums, in den 1560 er und 70 er Jahren von Giorgio Vasari
mit zahlreichen großformatigen Fresken schmücken, die eine
einzige Botschaft zu verkünden hatten: Florenz ist zum Fürstentum
der Medici vorherbestimmt, erst unter ihrer segensreichen
Herrschaft kann sich seine ganze Größe entfalten. An
derselben Stelle hatten Michelangelo und Leonardo da Vinci ein
Menschenalter zuvor jeweils ein Schlachtengemälde für die
Republik Florenz zu malen begonnen, aus der die Medici vertrieben
worden waren. Heute wird Leonardos unvollendet gebliebenes
Meisterwerk hinter einem der Fresken Vasaris vermutet.
Ein wagemutiger Forscher hat durch das von diesem
gemalte Kampfgetümmel Löcher gebohrt, durch die er die ältere
Farbschicht freizulegen hofft.
Wie ein solcher Bilderdetektiv muss vorgehen, wer die Geschichte
von Florenz in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit
verstehen will. Als Stadt der Propaganda und des
schönen Scheins stellt Florenz dem Historiker bis heute zahlreiche
Fallen. Der florentinische Historiker Francesco Guicciardini,
der einer der großen Familien der Stadt entstammte und
in Diensten der Medici europäische Politik machte, hat mehrere
Anläufe unternommen, um eine Geschichte von Florenz zu
schreiben. Dabei war er sich bewusst, als Profiteur der Mediciherrschaft
in unauflösliche Loyalitätszwänge eingebunden zu
sein. Zugleich blickte er über die Stadtmauern hinaus: Die
Geschichte von Florenz war für ihn Teil der Geschichte Italiens
und damit Europas; nur aus dieser Perspektive ließ sie sich
verstehen. Diese Sichtweise ist bis heute maßgeblich. ...