Ob Jesus am Kreuz gestorben ist, diese Frage wird von Christen und Muslimen unterschiedlich beantwortet. Warum Jesus am Kreuz gestorben ist, diese Frage wird sogar unter Christen unterschiedlich beantwortet (s. Meinrad Limbeck in den Buchtipps). Der Tod Jesu am Kreuz hat von seiner Anstößigkeit in der Geschichte wenig verloren, auch wenn wir uns an Kreuzesdarstellungen in Klassen- und Wohnzimmer so gewöhnt haben, dass wir sie kaum noch wahrnehmen. Der theologischen Sinngebung des Kreuzestodes Jesu, die in der Formel „für uns gestorben“ zusammengefasst werden kann, begegnen heutige Menschen und V. a. unsere Schülerinnen und Schüler mit Unverständnis und Ratlosigkeit. „Wieso muss ein Mensch sterben, um andere zu erlösen?“, „Vielleicht hatte Jesus nur Pech und ist gar keinen bewussten Opfertod gestorben“, „Nett von ihm, aber es könnte auch von den Jüngern hineininterpretiert worden sein (grandioser Abgang).“. Diese Schüleräußerungen (im Beitrag von Markus Kreye/Gabriele Otten) dokumentieren nicht nur Verständnislosigkeit, sondern eine grundsätzliche Infragestellung, dass ein Mensch für andere sterben könne. So wird die Beschäftigung mit dem Tod Jesu zu einer theologischen und zu einer religionspädagogischen Herausforderung, der sich dieses Heft stellen will.
Die Fragen nach Ursachen und Verantwortlichen für den gewaltsamen Tod, Jesu von Nazaret klärt Winfried Verburg in seinem Beitrag „Gelitten unter Pontius Pilatus?“, nicht zuletzt um antijüdische Sichtweisen als solche deutlich werden zu lassen. Die Sinndeutung des Todes Jesu, ausgerechnet am Schandpfahl des Kreuzes, steht im Zentrum der paulinischen Theologie. Thomas Söding erschließt den tieferen Sinn des Todes Jesu unter dem Blickwinkel „Das Opfer als Retter“ als „Hingabe für die vielen“. Ohne Inszenierung keine Erinnerung. Die Begegnungsform der Schülerinnen und Schüler mit dem Kreuzestod ist die Inszenierung, in der Liturgie am Karfreitag und vor allem im Film, selten die Lektüre der Passionserzählungen. Formen der Inszenierung der Passion, Chancen und Gefahren der Inszenierung bei Passionsspielen oder Filmen werden in dem Beitrag „Erinnerung und Inszenierung“ von Reinhold Zwick dargestellt. Eingeschlossen in diesem Artikel ist der sonst in einer eigenen Rubrik aufgeführte Medienüberblick zum Thema. Für Muslime ist es aufgrund der Wertschätzung für Jesus im Koran unvorstellbar, dass Gott seinen Gesandten am Kreuz hinrichten ließ. Für den interreligiösen Dialog ist es wichtig, um die islamische Perspektive zu wissen, wie sie Tarek Badawia darlegt.
Die Praxisbeispiele nehmen Themen der Grundsatzartikel auf und regen zur Umsetzung im RU an. Auf diese Weise korrespon- diert der Beitrag von Annegret Langenhorst mit dem historischen Eingangsartikel von Winfried Verburg. Der interreligiöse Unterrichtsvorschlag für die Jahrgänge 7/8 „Von Gott nicht im Stich gelassen“ von Diaa-Eldin Hassanein und Michael Grönefeld wiederum baut auf der Auseinandersetzung mit dem Tod Jesu aus islamischer Perspektive "Weder getötet noch gekreu- zigt“ von Tarek Badawia auf.
