Schmerzen - Lust und Last
"Was machst du denn da - bist du verrückt?", fragt Tünnes den Schäl, "haust dir immer wieder mit dem Hammer auf deinen Daumen - das tut doch weh!" "Furchtbar weh", antwortet der Schäl, "aber es tut so gut, wenn der Schmerz weggeht."
Schmerzen, die mit anschließendem Lustgewinn verbunden sind, kennen viele Jugendliche: Die schmerzhaften Ausdauerübungen beim Bodybuilding versprechen Hebung des Selbstwertgefühls und Bewunderung bei Mann und Frau. Einen Marathonlauf durchzustehen und den inneren Schweinehund zu überwinden, bringt Glücksgefühle schon während des Laufens. Dies mag noch "normal" sein, aber die Grenzen sind fließend.
"Als meine Freundin mich verlassen hat, habe ich mich im Bad eingeschlossen und habe mich mit einer Nagelschere aufgeschnitten und der Schmerz tat so gut. Seitdem habe ich immer meine Ra-
sierklinge dabei. Sie ist so etwas wie mein Freund, der in dem Moment, in dem ich mich ritze, die Welt in Ordnung macht. Und danach weine ich meistens, aber nicht, weil es weh tut, sondern weil ich mich dadurch auch nicht besser fühle und mich frage, warum mache ich das eigentlich?" (aus dem Internet) Hunderttausende sollen sich so Schmerzlust bereiten. Lustschmerz als Sucht ist weit verbreitet (Internetmagazin Provo). Sie beginnt oft mit dem inneren Antreiber "Nur wenn du dich anstrengst, dann bist du o.k.", der oft in den harten Leistungsforderungen der Eltern seinen Ursprung hat. Sich selbst die Schuld zu geben und zu quälen scheint der einzige Ausweg.
Wenn dann noch "schmerzhafte Einschnitte ins soziale Netz" propagiert werden, dann ist eine sadomasochistische Grundstimmung erzeugt worden, bei der die Gewinner ohne Gewissensbisse ("das ist unvermeidlich mit der
Globalisierung") andere mit Arbeitsplatzstreichung oder -Verlagerung und Lohnkürzungen quälen dürfen. Die Verlierer aber sollen sich selbst anklagen und die Schmerzen von Arbeitslosigkeit und Armut sich selbst zuschreiben (zu anspruchsvoll, zu faul oder zu schlecht ausgebildet). Dazu passen dann Mel Gibsons Schmerzensorgie und die Metzeleien in den Folterkellern und im Straßenkampf im Irak: Ohne Schmerzen keine "Befreiung". Opfer müssen sein. Nur: Wem nützt das alles wirklich? Wer profitiert davon? Und: Ist das Opfer als Grundmuster von Herrschaft und Unterdrückung nicht ein für allemal abgeschafft — am Kreuz? "Wenn du morgens aufwachst und es tut dir nichts weh - dann bist du tot", sagt der 55-jährige Kollege. Schmerzen sind für viele - nicht nur für Ältere - normal: Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Rückenbeschwerden oder andere chronische Schmerzen. Schmerztabletten sind die am meisten verkauften Medikamente. Schmerzfreiheit ist zunehmend wichtiger geworden. Spezielle Schmerzkliniken sind überlaufen. Schmerztherapeuten werden gesucht. Wo Schmerzen zu dauerhaftem Leiden werden, da ist unsere Ohnmacht besonders zu spüren. Der Wunsch nach einem "schönen Tod" - gemeint ist ja ein angenehmes, schmerz- und leidfreies Sterben — ist nur zu verständlich. Aushalten und Einwilligen und sich mit der Ewigkeit Gottes begnügen gelingt uns nur selten und jedem anders. Mit Schmerzen leben und sterben - das ist sicher ein lohnendes Thema für den BRU: weil es uns ins Menschliche und in seine Tiefen führt - gemeinsam.
Dietrich Horstmann
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Schmerzen — Lust und Last
Dietrich Horstmann 2
Liebe deine Schmerzen
wie dich selbst! Ein Gespräch mit
Klaus Dörner 4
"... und jeder wird den Sack anziehen."
Ein biblisches Streiflicht
Bernd Abesser 9
Namibia - unser Land hat Aids
Eine Unterrichtseinheit für den RU an Berufsschulen und -kollegs sowie für Sek. I und II
Volker Hassenpflug / Martin Autschbach 11
Schmerzen
Fragebogen zum Einstieg in das Thema (Kopiervorlage) 20
Erfahrungen mit Schmerzen (Kopiervorlage) 21
Ursachen und Wirkung von Schmerzen (Kopiervorlage) 22
"Endlich keine Schmerzen mehr!"
Elemente einer Unterrichtsreihe zur Sterbehilfe
Folke Keden-Obrikat 24
Wie stirbt man richtig? 31
Das Jahr der Schmerzlosigkeit - 2050 (Kopiervorlage) 33
Alles geritzt?
Jugendliche verstümmeln sich selbst
Antje Homm / Hubert Ostendorf 34
Verbesserung des Individuums über Deformation? 34
Zum Kreuzigungsbild von Lovis Corinth
Annette Schäfer-Roth 37
Folter als Rechtsmittel? 37
Quäl Dich, Du Sau!
Leistungsbereit sein, heißt, für den Schmerz bereit sein. 38
Forum
Hamburg hat ein neues Lehrerarbeitszeitmodell
Birgit Kuhlmann / Matthias Kupfernagel 40
Rezensionen
J. Klute, H. Sohlender, S. Sinagowitz:
"Gute Arbeit/Good Work"
Evelyn Schneider 41
M. Autschbach, I. Sonnentag:
"... Kein Wald mit Buchen"
Karl-Theo Siebel 42
Weitere Materialien http://www.brumagazin.de/hefte.htm