lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Das Recht des Politischen Ein neuer Begriff der Menschenrechte
Das Recht des Politischen
Ein neuer Begriff der Menschenrechte




Daniel Bogner

Transcript
EAN: 9783837626056 (ISBN: 3-8376-2605-9)
336 Seiten, paperback, 15 x 23cm, Juli, 2014

EUR 34,99
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Wie sind die Menschenrechte heute angemessen zu verstehen? Sich ausschließlich auf ihren rechtlichen Gehalt oder ethisch-moralischen Anspruch zu konzentrieren, genügt dafür offenbar nicht. Notwendig ist es vielmehr, die Dimension des Politischen, die diesen Rechten eigen ist, systematisch in den Blick zu nehmen: Erst im Feld der sozialen Praxis und in den historisch bezeugten Erfahrungen handelnder Individuen wird ein moralisch-rechtlicher Anspruch konkret greifbar. Am Beispiel des zeitgenössischen Umgangs mit dem Erbe des französischen Kolonialkrieges in Algerien setzt Daniel Bogner Theorie und Praxis, Normativität und Geschichte konsequent miteinander in Beziehung.

Ergebnis ist ein neues Verständnis der Menschenrechte – jenseits der Sackgassen einer rein historischen oder exklusiv geltungstheoretischen Perspektive.

Daniel Bogner (Prof. Dr. theol.) lehrt Moraltheologie und Theologische Ethik an der Universität Fribourg/Schweiz. In seiner Forschung befasst er sich mit Fragen der Menschenrechte, der Rechtsethik und der Begründung einer theologisch motivierten Ethik.
Rezension
Die Menschenrechte sind im schulischen Philosophie-, Ethik- und Religionsunterricht nicht selten Unterrichtsgegenstand. Das hier anzuzeigende Buch betont aber, dass die Mnschenrechte nicht nur ethisch-moralisch (und rechtlich) behandelt werden müssen, sondern auch elementar politisch. Und insofern haben die Menschenrechte auch ein Thema im Politik- (und Geschichts)unterricht zu sein; denn Menschenrechte werden erst konkret im Feld der sozialen Praxis und in den historisch bezeugten Erfahrungen handelnder Individuen. Das macht der Autor am Beispiel des Kolonialkriegs Frankreichs gegen Algerien (1954–62) deutlich. Es geht also um die Wirklichkeit der Menschenrechte, - nicht um ihren moralischen Geltungsanspruch oder ihre geschichtliche Entwicklung. Wie lässt sich die Wirkungsweise der Menschenrechte im konkreten politisch-sozialen Alltag angemessen verstehen? Ob und wie diese Rechte jemals Realität werden könnten – und wie diese Realität aussehen sollte, das ist eine politische Frage. Über die Herkunft der Menschenrechte Bescheid zu wissen, genügt nicht.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Neues Verständnis der Menschenrechte – die Menschenrechte können nicht ohne das Politische als Moment ihrer Artikulation begriffen werden, weil sie nur in menschlichen Erfahrungen und sozialer Praxis Gestalt annehmen.

Schlagworte:
Menschenrechte, Politik, Erfahrung, Algerien, Kolonialkrieg, Normativität, Geschichte, Mensch, Recht, Sozialphilosophie, Politische Philosophie, Philosophie
Adressaten:
Sozialwissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Sozialethik

»Das Buch ist hervorragend in Form und Inhalt und bietet einige geradezu grandiose Überlegungen.« , Rainer Kühn, Deutschlandfunk - Andruck, 04.08.2014

