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Das Tabu Was Psychoanalytiker nicht denken dürfen, sich aber trauen sollten
Das Tabu
Was Psychoanalytiker nicht denken dürfen, sich aber trauen sollten




Jürgen Kind

Klett-Cotta
EAN: 9783608961317 (ISBN: 3-608-96131-3)
423 Seiten, hardcover, 16 x 23cm, Februar, 2017

EUR 49,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Angetreten, Tabus zu durchbrechen, hat sich die Psychoanalyse selbst mit Tabus umgeben. Jürgen Kind zeigt ausgehend von einer Kritik am Konzept des Ödipuskomplexes, der einflussreichsten Theorie der Psychoanalyse, welche Folgen dies für die Theorieentwicklung, die Therapie, die Ausbildung künftiger Therapeuten und die Patienten hat. Jürgen Kind beschäftigt sich mit dem Paradox, dass ausgerechnet die Psychoanalyse zu einem Hort von Tabuisierungen und Glaubens kämpfen geworden ist: Er arbeitet in seinem Buch folgende Tabus heraus, welche die Weiterentwicklung der Psychoanalyse behindern: - das Dogma vom Vatermord als eine jedem Menschen innewohnende Intention, - Grenzverletzungen in Therapien als einen von der Theorie mitgetragenen Vorgang, - ein ans Religiöse grenzender Reinheits- und Wahrheitsbegriff. Für den Wettstreit konkurrierender Disziplinen untereinander ist es nicht förderlich, sich auf Begri«e wie »Wahrheit« und »reine Lehre« zu berufen. Die Psychoanalyse wird sich, will sie weiter von Relevanz bleiben, daran gewöhnen müssen, dass sie lediglich eine unter vielen Arten ist, die Dinge zu betrachten. Dieses Buch richtet sich an: - PsychoanalytikerInnen - Alle Intellektuellen: SoziologInnen, PhilosophInnen, SprachwissenschaftlerInnen, die sich beruflich oder privat mit Psychoanalyse beschäftigen



Jürgen Kind, Dr., praktiziert als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Göttingen. Er ist Lehr- und Kontrollanalytiker am Göttinger Lou-Andreas-Salomé-Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie sowie Supervisor an verschiedenen Kliniken. Über Jahre gehörte er einer Forschergruppe der Psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen an, die für ihre Ergebnisse in der Psychoseforschung mit dem Hermann-Simon-Preis ausgezeichnet wurde. Langjährige Tätigkeit als Abteilungsleiter am Niedersächsischen Landeskrankenhaus Tiefenbrunn.
Rezension
Der Hass des Jungen auf den Vater ist nach Freud darin begründet, dass er die Mutter ganz für sich besitzen möchte. Diese Überzeugung hat sich bis heute bei den meisten Psychoanalytikern nicht geändert. Gerade die Kindheit des Ödipus und sein weiteres Schicksal werden oft tabuisiert. Dies ist nach Kind ein großes Problem. Die Eltern des Jungen wollten ihn aufgrund der Vorhersage des Orakels von Delphi töten. Diese Gewalt von Seiten mancher Väter gegen ihre Söhne werde oftmals verdrängt, so Kind. Auch Freud selbst war ein wenig einsichtiger Vater. Jede Kritik an seiner Theorie wurde von ihm als Angriff gegen seine Person missinterpretiert. Ausgehend von diesen Überlegungen wird dem Leser verdeutlich, warum gerade der Urvater der Psychoanalyse den genannten Aspekt der Geschichte nicht thematisierte. Auch heute wirkt sich dieses Dilemma auf moderne Analyseformen aus. Der väterliche Narzissmus werde nur unzureichend korrigiert und der Therpeut ist gefährdet, diesen Triebwunsch gegenüber seinen Patienten auszuleben.

Dieses Buch wird gerade diejenigen gut unterhalten, die Interesse an der griechischen Mythologie haben und sich vertieft mit der Sage befassen möchten. Ein wichtiger, kritischer Blick auf die moderne Psychoanalyse.

