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Der schwankende Boden der Lebenswelt. Phänomenologische Musikpädagogik zwischen Handlungstheorie und Ästhetik.
Der schwankende Boden der Lebenswelt.
Phänomenologische Musikpädagogik zwischen Handlungstheorie und Ästhetik.




Jürgen Vogt

Königshausen & Neumann Verlag
EAN: 9783826019296 (ISBN: 3-8260-1929-6)
278 Seiten, paperback, 16 x 24cm, Februar, 2001

EUR 35,00
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Die Musikpädagogik ist immer wieder sich wandelnden Moden unterworfen und schwankt in ihren Reflexionen, die oft unmittelbar auf das Unterrichtsgeschehen gerichtet sind, zwischen vielen Modellen, deren Begründungszusammenhang oft unklar erscheint.
Wie es von einer universitären Perspektive auch zu erwarten ist, setzt die Fragestellung Jürgen Vogts tiefer an:
In dem vorliegenden Werk stellt er die Frage, ob der Musikpädagogik vielleicht durch das Konzept der Lebenswelt ein dauerhaft tragfähiges Fundament gegeben werden könnte. Eine solche Grundlegung wäre dann auch für die musikdidaktische Überlegung leitend.
Das Konzept der Lebenswelt, das eng mit dem philosophischen Projekt der Phänomenologie verknüpft ist, liefert hierzu Antworten auf 3 Dimensionen, die sich einer jeden Musikpädagogik essentiell stellen:

1) Die fundamentalphilosophische Dimension: In Rückgang auf Husserl und andere bedeutende Vertreter eines Lebenswelt – Konzeptes klärt J. Vogt zuerst dessen derzeit unklar gebrauchte Begrifflichkeiten und Zusammenhänge. Dabei stellt er den Anspruch und Möglichkeit dieser philosophischen Richtung heraus, Grundlegung einer jeden Wissenschaft, also auch der Musikpädagogik, zu sein (Kapitel 1). Vor diesem Hintergrund untersucht er erziehungswissenschaftliche und musikdidaktische Konzeptionen, die bereits auf einem lebensweltlichen Fundament zu stehen versuchten (Kapitel 2).
2) Die normative Dimension: Zuerst stellt J. Vogt pädagogische und musikpädagogische Konzepte vor, in denen versucht wurde, der ethischen Dimension auf verschiedene Weisen gerecht zu werden, ohne dabei das Lebenswelt – Konzept zu berücksichtigen (Kapitel 3). Dann stellt er Überlegungen zu den Möglichkeiten einer lebensweltlich begründeten Ethik in der Musikpädagogik an (Kapitel 4).
3) Die ästhetische Dimension: Für eine Musikpädagogik ist es wesentlich, die Bedeutung von Kontakten zwischen Mensch und Musik einordnen zu können. Der Autor präsentiert also phänomenologische Ansätze, die die Bedeutung vor dem Hintergrund des Lebenswelt – Konzepts zu klären versuchen (Kapitel 5).

In Kapitel 6 schließlich bündelt J. Vogt die Ergebnisse der vorherigen Kapitel, indem er die Frage beantwortet, ob und inwieweit das Lebenswelt – Konzept einer musikalischen Bildung ein Fundament sein kann.

Christian Köcher
lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung (s. 9)

1. Grundzüge des Konzeptes der Lebenswelt bei Edmund Husserl (S. 16)
1.1 Die Bodenfunktion: Lebenswelt als Fundierung der Wissenschaften (S. 16)
1.2 Die Leitfadenfunktion: Husserls transzendentalphilosophischer Lösungsversuch (S. 21)
1.3 Die Einigungsfunktion: Das Problem der „Welt" (S. 26)
1.4 Produktive Abweichungen (S. 31)
1.4.1 Heidegger und die Fundamentalontologie des In-der-Welt-seins (S. 31)
1.4.2 Merleau-Ponty und die Ambiguität des Zur-Welt-seins (S. 33)
1.4.3 Schütz und die Alltagswelt (S. 35)
1.4.4 Husserl als „Dialektiker wider Willen": Zur Kritik an der Phänomenologie (S. 37)