Autoreninterview
... mit Daniel Bogner

1. »Bücher, die die Welt nicht braucht.« Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?
Weil in dem Buch eine neuartige Perspektive, die Menschenrechte zu verstehen, konsequent und mit systematischem Anspruch durchgeführt wird. Dringend nötig ist das, weil die Menschenrechtsdebatte bisher oft in einer Sackgasse endet: Einerseits wird – von Seiten gesellschaftlicher Aktivisten und Praktiker – so getan, als sei unmissverständlich klar, was die Menschenrechte eigentlich seien, welchen Anspruch sie begründen, und dass es vor allem darauf ankomme, deren Forderungen umzusetzen. Andererseits fällt – vornehmlich in theoretischen Diskursen – auf, dass die Kontexte gesellschaftlicher Praxis, die für jeden Rechtsanspruch von Interesse sind, in der Betrachtung der Menschenrechte oft genug ausgeklammert werden und vor allem auf die geltungslogische Begründung des moralischen Anspruchs Wert gelegt wird.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Mein Buch versucht, beide Perspektiven aufeinander zu beziehen: Die These lautet, dass der Gehalt menschenrechtlicher Forderungen nur über Praxiskontexte erschlossen werden kann. Praxiskontexte wiederum liegen nicht einfach ›abrufbar‹ bereit, sondern müssen aus den Erfahrungen geschichtlich handelnder Subjekte hermeneutisch verantwortet ausgelegt werden. Das bedeutet, dass das Verständnis der Menschenrechte viel mehr dem geschichtlichen Wandel unterliegt, als es gemeinhin angenommen wird. Das bedeutet auch, dass es eine eminent politische und nicht endende Aufgabe darstellt, je neu nach dem angemessenen Verständnis eines moralisch-rechtlichen Geltungsanspruchs zu fragen.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Die in dem Buch gewählte Perspektive auf das Thema Menschenrechte setzt unterschiedliche Fächer und Disziplinen miteinander in Bezug – Sozialwissenschaft und Geschichte, Sozialphilosophie und Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Sozialethik. Innerhalb der Debatten in der aktuellen Zeitgeschichtsforschung zu den Menschenrechten (Samuel Moyn u.a.) wird ein provozierender Akzent gesetzt, weil das Buch zwar ein historisches Sujet – den französischen Kolonialkrieg in Algerien – als Material und Gegenstand zugrunde legt, aber nicht beim Durcharbeiten des geschichtlichen Materials bleibt, sondern stets ein geltungstheoretisches Interesse im Auge behält – die Frage nämlich, wie der Anspruch der Menschenrechte entstehen und begründet werden kann, gerade aus dem Verlauf der Geschichte heraus. Vielfach bestehen Konvergenzen zum Ansatz des Soziologen Hans Joas. Mit dem Buch wird dessen theoretischer Versuch, die Menschenrechte zu erklären (Die Sakralität der Person) konsequent durchgeführt – am historischen Material, wie Joas das selbst immer wieder gefordert hat.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Mit dem Philosophen Ludwig Siep, dessen politisch sensible Hegel-Deutung mir immer wieder weitergeholfen hat.
Mit dem Menschenrechtspolitiker Heiner Bielefeldt, mit dem ich die Thesen dieses Buches intensiv diskutiert habe und der mein Interesse an der praktischen Komplexität der Menschenrechte geweckt hat.
Mit dem Theologen Joseph Ratzinger, weil ich mir kaum vorstellen kann, dass anspruchsvolle Theologie eine Ethik der Menschenrechte verwerfen würde, welche geschichtliche und politische Kontingenz berücksichtigt, um einen normativen Anspruch zu formulieren.

5. Ihr Buch in einem Satz:
Erst in konkreten historisch-sozialen Kontexten und Situationen – also im Feld des Politischen – bildet sich der Gehalt menschenrechtlicher Forderungen heraus, ohne den jede rein geltungstheoretische Inanspruchnahme dieser Rechte zahnlos wäre.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung | 9

I. Zwischen Theorie und Praxis – Menschenrechte | 17

1. Wie über die Menschenrechte reden? | 18

1.1 Das Quid-pro-quo praktischer Menschenrechtsarbeit | 19
1.2 Menschenrechte als flexible Größen einer Moralpolitik? | 21
1.3 Die Ambivalenz kirchlich-theologischer Rede von den Menschenrechten | 24
1.4 „Affirmative Genealogie“ als Vermittlungsangebot | 31

2. Der blinde Fleck – Politik und Menschenrechte | 38

2.1 Die Bewegung einer Praxis entbinden. Menschenrechte als Prozesskategorie | 40
2.2 Die Verschränkung von Geschichte und Gegenwart im Begriff der Menschenrechte | 46