Frank Düring, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Cover 1
Inhaltsverzeichnis 6
Ödipus – Prokrustes 12
Vorwort von Ulrich Streeck 13
Vorbemerkung 17
Der Mythos von Ödipus 22
Teil I Die versäumte Frage 28
Plädoyer für einen Ödipus vor und nach dem Komplex 28
1 Theben 33
1.1 Der Beginn: Das Kind ohne Herkunft 34
1.2 Das Delphische Orakel 35
1.3 Laios – Erzeuger seiner eigenen Gefährdung 37
1.4 Warum Unsterblichkeit? 40
1.5 Laios’ Fehlinterpretation des Orakels 42
2 Kithairon 47
3 Korinth 50
4 Tantalos und Poseidon, Laios und Polybos – Urbilder der gespaltenen Vaterimago 55
5 Zur Umstrukturierung des negativen Vaterbildes 59
6 Delphi 63
6.1 Delphi und die Wende zum Komplex 65
6.2 Zum Verlust der Kategorie »Generation« 73
7 Schiste Hodos 75
Ödipus’ endgültige Wende zum Komplex 75
8 Konfrontation im Hohlweg 78
9 Die Sphinx 85
Hindernis oder Warnung? 85
10 Zurück in Theben 88
11 Kolonos 93
Die zweite Verbannung und der Erwerb von Heiligkeit 93
Teil II Söhne, Väter, Urväter 104
1 Der Fall Orest 109
2 Ödipus – ein Brückenmythos 113
2.1 Vatermord oder Königsmord? 115
2.2 Typologie zur Geschichte des Vererbungsmodus 117
3 Der Komplex aus der Sicht Freuds 120
4 Erweiterungen 123
5 Der Ödipusstoff in Mythen und Märchen anderer Kulturen 127
6 Prophezeiung, Verletzung/Wiedergeburt, Namensgebung 134
7 Ethnologische Befunde (Frazer) 144
8 Freuds Projekt einer prähistorischen Verankerung des Ödipuskomplexes 148
8.1 Anmerkung zum Totemismus 150
8.2 Urhorde und Urvater – Freuds Theorie vom primären Patrizid 151
8.3 Weitere Kritik an der Theorie vom archaischen Erbe 155
Teil III Missbrauch und Grenzverletzungen in Psychoanalysen 160
1 Verwirrungen um eine Theorie – das Jahr 1897 169
2 Der Wendepunkt 175
Freuds Weg von Theben nach Delphi 175
3 Zum Schicksal des Subjekts in der frühen Psychoanalyse I 182
4 Zum Schicksal des Subjekts in der frühen Psychoanalyse II 191
4.1 Der Dunkle Kontinent 191
4.2 Die eigene Idee – ein Tabu 196
5 Zur Geschichte von Grenzverletzungen und Missbrauch in der Psychoanalyse 199
5.1 Emma Eckstein?/?Fließ?/?Freud 200
5.2 Sabina Spielrein?/?Jung?/?Freud 205
5.3 Freud?/?Frink?/?Bijur 211
5.4 Zilboorg und das New Yorker Institut 212
5.5 Greenson?/?Monroe 213
5.6 Godley?/?Khan?/?Winnicott und das Londoner Psychoanalytische Institut 214
6 Psychoanalytische Weiterbildung/Lehranalyse 220
6.1 Literaturrückblick 222
6.2 Filiation 227
6.3 Realbeziehungen 230
6.4 Der Lohn für den Verzicht 233
7 Grenzübertretungen generierende Faktoren 238
7.1 Der Patient als Forschungsgegenstand 238
7.2 »The Cause« – Im Dienste der Sache 239
7.3 Ödipuskomplex 241
7.4 Der eindringende Analytiker 242
7.5 Anmerkung zur Freqenzfrage – die klinische und die vereinspolitische Indikation 246
Teil IV Der Komplex unter dem Komplex 250
1 Eine Konkurrenz 257
2 Dostojewski und die Vatertötung 263
Zum Verbleib der negativen Vaterimago 263
2.1 Dostojewskis moralische Verurteilung 267
2.2 Psychiatrisierung – Dostojewskis Epilepsie 268
2.3 Anmerkung zu Freuds Argumentationsstil 269
2.4 Dostojewski – Negativpol in Freuds Vaterimago 272
2.5 Die Brüder Karamasoff – eine Gefahr für den Ödipuskomplex? 274
3 Zum Verbleib der negativen Mutterimago 275
4 Der Komplex unter dem Komplex 280
5 Der verbotene Raum 285
6 Die Phantasie vom leeren Raum 289
7 Die verführende Mutter und der überflüssige Vater 294
Teil V Glaube, Häresie, Schisma 300
Zur parthenogenetischen Illusion der Psychoanalyse 300
1 Von der Mittwoch-Gesellschaft zum Nürnberger Kongress 309
1.1 Zürich – das psychoanalytische Tor zur Welt 314
2 Der Nürnberger Kongress 318
Zur machtpolitischen Grundstörung der Psychoanalyse 318
2.1 Unvereinbarkeitsbeschlüsse 319
2.2 »Nürnberg 1910« – der erste Exodus von Wissenschaftlern aus der Psychoanalytischen Gemeinde 327
2.3 Das Komitee 336
3 Freuds kulturell-wissenschaftliches Umfeld 338
4 Mosaische Unterscheidung und normative Inversion 343
5 Folgen der parthenogenetischen Illusion 352
5.1 Das Gold des Rumpelstilzchens 353
6 Der Freud’sche Vater im Kontext der parthenogenetischen Illusion 357
6.1 Der Vatermord – Freuds archimedischer Punkt 357
6.2 Der gezeugte und der nicht-gezeugte Vater 360
6.3 Zum »Ur« des Urvaters 364
7 Schöpfungsprivilegien und Erstgeburt 369
7.1 Zur Besonderheit der Erstgeburt 372
7.2 Maßnahmen zur Rettung des Schöpferstatus 375
8 Zum Dilemma psychoanalytischer Identität 377
8.1 Das Nachwuchsproblem 380
8.2 Zum Prädikat »Wahrheit« 386
8.3 Die Eine Theorie und der Eine Schöpfer 388
8.4 Zum Briefwechsel Freud/Jung 390
8.5 Zur Bedeutung des Sündenbocks für die psychoanalytische Community am Beispiel Jung und Ferenczi 392
8.6 Zum Verhältnis DPG?/?IPV 405
8.7 In gefährlicher Umgebung 409
9 Warum Ödipus? 411
Literatur 415
Danksagung 423
Der Autor 424