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Adios, Nirvana
Adios, Nirvana




Conrad Wesselhoeft

Carlsen
EAN: 9783551311221 (ISBN: 3-551-31122-6)
286 Seiten, paperback, 13 x 20cm, Januar, 2012

EUR 9,99
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Wenn man von einer Brücke runter in einen Schneesturm pinkelt, fühlt sich das an, als würde man mit ewigen Dingen in Kontakt treten.



Seit dem Tod seines Zwillingsbruders Telly kriegt Jonathan sein Leben nicht mehr auf die Reihe. Jetzt droht er auch noch in der Schule sitzen zu bleiben. Kein Wunder, wenn man sich die Nächte mit Red Bull, Gitarre spielen und dem Schreiben von Gedichten um die Ohren schlägt. Doch den Abschluss ohne ihn zu machen, kommt für Jonathans Freunde natürlich nicht in Frage. Und auch seine Lehrer geben ihm noch eine letzte Chance - eine, die es in sich hat und Jonathan das Leben bald mit ganz anderen Augen sehen lässt.



"Ein psychologisch komplexes Debüt, bei dem sowohl Heavy-Metal-Fans als auch Drama-Junkies auf ihre Kosten kommen." (Booklist)
Rezension
Ein Buch, das auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 in der Sparte Preis der Jugendjury steht, macht mich neugierig: Was spricht Jugendliche heute an? "Adios Nirvana" ist ein starkes Buch mit starken Gefühlen. Jonathan ist am Boden zerstört - Telly, sein Zwillingsbruder, ist gestorben. Wie soll Jonathan mit diesem Verlust, seiner Trauer und den unausgesprochenen Schuldgefühlen fertig werden? Seine Gedanken und Gefühle hält der junge preisgekrönte Nachwuchspoet fest in einem langen Gedicht: "Träume von Telemach". Aber der Alltag ist belastend; Schlaf findet er kaum und wird dann von Alpträumen gequält, so dass er lieber mit Red Bull und NoDoz die Nacht durchmacht. An Schule ist dabei natürlich nicht so denken, und so droht das Sitzenbleiben. Einzige Chance, die ihm die Schulleiterin bietet: Keine Stunde mehr versäumen, als Ausgleichsarbeit die Biographie eines todkranken alten Mannes schreiben, und auf dem Abschlussfest vor der versammelten Schulgemeinde einen Song spielen und singen.

Jonathan stellt sich seinen Aufgaben. Immer wieder ermutigt von seinen "Dickies", den Freunden, angetrieben vom Lehrer, der an sein Talent glaubt, und von seiner unkonventionellen Mutter, die trotz allen Leids noch Zukunftspläne entwirft, macht er sich auf den Weg in das Hospiz. Dort lernt er David kennen, der seine Erlebnisse als Marineoffizier im zweiten Weltkrieg erzählen will und sich dem tief sitzenden Verlust seiner Kameraden stellt; die fast hundertjährige Agnes, die trotz Demenz prophetische und poetische verwirrende Sätze äußert; und Katie mit den unterschiedlichen Frisuren, die er zunächst für eine junge Empfangskraft hält und erst später als Hospizbewohnerin identifiziert. Sie alle helfen Jonathan dabei, eine neue Sicht auf das Leben zu finden. Und dann ist da noch die letzte Aufgabe: Der Song, den er spielen soll, ist "Crossing the River Styx". Styx, der Fluss, der in der griechischen Mythologie das Reich der Lebenden von dem der Toten trennt, ruft wieder den Verlust von Telly hervor, der ein genialer Gitarrist war. In einem mitreißenden Bühnenspektakel macht der scheue Jonathan sich den Song zu eigen und mischt ihn mit seinen Gedichten. Die Aufgabe ist bewältigt, und er hat nicht nur das Schuljahr geschafft, sondern auch einen Weg aus seiner Trauer gefunden.

Dieses Buch ist aufrührend. Zusammen mit dem schlaflosen Jonathan hetzt der Leser durch seinen Alltag. Er lässt sich berühren von den Gedanken, die der Ich-Erzähler beschreibt, und er kann die unausgesprochenen Emotionen mitfühlen. Eine sinnliche Sprache mit vielen Anspielungen an Walt Whitman und Charles Bukowski machen Jonathans Dichtertalent glaubhaft. Nach und nach wird die dichte Beziehung zum Zwillingsbruder deutlich. Diese ist psychologisch überzeugend geschildert - häufig erlebt man ja bei Zwillingen, dass sie unterschiedliche Seiten in sich aktualisieren. Hier erläutert Jonathan, dass die beiden immer die andere Seite im Gegenüber herausgekitzelt haben, und so ist der anfangs immer betonte Gegensatz ("chiaroscuro") zwischen den beiden nur scheinbar. Jonathan findet den verlorenen Telemach in sich selbst.

Bei allen Stärken dieses Buchs gibt es aber auch einige Schwächen: Es ist unglaubwürdig, dass Jonathan über ein Jahr lang kaum schlafen soll - selbst Energiedrinks, Pillen und jugendliche Robustheit halten das nicht aus. Auch dass er plötzlich so genial wie sein Bruder Gitarre spielen kann, ist nicht wirklich überzeugend. Sicherlich kann der Flow bei einem großen Auftritt Höchstleistungen hervorrufen, aber ohne eine grundlegende Technik? Auch Jonathans Gedichte sind geniale Augenblickswerke; er erwähnt zwar, dass er sie überarbeiten müsse, doch wird das nie beschrieben. Und so entwirft das Buch ein Bild vom Künstlersein und von Genialität, die sich einfach aus dem Augenblick und dem starken Gefühl heraus perfekt äußern - das ist wohl für die meisten Autoren wie Musiker eher unrealistisch.

Trotz allem: Das Buch ist lesenswert - und dies nicht nur aus Erwachsenensicht, sondern eben auch aus der der Jugendjury. Das Buch beginnt mit einem Schneesturm und endet am längsten Tag des Jahres mitten im Sommer. Es beschreibt einen Weg aus Trauer und Verlust und preist das Leben. Wie die alte Agnes sagt: "Befreit die Schwimmer in der Dunkelheit!"

M. Houf für www. lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Seit dem Tod seines Zwillingsbruders Telly kriegt Jonathan sein Leben nicht mehr auf die Reihe. Jetzt droht er auch noch in der Schule sitzen zu bleiben. Kein Wunder, wenn man sich die Nächte mit Red Bull, Gitarre spielen und dem Schreiben von Gedichten um die Ohren schlägt. Doch den Abschluss ohne ihn zu machen, kommt für Jonathans Freunde natürlich nicht in Frage. Und auch seine Lehrer geben ihm noch eine letzte Chance - eine, die es in sich hat und Jonathan das Leben bald mit ganz anderen Augen sehen lässt.