3. Erfahrungen lesen. Eine hermeneutische Herausforderung | 53

3.1 Kollektive Vorgabe und individuelle Bringschuld | 55
3.2 Nationales Gedächtnis und Identität. Der tote Winkel eines Forschungsprogramms | 58
3.3 Der Algerienkrieg im Erfahrungszeugnis. Forschungsstand und Methode | 61

II. Erfahrungen mit einem Ideal. Zeugnisse aus dem Algerienkrieg | 67

4. Paul Aussaresses, Services spéciaux. Algérie 1955–1957 (2001) | 68

4.1 Das Zeugnis des affirmativen Militärs | 68
4.1.1 Was wird beschrieben? | 68
4.1.2 Das Selbstbild Aussaresses’ | 76
4.1.3 Aussaresses’ Blick auf Gewalt und Folter | 83
4.1.4 Normen und Werte in subjektiver Sicht | 90
4.2 Sozialer Deutungsrahmen und zeitgeschichtlicher Verstehenshintergrund | 98
4.2.1 Die französische Folterdebatte | 99
4.2.2 Das politische Erbe: Amnestie | 108
4.2.3 Geschichte und Erinnerung: Wie erinnern? Welche Geschichte schreiben? | 118

5. Pierre-Alban Thomas, Les Désarrois d’un officier en Algérie (2002) | 128

5.1 Das Zeugnis des selbstkritischen Militärs | 129
5.1.1 Herkunft und Selbstbild | 129
5.1.2 Soziale Bezüge und Beziehungen | 136
5.1.3 Der Umgang mit Werten und Normen | 146
5.2 Die Fiktion der Nation als Handlungsgrundlage | 161
5.2.1 „Französisch-Algerien“ – ein semantisches Missverständnis | 163
5.2.2 Der Umgang mit den anderen: Anspruch und Wirklichkeit | 171
5.2.3 Die Résistance als Mythos zur Ehrenrettung | 177

6. Louisette Ighilahriz, Algérienne. Récit recueilli par Anne Nivat (2001) | 188

6.1 Das Zeugnis des Folteropfers | 190
6.1.1 Der Kolonialkrieg als organisierendes Zentrum. Biografische Etappen | 190
6.1.2 Bindungen an die anderen: Typologien eines Fremdverhältnisses | 195
6.1.3 Das Selbstverhältnis als Reflex aus dem Erleben der anderen | 209
6.2 Algérienne vor dem Horizont der Täterzeugnisse | 216
6.2.1 Ein Geschehen, drei Deutungen | 217
6.2.2 Das ideenpolitische Kräftefeld: Republik und Menschenrechte | 221
6.2.3 Idealismus als Staatsräson? | 226

III. Menschenrechte, Politik und Erfahrung. Sozialethische Klärungen | 231

7. Geformt durch Praxis und prägend für Praxis – der Menschenrechtsanspruch im Lichte der Erfahrungszeugnisse | 233

7.1 … in der Bannkraft der Gewalt | 235
7.2 … als Merkmal von Identität | 241
7.3 … zwischen subjektivem Sinn und kollektivem Eingebundensein | 246
7.4 … unter den Zeichen von Zeitlichkeit und Geschichte | 251
7.5 Verkörperungen moralischen Sinns: soziale Praxis | 253

8. Sozialethische Diskussionsfelder | 258

8.1 Erfahrung, Zeugnis, Gedächtnis | 260
8.1.1 Ein verletztes Gedächtnis | 262
8.1.2 Erinnerung an die Zukunft der Geschichte | 272
8.2 Gesellschaftswerdung und kollektive Identität | 275
8.2.1 Die Selbsthervorbringung der Gesellschaft aus Akten der Kreativität | 278
8.2.2 Imaginäre Bedeutungen und gesellschaftliche Symbolsprache | 283
8.2.3 Entfremdung oder Autonomie? Das Republik-Ideal als Testfall | 286
8.3 Welche Erfahrungen zählen in der sozialen Gemeinschaft? | 293
8.3.1 Erfahrungen begrenzen – Erfahrungen ermöglichen | 295
8.3.2 Herausforderungen politischen Handelns | 300

Eine erst herzustellende Wahrheit – Politik | 307

Literaturverzeichnis | 321