Der Vorwurf an die Juden, sie seien „Gottesmörder“ und Schuld am Tod Jesu hatte in den letzten zweitausend Jahren oft als Begründung für den Antisemitismus gedient. Heike Harbecke geht in ihrem Beitrag der Frage nach „Wer ist schuld am Tod Jesu?“. Der Beitrag von Henning Hupe (ev.) und Andreas Syrowatka (rk.) mit dem Titel „Zwischen Auferstehung und Tod Jesu“ bietet eine interessante Basis für die konfessionellen Akzentsetzungen und zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen dem Kreuzestod Jesu und der Rechtfertigungstheologie. Die Deutung des Todes Jesu, theologisch entfaltet von Thomas Söding, steht im Zentrum der Lernsequenz für die Sekundarstufe II von Markus Kreye und Gabriele Otten: „Jesu Tod am Kreuz - Skandal und doch Heilsereignisl“ Der Tod am Kreuz stellt auch die Frage nach der Beziehung zwischen Gewalt und Religion. Dieser Frage gehen Hans-Gerhard Neugebauer und Rolf Sistermann in ihrer Lernsequenz für die Sekundarstufe II nach, die sich für die Kooperation der Fächer Philosophie, Religion und ggf. das Ersatzfach zum RU eignet.
Das Titelbild und weitere Bilder im Heft zeigen Teile des Kreuzweges von Silke Rehberg in den Fenstern der Kirche St. Josef in Münster-Kinderhaus von 2008. Christoph Stender motiviert Sie in der Unterbrechung zu eigenen Bildern.
Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesem Heft Anregung und Ermutigung gegeben haben, diese anspruchsvolle, aber wichtige Thematik in Ihrem Unterricht zu behandeln.
Ihr
Ludwig Rendle, Winfried Verburg
Inhaltsverzeichnis
Editorial 1
Theologische Perspektiven
Winfried Verburg
Gelitten unter Pontius Pilatus?
Zum historischen Kontext von Prozess und Verurteilung Jesu 4
Thomas Söding
Das Opfer als Retter
Der Tod Jesu bei Paulus 8
Tarek Badawia
„Weder getötet noch gekreuzigt“ – Allah sprach: „Sei!“
Der Tod Jesu aus islamischer Perspektive 12
Reinhold Zwick
Erinnerung und Inszenierung
Der Prozess gegen Jesus in Passionsspiel und Film 15
Unterrichtspraxis
Annegret Langenhorst
Der Tod Jesu
Eine Spurensuche
(Jahrgang 6) 21
Diaa-Eldin Hassanein/Michael Grönefeld
Von Gott nicht im Stich gelassen! Die unterschiedliche Sicht auf die
Kreuzigung Jesu in Bibel und Qur’an
Interreligiöses Lernen am Beispiel der Deutung des Todes Jesu in Christentum
und Islam
(Jahrgänge 7/8, in schulzweigübergreifenden Lerngruppen ) 27
Heike Harbecke
Wer ist schuld am Tod Jesu?
Die neutestamentlichen Passionserzählungen und ihre Rezeption als Basis für christlichen Antijudaismus
(Jahrgänge 7/8) 35
Henning Hupe/Andreas Syrowatka
Zwischen Auferstehung und Tod Jesu
Eine ökumenische Unterrichtseinheit
(ab Jahrgang 10) 42
Markus Kreye/Gabriele Otten
Jesu Tod am Kreuz – Skandal und doch Heilsereignis!
Ein Unterrichtsvorhaben zu Deutungen des Todes Jesu
(Jahrgänge 11/12) 48
Rolf Sistermann/Hans-Gerhard Neugebauer
Macht der Glaube an nur einen Gott gewalttätig?
Die Auseinandersetzung um Jan Assmanns Monotheismus-Thesen
im fächerübergreifenden Unterricht in Philosophie und Religion 54
Unterbrechung
Christoph Stender
Kreuzdiagnosen 32
REZENSIONEN UND AV-MEDIENTIPPS 60
NACHRICHTEN DES BKRG 62
VORSCHAU 64