2. Erziehungswissenschaftliche und musikdidaktische Konzeptionen einer lebensweltlich orientierten Pädagogik (S. 40)
2.1 Die Rehabilitierung vorwissenschaftlicher Erfahrung bei Wilfried Lippitz (S. 41)
2.2 Die „anthropologische" und „lebensweltliche" Entwicklung der „Didaktischen Interpretation von Musik" (S. 46)
2.3 Lebenswelt als Gegenstand empirischer Forschung in der Musikpädagogik (S. 55)

3. Zur Lebensweltvergessenheit pädagogischer und musikpädagogischer Handlungstheorie: Die normative Krisis (S. 68)
3.1 Naturalistische Fehlschlüsse: Die unmittelbare Herkunft der Normen aus der Lebenswelt (S. 68)
3.2 Alterer und neuerer Kritizismus: Die Ausblendung der Lebenswelt (S. 71)
3.2.1 Kantianische Positionen (S. 71)
3.2.2 Kritischer Rationalismus (S. 74)
3.3 Diskursive Begründung: Die Entwertung der Lebenswelt (S. 79)
3.3.1 Die Bodenlosigkeit der diskursiven Vernunft (S. 79)
3.3.2 Lebenswelt als Ressource der kommunikativen Vernunft (S. 84)
3.4 Geisteswissenschaftliche Pädagogik: Lebenswelt als Metaphysik der Erziehungswirklichkeit (S. 92)
3.5 Konstruktive Wissenschaftstheorie: Lebenswelt als pragmatischer Anfang (S. 98)
3.5.1 Die Re-Konstruktion des Handelns in der Erlanger Schule (S. 98)
3.5.2 Das Kritikpotential einer normativen Genese (S. 101)

4. Lebenswelt als schwankender Boden pädagogischen Handelns (S. 106)
4.1 Die Pädagogik und ihr Schatten: Lebenswelt als „wildes Sein" (S. 106)
4.1.1 Merleau-Pontys „Ontologie im Augenblick ihres Sturzes" (S. 106)
4.1.2 „Es gibt" Kinder (S. 116)
4.2 Von der Verantwortung zur Antwort. Pädagogisches Handeln als responsives Handeln (S. 121)
4.2.1 Grenzen der pädagogischen Verantwortung (S. 121)
4.2.2 Aspekte responsiven Handelns (S. 126)
4.2.3 Responsivität und pädagogische Differenz (S. 132)

5. Auf der Suche nach der „stummen" musikalischen Erfahrung: Die ästhetische Krisis (S. 144)
5.1 Musikalisch-ästhetische Erfahrung zwischen Subjekt- und Objektbezug (S. 144)
5.2 Phänomenologische Musikästhetik zwischen Imagination und Ontologie des Musikwerks (S. 157)
5.2.1 Die Noesis der ästhetischen Erfahrung (S. 157)
5.2.1.1 Sartre: Das Musikwerk als Imaginäres (S. 157)
5.2.1.2 Schütz: Musik als soziale Praxis (S. 164)
5.2.2 Das Noema ästhetischer Erfahrung (S. 174)
5.2.2.1 Ingarden: Das Musikwerk als intentionales Objekt (S. 174)
5.2.2.2 Dufrenne: Das Musikwerk als Quasi-Subjekt (S. 187)
Exkurs: Zum Ort der Musik in der Ästhetik Merleau-Pontys (S. 200)
5.3 Musikalische Erfahrung als responsive Erfahrung (S. 205)
5.3.1 Das Musikwerk als paradoxer Gegenstand musikalischer Erfahrung (S. 205)
5.3.2 Der Primat der Frage: Gadamer und die hermeneutische Wendung der Phänomenologie (S. 210)
5.3.3 Hören als leibliches Register responsiver Erfahrung (S. 219)
Exkurs: Die musikpädagogische Normalisierung des Hörens (S. 224)

6. Lebenswelt als schwankender Boden musikalischer Bildung (S. 232)
6.1 Zur Unverzichtbarkeit des Bildungsbegriffes in der Postmoderne (S. 232)
6.2 Egozentrismus als Phonozentrismus: Sich-Hören (S. 236)
6.3 Musikalische Bildung zwischen Selbst- und Fremderfahrung (S. 247)

Literatur (S. 255)